ZUR WIRKSAMKEIT VON GESELLSCHAFTERBESCHLÜSSEN IN DER GMBH AM BEISPIEL DES RECHTSSTREITS ZWISCHEN MARTIN KIND UND „HANNOVER 96“
Verstoßen Gesellschafter einer GmbH bei der Beschlussfassung über die Abberufung des Geschäftsführers gegen die in der Satzung festgelegte Kompetenzverteilung und gegen eine schuldrechtliche Stimmbindungsvereinbarung mit Nichtgesellschaftern, so hat dies nicht grundsätzlich die Nichtigkeit oder Anfechtbarkeit dieses Beschlusses zur Folge. Hiermit befasst sich ein aktuelles Urteil des BGH (Urt. v. 16.7.2024 – II ZR 71/23).
I. Einführung und Hintergründe
Vertragliche Vereinbarungen in denen Gesellschafter ihr Stimmverhalten in der Gesellschafterversammlung mit weiteren Gesellschaftern oder Dritten abstimmen sind in der Praxis keine Seltenheit. Solche Stimmbindungsverträge entfalten aufgrund ihrer rein schuldrechtlichen Natur grundsätzlich nur Wirkung unter den Parteien dieser Vereinbarungen. Es stellt sich daher die Frage, wie sich ein Verstoß gegen einen Stimmbindungsvertrag auf die Wirksamkeit des betreffenden Gesellschafterbeschlusses auswirkt. Der BGH hat über diese Frage jüngst entschieden und dabei die Gelegenheit genutzt, auch zu weiteren Wirksamkeitsfragen, die Gesellschafterbeschlüsse einer GmbH betreffen, Stellung zu nehmen. Die Entscheidung verdient nicht nur wegen ihrer Öffentlichkeitswirksamkeit, die auf die in den Medien präsenten Beteiligten im Zusammenhang mit dem Spielbetrieb des Fußball-Zweitligisten Hannover 96 zurückzuführen ist, sondern vor allem aus gesellschaftsrechtlicher Perspektive Beachtung.
II. Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Gesellschafterbeschlüssen
Da das GmbHG keine Bestimmungen zur Wirksamkeit von Gesellschafterbeschlüssen enthält, finden die Regelungen zur Aktiengesellschaft auf die GmbH entsprechende Anwendung (BGH, Urt. v. 17.2.1997 – II ZR 41/96). Danach ist zwischen Nichtigkeit und Anfechtbarkeit eines Gesellschafterbeschlusses zu unterscheiden. Ein Gesellschafterbeschluss, der gegen eine der in § 241 AktG genannten Bestimmungen verstößt ist nichtig und entfaltet von Beginn an keine Wirkung. Zu den in § 241 AktG enthaltenen Nichtigkeitsgründen zählen insbesondere Einberufungsmängel, die Missachtung der Beurkundungspflicht (§ 53 Abs. 3 S. 1 GmbHG) oder schwerwiegende inhaltliche Mängel (bspw. ein Verstoß gegen die Gläubigerschützenden Vorschriften zur Kapitalerhaltung gem. § 30 GmbHG). Die Nichtigkeit kann mittels Nichtigkeitsklage analog § 249 AktG gerichtlich festgestellt werden. Alle anderen Mängel eines Beschlusses, wie z.B. Verstöße gegen Regelungen im Gesellschaftsvertrag oder gegen gesetzliche Regelungen, die nicht schon zur Nichtigkeit eines Beschlusses gem. § 241 AktG analog führen, berechtigen grundsätzlich (nur) zur Anfechtung des Beschlusses gemäß § 243 AktG analog. Ein anfechtbarer Beschluss ist grundsätzlich wirksam, solange er nicht fristgerecht und erfolgreich mit einer Anfechtungsklage angegriffen wird.
Der BGH (Urt. v. 14.11.1983 – II ZR 33/83) spricht neben den Gesellschaftern auch Geschäftsführern und jedenfalls Aufsichtsräten einer den Mitbestimmungsgesetzen unterliegenden GmbH die Klagebefugnis zur Erhebung einer Nichtigkeitsfeststellungsklage zu. Zur Erhebung einer Anfechtungsklage sind dagegen nur die Gesellschafter einer GmbH befugt, nicht aber Geschäftsführer und Aufsichtsräte.
III. Schuldrechtliche Vereinbarungen
Nicht alle die Gesellschafter und die Gesellschaft betreffenden Regelungen müssen in der Satzung vereinbart werden. Vereinbarungen sind auch außerhalb der Gesellschaftsebene, etwa in schuldrechtlichen Verträgen (auch „Gesellschaftervereinbarungen“ genannt) zulässig. Solche Gesellschaftervereinbarungen bieten gegenüber einer Regelung in der Satzung ein hohes Maß an Flexibilität und gewährleisten Vertraulichkeit, da diese nicht im Handelsregister zu veröffentlichen sind. Inhaltlich enthalten solche Gesellschaftervereinbarungen vorwiegend Regelungen zur Ausübung von Mitgliedschaftsrechten (bspw. Stimmbindungsvereinbarungen) oder Vereinbarungen über die Geschäftsanteile (bspw. Ankaufs-, Vorkaufs- oder Andienungsrechte).
Die Verletzung von Gesellschaftervereinbarungen stellt grundsätzlich keinen tauglichen Anfechtungsgrund bezüglich eines Gesellschafterbeschlusses dar. Das ist unstreitig, soweit es um Gesellschaftervereinbarungen geht, an denen nicht alle Gesellschafter (und ggf. auch die Gesellschaft) beteiligt sind. Die rechtlichen Handlungsmöglichkeiten zu Fragen der Einhaltung bzw. der Verletzung von Gesellschaftervereinbarungen beschränken sich auf den Kreis der Parteien einer solchen Gesellschaftervereinbarung. Es kann also von den Beteiligten vor den zuständigen Gerichten gegen den vertragsverletzenden Vertragspartner je nach Gegenstand bspw. auf Unterlassung und/oder Schadensersatz geklagt werden. In einer älteren Entscheidung hat der BGH (Urteil v. 20.01.1983 – II ZR 243/81) aus Gründen der Prozessökonomie angeführt, dass ein Verstoß aller Gesellschafter gegen eine Gesellschaftervereinbarung im Einzelfall auch zur Anfechtung eines Gesellschafterbeschlusses durch einen der überstimmten Gesellschafter berechtigen kann.
IV. Entscheidung des BGH
Der neuen Entscheidung des BGH (Urt. v. 16.07.2024 – II ZR 71/23) lag im Wesentlichen folgender Sachverhalt zu Grunde. Die alleinigen Gesellschafter der H96 GmbH & Co. KGaA („KGaA“) sind die A GmbH & Co. KG („KG“) als Kommanditistin und die H96 GmbH als Komplementärin. Alleiniger Gesellschafter der H96 GmbH ist der H96 e.V. Der Kläger war Geschäftsführer der Beklagten H96 GmbH. Zugleich ist der Kläger mittelbarer Mehrheitsgesellschafter der KG.
Durch die Satzung ist bei der H96 GmbH ein vierköpfiger Aufsichtsrat eingerichtet, der zur Hälfte aus von der KGaA entsandten Mitgliedern besteht. Die Satzung der H96 GmbH weist dem Aufsichtsrat zudem die Kompetenz zu, Geschäftsführer zu bestellen und abzuberufen. Zudem hatten der H96 e.V., die KGaA und die KG vertraglich vereinbart, dass der H96 e.V. als Alleingesellschafter der H96 GmbH nicht ohne vorherige Zustimmung der KGaA und der KG die Satzung der H96 GmbH ändern darf.
In einer außerordentlichen, durch den Alleingesellschafter H96 e.V. abgehaltenen Gesellschafterversammlung wurde der Kläger durch notariell beurkundeten Beschluss als Geschäftsführer der H96 GmbH abberufen. Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Feststellung der Nichtigkeit dieses Gesellschafterbeschlusses.
Das OLG Celle hatte in der Berufungsinstanz der Klage stattgegeben und u.a. ausgeführt, der Abberufungsbeschluss sei analog § 241 Nr. 3 und Nr. 4 AktG nichtig, da er kompetenzwidrig und unter bewusstem Verstoß gegen den Stimmbindungsvertrag gefasst wurde. Dabei müsse sich der Kläger hinsichtlich der Geltendmachung der Verletzung des Stimmbindungsvertrags nicht an die Parteien des Stimmbindungsvertrags halten, sondern könne direkt gegen den Gesellschafterbeschluss und die Beklagte vorgehen.
Diese Ausführungen hielten der Überprüfung des BGH nicht stand. Nach Auffassung des BGH war der Gesellschafterbeschluss und damit die Abberufung des Klägers als Geschäftsführer wirksam. Der BGH entschied, dass der Kläger als Nichtgesellschafter schon nicht gerichtlich gegen den Beschluss vorgehen könne, da der Streit über das Vorliegen und die Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen den Stimmbindungsvertrag unter den Parteien des Stimmbindungsvertrags und nicht mit der Gesellschaft auszutragen sei. Für einen Nichtgesellschafter sei die Auseinandersetzung mit den weiteren Parteien einer Stimmbindungsvereinbarung zudem der einzige Weg, schuldrechtliche Vereinbarungen mit einem Alleingesellschafter durchzusetzen. Ein Durchschlagen der schuldrechtlichen Vereinbarung mit einem Nichtgesellschafter auf die gesellschaftsrechtliche Ebene komme nicht in Betracht. Des Weiteren stellt der BGH in seiner Entscheidung klar, dass auch keine Nichtigkeit entsprechend § 241 Nr. 3 AktG aus einer Verletzung des Stimmbindungsvertrags folgt, da die Beachtung von Stimmbindungsverträgen nicht zu den tragenden Strukturprinzipien des GmbH-Rechts zu zählen sei. Auch eine Sittenwidrigkeit wegen bewussten Verstoßes gegen den Stimmbindungsvertrag könne nicht zur Nichtigkeit des Gesellschafterbeschlusses führen, da dies die schuldrechtliche und korporationsrechtliche Ebene vermischen würde.
Der bloße Verstoß gegen eine Satzungsbestimmung macht einen Gesellschafterbeschluss anfechtbar, aber nicht nichtig. Da bei einem Kompetenzkonflikt zwischen Gesellschafterversammlung und fakultativem Aufsichtsrat weder der Aufsichtsrat als solcher noch seine Mitglieder allgemein zur Anfechtung kompetenzwidrig gefasster Beschlüsse berechtigt sind, habe das vom kompetenzwidrig gefassten Beschluss betroffene Gesellschaftsorgan (hier der Aufsichtsrat) diese Verletzung der Satzung hinzunehmen. Ein solch kompetenzwidriger Beschluss habe auch keine Nichtigkeit wegen Sittenwidrigkeit zur Folge. Dies schon deshalb, da der Gesellschafterversammlung jederzeit die Möglichkeit offen stünde, sich per Satzungsänderung die Kompetenz zur Abberufung und Bestellung des Geschäftsführers „zurückzuholen“. Darüber hinaus ist nach Auffassung des BGH bei einer nur punktuellen Durchbrechung der satzungsmäßigen Kompetenzen per Beschluss (Satzungsdurchbrechung) diesem kein Regelungsgehalt zu entnehmen, der die internen „Machtverhältnisse“ nachhaltig verändere und dementsprechend eine Dauerwirkung erzeuge. Somit wäre eine notarielle Beurkundung des satzungsdurchbrechenden Beschlusses (dem Formerfordernis für Satzungsänderungen entsprechend) nicht erforderlich gewesen.
V. Ausblick und Folgen für die Praxis
Die Entscheidung unterstreicht die Stellung der Gesellschafterversammlung als oberstes Organ der GmbH. Sie zeigt, dass die Kompetenzen der Gesellschafterversammlung einen hohen Stellenwert genießen, der auch durch anderweitige Kompetenzzuweisungen oder schuldrechtliche Nebenabreden nicht ohne weiteres unterlaufen werden kann. Zudem stellt der BGH klar, dass schuldrechtliche Nebenabreden mit Dritten, auch wenn an ihnen alle Gesellschafter (oder ein Alleingesellschafter) beteiligt sind, nicht die Grenze zwischen schuldrechtlicher Ebene und korporativer Ebene aufweichen können, indem Dritte im Wege der Klage direkt auf die Vorgänge in der Gesellschaft Einfluss nehmen. Gleichwohl darf die Entscheidung nicht als Freifahrtschein verstanden werden, Gesellschafterbeschlüsse ohne Rücksicht auf ihre gesellschaftsrechtlichen Anforderungen oder daneben bestehende schuldrechtliche Verpflichtungen zu treffen. Auch wenn die Klage des abberufenen Geschäftsführers im Ergebnis keinen Erfolg hatte, zeigt das Verfahren doch, welche Gefahren, insbesondere in Form von langwierigen Prozessen, ein strittiger Gesellschafterbeschluss bergen kann, der Kompetenzregelungen oder schuldrechtliche Nebenabreden verletzt.
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