KAUFPREIS MIT EARN-OUT – BEGÜNSTIGT ODER NICHT?
Der BFH hat mit Urteil vom 9. November 2023 (Az. IV R 9/21) zur Frage der Besteuerung von sog. Earn-Out-Zahlungen entschieden, dass diese Kaufpreisbestandteile (erst) im Zeitpunkt des Zuflusses als nachträgliche Betriebseinnahmen zu versteuern sind. Dies wirft die weitere Frage auf, ob die Vereinbarung von Earn-Out-Zahlungen insgesamt die begünstigte Besteuerung von Veräußerungsgewinnen nach § 34 Abs. 3 EStG gefährdet.
I. Einleitung
Variable Kaufpreisbestandteile (sog. Earn-Outs) sind in der Transaktionspraxis ein beliebtes Mittel, um den Unsicherheiten bei der Bewertung eines Unternehmens bzw. den zwischen Verkäufer und Käufer unterschiedlichen Kaufpreisvorstelllungen Rechnung zu tragen. So wird bei der Vereinbarung eines Earn-Out der endgültige Kaufpreis weder bei Vertragsabschluss (signing) noch bei Übergabe des Unternehmens (closing) final festgelegt, sondern ist zumindest in Teilen von der künftigen Unternehmensentwicklung der Zielgesellschaft abhängig.
Käufer und Verkäufer einigen sich dann zunächst über einen fixen Kaufpreis (Basiskaufpreis), der grundsätzlich bei Vollzug der Transaktion vom Käufer zu leisten ist. Darüber hinaus werden variable Kaufpreiszahlungen vereinbart, die nach Erreichen bestimmter Zielvorgaben des erworbenen Unternehmens in der Zukunft fällig werden. Dieser sog. Earn-Out wird entweder als fester Betrag vereinbart oder der Höhe nach in einem bestimmten Verhältnis an eine Zielgröße gekoppelt und liegt meist in einem bestimmten „Korridor“.
Da Earn-Out-Zahlungen immer vom Eintritt bestimmter künftiger Erfolgsparameter abhängig sind, die im Zeitpunkt der Transaktion noch nicht feststehen, stellt sich die Frage, ob und ggf. wie diese variablen Kaufpreisbestandteile bei der steuerlichen Ermittlung des Veräußerungsgewinns zu berücksichtigen sind. Damit einher geht die Frage der Begünstigung von Veräußerungsgewinnen unter Berücksichtigung von Earn-Out-Zahlungen.
Der BFH hatte nunmehr Gelegenheit, sich mit der Frage des Besteuerungszeitpunkts von Earn-Out-Zahlungen auseinanderzusetzen und erteilte der bisher weit verbreiteten Verwaltungspraxis, wonach solche Kaufpreisbestandteile als sog. rückwirkendes Ereignis in die Ermittlung des Veräußerungsgewinns einzubeziehen sind, eine Absage. Dies führt nunmehr zu weiteren Rechtsunsicherheiten in Bezug auf die Anwendung des besonderen Steuersatzes nach § 34 Abs. 3 EStG.
II. Allgemeines zum Besteuerungszeitpunkt von Veräußerungsgewinnen
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH sind Veräußerungsgewinne gemäß §§ 16 und 17 EStG, hierunter fallen die Veräußerung eines Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils sowie die Veräußerung von Anteilen an Kapitalgesellschaften von mindestens 1 % des Stamm- oder Grundkapitals, grundsätzlich stichtagsbezogen zu ermitteln. Maßgeblicher Stichtag ist der Tag, an dem das wirtschaftliche Eigentum am Veräußerungsgegenstand auf den Erwerber übergeht. Dies gilt unabhängig davon, wann der Kaufpreis gezahlt wird. D.h., dass eine stichtagsbezogene Ermittlung des Veräußerungsgewinns in der Regel auch dann angezeigt ist, wenn der Veräußerungspreis zunächst gestundet und/oder in Raten gezahlt wird.
Um Härten zu vermeiden, hat die Rechtsprechung Ereignisse, die in einem späteren Veranlagungszeitraum eintreten und die wirtschaftlich zu einer Reduzierung des Kaufpreises führen, z.B. den Ausfall einer gestundeten Kaufpreisforderung, als auf den Veräußerungszeitpunkt rückwirkendes Ereignis i.S.d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO eingestuft. Hierdurch kann eine Änderung (Minderung) der ursprünglichen Veräußerungsgewinnermittlung erreicht und damit eine Besteuerung nach der tatsächlichen Leistungsfähigkeit des Veräußerers herbeigeführt werden.
Auch die nachträgliche Erhöhung des Kaufpreises kann unter Umständen als rückwirkendes Ereignis betrachtet werden. Voraussetzung ist allerdings, dass der Rechtsgrund für die später geleistete Zahlung im ursprünglichen Rechtsgeschäft angelegt ist.
Hiervon ging man bei Earn-Out-Gestaltungen bisher in der Deklarationspraxis aus und auch die Finanzverwaltung berücksichtigte solche variablen Kaufpreispreisbestandteile beim Verkäufer regelmäßig durch rückwirkende Änderung der Veranlagung des Veräußerungsjahres der tatsächlichen Veräußerung. Dies hatte den positiven Effekt, dass Earn-Out-Zahlungen (auch nachträglich) zu dem nach §§ 16 Abs. 4, 34 EStG begünstigten Veräußerungsgewinn hinzugerechnet wurden. Diese vorgenannte Praxis stand jedoch in gewissem Widerspruch zur Rechtsprechung des BFH zu umsatz- und gewinnabhängigen Kaufpreiszahlungen in Form von wiederkehrenden Bezügen.
So hatte der 8. Senat des BFH bereits im Jahr 2002 (Urteil vom 14. Mai 2002, Az. VIII R 8/01) entschieden, dass solche Kaufpreisbestandteile erst bei Zufluss zu besteuern sind. Als Hauptargument führte das Gericht seinerzeit aus, dass einer Sofortbesteuerung entgegenstünde, dass diese erfolgsabhängigen Vergütungen der Höhe nach bei Vertragsabschluss noch nicht abzusehen seien, so dass eine Kapitalisierung auf den Veräußerungszeitpunkt nicht vorgenommen werden könne. Mangels Bestimmbarkeit des Veräußerungspreises im Veräußerungszeitpunkt komme eine stichtagsbezogene Ermittlung des Gewinns nicht in Betracht. Als Folge lehnte der BFH auch eine Begünstigung der umsatz- und gewinnabhängigen Kaufpreisbestandteile ab und begründete seine Ansicht mit der fehlenden Zusammenballung der aufgedeckten stillen Reserven durch die nachlaufende und damit sukzessive Zuflussbesteuerung.
Bisher ungeklärt war, ob die vorgenannte Rechtsprechung zu umsatz- und gewinnabhängigen Kaufpreiszahlungen in Form von wiederkehrenden Bezügen auch Earn-Out-Gestaltungen erfasst.
III. Aktuelle Entscheidung des BFH
In seiner Entscheidung vom 9. November 2023 geht der BFH von einer generellen Anwendbarkeit der zu umsatz- oder gewinnabhängigen Kaufpreisforderungen auf den Earn-Out aus. Das bedeutet, dass generell darauf keine stichtagsbezogene Betrachtung, d.h. keine Rückwirkung auf den Veräußerungszeitpunkt, erfolgt. Der 4. Senat des BFH argumentiert insoweit, dass es sich bei Earn-Out-Zahlungen um aufschiebend bedingte Kaufpreiszahlungen handelt, deren Entstehung (zumindest im Urteilsfall) sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach ungewiss waren. Nachdem die Entstehung derartiger Kaufpreisbestandteile bei Vertragsabschluss noch nicht so gut wie sicher sei, verbiete der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, wie bei umsatz- und gewinnabhängigen Kaufpreisen in Form von wiederkehrenden Bezügen, eine stichtagsbezogene Veräußerungsgewinnermittlung. Folge hiervon sei, dass solche Zahlungen erst bei Zufluss der Besteuerung zu unterwerfen sind.
Ausdrücklich offen ließ der BFH, ob er den Sachverhalt anders beurteilen könnte, wenn nur das Entstehen einer bereits betragsmäßig festgelegten Zahlung vom Gewinn oder Umsatz abhängig gemacht werden würde. Eine abweichende Beurteilung ist zumindest denkbar, weil in diesem Fall eine betragsmäßige Konkretisierung des Kaufpreises im Veräußerungszeitpunkt möglich ist. Aus diesem Grund werden derzeit in der Gestaltungspraxis feste Kaufpreisbeträge an das Eintreten bestimmter Ereignisse geknüpft, oder umgekehrt wird ein „fester“ Kaufpreis zu vereinbaren, der dann bei „Nichteintreten“ des oder der konkreten Ereignis/se in der Zukunft teilweise wieder entfällt.
IV. Folgen für die Praxis
Zunächst ist festzuhalten, dass das Urteil nur bei der Veräußerung von Betrieben, Teilbetrieben und Mitunternehmeranteilen negative Auswirkungen haben kann, denn bei Anteilen an Kapitalgesellschaften gilt generell das sog. Teileinkünfteverfahren, welches eine erhebliche Begünstigung per-se bedeutet.
Aktuell ist die Entscheidung nicht „zur Veröffentlichung“ bestimmt, da der BFH davon ausgeht, dass gar keine Änderung der bisherigen Rechtslage vorliegt. Aufgrund der möglichen Tragweite des Urteils in Bezug auf die Begünstigung nach §§ 16 Abs. 4, 34 EStG ist u.E. jedoch mit einer Stellungnahme durch das Bundesministerium der Finanzen zu rechnen.
Aus unserer Sicht sollte der Freibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG sowie die Anwendung des § 34 EStG bei Vorliegen von Earn-Out-Gestaltungen jedenfalls auf den festen / sicheren Kaufpreisbestandteil nicht gefährdet sein. Wie ausgeführt, ist dieser als Basiskaufpreis und damit als Bewertungsuntergrenze zu verstehen, auf den sich sowohl der Verkäufer als auch der Käufer einigen konnten und der zur Aufdeckung sämtlicher stiller Reserven im veräußerten Betriebsvermögen führt. Nachdem die Vollaufdeckung aller stiller Reserven Voraussetzung für die Anwendung der o.g. Begünstigungen ist, spricht unseres Erachtens nichts gegen die entsprechende Inanspruchnahme, auch wenn später noch weitere Kaufpreiszahlungen erfolgen.
Allerdings ist davon auszugehen, dass eine Begünstigung der Earn-Out-Zahlungen durch rückwirkende Einbeziehung in die Ermittlung des begünstigten Veräußerungsgewinns nicht stattfindet, sondern diese variablen Kaufpreisbestandteile bei Zufluss ohne Anwendung der §§ 16 Abs. 4, 34 EStG zu versteuern sind.
Vorstellbar ist zwar, dass die Finanzverwaltung in Fällen, bei denen eine Umsetzung des Sachverhalts (d.h. Abschluss des Kaufvertrages) vor der Veröffentlichung des BFH-Urteils liegt, aufgrund der bisherigen Verwaltungspraxis, wonach Earn-Out-Zahlungen nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zu einer rückwirkenden Änderung der Veranlagung des Veräußerungsjahres führen, Vertrauensschutz gewährt. Dies halten wir jedoch für eher unwahrscheinlich, weil es für die nachträgliche Berücksichtigung solcher variabler Kaufpreisbestandteile keine offizielle Stellungnahme der Finanzverwaltung gab.
Ebenfalls denkbar, u.E. aber nahezu ausgeschlossen ist, dass sich die Finanzverwaltung insgesamt für eine Nichtanwendung des o.g. BFH-Urteils entscheidet. Dann müsste sie erstmalig explizit die rückwirkende (und damit begünstigte) Besteuerung von Earn-Out-Zahlungen in einem Erlass befürworten.
V. Gestaltungsempfehlungen
Aufgrund der dargestellten Rechtsunsicherheiten sollte der Abschluss von Kaufverträgen mit Earn-Out-Komponenten unter Berücksichtigung der dargestellten Besteuerungsfolgen überlegt werden.
Nach wie vor wirtschaftlich sinnvoll und steuerlich unbedenklich ist die Vereinbarung von Earn-Out-Zahlungen immer dann, wenn der Veräußerer nicht nach §§ 16 Abs. 4, 34 EStG begünstigt ist. Hier ist die Entscheidung des BFH aus November 2023 unter Umständen sogar vorteilhaft, weil die Zuflussbesteuerung Progressionsvorteile bieten kann.
Ist der Veräußerer hingegen dem Grunde nach von §§ 16 Abs. 4, 34 EStG begünstigt, empfiehlt sich zur Frage der Inanspruchnahme bis zu einer offiziellen Verlautbarung der Finanzverwaltung die Einholung einer verbindlichen Auskunft, die jedoch mit z.T. erheblichen Kosten verbunden ist, deren Ausgang unsicher ist und die zum Teil erhebliche Zeit beansprucht.
In der Literatur werden diverse Ausweichgestaltungen diskutiert. So gibt es beispielsweise die Möglichkeit, den Kaufpreis mit einer auflösenden Bedingung i.S.d. § 158 Abs. 2 BGB zu versehen oder gegenüber dem Käufer eine Beschaffenheitsgarantie nach § 443 BGB abzugeben, welche jeweils bei Nichterreichen von bestimmten Erfolgsfaktoren der Zielgesellschaft zu einer späteren Minderung des Kaufpreises führen. Ob sich hierdurch die gewünschten steuerlichen Folgen erreichen lassen, ist jedoch mangels einschlägiger Rechtsprechung ebenfalls nicht gesichert.
Für Sie da
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