REFERENTENENTWURF ZUM VERBANDSSANKTIONENGESETZ – DAS STRAFGESETZBUCH FÜR UNTERNEHMER?
Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat unter der Bezeichnung „Verbandssanktionengesetz“ den Referentenentwurf zur Bekämpfung von Unternehmenskriminalität vorgestellt. Sollte die große Koalition diesen Entwurf in geplanter Form im Gesetzgebungsverfahren durchsetzen, steht die Praxis vor weitreichenden Herausforderungen. Es ist daher ratsam, sich schon jetzt mit den geplanten Umstellungen vertraut zu machen.
I. Hintergrund
Das deutsche Strafrecht kennt bislang nur die Strafbarkeit einer natürlichen Person. Ein Unternehmen als solches kann bisher nur im Rahmen eines Bußgeldverfahrens im Sinne des Ordnungswidrigkeitsgesetzes oder aufgrund einschlägiger Spezialgesetze sanktioniert werden, wenn eine Leitungsperson eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit begangen hat. Eine Diskussion, ob man auch in Deutschland ein Unternehmensstrafrecht einführen sollte, so wie es in vielen anderen westlichen Staaten der Fall ist, gibt es schon lange. Im Koalitionsvertrag der Großen Koalition vom 12.03.2018 wurde schließlich mit dem Ziel der stärkeren Sanktionierung von Unternehmen eine Neuordnung des Sanktionsrechts vereinbart. Der Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums ist der erste Schritt zur Umsetzung dieser Vereinbarung.
II. Geplante Neuregelungen
Der Gesetzesentwurf sieht vor, die Ahndung von Verbandsstraftaten aus dem Ordnungswidrigkeitsgesetz herauszunehmen und diese in eine neu geschaffene eigenständige Gesetzesgrundlage zu übertragen. In diesem neuen Verbandssanktionengesetz sind insbesondere folgende Regelungen zu beachten.
1. Einführung des Legalitätsprinzips
Im Ordnungswidrigkeitenrecht gilt das Opportunitätsprinzip, nachdem Ahndung und Verfolgung im pflichtgemäßen Ermessen der Verfolgungsbehörde steht. Durch das Verbandssanktionengesetz soll nun das Legalitätsprinzip eingeführt werden. Das bedeutet, dass die Staatsanwaltschaft beim Vorliegen eines Anfangsverdachts einer Verbandsstraftat verpflichtet ist, ein Ermittlungsverfahren gegen das Unternehmen einzuleiten.
Das geltende Recht soll dadurch für alle gleichmäßig angewendet werden und die Verfolgung nicht mehr von der einzelnen Verfolgungsbehörde abhängig sein. Aufgrund der im Entwurf vorhergesehenen entsprechenden Anwendbarkeit der Einstellungsmöglichkeiten der §§ 153 ff. StPO ist aber dennoch die Einstellung des Ermittlungsverfahrens aus Opportunitätsgründen möglich. So ist es beispielsweise weiterhin denkbar, wegen Geringfügigkeit der Verbandsstraftat von weiteren Ermittlungen abzusehen. Eine solche Anwendung des Opportunitätsprinzips soll zukünftig aber Ausnahmecharakter besitzen. Eine Einstellung aufgrund von Personalmangel oder aufgrund eines zu aufwendigen Ermittlungsverfahrens kommt jedenfalls nicht mehr in Betracht, was zu einer zusätzlichen Belastung der Justiz führen dürfte.
2. Das Sanktionensystem
Der Entwurf unterscheidet zwischen 3 Formen der Sanktionierung:
- die Verbandsgeldsanktion,
- die Verwarnung mit Verbandssanktionsvorbehalt, und
- die Verbandsauflösung.
Hinsichtlich der Verbandsgeldsanktion variiert der Sanktionsrahmen je nach Umsatzstärke des Unternehmens.
Verbände mit einem durchschnittlichen Jahresumsatz von mehr als EUR 100 Mio. müssen sich bei einer vorsätzlichen Verbandsstraftat auf eine Geldsanktion von mindestens EUR 10.000 bis höchstens 10 Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes einstellen. Im Rahmen einer fahrlässigen Verbandsstraftat erwartet die Unternehmen eine Sanktion von mindestens EUR 5.000 bis höchstens 5 Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes. Für kleinere Unternehmen, welche die genannte Umsatzschwelle nicht erreichen, bleibt die derzeitige Sanktionshöchstgrenze von EUR 10 Mio. bestehen.
Weiter kann das Verfahren auch durch eine Verwarnung mit Verbandssanktionsvorbehalt beendet werden. Voraussetzung hierfür ist, dass das Gericht zur Vermeidung künftiger Verbandsstraftaten eine Verwarnung als ausreichend erachtet, eine Abwägung aller Umstände die Verhängung einer Geldsanktion entbehrlich macht und hinsichtlich der Verteidigung der Rechtsordnung keine Geldsanktion geboten ist. Das Gericht soll in einem solchen Fall dem Unternehmen verschiedene Auflagen und Weisungen auferlegen können. Es kann insbesondere anordnen, bestimmte Compliance-Maßnahmen zur Verbesserung der Prävention von Straftaten vorzunehmen. Als Nachweis für die Erfüllung dieser Maßnahmen kann eine unabhängige und sachkundige Stelle zur Überwachung des Unternehmens eingesetzt werden.
Bei einem besonders schweren Fall der beharrlichen Begehung von erheblichen Verbandsstraften sieht der Entwurf als Ultima Ratio sogar die Verbandsauflösung vor. Dieses Sanktionsinstrument, das auch als gesellschaftsrechtliche Todesstrafe bezeichnet wird, stößt auf erhebliche Kritik von Politik und Literatur, so dass abzuwarten bleibt, ob diese Regelung es überhaupt durch das Gesetzgebungsverfahren schaffen wird.
3. Naming and Shaming
Das Gericht soll zudem die öffentliche Bekanntmachung der Verurteilung eines Verbands anordnen können, sofern die Tat eine große Zahl von Geschädigten betrifft.
In der Gesetzesbegründung heißt es zwar, dass kein sog. Naming and Shaming beabsichtigt ist, vielmehr sollen die Verletzten über die für sie relevante Tatsachen informiert werden. Dennoch dürfte das in dem Entwurf angedachte Instrument einer Prangerwirkung gleichkommen.
4. Strafmilderung durch Compliance-Maßnahmen
Hinsichtlich der Höhe einer etwaigen Sanktion sieht der Gesetzesentwurf die Möglichkeit einer Strafmilderung vor. Demnach sollen insbesondere Compliance-Maßnahmen zu Gunsten der Unternehmen berücksichtigt werden. Solche Maßnahmen können sogar dazu führen, dass das Unternehmen lediglich verwarnt wird, wenn es zeigen kann, dass es sich bei dem konkreten Vorfall nur um einen „Ausreißer“ handelt und grundsätzlich wirksame Vorkehrungen zur Vermeidung des in Rede stehenden Verstoßes getroffen wurden.
Außerdem werden interne Untersuchungen zur Aufklärung von Straftaten sanktionsmildernd berücksichtigt. Verbandsinterne Untersuchungen wirken jedoch nur unter bestimmten Voraussetzungen strafmildernd. Beauftragt der Verband einen Dritten mit der Durchführung der Untersuchung, darf dieser nicht der Verteidiger des Verbands oder eines der Beschuldigten sein. Laut Gesetzesbegründung sollen so Konflikte mit dem Strafverteidigungsmandat vermieden werden.
Zudem wird eine ununterbrochene und uneingeschränkte Kooperation des Verbands gefordert. So müssen den Verfolgungsbehörden die mit der Untersuchung zusammenhängenden Unterlagen vollständig zur Verfügung gestellt werden.
Die verbandsinterne Untersuchung muss unter Beachtung der Grundsätze eines fairen Verfahrens durchgeführt werden. Das heißt konkret, dass im Rahmen von Befragungen der Mitarbeiter auf ein etwaiges Auskunftsverweigerungsrecht und auf die Möglichkeit der Beiziehung eines Anwalts hingewiesen werden muss. Weiter muss der Verband einen wesentlichen Beitrag zur Aufklärung des Sachverhalts erbringen. Sollte das Unternehmen diese strengen Voraussetzungen erfüllen, verringert sich das Höchstmaß der Verbandsgeldsanktion um die Hälfte und das Mindestmaß entfällt vollständig. Zudem wären dann eine Verbandsauflösung und das „Naming and Shaming“ nicht mehr möglich.
III. Fazit
Der Referentenentwurf des neuen Verbandssanktionengesetz sieht deutlich empfindlichere Sanktionen gegen Unternehmen vor als die bisherige Rechtslage. Wegen der Einführung des Legalitätsprinzips dürfte die Anzahl strafrechtlicher Ermittlungsverfahren gegen Unternehmen künftig deutlich ansteigen.
Aufgrund der vorgesehenen gesetzlichen Anreize werden Compliance-Maßnahmen und interne Untersuchungen weiter an Bedeutung gewinnen.
Aufgrund der sehr kontroversen Diskussion des Entwurfs spricht zwar einiges dafür, dass es im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens noch gewisse Änderungen geben wird. Zudem sieht der Entwurf eine zweijährige Übergangsfrist bis zum Inkrafttreten des Gesetzes vor. Es erscheint aus Unternehmenssicht aber ratsam, bereits jetzt damit zu beginnen, bestehende Compliance-Systeme sorgfältig auf ihre Effektivität und etwaige Lücken zu überprüfen und ggf. anzupassen, um im Fall späterer Compliance-Verstöße übermäßige Sanktionen zu vermeiden. Dies betrifft nicht nur Großunternehmen, sondern auch den traditionellen Mittelstand, denn das Verbandssanktionengesetz wird für Unternehmen aller Größenordnungen gelten.
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