DIE ÜBERTRAGUNG DES GANZEN GESELLSCHAFTSVERMÖGENS EINER GMBH – AUCH WEITERHIN NICHT OHNE BETEILIGUNG DER GESELLSCHAFTERVERSAMMLUNG
Der Bundesgerichtshof (BGH) setzt sich in einer Entscheidung vom 28.01.2019 (II ZR 364/18) mit der Frage auseinander, ob in analoger Anwendung von § 179a AktG die Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens einer GmbH im Rahmen eines Kaufvertrages ohne zustimmenden Beschluss der Gesellschafterversammlung gegenüber dem Käufer unwirksam ist. Der BGH nimmt darin umfangreich Stellung zu strukturellen Unterschieden einer GmbH und einer Aktiengesellschaft und lehnt eine analoge Anwendung des § 179a AktG auf die GmbH ab. Gleichwohl hält der BGH im Innenverhältnis den zustimmenden Gesellschafterbeschluss für erforderlich. Der Vertragspartner soll sich laut BGH auch nur dann auf die unbeschränkte Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers verlassen dürfen, wenn ihm der Missbrauch der Vertretungsmacht nicht bekannt war und er sich ihm auch nicht hätte aufdrängen müssen.
I. § 179a AktG in einer Aktiengesellschaft
Gemäß § 179a Abs. 1 S. 1 AktG bedarf die Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens in einer Aktiengesellschaft der Zustimmung der Hauptversammlung. Dabei ist der notariell zu beurkundende Zustimmungsbeschluss der Hauptversammlung Wirksamkeitserfordernis des schuldrechtlichen Übertragungsvertrages. Die ansonsten unbeschränkte Vertretungsbefugnis des Vorstands umfasst den Abschluss eines solchen Vertrages nicht. Fehlt es an einem Zustimmungsbeschluss der Hauptversammlung, ist das der Übertragung zugrunde liegende Verpflichtungsgeschäft nach § 177 BGB schwebend unwirksam. Verweigert die Hauptversammlung schließlich die Zustimmung, ist das Verpflichtungsgeschäft unwirksam.
II. Analoge Anwendung auf die GmbH?
Nach bisher wohl überwiegender Ansicht soll § 179a AktG entsprechend für die GmbH gelten. Eine solche analoge Anwendung des § 179a AktG auf die GmbH lehnt der BGH nun ab.
Er führt aus, § 179a Abs. 1 S. 1 AktG stelle eine Ausnahmevorschrift dar, denn die Vorschrift beschneide den ansonsten im Gesellschaftsrecht geltenden Grundsatz, dass die Vertretungsmacht eines Geschäftsführers im Außenverhältnis nicht beschränkbar ist. Die Unbeschränktheit und Unbeschränkbarkeit einer organschaftlichen Vertretungsbefugnis sei jedoch ein tragendes Prinzip des Rechts der Handelsgesellschaften. Für einen Dritten, der mit dem organschaftlichen Vertreter handelt, sei es unzumutbar in jedem Einzelfall festzustellen, ob der Vertreter mit der erforderlichen Vertretungsbefugnis handele. Daher müsse der Handelsverkehr vom Grundsatz geleitet sein, dass keine Nachforschungen über den Umfang der organschaftlichen Vertretungsbefugnis notwendig seien.
Bei einer Aktiengesellschaft werde dieser Grundsatz nur deshalb eingeschränkt, weil das Aktienrecht in den §§ 76 ff. und 111 ff. AktG klare Kompetenzzuweisungen und abgrenzungen hinsichtlich der Wahrnehmung der Leitungs- und Überwachungsaufgaben der Gesellschaft enthalte und die Aktionäre von der Leitung und der Überwachung weitgehend ausgeschlossen sind. Die Vorschrift des § 179a AktG kompensiert nach Auffassung des BGH somit die mangelnde Einflussnahmemöglichkeit des Aktionärs.
Im Gegensatz hierzu sei die Gesellschafterversammlung einer GmbH jedoch das zentrale Entscheidungsorgan der GmbH. Denn in der Gesellschafterversammlung werden die für die Geschicke der Gesellschaft wesentlichen Entscheidungen getroffen.
Ein GmbH-Gesellschafter sei folglich nicht gleichermaßen schutzbedürftig wie ein Aktionär. Es bestehe damit keine – für die Analogie notwendige – vergleichbare Interessenlage, sodass der tragende Grundsatz der Unbeschränktheit und Unbeschränkbarkeit einer organschaftlichen Vertretungsbefugnis gegenüber dem GmbH-Gesellschafter weiterhin zu Anwendung kommt.
III. Die Geschäftsführung in der GmbH
Der BGH würdigt aber die Situation, die mit der Übertragung des gesamten Vermögens einer Gesellschaft einhergeht. Er zeigt auf, dass auch ohne eine analoge Anwendung des § 179a AktG eine Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens der Zustimmung der Gesellschafterversammlung bedarf. Der BGH betont, dass dem Geschäftsführer einer GmbH – im Unterschied zur Aktiengesellschaft – gemäß § 37 Abs. 1 GmbHG eine Geschäftsführungsbefugnis nur insoweit zukommt, als die Gesellschafterversammlung von ihrer Geschäftsführungskompetenz weder durch Regelung im Gesellschaftsvertrag noch durch Beschlussweisung an den Geschäftsführer Gebrauch gemacht hat. Damit gehe einher, dass der Geschäftsführer bei besonders bedeutsamen Geschäften – wie der Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens – vorher die Zustimmung der Gesellschafterversammlung einholen müsse. Nur so könne das Kontrollrecht der Gesellschafterversammlung insbesondere eines Minderheitsgesellschafters im ausreichenden Maße gewahrt werden. Der BGH verortet die Erforderlichkeit eines zustimmenden Gesellschafterbeschlusses daher zunächst im Innenverhältnis zwischen Gesellschafterversammlung und Geschäftsführer.
IV. Notwendige Mehrheitserfordernisse
Der BGH trifft in seiner Entscheidung keine Aussage über die für den Zustimmungsbeschluss erforderliche Mehrheit. Unseres Erachtens sprechen gute Argumente dafür, auch weiterhin eine ¾ Mehrheit zu fordern. Durch die Übertragung des gesamten Gesellschaftsvermögens verliert eine GmbH in aller Regel ihren Charakter als werbende Gesellschaft. Der Verkauf des Unternehmens wird nur in Ausnahmefällen vom Unternehmensgegenstand umfasst sein. Bei dem Beschluss handelt es sich in der Regel insofern um einen satzungsdurchbrechenden Beschluss. Für solche Beschlüsse verlangen Rechtsprechung und Literatur überwiegend, dass die Voraussetzungen des § 53 GmbHG eingehalten werden (zu weiteren Details vergl. auch den Beitrag zu satzungsdurchbrechenden Beschlüssen in diesem Newsletter). § 53 Abs. 2 S. 1, 2. HS verlangt eine dreiviertel Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Darüber hinaus wendet die überwiegende Auffassung in der juristischen Literatur § 53 GmbHG (analog) auch für sogenannte „Holzmüller“-Fälle an. Die Veräußerung des gesamten Gesellschaftsvermögens ist ein noch größerer Eingriff, als er bei den „Holzmüller“ Fällen vorlag, in denen es zumeist um sehr weitgehende strukturelle Änderungen ging. Auch vor diesem Hintergrund wird auch weiterhin eine ¾ Mehrheit auf Grundlage von § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG (analog) erforderlich sein.
V. Missbrauch der Vertretungsmacht
Doch was passiert, wenn – wie im zugrunde liegenden Fall – der Geschäftsführer die Zustimmung der Gesellschafterversammlung nicht einholt? Das Vertrauen des Geschäftspartners auf den Bestand des Geschäfts ist laut BGH dann nicht schutzwürdig, wenn er weiß oder es sich ihm geradezu aufdrängen muss, dass der Geschäftsführer seine Vertretungsmacht missbraucht. Der BGH greift also auf die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsbefugnis zurück.
In einem solchen Fall sei die von dem Geschäftsführer abgegebene Willenserklärung unwirksam. Der Vertragspartner könne aus dem formal durch die Vertretungsmacht des Geschäftsführers gedeckten Geschäft keine vertraglichen Rechte oder Einwendungen herleiten. In diesem speziellen Fall weicht der BGH die Grundsätze des Missbrauchs der Vertretungsmacht auf und erweitert sie: Es soll nicht erforderlich sein, dass der Geschäftsführer und der Vertragspartner gemeinsam zum Nachteil der Gesellschaft handeln oder dass die Gesellschaft einen Nachteil aus dem Geschäft erleidet. Der BGH führt weiter aus, es müsse einem verständigen Vertragspartner klar sein, dass ein Geschäftsführer einer GmbH über ein Unternehmen im Ganzen nicht ohne Zustimmung der Gesellschafterversammlung verfügen dürfe. In einem solchen Fall treffe den Geschäftspartner eine Erkundigungspflicht.
VI. Handlungsmöglichkeiten der Gesellschafterversammlung und einzelner Gesellschafter
Da die Bösgläubigkeit des Vertragspartners zur Unwirksamkeit des Rechtsgeschäfts im Außenverhältnis führt, eröffnet sie einzelnen Gesellschaftern die Möglichkeit auf den Verkaufsprozess einzuwirken. Denn ein Gesellschafter – auch ein Minderheitsgesellschafter – kann das Vertrauen des Vertragspartners auf die unbeschränkte Vertretungsmacht des Geschäftsführers zerstören, indem er den vorgesehenen Vertragspartner darüber informiert, dass der für die Übertragung erforderliche Gesellschafterbeschluss fehlt.
Die zuvor dargestellten Grundsätze finden nach Ansicht des BGH auch während der Liquidation Anwendung.
VII. Fazit und Praxishinweis
Ob man die Ausführungen des BGH, eine analoge Anwendung von § 179a AktG auf die GmbH abzulehnen, für überzeugend hält, bedarf an dieser Stelle keiner weiteren Erörterung. Für die Beratungspraxis ist die Entscheidung aber bedeutsam: Aufgrund der vom BGH erhöhten Erkundigungspflichten wird in aller Regel auch weiterhin (i) der Verkäufer einen zustimmenden Beschluss einholen und (ii) der Käufer sich diesen vorlegen lassen müssen.
Ändert sich also nichts zu der bisherigen Praxis? Nicht ganz: In seinen Ausführungen macht der BGH deutlich, dass die formalen Erfordernisse des § 179a Abs. 2 AktG (Auslegung und Übermittlung von Unterlagen vor Beschlussfassung) für die GmbH keine Anwendung finden. Erste Stimmen in der Literatur meinen außerdem, dass der Zustimmungsbeschluss – anders als bisher – nicht mehr notariell beurkundet werden müsse. Wie oben unter Ziffer IV dargestellt, wird § 53 Abs. 2 S. 1 GmbHG in der Regel bei Zustimmungsbeschlüssen zur Anwendung kommen. Insofern sollte jedenfalls aus Vorsichtsgründen auch weiterhin ein notariell beurkundeter Zustimmungsbeschluss eingeholt werden.
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