EINSTWEILIGE VERFÜGUNG BEI ABBERUFUNG DES GESCHÄFTSFÜHRERS EINER ZWEI-PERSONEN-GMBH AUS WICHTIGEM GRUND
Besteht Streit über die Wirksamkeit der Abberufung eines GmbH-Geschäftsführers, so kann durch einstweilige Verfügung ein Tätigkeitsverbot und ein Verbot der Ausübung der Organtätigkeit ausgesprochen werden. Partei eines solchen Verfügungsverfahrens ist neben dem abberufenen Geschäftsführer grundsätzlich die Gesellschaft, vertreten durch einen von den Gesellschaftern bestimmten Vertreter. Das OLG München hat sich in einer aktuellen Entscheidung (Urt. v. 25.05.2023 – 23 W 354/23e) mit der Frage befasst, ob und unter welchen Voraussetzungen bei der Abberufung eines Gesellschafter-Geschäftsführers in einer Zwei-Personen-GmbH von dem anderen Gesellschafter einstweiliger Rechtsschutz im Wege einer sog. actio pro socio und damit auch unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen in der Gesellschaft erlangt werden kann.
I. Einführung und Hintergrund
Nach dem gesetzlichen Leitbild des § 38 Abs. 1 GmbHG kann ein GmbH-Geschäftsführer grundsätzlich jederzeit und ohne Vorliegen besonderer Gründe abberufen werden. In Bezug auf Gesellschafter-Geschäftsführer wird immer wieder die Zulässigkeit der Abberufung durch Regelungen im Gesellschaftsvertrag der GmbH auf Fälle beschränkt, in denen ein „wichtiger Grund“ vorliegt. Beschließen die Gesellschafter in einem solchen Fall über die Abberufung eines Geschäftsführers, kann Streit darüber bestehen, ob tatsächlich ein die Abberufung rechtfertigender wichtiger Grund vorliegt und der Abberufungsbeschluss entsprechende Rechtswirkung entfaltet. Betroffene Geschäftsführer treten jedoch zum Teil ungeachtet eines solchen Abberufungsbeschlusses weiterhin im Rechtsverkehr als Geschäftsführer der Gesellschaft auf und vertreten diese nach außen. Aufgrund der Rechtsscheinwirkung des § 15 HGB besteht das Risiko, dass die Gesellschaft dies gegenüber Dritten gegen sich gelten lassen muss, solange die Abberufung des betreffenden Geschäftsführers nicht im Handelsregister der Gesellschaft eingetragen ist. Zum Schutze der Gesellschaft besteht in diesem Zusammenhang die Möglichkeit, im Wege der einstweiligen Verfügung ein Tätigkeitsverbot und ein Verbot der Ausübung der Organtätigkeit zu erlangen. In einem solchen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes hat die Gesellschaft dem Gericht glaubhaft zu machen, dass wichtige Gründe für eine sofortige Abberufung des Geschäftsführers vorlagen, aus welchen Tatsachen sich diese ergeben und dass die Abberufung wirksam beschlossen wurde.
II. Vorliegen eines wichtigen Grundes
Ein wichtiger Grund liegt nach § 38 Abs. 2 Satz 2 GmbHG insbesondere vor, wenn der GmbH-Geschäftsführer die ihn persönlich als Geschäftsführer treffenden Pflichten in grober Weise verletzt oder als zur ordnungsmäßigen Geschäftsführung unfähig anzusehen ist. Der Gesellschaftsvertrag der GmbH kann grundsätzlich weitere wichtige Gründe vorsehen. Nach der Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 28.1.1985 – II ZR 79/84) ist ein wichtiger Grund gegeben, wenn ein weiteres Verbleiben des Geschäftsführers in seinem Amt und dessen Tätigwerden für die Gesellschaft bei umfassender Würdigung aller Umstände des Einzelfalls und Berücksichtigung der betroffenen Interessen der Gesellschaft und den Gesellschaftern nicht länger zugemutet werden kann. Bei einer Zwei-Personen-Gesellschaft sind hieran jedoch strenge Anforderungen zu stellen, um zu vermeiden, dass ein Gesellschafter die Geschäftsführertätigkeit des anderen Gesellschafters beliebig beenden kann. Demnach reicht für das Vorliegen eines wichtigen Grundes der bloße Vertrauensverlust des Mitgesellschafters nicht aus; vielmehr müssen berechtigte Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung vorliegen. Diese Bedenken müssen so erheblich sein, dass ein objektiver Betrachter bei Abwägung aller Umstände, die für und gegen eine Abberufung sprechen, zu dem Ergebnis gelangt, dass es der Gesellschaft und insbesondere dem Mitgesellschafter nicht zugemutet werden kann, den Geschäftsführer weiter in seiner Position zu belassen. In die Abwägung einzustellen sind dabei einerseits die Interessen der Gesellschaft an einer ordnungsmäßigen und wirtschaftlich erfolgreichen Geschäftsführung und andererseits das Interesse des Geschäftsführers an seiner Organstellung.
Die Organstellung als solche ist hierbei unabhängig von dem bestehenden Anstellungsverhältnis, sodass die Abberufung eines Geschäftsführers aus wichtigem Grund grundsätzlich keine Auswirkung auf dessen Anstellungsverhältnis hat. Das Vorliegen eines wichtigen Grundes nach § 38 Abs. 2 GmbHG bedeutet demnach nicht zwangsläufig, dass auch ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung des Anstellungsvertrages nach § 626 Abs. 1 BGB vorliegt. Umgekehrt wird jedoch angenommen, dass das Vorliegen eines wichtigen Grundes i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB stets auch einen solchen nach § 38 Abs. 2 GmbHGdarstellt.
III. Entscheidung des OLG München
Der Entscheidung des OLG München (Urt. v. 25.05.2023 – 23 W 354/23e) lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Die Parteien stritten im einstweiligen Verfügungsverfahren über die Wirksamkeit eines Gesellschafterbeschlusses über die Abberufung des Verfügungsbeklagten als GmbH-Geschäftsführer aus wichtigem Grund. Verfügungsklägerin und Verfügungsbeklagter waren die alleinigen Gesellschafter der betreffenden GmbH und an dieser jeweils mit 51,00 % bzw. 49,00 % beteiligt. Der Verfügungsbeklagte war alleiniger Geschäftsführer der GmbH. In einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung der GmbH unter der Leitung eines Vertreters der Verfügungsklägerin wurde der Verfügungsbeklagte aus wichtigem Grund mit sofortiger Wirkung und hilfsweise ordentlich als Geschäftsführer der GmbH abberufen. Zur Begründung führte die Verfügungsklägerin an, der Verfügungsbeklagte habe das Kassensystem der Gesellschaft manipuliert und drei Verkaufsvorgänge entgegen den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung und § 146 Abs. 1 AO nicht ordnungsgemäß abgerechnet. Der Verfügungsbeklagte führte die Geschäfte der Gesellschaft auch nach Zugang der Abberufungserklärung weiter und trat für diese nach außen auf. Die Verfügungsklägerin beantragte im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes u.a., dem Verfügungsbeklagten aufzugeben, es zu unterlassen, die Geschäfte der GmbH zu führen und die Gesellschaft zu vertreten. In prozessualer Hinsicht stritten die Parteien über die Möglichkeit der Verfügungsklägerin, ihr Rechtsschutzziel im Wege der sog. actio pro socio, d.h. der Klage eines Gesellschafters für die Gesellschaft, geltend zu machen. Das LG München I lehnte diesen Antrag in erster Instanz zunächst ab.
In zweiter Instanz hatte der Antrag der Verfügungsklägerin Erfolg. Das OLG München entschied, dass die Verfügungsklägerin in der vorliegenden Konstellation – abweichend von § 46 Nr. 8 GmbHG, wonach die Gesellschaft, die im Rahmen des Verfügungsverfahrens grundsätzlich durch einen von der Gesellschafterversammlung bestimmten Vertreter vertreten wird, ihr Rechtsschutzinteresse ausnahmsweise selbst im Wege der actio pro socio geltend machen könne. Hiernach sei die Verfügungsklägerin berechtigt, Ansprüche der Gesellschaft im eigenen Namen im Wege der (gesetzlichen) Prozessstandschaft geltend zu machen. Dies sei Ausfluss des Mitgliedschaftsrechts eines Gesellschafters. Dem stehe auch nicht der Grundsatz entgegen, dass zunächst eine innere Zuständigkeitsordnung der Gesellschaft vorrangig zu beachten ist und eine actio pro socio nur subsidiär in Betracht kommt. Denn ein Gesellschafterbeschluss nach § 46 Nr. 8 GmbHG wäre in der vorliegenden Konstellation eine überflüssige Formalität. Eine Umgehung der gesellschaftsinternen Kompetenzordnung sei bei einem Abberufungsstreit in der Zwei-Personen-GmbH unabhängig von den Mehrheitsverhältnissen nicht zu befürchten, da der wegen eines wichtigen Grundes nach § 38 Abs. 2 GmbHG abberufene Gesellschafter gemäß § 47 Abs. 4 Satz 2 GmbHG von einer solchen Abstimmung ausgeschlossen ist. Eine Verweisung auf einen solchen Beschluss und eine anschließende Gesellschaftsklage wäre somit im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ein unnötiger und unbilliger Umweg. Ebenso müsse nach Ansicht des OLG – entgegen anderen Stimmen der Literatur – für die Zulässigkeit der actio pro socio in dieser Konstellation nicht die Handlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit der Gesellschaft besonders festgestellt werden.
Nach Auffassung des OLG liege auch ein Verfügungsanspruch vor. Es bestehe ein Anspruch der Gesellschaft auf Unterlassung der weiteren Geschäftsführertätigkeit nach wirksamer Abberufung des Verfügungsbeklagten aus wichtigem Grund. Dieser folge bei einem Gesellschafter-Geschäftsführer primär nachwirkend aus dessen Organbestellung und den mitgliedschaftlichen Treuepflichten als Gesellschafter. Voraussetzung sei die wirksame Abberufung aus wichtigem Grund, die im einstweiligen Verfügungsverfahren glaubhaft zu machen ist. Ausreichend für die Glaubhaftmachung sei, dass die auf Hilfstatsachen gestützte Schlussfolgerung überwiegend wahrscheinlich erscheint, ohne dass dadurch bereits alle anderen Möglichkeiten praktisch ausgeschlossen sein müssen. In einer Gesamtschau nach Zeugenvernehmung und Inaugenscheinnahme des EDV-Systems der Gesellschaft hält das OLG die Verstöße des Verfügungsbeklagten für überwiegend wahrscheinlich. Trotz des fehlenden unmittelbaren finanziellen Schadens seien die Verstöße ausreichend, um eine Unzumutbarkeit der weiteren Tätigkeit des Verfügungsbeklagten als Geschäftsführer der Gesellschaft zu begründen. Es handle sich um zentrale den Geschäftsführer treffende Pflichten, gegen die er innerhalb kurzer Zeit mehrmals verstoßen hat. Die Verstöße belegen eine unbekümmerte Rechtsferne und eine Wiederholungsgefahr.
Zudem sei ein Verfügungsgrund, d.h. die Eilbedürftigkeit der Entscheidung gegeben. Die einstweilige Untersagung der Ausübung der Geschäftsführungsbefugnisse bis zur rechtskräftigen Hauptsacheentscheidung über die Wirksamkeit der Abberufung sei vor dem Hintergrund der Glaubhaftmachung des wichtigen Grundes erforderlich und zweckmäßig. Die Dringlichkeit ergebe sich aus der Tatsache, dass der Verfügungsbeklagte weiterhin als Geschäftsführer der Gesellschaft auftrete und ihm die Rechtsscheinwirkung des § 15 HGB zur Seite stehe. Die sich hieraus ergebende Unsicherheit sei für die Gesellschaft und die Verfügungsklägerin nicht bis zur endgültigen Klärung in der Hauptsache hinnehmbar. Mit der einstweiligen Untersagung werde eine angemessene Übergangsregelung geschaffen, die die Hauptsache nicht in unzulässiger Weise vorwegnehme.
IV. Ausblick und Folgen für die Praxis
Die Entscheidung des OLG München bestätigt zunächst, dass bei einer Zwei-Personen-GmbH im Rahmen von Abberufungsstreitigkeiten die actio pro socio Anwendung findet, ohne dass der Vorrang einer inneren Zuständigkeitsordnung der Gesellschaft dem entgegensteht. Auf das Vorliegen einer Handlungsunfähigkeit oder -unwilligkeit kommt es dabei nicht an. Der unnötige Umweg über einen vorherigen Beschluss nach § 46 Nr. 8 GmbHG ist für den Erlass einer einstweiligen Verfügung daher nicht erforderlich. Für das Vorliegen des Anspruchsgrundes bezieht sich das OLG München nicht auf einen Unterlassungsanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 1004 Abs. 1 BGB analog wegen eines Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, sondern auf die Nachwirkung der Organbestellung und die gesellschafterliche Treuepflicht. Der Eintritt eines tatsächlichen Schadens ist hierfür nicht erforderlich, vielmehr entsteht der Verfügungsgrund mit wirksamer Beschlussfassung über die Abberufung. Hierdurch wird die Glaubhaftmachung des Verfügungsgrundes wesentlich erleichtert.
Im Personengesellschaftsrecht hat der Gesetzgeber das allgemein anerkannte Institut der actio pro socio mit Einführung des neuen § 715b BGB im Zuge des Gesetzes zur Modernisierung des Personengesellschaftsrechts (MoPeG) mit Wirkung zum 1. Januar 2024 kodifiziert. Hiernach ist jeder Gesellschafter befugt, einen auf dem Gesellschaftsverhältnis beruhenden Anspruch der Gesellschaft gegen einen anderen Gesellschafter im eigenen Namen gerichtlich geltend zu machen, wenn der dazu berufene geschäftsführungsbefugte Gesellschafter dies pflichtwidrig unterlässt. Diese Vorschrift gilt unmittelbar für die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) und kraft Verweisung für die offene Handelsgesellschaft (OHG) und die Kommanditgesellschaft (KG). Mangels Verweisung findet § 715b BGB für Kapitalgesellschaften (insbesondere UG, GmbH und AG) keine direkte Anwendung. Ob für Kapitalgesellschaften künftig eine analoge Anwendung dieser Vorschrift in Betracht kommt oder die Gesellschafterklage der actio pro socio weiterhin als allgemeines Rechtsinstitut fortgelten soll, bedarf der künftigen Klärung durch die Rechtsprechung.
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