AUFKLÄRUNGSPFLICHTEN UND DUE DILIGENCE IM FOKUS DES BGH
Eine sog. Due Diligence-Prüfung dürfte im Zusammenhang mit Unternehmenskäufen und -verkäufen nicht (mehr) wegzudenken sein und hat sich schon lange zum Markstandard im Vorfeld von M&A-Transaktionen etabliert. Aber auch in anderen Bereichen des Rechts sind Due Diligence-Prüfungen regelmäßig anzutreffen – u.a. bei Immobilientransaktionen. Eine neuere Entscheidung des BGH beschäftigt sich mit den Aufklärungspflichten des Verkäufers, wenn er einen Datenraum zur Durchführung einer Due Diligence-Prüfung im Rahmen einer Immobilientransaktion anbietet. Aus dieser Entscheidung könnten sich auch Schlüsse für M&A-Transaktionen ableiten lassen.
I. Zweck von Due Diligence-Prüfungen
Die Zwecke von Due Diligence-Prüfungen sind mannigfaltig. Auf der einen Seite sollen sie insbesondere zu Gunsten des Käufers etwaige Informationsasymmetrien abbauen und dem Käufer die Möglichkeit bieten, den Kaufgegenstand – also etwa ein Unternehmen – gründlich zu untersuchen und ihm insbesondere auch Feststellungen zu ermöglichen, an welchen Stellen er dem Verkäufer Garantien oder Freistellungen abverlangen möchte und sollte. Gleichzeitig haben die Erkenntnisse, die der Käufer im Rahmen der Due Diligence-Prüfung gewinnt, regelmäßig auch Auswirkungen auf den zu vereinbarenden Kaufpreis.
Für den Verkäufer dient die Due Diligence-Prüfung und vor allem das Einstellen und Aufbereiten eines (virtuellen) Datenraums gleichsam dem Versuch einer „Enthaftung“, da Garantien grundsätzlich für Umstände, die dem Käufer bekannt sind, keine Geltung haben – der Verkäufer versucht also letztlich mit dem Befüllen des Datenraums seinen Aufklärungspflichten nachzukommen. Welche Anforderungen daran zu stellen sind, versucht das nachfolgend skizzierte Urteil zu konkretisieren.
II. Sachverhalt der Entscheidung des BGH vom 15.09.23, Az.: V ZR 77/22
Der Verkäufer verkaufte der Käuferin mehrere Gewerbeeinheiten in einem Gebäudekomplex für ca. 1,5 Mio. EUR und versicherte, es gebe – mit einer Ausnahme – keine künftigen Sonderumlagen. Auch andere Kosten seien dem Verkäufer nicht bekannt. Die Protokolle der Eigentümerversammlung wurden der Käuferin übergeben und diese wurde anschließend ins Grundbuch eingetragen. Zur Bereitstellung von Unterlagen und Informationen wurde der Käuferin im Rahmen des Kaufprozesses vom Verkäufer ein virtueller Datenraum zur Verfügung gestellt. Am Freitag vor dem Notartermin wurden weitere Unterlagen in dem Datenraum bereitgestellt; die Vertragsunterzeichnung erfolgte am darauffolgenden Montag.
Zu den kurzfristig hochgeladenen Unterlagen gehörte die Beschluss-Sammlung, die das Protokoll der Eigentümerversammlung von 2016 enthielt. Darin hatten die Eigentümer beschlossen, die Mehrheitseigentümer aufgrund eines Beschlusses von 2006 zu umfangreichen baulichen Änderungen am Gebäudekomplex in Höhe von 50 Mio. EUR zu verpflichten. Nach Klage einer Eigentümerin, wurde in einem Vergleich beschlossen, dass die Eigentümer der Gewerbeeinheiten eine Sonderumlage in Höhe von 750.000 EUR und bei Bedarf bis zu 50 Mio. EUR für Instandhaltungs- und Instandsetzungsmaßnahmen zu leisten haben, wodurch auch die Käuferin in Anspruch genommen werden würde. Hiergegen wehrte sich die Käuferin mit der Anfechtung des Kaufvertrags, hilfsweise mit Rücktritt vom Kaufvertrag.
Das Ausgangs- und das Berufungsgericht hatten den Anspruch der Käuferin auf Freistellung, hilfsweise auf Zahlung von 1,5 Mio. EUR zzgl. ca. 185.000 EUR, abgelehnt. Die Käuferin legte Revision zum BGH ein.
III. Entscheidungsgründe des BGH
Die Revision war in vollem Umfang begründet. Nach Auffassung des BGH kommt ein Schadensersatzanspruch der Käuferin nach §§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 1, 241 Abs. 2 BGB aufgrund einer vorvertraglichen Pflichtverletzung – speziell der Verletzung einer Aufklärungspflicht – in Betracht.
Der BGH stellt zunächst fest, dass nicht jede Information, die dem Verkäufer vorliegt, ein gegenüber dem Käufer offenbarungspflichtiger Umstand ist. Wenn jedoch Äußerungen durch den Verkäufer getätigt werden, müssen diese Äußerungen richtig und vollständig sein. Der Verkäufer teilte vorliegend mit, es stünden keine außergewöhnlichen Kosten bevor, obwohl sich aus den kurzfristig hochgeladenen Dokumenten ergab, dass ein erhöhtes Risiko der Inanspruchnahme der Käuferin bestand.
Im Übrigen handelt es sich nach Auffassung des BGH immer dann um einen offenbarungspflichtigen Umstand, wenn dieser den Vertragszweck des anderen Teils vereiteln könnte und für seine Entscheidung von erheblicher Bedeutung ist. Dabei kann die Bereitstellung von Unterlagen in einem virtuellen Datenraum grundsätzlich für die Erfüllung der Aufklärungspflicht ausreichen. Dies hängt jedoch maßgeblich von den Umständen des Einzelfalls ab, insbesondere ob eine Due Diligence-Prüfung durch den Käufer durchgeführt wurde bzw. hätte durchgeführt werden müssen, wie der Datenraum und der Zugriff hierauf organisiert und strukturiert ist, um welche Art von Unterlagen bzw. Informationen es sich handelt und ob und wie viele fachkundige Personen auf Käuferseite stehen. Im vorliegenden Fall waren die Informationen dem Verkäufer bekannt, einfach mitzuteilen und sie waren erkennbar von besonderem Gewicht für die Käuferin. Ebenfalls ist zu beachten, dass die Unterlagen der Käuferin ohne Hinweis am Freitag vor dem am Montag stattfindenden Notartermin zur Verfügung gestellt wurden und das Auffinden der konkreten Information innerhalb der Unterlagen in diesem Zeitraum nur schwer möglich war. Unabhängig von der durchgeführten Due Diligence-Prüfung ist der Verkäufer durch das Bereitstellen der Unterlagen im vorliegenden Fall seiner Aufklärungspflicht nicht nachgekommen. Denn er konnte keine berechtigte Erwartung haben, die Käuferin werde von dem offenbarungspflichtigen Umstand Kenntnis erlangen. Im Gegenteil war vorliegend – so der BGH – ein konkreter Hinweis des Verkäufers zwingend erforderlich.
IV. Folgen für die Praxis
Ob die Entscheidung uneingeschränkt auf M&A-Transaktionen übertragbar ist, ist offen. Allerdings dürfte davon auszugehen sein, dass die Leitlinien des Urteils und damit die bestehenden Aufklärungspflichten zumindest bei der Aufbereitung und Vorbereitung einer Due Diligence-Prüfung auch im Unternehmenskontext mit zu berücksichtigen sind, zumal der BGH stellt selbst eine Verbindung zu Unternehmenstransaktionen herstellt (vgl. Tz. 30 ff. des Urteils).
Insbesondere macht der BGH in diesem Urteil deutlich, dass die Frage, ob der Verkäufer seine Aufklärungspflicht mittels der Bereitstellung von Unterlagen in einem Datenraum erfüllt hat, zuvörderst eine Einzelfallentscheidung ist und bleiben wird.
Der BGH nennt folgende Kriterien, die für bzw. gegen die Erfüllung der Aufklärungspflicht herangezogen werden können:
- Geschäftserfahrenheit des Vertragspartners – d. h. vorliegend also des Käufers;
- Expertise der durch den Käufer eingeschalteten Berater;
- tatsächliche Durchführung einer Due Diligence-Prüfung durch den Käufer;
- Strukturierung des Datenraums;
- (Automatische) Benachrichtigung beim Hochladen neuer Unterlagen; sowie
- Zeitraum zwischen dem Einstellen neuer Unterlagen und der Beurkundung des Kaufvertrags.
Bei M&A-Transaktionen ist insoweit zu beachten, dass „Ungleichgewichte“ bei der Geschäftserfahrung der Parteien, jedenfalls ab einer gewissen Dimension nicht der Regelfall sind. Hier wird ein Datenraum gerade für die Durchführung einer Due Diligence-Prüfung eingerichtet wird, da dies – wie oben bereits erwähnt – dem Marktstandard entspricht, sodass die Frage nach der tatsächlichen Durchführung einer Due Diligence-Prüfung weniger relevant erscheint. Entsprechendes dürfte auch im Hinblick auf die Expertise der eingeschalteten Berater gelten, da die Parteien regelmäßig entsprechend spezialisierte Berater haben, die die Transaktion begleiten. Dennoch kann es auch hier Fälle des Ungleichgewichts geben und können insbesondere auch ungefragte Aufklärungspflichten dann berührt sein, wenn die kritischen Informationen nicht o.w. aus den Due-Diligence-Unterlagen erkennbar sind. Gerade hier kann auch die Kurzfristigkeit des Einstellens von wesentlichen Informationen vor der Unterzeichnung der Transaktion kritisch sein.
Was die Strukturierung des Datenraums angeht, so haben sich auch hier gewisse Usancen herausgebildet, die insbesondere darin ihren Ausdruck finden, dass sich in Unternehmenskaufverträgen regelmäßig Klauseln finden, die regeln, dass in den Datenraum eingestellte Unterlagen nur dann als bekannt – und damit eine Haftung des Verkäufers ausschließend – gelten, wenn sie fair offengelegt (fair disclosure) worden sind, d.h. also unter anderem dort abgelegt wurden, wo ein mit M&A-Transaktionen bewanderter Berater sie erwarten würde. Auch sind moderne digitale Datenräume professioneller Datenraumanbieter grundsätzlich mit automatischen Hinweisfunktionen ausgestattet, die jeden, der auf den Datenraum Zugriff hat, darüber informieren, wenn neue Unterlagen eingestellt worden sind.
Für den Zeitraum zwischen Hochladen der Unterlagen und dem Vertragsabschluss wird in der (M&A-)Praxis regelmäßig einigen sich die Parteien vor Abschluss des Vertrages regelmäßig auf einen Zeitpunkt, bis zu dem Unterlagen in den Datenraum eingestellt werden dürfen. Sollten danach noch weitere Unterlagen zur Verfügung gestellt werden, ist eine Abstimmung zwischen Verkäufer und Käufer die Regel, meist verbunden mit einer zusätzlichen Prüfungsfrist.
Insgesamt ist festzustellen, dass die meisten Kriterien, die der BGH aufstellt, bei einem ordnungsgemäß aufgesetzten M&A-Verkaufsprozess mit professionell eingerichtetem Datenraum ohnehin Genüge getan wird.
Nichtsdestotrotz verbleibt eine dem Einzelfall geschuldete Unsicherheit, die insbesondere durch rechtzeitiges Bereitstellen möglichst sämtlicher Unterlagen im Datenraum sowie gegebenenfalls ausdrückliche Erklärungen, über für den Käufer besonders relevante Umstände, reduziert werden kann.
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