ABHÄNGIGE BESCHÄFTIGUNG DES GESELLSCHAFTER-GESCHÄFTSFÜHRERS EINER GMBH, STATUSVERFAHREN UND ÄNDERUNG DER TATSÄCHLICHEN VERHÄLTNISSE
Das Bundessozialgericht entschied am 29. März 2022 (Az.: B 12 KR 1/20 R), dass der Statusfeststellungsbescheid ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung ist, der bei einer wesentlichen Änderung der tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse mit Rückwirkung aufgehoben werden kann.
Sachverhalt
In dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 29. März 2022 (Az.: B 12 KR 1/20 R) wurde über den Rechtscharakter und die rückwirkende Änderungsmöglichkeit / Aufhebung einer sog. Statusfeststellungsentscheidung gemäß § 7a SGB IV entscheiden. Klägerin war eine GmbH, deren Geschäftsführer zugleich auch Gesellschafter war. Beklagte war die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund). Der Geschäftsführer war beigeladen.
Die Klägerin wurde 2007 mit einem Stammkapital von EUR 25.000 gegründet. Der Beigeladene erwarb mit notariellem Vertrag vom 18. Februar 2010 einen Geschäftsanteil von EUR 10.000 (40 %) und war ab dem 1. April 2010 zugleich auch Geschäftsführer der Gesellschaft. Beschlüsse der Gesellschafterversammlung der klagenden GmbH werden mit einer qualifizierten Mehrheit von 70 % gefasst. Somit hatte der Beigeladene eine Sperrminorität.
Die Klägerin stellte für die Tätigkeit des Beigeladenen als Geschäftsführer seit dem 1. April 2010 einen Statusfeststellungsantrag nach § 7a SGB IV. Die beklagte DRV Bund stellte durch Bescheid im Jahr 2010 fest, dass der Beigeladene selbstständig tätig ist und somit nicht in die gesetzliche Rentenversicherungspflicht fällt. Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass er – sofern in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen hätten, eine wesentliche Änderung eintritt – geändert werden könne (Hinweis auf § 48 SGB X). Die Klägerin wurde gebeten, eingetretene Änderungen schriftlich der DRV Bund anzuzeigen.
Am 8. Dezember 2012 beschlossen die Gesellschafter der Klägerin, das Stammkapital auf EUR 49.000 zu erhöhen. Die Kapitalerhöhung wurde am 4. Januar 2013 in das Handelsregister eingetragen. Der Beigeladene hielt infolge der Kapitalerhöhung nur noch einen Anteil von 20,41 % an der Klägerin.
Die Beklagte erlangte infolge einer Betriebsprüfung Kenntnis von der Kapitalerhöhung und hob den Statusfeststellungsbescheid rückwirkend zum 8. Dezember 2012 auf. Zur Begründung führte die Beklagte an, dass der Beigeladene als Gesellschafter Geschäftsführer abhängig beschäftigt sei, da er seine Sperrminorität infolge der Kapitalerhöhung verloren habe.
Die Klägerin erläuterte, dass der Beigeladene vom Selbstkontrahierungsverbot nach § 181 BGB befreit sei, als einziger Geschäftsführer die GmbH gerichtlich sowie außergerichtlich allein vertrete und nicht dem Weisungs- und Direktionsrecht des Arbeitgebers unterliege.
Rechtsrahmen
Die Deutsche Rentenversicherung Bund kann auf Antrag gemäß § 7a SGB IV feststellen, ob bei einem Auftragsverhältnis eine Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit vorliegt. Mit dieser verbindlichen Entscheidung können die Beteiligten u.a. Klarheit darüber erlangen, ob der Auftragnehmer abhängig beschäftigt und damit rentenversicherungspflichtig ist (§ 1 S. 1 Nr. 1 SGB VI).
Ein solches Statusfeststellungsverfahren ist anzuraten, soweit nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann, ob jemand einer abhängigen oder selbstständigen Tätigkeit nachgeht. Die Entscheidung der DRV Bund ergeht als Statusfeststellungsbescheid und ist ein Verwaltungsakt (§ 31 SGB X).
Im Wesentlichen entschied das Bundessozialgericht (BSG):
- Der Statusfeststellungsbescheid ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, der grundsätzlich Wirkung für die Zukunft aufgehoben werden kann, soweit nach Erlass des Verwaltungsaktes eine wesentliche Änderung eintritt (§ 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Eine rückwirkende Aufhebung zum Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse ist insbesondere dann möglich, soweit der Betroffene einer Mitteilungspflicht vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist (§ 48 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB X).
- Die GmbH trifft über die nachträgliche Änderung wesentlicher Verhältnisse eine Mitteilungspflicht, soweit eine Statusentscheidung gemäß § 7a SGB IV ergangen ist. Eine nachträgliche Änderung der wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse lag darin, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer durch die Kapitalerhöhung seine Rechtsmacht in der Gesellschafterversammlung verloren hatte und keine Sperrminorität mehr besaß.
- Tritt eine wesentliche Änderung in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen ein, ist die Deutsche Rentenversicherung Bund berechtigt, eine Statusentscheidung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Im entschiedenen Fall kam das vertretungsberechtigte Organ der Klägerin seiner Mitteilungspflicht über die wesentliche Änderung jedenfalls grob fahrlässig nicht nach, sodass der Statusfeststellungsbescheid mit Wirkung für die Vergangenheit aufzuheben war.
Weitere Hinweise zur Sozialversicherungspflicht eines Gesellschaftergeschäftsführers, der keine Mehrheit in der Gesellschafterversammlung hat:
Das BSG urteilt zwar, ohne dass dies allerdings letztlich entscheidungsrelevant gewesen wäre, dass der Beigeladene „nach der Kapitalerhöhung nicht mehr über eine umfassende („echte oder qualifizierte“), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität verfügt habe, da für die Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung eine qualifizierte Mehrheit von 70 % der Stimmen erforderlich ist, und er damit nicht mehr die Rechtsmacht hatte, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Man könnte meinen, dass demgemäß des BSG davon ausging, eine für die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht ausreichende Rechtsmacht könne auch in einer Sperrminorität liegen, die der beigeladene Gesellschafter-Geschäftsführer zunächst mit 40 % hatte und erst durch die Kapitalerhöhung verloren hatte.
Insgesamt ist aber zu bezweifeln, dass nach der aktuellen Rechtsprechung des BSG der Bescheid aus dem Jahr 2010 überhaupt noch Bestand hätte. Denn während in der Vergangenheit das BSG darauf abstellte, ob der Geschäftsführer nach dem Gesellschaftsvertrag, ihm nicht genehme Weisungen zu verhindern oder Beschlüsse zu beeinflussen, die sein Anstellungsverhältnis betreffen, genügt nach neuerer Rechtsprechung des BSG eine bloße Sperrminorität zum Verhindern von solchen Maßnahmen zur Ablehnung einer abhängigen Beschäftigung nicht mehr aus. Erforderlich ist vielmehr eine durch den Gesellschaftsvertrag verliehene „umfassende Gestaltungsmacht“, die ihn zur „Mitbestimmung der gesamten Unternehmenspolitik“ berechtigt. Damit wäre sogar das Innehaben von 50 % der Geschäftsanteile ebenso wie eine Sperrminorität für die Bejahung einer selbständigen Tätigkeit nicht mehr ausreichend.
Zur Änderungsbefugnis ist festzuhalten, dass dann, wenn ein Statusfeststellungsbescheid vorliegt, nur Änderungen der tatsächlichen Verhältnisse mitzuteilen sind, während eine Änderung der Rechtsprechung von den Behörden aufzugreifen ist und dann nur für die Zukunft zu einer Änderung führen kann. Generell gilt, dass in nicht verbeschiedenen Fällen, Unternehmen Unsicherheiten durch ein Statusfeststellungsverfahren gem. § 7a SGB IV beseitigen sollten.
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