WIRKSAMKEIT VON MEHRHEITSBESCHLÜSSEN IN PERSONENGESELLSCHAFTEN
Die Klausel in einem Gesellschaftsvertrag einer Personengesellschaft, die für alle Gesellschafterbeschlüsse eine einfache Stimmenmehrheit vorsieht, kann dahin auszulegen sein und die formelle Legitimation dafür geben, dass sämtliche einer Beschlussfassung durch die Gesellschafter zugänglichen Gegenstände dem Mehrheitsprinzip unterliegen. Dies umfasst auch sog. Grundlagengeschäfte und Eingriffe in Mitgliedschaftsrechte von Gesellschaftern. Diese formelle Legitimation indiziert grundsätzlich auch die materielle Legitimation eines hierauf gestützten Gesellschafterbeschlusses, es sei denn, es handelt sich um eine treupflichtwidrige Ausübung der Mehrheitsmacht gegenüber der Minderheit.
I. Einführung und Hintergründe
Die gesetzlichen Regelungen (§§ 119 Abs. 1, 161 Abs. 2 HGB) sehen das Einstimmigkeitsprinzip als Regelfall für Gesellschafterbeschlüsse bei Personengesellschaften vor. In der Praxis wird in Gesellschaftsverträgen von Personengesellschaften – abweichend vom gesetzlichen Leitbild – häufig das Mehrheitsprinzip für Gesellschafterbeschlüsse vereinbart. Im Gegensatz zu Gesellschafterbeschlüssen nach dem Einstimmigkeitsprinzip unterliegen Mehrheitsbeschlüsse bei Personengesellschaften nach ständiger Rechtsprechung des BGH einer zweistufigen Wirksamkeitsprüfung, nämlich betreffend ihre sog. formelle und die sog. materielle Legitimation.
Auf der ersten Stufe, der formellen Legitimation, ist zu prüfen, ob der Beschlussgegenstand nach dem Gesellschaftsvertrag einer Mehrheitsentscheidung unterworfen ist. Ausreichend ist hierfür nach Auffassung des BGH, wenn die Auslegung des Gesellschaftsvertrages nach den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen (§§ 133, 157 BGB) ergibt, dass der Beschlussgegenstand einer Mehrheitsentscheidung unterworfen sein soll. Dies gilt insbesondere auch für Gesellschafterbeschlüsse, die ein außergewöhnliches bzw. ein Grundlagengeschäft oder Maßnahmen zum Gegenstand haben, die in unentziehbare Rechtspositionen der Gesellschafter eingreift. Bei der Auslegung ist nicht allein auf den Wortlaut des Gesellschaftsvertrages abzustellen, sondern auch außerhalb des Gesellschaftsvertrags liegende Umstände sind zu berücksichtigen, wie etwa die Entstehungsgeschichte der betreffenden Mehrheitsklausel oder ein übereinstimmender Wille der Parteien. Der vormals entwickelte sog. Bestimmtheitsgrundsatz findet dagegen auf Ebene der formellen Legitimation keine Anwendung (mehr), auch nicht in Gestalt einer Auslegungsregel, wonach Mehrheitsklauseln restriktiv auszulegen seien oder außergewöhnliche und Grundlagengeschäfte nicht umfassen.
Auf der zweiten Stufe, der materiellen Legitimation, ist die inhaltliche Wirksamkeit eines Mehrheitsbeschlusses zu prüfen. Ein Mehrheitsbeschluss ist nicht materiell legitimiert, wenn sich der Beschluss als treuwidrige Ausübung der Mehrheitsmacht gegenüber der Minderheit darstellt oder sonstige zur materiellen Unwirksamkeit führende Gründe vorliegen. Insbesondere ist zu prüfen, ob ein unzulässiger Eingriff in schlechthin oder relativ unentziehbare Mitgliedschaftsrechte vorliegt. Die Entziehung eines relativ unentziehbaren Rechts bedarf einer besonderen Rechtfertigung.
II. Aktuelle Entscheidung
Eine jüngere Entscheidung des OLG Karlsruhe (Urteil vom 27.2.2022 – 6a U 1/21) hatte die Reichweite einer Mehrheitsklausel des Gesellschaftsvertrages einer Kommanditgesellschaft (KG) und die Wirksamkeit hierauf gestützter Gesellschafterbeschlüsse zum Gegenstand. Der Gesellschaftsvertrag der KG enthielt eine Klausel, wonach „alle Beschlüsse mit Mehrheit der Stimmen der Gesellschafter“ gefasst werden. Im Jahr 2019 wurden von der Gesellschafterversammlung der KG drei Beschlüsse gefasst, die auf die Auflösung und Liquidation der Gesellschaft gerichtet waren. In Rahmen dessen wurde beschlossen, (i) die KG aufzulösen und zu liquidieren, (ii) die Komplementärin der KG zur alleinigen Liquidatorin zu bestellen und (iii) die Form der Liquidation im Wege der Versteigerung unbarer Vermögenswerte unter den Gesellschaftern festzulegen. Dabei stimmte lediglich der Beklagte, der die Mehrheit der Stimmen auf sich vereinte, für die Beschlüsse. Daraufhin klagten die übrigen Gesellschafter, die gegen die drei Beschlüsse gestimmt hatten, vor dem LG Mannheim auf die Aufhebung der Beschlüsse. Das LG Mannheim wies die Klage vollumfänglich ab. Hiergegen legten die Kläger Berufung ein.
III. Wirksamkeit von Mehrheitsbeschlüssen
Das zuständige OLG Karlsruhe gab der Berufung der Minderheitsgesellschafter nur teilweise statt; lediglich der Beschluss über die Einsetzung der Komplementärin als alleinige Liquidatorin sei aufgrund fehlender materieller Legitimation unwirksam.
Das Gericht stellte zunächst fest, dass die allgemeine Mehrheitsklausel im Gesellschaftsvertrag der KG nach dem Grundsatz der Privatautonomie in zulässiger Weise vom gesetzlichen Regelfall des Einstimmigkeitsprinzips abweicht und ohne Einschränkung sämtliche einer Beschlussfassung der Gesellschafter zugänglichen Gegenstände erfasse, insbesondere auch Grundlagengeschäfte und Maßnahmen, die in absolut oder relativ unentziehbare Mitgliedschaftsrechte eingreifen. Damit seien auch die Beschlussgegenstände der drei in Frage stehenden Gesellschafterbeschlüsse dem Mehrheitsprinzip unterworfen und die hierauf gestützten Beschlüsse formell legitimiert. Einer konkreten Bezugnahme der gesellschaftsvertraglichen Mehrheitsklausel auf die einzelnen Maßnahmen bedürfe es dagegen nicht.
Auf Ebene der materiellen Legitimation stellte das OLG fest, dass der Beschluss über die Auflösung und die Liquidation der Gesellschaft materiell legitimiert sei. Das begründete der Senat damit, dass die Disposition über den Fortbestand der Gesellschaft und insofern die Stellung als Gesellschafter bereits kein schlechthin unentziehbares Recht darstelle. Letzteres liege nur vor bei individuellen Rechtspositionen eines Gesellschafters oder einer Gesellschaftergruppe, die durch Satzung eingeräumt und als unentziehbare Rechte ausgestaltet sind. Nicht davon umfasst sind Rechtstellungen, die allgemein mit der Mitgliedschaft verbunden sind und deren Auswirkungen für alle Gesellschafter gleichermaßen eintreten. Daher komme es auch nicht darauf an, ob der Eingriff gerechtfertigt, d.h. im Interesse der Gesellschaft geboten und den betroffenen Gesellschaftern zumutbar sei. Vielmehr sei die materielle Legitimation bereits durch die formelle Legitimation indiziert.
Anders verhält es sich dagegen mit dem Beschluss über die Einsetzung der Komplementärin als alleinige Liquidatorin. Die Entscheidung darüber, dass den übrigen Gesellschaftern ihre gesetzlich zugeschriebene Stellung als Liquidatoren entzogen wird, sei ein Eingriff in ein relativ unentziehbares Recht, da die Liquidatoren im Stadium der Abwicklung Entscheidungen mit erheblicher Tragweite treffen und besondere Interessenkollisionen auftreten können. Mithin bedürfe die Einschränkung bzw. Entziehung einer solchen Rechtsposition einer besonderen Rechtfertigung. Der Gesellschaftsvertrag der KG enthalte keine antizipierte Zustimmung der klagenden Gesellschafter zu einem solchen Eingriff, die das Ausmaß und den Umfang der Belastung für die Gesellschafter hinreichend festlegt. Der Ausschluss der klagenden Gesellschafter von deren gesetzlichen Liquidatorenstellung sei für die Gesellschaft zudem auch nicht unerlässlich bzw. notwendig und demnach nicht geboten gewesen. Somit sei der Eingriff nicht gerechtfertigt und der betreffende Beschluss stelle einen Missbrauch der Mehrheitsmacht durch den beklagten Mehrheitsgesellschafter gegenüber den Minderheitsgesellschaftern dar.
Der Beschluss über die Art der Verwertung sei hingegen materiell legitimiert. Das Ob der Liquidation stehe, wie bereits festgestellt, zur Disposition der Gesellschafter, sodass dasselbe für das Wie der Liquidation gelten müsse. Die Art der Liquidation stelle mithin weder ein schlechthin noch ein relativ unentziehbares Recht der Gesellschafter dar. Es lägen keine Umstände vor, welche beachtenswerte Belange der Minderheitsgesellschafter zu Gunsten ungerechtfertigter Sondervorteile des Mehrheitsgesellschafters beeinträchtigen würden.
IV. Ausblick und Folgen für die Praxis
Die Entscheidung des OLG Karlsruhe verdeutlicht die Bedeutung einer dezidierten und interessengerechten Ausgestaltung von Mehrheitserfordernissen für Gesellschafterbeschlüsse bei Personengesellschaften. Bei dem in der Praxis in Gesellschaftsverträgen häufig vereinbarten Mehrheitsprinzip sollte in materieller Hinsicht darauf geachtet werden, dass für Grundlagengeschäfte, wie Änderungen des Gesellschaftsvertrags, bzw. Eingriffe in unentziehbare Mitgliedschaftsrechte zunächst eine sorgfältige Abwägung aller Interessen – auch der Minderheitsinteressen – erfolgt. In formeller Hinsicht sollten Ausnahmen und Einschränkungen des Mehrheitsprinzips ausdrücklich und hinreichend bestimmt in gesellschaftsvertraglichen Regelungen festgelegt werden, um etwaige Rechtsunsicherheiten bei der Auslegung bzw. eine hiermit verbundene Missbrauchsgefahr sowie unerwünschte Ergebnisse für Minderheitsgesellschafter zu vermeiden.
Mit Blick auf die Wirksamkeit von Mehrheitsbeschlüssen bei Personengesellschaften verbleibt aber eine gewisse Rechtsunsicherheit, da die materielle Legitimation von Beschlüssen letztlich eine Frage der Umstände des jeweiligen Einzelfalls bleibt, die am Ende durch ein hiermit befasstes Gericht entschieden wird.
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