AKTIENRECHTLICHE SONDERPRÜFUNG IN DER PUBLIKUMS-PERSONENGESELLSCHAFT?
Der BGH hat in den letzten Jahrzehnten die analoge Anwendbarkeit von Vorschriften des Kapitalgesellschaftsrechts auf Publikums-Personengesellschaften immer stärker ausgeweitet. Bislang nicht höchstrichterlich entschieden ist jedoch, ob das zunehmend populäre Instrument der aktienrechtlichen Sonderprüfung (§§ 142 ff. AktG) auch bei Publikums-Personengesellschaften entsprechend anwendbar ist. Das Landgericht Hamburg (411 HKO 31/15) hat dies nun abgelehnt.
I. Aktienrechtliche Sonderprüfung nach §§ 142 ff. AktG
Die aktienrechtliche Sonderprüfung nach §§ 142 ff. AktG stellt eines der zentralen Minderheitenrechte zur Überprüfung der Geschäftsführung der Aktiengesellschaft dar. In Anbetracht der nur sehr geringen Einsichtsrechte der Aktionäre in die Verwaltung der Aktiengesellschaft ist die Sonderprüfung häufig das einzige Mittel, um Unregelmäßigkeiten aufzuklären. Dies insbesondere dann, wenn Vorstand und Aufsichtsrat kollusiv zusammenwirken oder die Kontrollmechanismen in der Aktiengesellschaft aus anderen Gründen wirkungslos werden.
Die Hauptversammlung der Aktiengesellschaft kann eine Sonderprüfung mit einfacher Mehrheit der Stimmen beschließen, wobei der Beschluss sich auf bestimmte Vorgänge beziehen muss. Der Sonderprüfer muss namentlich von der Hauptversammlung benannt werden, soll gewisse Qualifikationen erfüllen und in seiner Person dürfen keine Umstände vorliegen, die zu einem Bestellungsverbot nach § 143 AktG führen würden (z.B. der Sonderprüfer hätte nach den Vorgaben des HGB zum Zeitpunkt des zu untersuchenden Ereignisses nicht Abschlussprüfer der Aktiengesellschaft sein dürfen).
Häufig soll die Sonderprüfung als Vorstufe zur späteren Geltendmachung von Ersatzansprüchen nach den §§ 147 ff. AktG eingesetzt werden. Sie gibt daher den Aktionären ein wirksames Kontrollinstrument an die Hand.
II. Rechtsprechung des BGH zur Anwendbarkeit von Kapitalgesellschaftsrecht auf Publikums-Personengesellschaften
In ihrer Gestalt als kapitalgesellschaftsrechtliche Vorschriften des Aktienrechts sind die Regelungen der Sonderprüfung in den §§ 142 ff. AktG jedenfalls nicht unmittelbar auf Publikums-Personengesellschaften anwendbar. Der BGH hat jedoch in den letzten Jahrzehnten im Wege der Rechtsfortbildung – stets anhand von Einzelfallentscheidungen – die entsprechende Anwendung von Vorschriften aus dem Kapitalgesellschaftsrecht auf die Publikums-Personengesellschaften dann zugelassen, wenn dies „zum Schutze der Kapitalanleger und im Interesse der Funktionsfähigkeit der Publikums-KG“ geboten erschien (vgl. etwa BGH, Urteil vom 12.7.1982, NJW 1982, 2500, 2501). Hintergrund ist letztlich die Tatsache, dass der Gesetzgeber insoweit untätig geblieben ist, ein vergleichbares Schutzbedürfnis für die Anleger jedoch seitens der Rechtsprechung gesehen wurde.
III. Entsprechende Anwendbarkeit der aktienrechtlichen Sonderprüfung auf die Publikums-Personengesellschaft
1. Bislang keine Entscheidung des BGH
Vom BGH ist die Frage, ob die aktienrechtliche Sonderprüfung gemäß §§ 142 ff. AktG auf die Publikums-Personengesellschaft entsprechend anwendbar ist sowie die Anschlussfrage, ob eine solche Sonderprüfung von der Gesellschafterversammlung der Publikums-Personengesellschaft mit einfacher Mehrheit beschlossen werden kann bislang nicht entschieden worden. Auch deshalb wird die Frage der Anwendbarkeit der Sonderprüfungsvorschriften auf Publikums-Personengesellschaften im Schrifttum fortgesetzt widerstreitend diskutiert.
2. Obergerichtliche Rechtsprechung lehnt Anwendbarkeit ab
Bislang war die Frage der Anwendbarkeit der aktienrechtlichen Sonderprüfung auf Publikums-Personengesellschaften – soweit ersichtlich – Gegenstand je einer Entscheidung des OLG Hamm (Urteil vom 03.12.2012, I-8 U 20/12, ZIP 2013, 976) sowie des BayObLG (Urteil vom 04.07.1985, 3 Z 43/85, NJW 1986, 140). In beiden Fällen lehnten die Gerichte die Anwendbarkeit der Regelungen zur aktienrechtlichen Sonderprüfung ab, weil sie keinen Bedarf für eine entsprechende Anwendung der §§ 142 ff. AktG auf die Publikums-Personengesellschaft erkannten.
3. Die Entscheidung des Landgerichts Hamburg
Das Landgericht Hamburg (411 HKO 31/15) hatte vor diesem Hintergrund über die Beschlussmängelklage einer treugeberisch an den vier als Publikums-Kommanditgesellschaften strukturierten Beklagten beteiligten Anlegerin zu entscheiden.
Die Klägerin verlangte die Feststellung, dass in den Gesellschafterversammlungen der vier beklagten Kommanditgesellschaften jeweils der Beschluss über die Durchführung einer (aktienrechtlichen) Sonderprüfung gefasst worden sei. Die von der Klägerin als wirksam erachteten Gesellschafterbeschlüsse wurden jeweils mit einer Mehrheit von mehr als 50 % jedoch weniger als 70 % der abgegebenen Stimmen gefasst. Die (identischen) Gesellschaftsverträge der Beklagten sahen das Recht zur Durchführung einer Sonderprüfung nicht vor. Für eine Änderung der Gesellschaftsverträge schrieben sie eine Beschlussmehrheit von mindestens 70 % der abgegebenen Stimmen vor.
Das Landgericht Hamburg wies die Klage mangels wirksamer Beschlussfassung über die Sonderprüfung ab. Der Beschluss der Gesellschafterversammlung zur Durchführung einer Sonderprüfung bei der jeweiligen Beklagten hätte mit einer gesellschaftsvertragsändernden Mehrheit gefasst werden müssen, an der es unstreitig fehlte. Das Landgericht Hamburg stützt sich insoweit auf die Entscheidungen des OLG Hamm sowie des BayObLG (siehe oben unter Ziffer III. 2.) und sah keinen Raum für eine entsprechende Anwendung der §§ 142 ff. AktG auf die Publikums-Kommanditgesellschaft. Dies deshalb, weil es in der Publikums-Kommanditgesellschaft an einer ausfüllungsbedürftigen Regelungslücke fehle. Während die Aktionäre gegenüber ihrer Aktiengesellschaft außerhalb der Hauptversammlung keine Einsichtsrechte in deren Unterlagen geltend machen können, stünden den Kommanditisten der Publikums-Kommanditgesellschaft nach § 166 HGB Kontrollrechte zu, deren Umfang keiner Erweiterung bedürfe.
Die Entscheidung des LG Hamburg ist nach Rücknahme der von der Klägerin vor dem Hanseatischen OLG Hamburg eingelegten Berufung rechtskräftig.
IV. Praxisfolgen
Auch wenn sich das Landgericht Hamburg den (lediglich) zwei bisher ergangenen obergerichtlichen Entscheidungen angeschlossen hat, folgt hieraus keine Rechtssicherheit bezüglich der Frage der entsprechenden Anwendbarkeit der Sonderprüfungsvorschriften auf die Publikums-Personengesellschaft. Denn aufgrund des Fehlens einer höchstrichterlichen Entscheidung zu dieser Frage, besteht auf Gesellschafterseite in der Publikums-Personengesellschaft die Chance, ein höchstwirksames Kontrollinstrument gangbar zu machen und auf Geschäftsführungsseite ein ausgeprägtes Interesse, die haftungsträchtige Sonderprüfung abzuwehren.
Für den die Sonderprüfung anstrebenden Gesellschafter der Publikums-Personengesellschaft birgt jedoch umgekehrt die Vorbereitung eines entsprechenden Gesellschafterbeschlusses auf Grund der spezifischen Anforderungen und der Formenstrenge des Aktienrechts große Unwirksamkeitsrisiken. Zudem muss der Gesellschafter, der für die Sonderprüfung gestimmt hat, regelmäßig versuchen, die Wirksamkeit der Beschlussfassung der Sonderprüfung – auch ohne gesellschaftsvertragsändernde Mehrheit – gegen die Gesellschaft im Klagewege feststellen zu lassen. Hierzu kann er sich auf zustimmende Literaturmeinungen berufen, welche umfassend die entsprechende Anwendung der aktienrechtlichen Sonderprüfungsvorschriften in der Publikums-Personengesellschaft bejahen und sich auf die stetige Ausweitung der Rechtsprechung des BGH zur Anwendbarkeit kapitalgesellschaftsrechtlicher Vorschriften auf die Publikums-Personengesellschaft stützen.
Auf Seiten der Geschäftsführung der Publikum-Personengesellschaft bedarf es zur erfolgreichen Abwehr einer Klage eines Gesellschafters, mit dem Ziel der Feststellung eines gefassten Sonderprüfungsbeschlusses, der detaillierten Analyse des betreffenden Gesellschafterbeschlusses und der stringenten Zurückweisung der entsprechenden Anwendbarkeit der Sonderprüfungsvorschriften auf Basis der bisher hierzu ergangenen und nun vom Landgericht Hamburg bestätigten Rechtsprechung. Dies insbesondere in denjenigen Fällen, in denen die Gesellschafterversammlung einen Beschluss über die Durchführung einer Sonderprüfung mit einer Stimmenmehrheit fasst, die nicht zugleich für eine Gesellschaftsvertragsänderung ausreicht. In diesem Fall kommt es auf die hier dargestellte Streitfrage der entsprechenden Anwendung der aktienrechtlichen Sonderprüfungsvorschriften an, weil § 142 Abs. 1 Satz 1 AktG vorsieht, dass die Hauptversammlung in der Aktiengesellschaft den Sonderprüfer mit („nur“) einfacher Stimmenmehrheit bestellen kann.
Erst zukünftige Streitfälle und eine abschließende Entscheidung des BGH werden Rechtssicherheit für Gesellschafter und Geschäftsführung in Publikums-Personengesellschaften zur Frage der Anwendbarkeit der aktienrechtlichen Sonderprüfung in der Publikums-Personengesellschaft bringen.
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