ÄNDERUNGEN IM KAUFRECHT UND REGELUNG VON VERTRÄGEN ÜBER DIGITALE PRODUKTE
Um der fortschreitenden Digitalisierung und Vernetzung von Wirtschaft und Gesellschaft gerecht zu werden, will die Europäische Union die rechtlichen Rahmenbedingungen für einen gemeinsamen digitalen Binnenmarkt schaffen. Dazu sollen die Warenkaufrichtlinie und die Digitale Inhalte Richtlinie beitragen. Beide Richtlinien wurden mit Wirkung zum 1. Januar 2022 im deutschen Recht umgesetzt. Ergebnis sind insbesondere Änderungen im Kaufrecht sowie neu geschaffene Regelungen für den Erwerb von digitalen Produkten.
I. Einleitung
Mit der Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte der Bereitstellung digitaler Inhalte und digitaler Dienstleistungen sowie der Richtlinie über bestimmte vertragsrechtliche Aspekte des Warenkaufs hatte der deutsche Gesetzgeber zum Beginn des Jahres 2022 zwei EU-Richtlinien in das deutsche Vertragsrecht zu implementieren. Die EU verfolgte mit den Richtlinien das Ziel der Vollharmonisierung, sodass in der gesamten EU möglichst gleiche Standards gelten. Die wesentlichsten Änderungen im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) werden nachfolgend dargestellt.
II. Kaufrechtliche Neuerungen
1. Sachmangel
§ 434 BGB, der sowohl im Verkehr zwischen Unternehmen als auch unter Beteiligung von Verbrauchern gilt, wird im Zuge der Novelle neu gefasst. Mit dieser Änderung kommt es zu einer teilweisen Abkehr vom subjektiven Mangelbegriff. Den objektiven Eigenschaften einer Sache kommt in Zukunft mehr Bedeutung zu, da der Mangelbegriff in drei kumulative Anforderungen unterteilt wird. Diese sind die subjektiv vereinbarten Eigenschaften, die objektiv einer Sache zugeschriebenen Eigenschaften sowie Montageverpflichtungen des Lieferanten.
Zu den subjektiven Eigenschaften gehören, vergleichbar mit der bisherigen Rechtslage, die vereinbarte Beschaffenheit, die im Vertrag vorausgesetzte Verwendung und die ebenfalls bereits bekannte Verpflichtung der Mitlieferung der vereinbarten Montage- und Installationsanleitungen. Neben den üblichen Anforderungen an Qualität und Quantität finden die in Hinblick auf das sogenannte „Internet of Things” interessanten Begriffe der Kompatibilität und Interoperabilität Eingang in den Gesetzestext. Gemeint ist die Fähigkeit der Ware, mit anderer Hard- und Software zu funktionieren. An der praktischen Handhabung dürfte sich nicht allzu viel ändern; allenfalls bei der Frage nach dem Vorliegen einer Beschaffenheitsvereinbarung könnte es zu einer Aufweichung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) kommen.
§ 434 Abs. 3 BGB n.F. nennt die zusätzlich zu den subjektiven Anforderungen zu erfüllenden, objektiven Eigenschaften. Die Eignung für die gewöhnliche Verwendung und die übliche Beschaffenheit entsprechen den bekannten Kriterien, einbezogen in die Beurteilung werden explizit eventuelle öffentliche Äußerungen, Proben und Muster sowie die Haltbarkeit der Produkte.
Von besonderer Bedeutung wird daher die Möglichkeit sein, eine negative Beschaffenheitsvereinbarung dergestalt zu schließen, dass eine Sache gerade nicht die gewöhnliche oder objektiv erwartbare Beschaffenheit aufweist, allerdings mit höheren Hürden im Falle des Verbrauchsgüterkaufs.
2. Aktualisierungspflicht
Weitere Neuerungen befinden sich in § 475b BGB n.F., der jedoch nur für Waren mit digitalen Elementen im Falle eines Verbrauchsgüterkaufs gilt. Waren mit digitalen Elementen sind im Wesentlichen solche Waren, die digitale Produkte enthalten oder so mit diesen verbunden sind, dass die Waren ihre Funktionen ohne diese digitalen Produkte nicht erfüllen können. Digitale Produkte wiederum sind gemäß § 327 Abs. 1 BGB n.F. einerseits digitale Inhalte, also in digitaler Form bereitgestellte Daten, und andererseits digitale Dienstleistungen. Digitale Dienstleistungen ermöglichen dem Verbraucher(a) die Erstellung, Verarbeitung oder Speicherung von Daten in digitaler Form oder (b) die gemeinsame Nutzung der vom Verbraucher oder von anderen Nutzern der entsprechenden Dienstleistung in digitaler Form hochgeladenen oder erstellen Daten oder sonstige Interaktionen mit diesen Daten.
Nach dem neuen § 475b BGB trifft den Verkäufer von Waren mit digitalen Elementen, also beispielsweise Smart TVs, eine Aktualisierungspflicht (Updatepflicht). Die individuell vereinbarten und objektiv zu erwartenden Updates sind Voraussetzung für die Annahme der Mangelfreiheit. Jedoch gilt es, genauer zu differenzieren, da hiermit keine Pflicht geschaffen wird, ständig die neueste Software bereit zu stellen, sondern lediglich solche Updates, die zur Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit und der Sicherheit notwendig sind (§ 475b Abs. 4 Nr. 2 BGB n.F.). Eine Besonderheit entsteht dadurch, dass diese Updatepflicht auch nach Gefahrenübergang besteht und damit eine Ausnahme von dem Grundsatz darstellt, dass die Mangelfreiheit eben (und nur) in diesem Zeitpunkt zu beurteilen ist.
Es gilt eine Updatepflicht für den im Vertrag vereinbarten maßgeblichen Zeitraum. Jedoch ist auch die objektive Updatepflicht zu beachten, die sich im Einzelfall nach Art und Zweck der Ware, Werbeaussagen, Materialien sowie dem Kaufpreis richtet. Bei der Dauer der Updatepflicht bestehen somit noch einige Unklarheiten.
Verpflichtet zum Update ist im Übrigen der Händler, der dieser Pflicht in aller Regel nicht effektiv nachkommen kann. Wie damit in der Praxis umgegangen wird, wird sich erst noch zeigen. Für Einzelhändler dürfte es notwendig sein, vertraglich mit dem Hersteler sicherzustellen, dass dieser die Pflcht übernimmt (ggf. auch über einen „dazwischengeschalteten“ Großhändler).
3. Beweislastumkehr
Die bisher bekannte Beweislastumkehr bei Verbrauchsgüterkäufen für einen zeitraum von sechs Monaten wird in § 477 Abs. 1 BGB n.F. auf ein Jahr verlängert. Das bedeutet, sofern sich ein Mangel innerhalb des ersten Jahres nach Gefahrübergang zeigt, wird davon ausgegangen, dass der Mangel schon bei Gefahrübergang bestand. Bei der Bereitstellung von digitalen Inhalten mit einer Updatepflicht gilt die Beweislastumkehr für den gesamten vereinbarten Zeitraum, mindestens jedoch für zwei Jahre.
4. Nacherfüllung
Das Recht der Nacherfüllung aus § 439 BGB n.F. im Verhältnis zum Verbraucher bleibt im Wesentlichen gleich mit der Ausnahme, dass § 475 BGB dahingehend geändert wurde, dass dem Verkäufer nun auch ein sogenanntes Totalverweigerungsrecht im Falle der Unverhältnismäßigkeit zusteht, er also beide Arten der Nacherfüllung verweigern kann.
5. Lieferantenregress
Die Änderungen bezüglich der Nacherfüllung werden dahingehend angepasst, dass der Verkäufer nun auch einen Regressanspruch für die Rücknahmekosten gemäß § 439 Abs. 6 BGB n.F. gegen den Lieferanten hat. Die in § 445b Abs.2 BGB a.F. geregelte absolute Verjährung von 5 Jahren wurde ersatzlos gestrichen. Dies dürfte im Wesentlichen an der Updatepflicht liegen, da diese theoretisch noch deutlich länger bestehen kann.
Die Updatepflicht hat auch weitere Auswirkungen auf den Lieferantenregress. So kann der Verkäufer nach § 445a BGB n.F. Aufwendungen, die er aufgrund einer Verletzung einer objektiven Updatepflicht hat, auch gegenüber seinem Lieferanten geltend machen. Bei rein subjektiven, zwischen Käufer und Verkäufer vereinbarten Updatepflichten, scheidet diese Möglichkeit jedoch aus.
III. Verbraucherverträge über digitale Produkte
Der zweite Themenkomplex der beiden EU-Richtlinien umfasst mit den §§ 327 – 327k BGB n.F. neue Regelungen im allgemeinen Schuldrecht zu „Verträgen über digitale Inhalte“. Dadurch kommt es nach § 327 Abs. 1 BGB n.F. zu einer Anwendung der neuen Regelungen unabhängig von der Vertragsart, m.a.W. unabhängig davon, ob es sich beispielsweise um einen Dienst- oder Werkvertrag handelt. Voraussetzung ist, dass es sich um Verbraucherverträge über die Bereitstellung digitaler Produkte (dazu siehe oben unter II.2.) handelt und der Verbraucher zur Zahlung eines Preises verpflichtet ist (beispielsweise Social Media oder Streaming Dienste). In Abgrenzung zu den neuen Regeln des Kaufrechts für Waren mit digitalen Elementen fallen hierunter Kaufverträge über Hardware, die lediglich dem Transfer digitaler Produkte dienen (beispielsweise USB-Sticks).
1. Personenbezogene Daten als Entgelt
Die Formulierung in § 327 Abs. 1 BGB n.F., wonach ein Preis gezahlt werden muss, bedeutet, dass nicht lediglich Geld als Gegenleistung gilt, sondern auch die digitale Darstellung eines Werts (z.B. Bitcoins) sowie die Bereitstellung von personenbezogenen Daten. Personenbezogene Daten werden schließlich nur als Entgelt angesehen, wenn sie dem Unternehmer zur kommerziellen Nutzung bereitgestellt werden. Benötigt er die Daten um die digitalen Produkte überhaupt leisten zu können oder um rechtliche Vorgaben einzuhalten, fallen diese nicht unter den Entgeltbegriff.
2. Gewährleistungsrechte
Auch die digitalen Produkte sind mangelfrei bereitzustellen. Dieses gesonderte Gewährleistungsrecht regeln die §§ 327d ff. BGB n.F., welche sich jedoch stark an den kaufrechtlichen Verhältnissen orientieren. § 327e BGB n.F. beinhaltet auch subjektive und objektive Anforderungen verbunden mit Integrationsanforderungen. Umfasst sein können auch etwaiges Zubehör oder ein Kundendienst. Auch hier ist eine Abweichung von den objektiven Anforderungen gemäß § 327h BGB n.F. nach gesonderter Vereinbarung möglich.
Stellt sich ein Produkt als mangelhaft dar, regeln die §§ 327l bis 327n BGB n.F. die bekannten Rechte auf Nacherfüllung, Minderung, Vertragsbeendigung und Schadensersatz. Wird der Unternehmer seiner Bereitstellungspflicht auch nach Aufforderung des Verbrauchers nicht unverzüglich gerecht, kann der Verbraucher den Vertrag nach § 327c Abs. 1 BGB n.F. beenden. Ist die Bereitstellung unmöglich, bleibt es bei den weiteren Bestimmungen des allgemeinen Schuldrechts.
3. Aktualisierungspflicht und Beweislastumkehr
Bei Verträgen über digitale Produkte trifft den Unternehmer gemäß § 327f BGB n.F. ebenfalls eine Aktualisierungspflicht (Updatepflicht). Auch hier geht es um den Erhalt der Vertragsmäßigkeit und Sicherheitsupdates. Die Pflicht gilt sowohl bei einer dauerhaften Bereitstellung für den vereinbarten Zeitraum wie auch bei einmaliger Bereitstellung für einen Zeitraum, den der Verbraucher erwarten darf.
§ 327k BGB n.F. enthält eine Beweislastumkehr, die der des § 477 BGB n.F. gleicht. Eine Ausnahme der Vermutung besteht dann, wenn das digitale Umfeld des Verbrauchers inkompatibel ist oder dies aufgrund fehlender Mitwirkung des Verbrauchers nicht feststellbar ist.
4. Unternehmerregress
Bei Verträgen zwischen Unternehmern über die Bereitstellung von digitalen Produkten nach §§ 327 ff. BGB n.F. besteht die Möglichkeit eines Unternehmerregresses nach den §§ 327t und 327u BGB n.F. Ist ein Unternehmer (einzelhändler, Lieferant etc.) aufgrund einer unterbliebenen Bereitstellung, mangelhafter Leistung oder Verletzung der Updatepflicht zu Aufwendungen gegenüber einem Verbraucher verpflichtet, so kann er sich diese von seinem Vertragspartner ersetzen lassen, wenn dieser die Verantwortung dafür trägt. Auch in diesem Verhältnis kommt es zur Beweislastumkehr des § 327k BGB n.F. Ein Anspruch direkt gegen den Hersteller existiert hingegen gesetzlich nicht.
IV. Fazit
Die Neuerungen dürften für eine große Bandbreite an Marktteilnehmern von Interesse sein. Für international agierende Unternehmen ergibt sich mitunter eine Steigerung der Rechtssicherheit aus der angestrebten Vollharmonisierung. Veränderungen für alle Händler und Hersteller dürften sich im Kaufrecht vor allem durch den objektivierteren Mangelbegriff ergeben. Allein deswegen lohnt sich ein Blick in die eigenen Allgemeinen Geschäftsbedingungen, ob diese in Anbetracht der geänderten Gesetzeslage noch zeitgemäß sind. Für Unternehmer, die mit „smarten“ Produkten handeln gilt dies umso mehr. Größerer Anpassungsbedarf dürfte aus den §§ 327 ff. BGB n.F. für Unternehmen, die digitale Produkte im B2C-Bereich anbieten, folgen, insbesondere mit Blick auf den erweiterten Entgeltbegriff. Insgesamt bleiben jedoch auch viele Fragen offen, deren Klärung erst die Zukunft bringen wird.
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