ÄNDERUNGEN IM STIFTUNGSRECHT – „UPDATE“ ODER BLOßE VEREINHEITLICHUNG?
Das bisher geltende Stiftungsrecht ist dringend reformbedürftig. Deutsche Stiftungen verfolgen fast ausschließlich gemeinnützige Zwecke und bestehen oftmals schon seit mehreren Hundert Jahren. In Deutschland existieren derzeit mehr als 23.000 Stiftungen. Der folgende Beitrag beschäftigt sich mit den beschlossenen Änderungen im Stiftungsrecht mit besonderem Fokus auf die tatsächlichen Neuerungen, welche über eine bloße Vereinheitlichung hinausgehen.
I. Einleitung
Am 22. Juli 2021 ist das Gesetz zur Vereinheitlichung des Stiftungsrechts verkündet worden, welches (mit Ausnahme der Vorschriften zum Stiftungsregister) am 01.07.2023 in Kraft treten soll. Das neue Gesetz führt zu weitreichenden Änderungen im Stiftungsrecht. Bisher galt im Stiftungsrecht eine Dualität von Bundesrecht und jeweils 16 verschiedenen Landesstiftungsgesetzen. Damit wird es künftig durch die einheitliche Regelung des Stiftungsrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch ein Ende haben. Die zwar in den Grundlagen übereinstimmenden Landesstiftungsgesetze führten bisher wegen ihres unterschiedlichen Wortlauts und individuellen Ergänzungen regelmäßig zu Rechtsunsicherheiten bei der Anwendung des Stiftungsrechts und einer jeweils eigenen Stiftungspraxis der Länder. Die zentralen Probleme waren vor allem die mangelnde Transparenz wegen der eigenständigen Stiftungsregister der Länder und die Unpraktikabilität der Vertretung von Stiftungen, da der Nachweis der Vertretungsmacht des Stiftungsvorstandes einer aktuellen behördlichen Vertreterbescheinigung bedarf.
Der lange und lebhafte Reformprozess begann im Juni 2014, als die Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Stiftungsrecht“ unter Leitung des BMJV ins Leben gerufen wurde um Vorschläge zur „Änderung des Stiftungsrechts“ zu erarbeiten. Auf Basis des im September 2016 vorgelegten Berichts und eines weiteren im Februar 2018 vorgelegten Diskussionsentwurfs veröffentlichte das BMJV schließlich im September 2020 einen ersten Referentenentwurf zur „Vereinheitlichung des Stiftungsrechts“.
Schon im Vorfeld des Referentenentwurfs wurde von Experten u.a. gefordert, das Stiftungsrecht zu modernisieren und zu überprüfen, „inwieweit im 19. Jahrhundert erarbeitete Rechtsgrundsätze dem Gesellschaftsbild und dem Rechtsempfinden des 21. Jahrhunderts noch entsprechen.“ Das Stiftungsrecht müsse flexibler und liberaler sein und über die bloße Vereinheitlichung hinausgehen. Die Forderung nach Modernisierung ging sogar so weit, dass sich einzelne Hochschullehrer als Reaktion auf den Diskussionsentwurf zusammentaten und gemeinsam einen Alternativentwurf veröffentlichten, da der Diskussionsentwurf „in vielerlei Hinsicht rückwärtsgewandt, kontraproduktiv und handwerklich mangelhaft“ sei. Einige der geäußerten Kritikpunkte wurden schließlich im Regierungsentwurf vom März 2021 berücksichtigt.
II. Änderungen
Neben der offensichtlichen Neuerung der nunmehr einheitlichen Regelung des Stiftungsrechts im Bürgerlichen Gesetzbuch statt wie eingangs erwähnt ergänzend auch in 16 verschiedenen Landesgesetzen sind vor allem folgende wesentliche Änderungen hervorzuheben:
1. Satzungs- und Strukturänderungen
Das Verfahren zur Satzungsänderung bei Stiftungen wurde in §§ 85 f. BGB n.F. umfassend neu geregelt. Es entspricht zwar im Wesentlichen dem Grundkonzept der bereits geltenden Rechtslage. Jedoch hat der Gesetzgeber nun ein neues, nach Eingriffsintensität abgestuftes und detailliertes Regelungskonzept in das Gesetz aufgenommen.
Auch wurde aufgrund der geäußerten Kritik nicht das ursprünglich noch im Referentenentwurf vorgesehene Gebot der Satzungsstrenge in das neue Stiftungsrecht übernommen. Vielmehr obliegt es dem Stifter gem. § 85 Abs. 4 BGB n.F. in der Satzung selbst das Inhalt und Ausmaß der Änderungsbefugnisse zu erschweren oder zu erleichtern, soweit er die Voraussetzungen hinreichend bestimmt festlegt.
Daneben ist das Verfahren und die Zulässigkeit von Satzungsänderungen detailliert im Gesetz geregelt. Nicht prägende Satzungsbestandteile dürfen geändert werden, sofern dies der Erfüllung des Stiftungszwecks dient, sodass die Stiftung entsprechend des Stifterwillens zeitgemäß fortentwickelt werden kann. Dagegen ist die Anpassung prägender Bestimmungen der Stiftungsverfassung, für die § 85 Abs. 2 S. 2 BGB n.F. einige Beispiele aufzählt, nur dann möglich, wenn sich die Verhältnisse wesentlich verändert haben oder eine solche Änderung zur Anpassung an die veränderten Verhältnisse erforderlich ist. Die strengsten Anforderungen stellt § 85 Abs. 1 S. 1 und S. 2, Abs. 2 BGB n.F. an die Änderung, Beschränkung oder Ergänzung des Stiftungszwecks. Maßgebend für die Abgrenzung im Einzelfall ist dabei immer der Stifterwille i.S. des § 83 BGB n.F. Neu ist hier, dass entgegen des ursprünglichen Referentenentwurfs im Sinne der Modernisierung des Stiftungsrechts statt auf einen in der Errichtungssatzung dokumentierten historischen Stifterwillen hilfsweise auf einen mutmaßlichen Stifterwillen zurückgegriffen werden kann. Dieser Regelung liegt der Gedanke zugrunde, dass Stifter im Regelfall eine Fortentwicklung der Stiftungssatzung wünschen, sofern eine Anpassung aufgrund rechtlicher und gesellschaftlicher Entwicklungen erforderlich ist.
Nicht unerwähnt bleiben sollen in diesem Zusammenhang die neuen sehr viel umfangreicheren Regelungen zur Strukturänderungen, d.h. die Zusammenlegung und Aufnahme der Stiftung durch eine andere (Zulegung) von Stiftungen nach den §§ 86 ff. BGB n.F. oder die Umgestaltung zu einer Verbrauchsstiftung gem. § 86 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 BGB n.F. für notleidende Stiftungen. Ebenso wie bei den Regelung zur Satzungsänderung kann ein Modernisierungsansatz gesehen werden, da Stiftungen gerade nicht auf Dauer fortbestehen müssen, sondern auch die Zusammenlegung und Zulegung zu einer Stärkung der Verbindung von Vermögen und Zweck der Stiftung führen kann.
Für künftige Stifter und die kautelarjuristische Praxis bedeutet wird in Zukunft vor allem ein besonderes Augenmerk auf die Formulierung des Stifterwillens in der Errichtungssatzung gelegt werden müssen. Bereits bestehende Stiftungen sollten die Übergangszeit bis zum Inkrafttreten des neuen Stiftungsrechts nutzen, um gegebenenfalls unter Beachtung des noch geltenden (Landes-)Stiftungsrechts aus dem historischen Stifterwillen ableitbare Ermächtigungen zur Satzungsänderung in die Stiftungssatzung aufzunehmen. Die Gesetzesänderung stellt ausweislich der Gesetzesbegründung eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse dar, sodass nach dem noch geltenden Landesrecht eine Anpassung gegebenenfalls möglich ist. Auch sollte die kommende Rechtsprechung im Blick gehalten werden, da die Anforderungen an die „hinreichende Bestimmtheit“ der Ermächtigung zu Satzungsänderungen erst durch diese näher bestimmt werden wird.
2. Klarstellung zu Umschichtungsgewinnen
Die Einordnung von sog. Umschichtungsgewinnen wurde in den Landesstiftungsgesetzen bisher teils unterschiedlich gehandhabt. Dies ist nun klar dahingehend geregelt, dass das sog. Grundstockvermögen einer Stiftung grundsätzlich ungeschmälert zu erhalten ist und der Stiftungszweck mithilfe der Nutzungen i.S. des § 100 BGB aus dem Grundstockvermögen erreicht werden soll. Umschichtungsgewinne, also Wertzuwächse aus Vermögensanlagen, gem. § 83c Abs. 3 BGB n.F. unterfallen – vorbehaltlich anders lautender Satzungsbestimmungen – ausdrücklich nicht der Verpflichtung zum Kapitalerhalt. Im Ergebnis behalten die bereits bestehenden Stiftungen ihre diesbezügliche aufgrund von Landesgesetzen bestehende Flexibilität oder erhalten sogar neue Spielräume in Ländern, in denen der Einsatz von Umschichtungsgewinnen zuvor nicht möglich war. Im letzteren Fall sollte jedoch die Vereinbarkeit mit dem Stifterwillen sichergestellt werden.
3. Stiftungsorgane
Wenige Neuerungen bringt die eigenständige Kodifizierung des Rechts der Stiftungsorgane, welche bisher an das Vereinsrecht gekoppelt war. Nach § 84 Abs. 4 BGB n.F. können neben dem Vorstand, der die Stiftung nach außen vertritt, ausdrücklich weitere Organe in der Stiftungssatzung vorgesehen werden.
Organmitglieder haben bei der Führung der Geschäfte die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns anzuwenden. Ihre Haftung wird durch die aus dem Aktienrecht stammende sog. „Business Judgement Rule“ beschränkt, ohne dabei Vorgaben zur Anlagestrategie des Grundstockvermögens zu machen. Darüber hinaus kann die Haftung für ehrenamtliche Organmitglieder aufgrund eines Verweises in das Vereinsrecht gem. § 84c Abs. 3 S. 1 BGB n.F. i.V.m. § 31 BGB beschränkt werden. Neu ist eine abschließend geregelte Eingriffsbefugnis für Stiftungsbehörden zu Notmaßnahmen bei Fehlen von Organmitgliedern gem. § 84c BGB n.F. Aufgrund dieser Eingriffsbefugnisse kann bei bereits bestehenden Stiftungssatzungen Anpassungsbedarf zu ergänzenden Regelungen zur Beschlussfassung entstehen, um eine Notbestellung durch die Behörde und einen damit verbundenen Eingriff in die Geschäftsführung zu vermeiden.
4. Stiftungsregister
Eine der wohl größten Neuerungen ist das zum 01.01.2026 den Betrieb aufnehmende öffentliche Stiftungsregister, welches allen Stiftungen mehr Transparenz verleihen soll. Die bisherigen Stiftungsverzeichnisse der Länder haben keine Publizitätswirkung, wie dies beispielsweise bei dem Handelsregister oder dem Vereinsregister der Fall ist. Mangels Publizitätswirkung bedurfte es daher bisher zum Nachweis der Vertretungsmacht eines Stiftungsvorstandes im Geschäftsverkehr einer aktuellen schriftlichen Auskunft der jeweiligen Stiftungsaufsichtsbehörde. Durch die Einführung eines öffentlichen Stiftungsregisters – ähnlich dem Handelsregister – wird der Rechtsverkehr mit Stiftungen für Dritte aufgrund der negativen Publizitätswirkungen in Bezug auf die Vertretungsmacht von Stiftungsvorständen erleichtert. Da auch die Stiftungssatzungen veröffentlicht werden, sollten Stiftungen rechtzeitig prüfen, ob diese vertrauliche Informationen enthalten, welche gemäß dem Stifterwillen nicht im Stiftungsregister offengelegt werden sollen; ggf. sind Stiftungssatzungen, soweit rechtlich zulässig, zu ändern.
III. Bewertung und Ausblick
Wie jeweils bei den einzelnen Änderungen angemerkt, sollte jede Stiftung angesichts der Gesetzesänderung ihre Stiftungssatzung auf Vereinbarkeit mit dem neuen Stiftungsrecht vor dessen Inkrafttreten überprüfen. Das neue Stiftungsrecht sollte zudem schon jetzt bei der Anwendung und Auslegung der Landesstiftungsgesetze berücksichtigt werden.
Die Änderungen im künftig bundesweit einheitlich geregelten Stiftungsrecht sind ausdrücklich zu begrüßen, da sie vielerlei Erleichterungen in der Stiftungspraxis mit sich bringen und einen ersten Schritt zur Modernisierung des Stiftungsrechts darstellen. Es wäre aber wünschenswert, wenn der Gesetzgeber die vorgesehene Evaluation der „Vereinheitlichung des Stiftungsrechts“ zwei Jahre nach Inkrafttreten der Änderungen zum Anlass nimmt, die Modernisierung des Stiftungsrechts weiter voranzutreiben. Themen einer Weiterentwicklung könnten beispielsweise eine engere Abstimmung mit dem Gemeinnützigkeitsrecht oder die Verbesserung von Rechtsschutzmöglichkeiten gegen staatliche Aufsichtsbehörden sein. Vereinzelt lassen sich auch weitreichende Vorschläge zur Modernisierung des Stiftungsrechts hin zu einer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Unternehmensform finden etwa die aktuell diskutierte „GmbH im Verantwortungseigentum“. Als Fazit lässt sich daher festhalten, dass das neue Stiftungsrecht über eine bloße Vereinheitlichung hinausgeht, jedoch noch großes Potential für weitreichendere Reformen bleibt.
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