KEINE SCHADENSERSATZANSPRÜCHE GEGEN EINEN AUFSICHTSRATSVORSITZENDEN ALS VERTRETER OHNE VERTRETUNGSMACHT BEI ABSCHLUSS EINES VORSTANDSDIENSTVERTRAGES OHNE AUFSICHTSRATSBESCHLUSS
Beim Abschluss eines Vorstandsdienstvertrages wird die Aktiengesellschaft durch den Aufsichtsrat vertreten. Dieser muss über den Abschluss des Dienstvertrages einen Beschluss fassen. Beim anschließenden Vertragsschluss selbst wird der Aufsichtsrat in der Regel durch seinen Vorsitzenden vertreten. Das LG München I (Urteil vom 13.2.2020 – 5 HK O 2393/19) hat sich nun mit der Frage befasst, wann ein Aufsichtsratsvorsitzender, der mit einem designierten Vorstandsmitglied einen Dienstvertrag im Namen der Gesellschaft schließt, ohne dass ein entsprechender Aufsichtsratsbeschluss vorliegt, dem designierten Vorstandsmitglied zum Schadensersatz verpflichtet ist.
I. Einführung und rechtliche Hintergründe
1. Vertreter ohne Vertretungsmacht
Schließt jemand als Vertreter ohne Vertretungsmacht mit einem Dritten einen Vertrag, so ist er diesem Dritten nach dessen Wahl zur Erfüllung des Vertrags oder zum Schadensersatz verpflichtet, wenn der Vertretene die Genehmigung des Vertrags verweigert (§ 179 Abs. 1 BGB). Hintergrund dieser grundlegenden zivilrechtlichen Regelung ist, dass der Vertreter bei dem Dritten ein Vertrauen auf das tatsächliche Bestehen der Vertretungsmacht hervorruft. Der Vertreter wird den Mangel seiner Vertretungsmacht naturgemäß eher kennen als der Dritte. Das Gesetz sieht hiervon allerdings eine Ausnahme vor, wenn das Vertrauen des Dritten nicht schützenswert ist, weil er den Mangel der Vertretungsmacht entweder kannte oder kennen musste (§ 179 Abs. 3 BGB). Der bisher unbeteiligte Vertretene kann das Geschäft durch seine Genehmigung an sich ziehen, muss dies aber nicht.
2. Bestellung eines Vorstandsmitglieds und Abschluss eines Vorstandsdienstvertrags
Soll bei einer Aktiengesellschaft ein Mitglied des Vorstandes aufgenommen werden, hat dies regelmäßig zwei Komponenten: Zum Einen die Bestellung als Vorstand und des Weiteren den Abschluss des Vorstandsdienstvertrages.
Die Bestellung eines neuen Vorstandsmitglieds ist Aufgabe des Aufsichtsrats (§ 84 Abs. 1 Satz1 AktG) und erfolgt durch Aufsichtsratsbeschluss. Die Bestellung ist der körperschaftsrechtliche Akt, durch den eine Person zum Organmitglied des Vorstandes berufen wird.
Daneben wird – so gut wie immer – ein Vorstandsdienstvertrag zwischen der Aktiengesellschaft und ihrem Vorstandsmitglied geschlossen, der von dem Bestellungsakt zu trennen ist. Dem Abschluss dieses Vorstandsdienstvertrages hat der Aufsichtsrat durch Beschluss zuzustimmen. Im Regelfall werden die Beschlüsse über die Bestellung und den Abschluss des Vorstandsdienstvertrages zeitgleich gefasst und der Aufsichtsratsvorsitzende zum Abschluss des Vorstandsdienstvertrages bevollmächtigt.
3. Haftung des Aufsichtsratsvorsitzenden
Schließt nun ein Aufsichtsratsvorsitzender einen Vorstandsdienstvertrag, ohne dass ein Zustimmungsbeschluss des Aufsichtsrats betreffend den Abschluss dieses Vertrages vorliegt, kann der Vertrag mit der Aktiengesellschaft in Ermangelung des Beschlusses nicht zustande kommen. Der Aufsichtsratsvorsitzende haftet dem designierten Vorstandsmitglied grundsätzlich als Vertreter ohne Vertretungsmacht nach den zuvor dargestellten Grundsätzen.
II. Sachverhalt der Entscheidung des LG München
Die Klägerin – eine Rechtsanwältin – führte über einen Zeitraum von ca. zwei Monaten Gespräche mit dem Vorstand und später mit dem Aufsichtsrat eines Finanzdienstleistungsinstituts über eine Position als Vorstandsmitglied. Im Anschluss an ein Gespräch mit dem Aufsichtsrat wurde ihr der Entwurf eines Vorstandsdienstvertrags zugesandt. Der Aufsichtsrat befasste sich im Rahmen einer Sitzung mit diesem Entwurf, ohne dass es jedoch zu einer Beschlussfassung kam (auch nicht über die Bestellung der Klägerin). Trotzdem wurde die Klägerin intern und bei geschäftlichen Anlässen bereits als Vorstandsmitglied vorgestellt und hat sich auch schon einen Dienstwagen aussuchen dürfen.
Der Vorsitzende des Aufsichtsrats und spätere Beklagte übersandte der Klägerin ein als „Dienstvertrag“ überschriebenes und von ihm im Namen des Aufsichtsrats unterzeichnetes Schriftstück, das die Klägerin gegenzeichnete. Dieses enthielt allerdings bei der Datumsangabe des Aufsichtsratsbeschlusses über die Bestellung der Klägerin als Vorstandsmitglied einen Platzhalter. Später wurde der Klägerin mitgeteilt, dass der Aufsichtsrat weder ihrer Bestellung als Vorstandsmitglied noch dem Abschluss des Dienstvertrags zustimmen werde.
Die Klägerin verlangte mit ihrer Klage vor dem Landgericht nun Ersatz ihres Vorstandsgehalts vom Aufsichtsratsvorsitzenden.
III. Entscheidung des LG München
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der Zustimmungsbeschluss des Aufsichtsrats sei zwingende Voraussetzung für den Abschluss des Vorstandsdienstvertrags. In Ermangelung eines diesbezüglichen Beschlusses habe der Beklagte Aufsichtsratsvorsitzende als Vertreter ohne Vertretungsmacht gehandelt. Damit hafte er der Klägerin grundsätzlich nach den oben dargestellten Grundsätzen.
Allerdings – so das Landgericht – habe die Klägerin erkennen können, dass die Erklärung des Vorsitzenden nicht von einem entsprechenden Beschluss des Aufsichtsrats gedeckt war. Im Interesse der Verkehrssicherheit dürfe die Klägerin zwar grundsätzlich auf die behauptete Vertretungsmacht vertrauen, ohne zu Nachforschungen über deren Bestand und Umfang verpflichtet zu sein. Bestünden hingegen Anhaltspunkte für eine fehlende Vertretungsmacht und würde diesen Bedenken nicht nachgegangen, fehle jedes schutzwürdige Vertrauen. Einen derartigen Anhaltspunkt erkannte das Landgericht in dem Umstand, dass das übersandte Schriftstück bei der Datumsangabe des Bestellungsbeschlusses lediglich einen Platzhalter enthielt.
Auch wenn der Bestellungsbeschluss rechtlich von dem Beschluss über den Abschluss des Vorstandsdienstvertrags unabhängig ist, habe dies das Misstrauen der Klägerin an der Vertretungsmacht wecken und sie zu entsprechenden Nachforschungen veranlassen müssen. Schließlich werde der Anstellungsvertrag nur wegen der körperschaftlichen Bestellung abgeschlossen; ohne diese sei er gegenstandslos. Demgemäß würden beide Beschlüsse aufeinander abgestimmt und untereinander in Beziehung gesetzt. Diese faktische Abhängigkeit müsse einem potentiellen Vorstandsmitglied bewusst sein, weil es sich dabei um die rechtliche Basis seiner Tätigkeit handele. Die Anforderungen an die Pflicht, Erkundigungen anzustellen und Nachforschungen anzustellen, hingen nämlich unter anderem auch von der Geschäftserfahrenheit des Erklärungsgegners ab; berufliches Sonderwissen müsse dabei berücksichtigt werden, weshalb die Klägerin als Rechtsanwältin hier erst recht hätte nachforschen müssen.
Nach Auffassung des Gerichts ließ auch der Umstand, dass die Klägerin intern bereits als Vorstandsmitglied vorgestellt wurde und bei gesellschaftlichen Anlässen als solches auftrat, die Nachforschungspflicht unberührt. Äußerungen oder das Verhalten anderer bei der Gesellschaft tätiger Personen gegenüber der Klägerin könnten nämlich ohnehin keine Vertrauensgrundlage bei der Klägerin schaffen. Diese seien nämlich – anders als der Aufsichtsrat – der Klägerin gegenüber ohnehin nicht zur Vertretung berechtigt, sodass es auf ihr Verhalten nicht ankomme.
IV. Bewertung und Praxisfolgen
Auf den ersten Blick erscheint zunächst auch die Gegenauffassung vertretbar: Gerade weil die Klägerin als Rechtsanwältin den Unterschied zwischen dem Bestellungsbeschluss und dem Zustimmungsbeschluss über den Abschluss des Vorstandsdienstvertrages des Aufsichtsrats hätte kennen müssen, könnte argumentiert werden, dass sie wegen des potentiellen Fehlens des Bestellungsbeschlusses nicht auf das Fehlen des Beschlusses über den Vorstandsdienstvertrag hätte schließen müssen. Diese Sichtweise greift bei näherer Betrachtung allerdings zu kurz. Wie das Gericht überzeugend darlegt, sind beide Beschlüsse in der Praxis faktisch so eng verknüpft, dass die Klägerin unbedingt hätte nachforschen müssen. Das Urteil ist indes nicht rechtskräftig. Es bleibt somit abzuwarten, wie das OLG München im Berufungsverfahren entscheidet.
In der Praxis werden, wie aufgeigt, Bestellung und Dienstvertrag häufig in einer Aufsichtsratssitzung gemeinsam besprochen und beschlossen. In Einzelfällen, z.B. wenn ein künftiges Vorstandsmitglied von einem Dritten abgeworben wurde, wird aber auch schon über den Anstellungsvertrag vor der eigentlichen Bestellung beschlossen. Dann ist der Vertrag wirksam, auch wenn es später nicht zur Bestellung des Vorstandsmitglieds kommt. Der Aufsichtsrat kann einen Vorstandsdienstvertrag aber auch aufschiebend bedingt auf die Bestellung des Vorstandsmitglieds abschließen, sofern der Bestellungsbeschluss noch nicht gefasst wird.
Der Aufsichtsratsvorsitzende wird i.d.R. durch Aufsichtsratsbeschluss zum Abschluss des Vorstandsdienstvertrags ermächtigt. Ein Handeln vor der Beschlussfassung des Aufsichtsrats, um den Abschluss später durch den Aufsichtsrat genehmigen zu lassen, setzt den Aufsichtsratsvorsitzenden dem Risiko einer persönlichen Haftung aus.
Die Entscheidung zeigt einmal mehr, dass aufgrund der zwingenden Vorschriften des Aktienrechts auch bei Bestellung eines Vorstandsmitglieds und Abschluss eines Vorstandsdienstvertrages exakt zu prüfen ist, ob die Aktiengesellschaft wirksam vertreten und sämtliche erforderlichen Beschlüsse wirksam gefasst wurden. Dementsprechend sollte sich ein designiertes Vorstandsmitglied bei Abschluss des Vorstandsdienstvertrages darüber informieren, ob die erforderlichen Beschlüsse des Aufsichtsrats zur Zustimmung zum Vorstandsdienstvertrag sowie ggf. der Bestellung zum Vorstandsmitglied bereits gefasst sind.
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