AKTUELLES ZUR WEGZUGSBESTEUERUNG – SOFORTIGE BESTEUERUNG VON GESCHÄFTSANTEILEN BEI UMZUG IN DIE SCHWEIZ LAUT EUGH UNVERHÄLTNISMÄßIG
Der EuGH hat im Frühjahr 2019 entschieden, dass in bestimmen Konstellationen auch bei einem Wegzug in die Schweiz, d.h. auch im Verhältnis zu einem Drittstaat, eine Stundung der hierdurch ausgelösten Wegzugssteuer (§ 6 AStG) zu gewähren ist. Dies ergibt sich aus dem Freizügigkeitsabkommen, welches zwischen den Mitgliedstaaten der EU und der Schweiz im Jahr 1999 abgeschlossen wurde.
I. Wegzugsbesteuerung
Das Ziel der deutschen Wegzugsbesteuerung (auch Entstrickungsbesteuerung genannt) besteht darin, den Wertzuwachs von Kapitalgesellschaftsbeteiligungen (i.H.v. mindestens 1 %) zu besteuern, wenn der Gesellschafter ins Ausland umzieht. Andernfalls würde Deutschland als Wegzugsstaat bei einer späteren Anteilsveräußerung einen etwaigen Gewinn nicht mehr besteuern können, obgleich der Wertzuwachs zu Zeiten der unbeschränkten Besteuerungsbefugnis Deutschlands entstanden ist. Nach den meisten Doppelbesteuerungsabkommen steht nämlich das Besteuerungsrecht auf die Veräußerung von Kapitalgesellschaftsanteilen dem Ansässigkeitsstaat des Anteilseigners zu, folglich nach erfolgtem Wohnsitzwechsel dem Zuzugsstaat.
Aufgrund dieser Zielsetzung wird nach § 6 Abs. 1 AStG bei der Aufgabe des Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts eine Veräußerung der sich im Privatvermögen befindlichen Kapitalgesellschaftsanteile mit einer Mindestbeteiligung von 1 % (Anteile i.S.d. § 17 EStG) fingiert, so dass es im Zeitpunkt der Beendigung der unbeschränkten Steuerpflicht zur Besteuerung des Wertzuwachses dieser Anteile kommt. Aufgrund der europäischen Grundfreiheiten ist bei einem Wegzug in einen Mitgliedstaat der EU oder des Europäischen Wirtschaftsraums („EWR“) eine unbegrenzte und zugleich zinslose Stundung der Steuer zu gewähren. Mit § 6 Abs. 5 AStG hat Deutschland eine solche Stundungsregelung umgesetzt, deren Anwendungsbereich dem Gesetzeswortlaut zufolge explizit auf EU-/EWR-Fälle beschränkt ist.
Bei einem Wegzug in die Schweiz ist man bislang davon ausgegangen, dass mangels EU-/EWR-Zugehörigkeit eine Stundung europarechtlich nicht geboten ist. Das nachfolgend erläuterte EuGH-Urteil zeigt nun jedoch, dass eine Stundung der Wegzugssteuer in bestimmten Konstellationen auch im Verhältnis zur Schweiz gewährt werden muss.
II. Ausgangsfall und EuGH-Entscheidung
Dem EuGH-Urteil vom 26. Februar 2019 liegt ein Sachverhalt zugrunde, bei welchem ein deutscher Staatsangehöriger seinen Wohnsitz von Deutschland in die Schweiz verlegt hat. Dieser Steuerpflichtige war zum Zeitpunkt des Wegzugs als Gesellschafter-Geschäftsführer zu 50 % an einer in der Schweiz ansässigen Kapitalgesellschaft beteiligt. Demzufolge war der Tatbestand der Wegzugsbesteuerung nach § 6 Absatz 1 Satz 1 AStG dem Grunde nach erfüllt. Im Hinblick auf die festgesetzte (Wegzugs-)Steuer verwehrte das zuständige Finanzamt jedoch die Steuerstundung mit dem Hinweis, dass diese nur bei einem Wegzug in einen EU-/EWR-Mitgliedstaat möglich sei.
Demgegenüber vertrat der Steuerpflichtige die Auffassung, dass sich dies nicht mit der Niederlassungsfreiheit vereinbaren ließe und erhob Klage beim zuständigen Finanzgericht Baden-Württemberg. Dieses setzte das Klageverfahren aus und wandte sich im Rahmen eines sog. Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH. Vereinfacht ausgedrückt wurde dem EuGH die Frage vorlegelegt, ob unter bestimmten Voraussetzungen auch im Verhältnis zur Schweiz eine Steuerstundungsmöglichkeit besteht. Zur Beantwortung dieser Frage hatte der EuGH die potenzielle Beschränkung der Niederlassungsfreiheit im Bezug zur Schweiz anhand des Freizügigkeitsabkommens (nachfolgend „FZA“) zu beurteilen. Das FZA wurde 1999 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaft und der Schweiz vereinbart (ABl. 2002, L 114, S. 6) und soll u.a. die Freizügigkeit im Hoheitsgebiet der EU und der Schweiz in gewissem Umfang gewährleisten.
Bei der Prüfung des Anwendungsbereichs und der Bestimmungen des FZA ist zu beachten, dass ein ausdrückliches steuerliches Gleichbehandlungsgebot lediglich für Arbeitnehmer, Selbständige und für abhängig beschäftigte Grenzgänger sowie selbständige Grenzgänger vorgesehen ist (Anh. I Art. 9 Absatz 2 FZA; Anh. I Artikel 15 Absatz 2 FZA; Anh. I Artikel 7 FZA bzw. Anh. I Art. 13 FZA). Im vorliegenden Fall war daher zunächst die Tätigkeit des Steuerpflichtigen als IT-Berater bei einer in der Schweiz niedergelassenen Gesellschaft, deren Geschäftsführer er ist, entsprechend einzuordnen. Bei der Prüfung, ob die fragliche Erwerbstätigkeit als „abhängige Beschäftigung“ oder „selbständige Erwerbstätigkeit“ anzusehen ist, stellte der EuGH auf das Vorliegen einer Weisungsgebundenheit bzw. eines Über-/Unterordnungsverhältnis ab. Aufgrund der Stellung als Gesellschafter-Geschäftsführer fehlt es im vorliegenden Fall an einem Unterordnungsverhältnis, sodass der Steuerpflichtige nach Auffassung des EuGH als Selbständiger i.S.d. FZA einzustufen ist. Somit ist der Anwendungsbereich des FZA eröffnet und eine mögliche Ungleichbehandlung kann unter Berücksichtigung des FZA geprüft werden.
Im Rahmen dieser Prüfung stellt der EuGH fest, dass die deutschen Wegzugsbesteuerungsregelungen ohne die Möglichkeit der Steuerstundung zu einem Liquiditätsnachteil führen. Dieser wiederum kann einen Steuerpflichtigen davon abhalten, von seinem Niederlassungsrecht (gemäß dem FZA) tatsächlich Gebrauch zu machen. Damit kann nach Auffassung des EuGH die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Wegzugsbesteuerung ohne Stundungsmöglichkeit das vom FZA garantierte Niederlassungsrecht all jener behindern, die im anderen Vertragsstaat (Zuzugsstaat) die Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit begehren. Die vom EuGH konstatierte Ungleichbehandlung wird besonders im direkten Vergleich mit einem reinen Inlandsfall ohne Wegzug deutlich, bei welchem es erst zum Zeitpunkt der tatsächlichen Anteilsveräußerung zu einer Besteuerung kommt.
Liegt eine derartige Beschränkung bzw. Ungleichbehandlung vor, ist sodann zu prüfen, ob diese aufgrund zwingender Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt ist. Insoweit stellt der EuGH im vorliegenden Fall fest, dass die Wegzugsbesteuerung zwar geeignet sein kann, das Ziel der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zu erreichen, sich daraus jedoch nicht ableiten lässt, dass auch die Versagung einer Steuerstundung gerechtfertigt ist. Denn im Falle der Stundung verzichtet Deutschland nicht endgültig auf seine Besteuerungsansprüche.
Auch das Ziel einer wirksamen steuerlichen Kontrolle kann nach Auffassung des EuGH nicht als Argument dafür angebracht werden, dass auf eine Steuerstundungsregelung gänzlich verzichtet werden kann. An diesem Punkt verweist der EuGH auf das Doppelbesteuerungsabkommen zwischen Deutschland und der Schweiz, welches den Austausch von Steuerinformationen gewährleistet. Bei der Prüfung eines weiteren Rechtfertigungsgrunds stellt der EuGH zwar fest, dass die alsbaldige Einziehung der Wegzugssteuer im Zeitpunkt der Verlegung des Wohnsitzes grundsätzlich durch die Notwendigkeit gerechtfertigt werden kann, die wirksame Einziehung von Steuerschulden zu gewährleisten. Allerdings geht diese Maßnahme nach Auffassung des EuGH über das hinaus, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.
Damit bleibt es bei der Feststellung, dass das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Wegzugsbesteuerungssystem in Fällen ohne Stundungsmöglichkeit eine ungerechtfertigte Beschränkung des vom FZA vorgesehenen Niederlassungsrechts darstellt. Im Ergebnis ist die Sofortbesteuerung der stillen Reserven von Kapitalgesellschaftsanteilen i.S.d. § 17 EStG im vorliegenden Fall als unverhältnismäßig einzustufen. Daran ändert nach Auffassung des EuGH auch die in § 6 Abs. 4 AStG enthaltene Möglichkeit der Ratenzahlung nichts, da hierdurch der Liquiditätsnachteil nicht beseitigt wird.
III. Auswirkungen für die Praxis
Die deutsche Wegzugsbesteuerung kann ohne Stundungsmöglichkeit zu einem erheblichen Liquiditätsnachteil führen. Daher ist es aus Sicht des Steuerpflichtigen grundsätzlich zu begrüßen, wenn aufgrund eines ergangenen EuGH-Urteils der Anwendungsbereich einer bestehenden Stundungsregelung, vorliegend im Verhältnis zur Schweiz, auszudehnen ist. Allerdings gilt dies nicht allgemeingültig für sämtliche Wegzugsfälle in die Schweiz. Voraussetzung ist, dass sich der Steuerpflichtige aufgrund seiner (un-)selbständigen Erwerbstätigkeit auf das steuerliche Gleichbehandlungsgebot des FZA berufen kann. In allen anderen Fällen kommt es nach der aktuell geltenden Rechtslage weiterhin zu einer sofortigen Besteuerung nach § 6 AStG, so dass andere Gestaltungen zu prüfen sind, um die Wegzugsbesteuerung zu vermeiden.
Darüber hinaus ist zu beachten, dass aufgrund der fehlenden Beitreibungshilfe zwischen den beteiligten Staaten die Steuerstundung von der Gestellung ausreichender Sicherheiten abhängig gemacht werden kann. Daher kann die deutsche Finanzverwaltung im Verhältnis zur Schweiz die Beibringung einer Sicherheitsleistung (z.B. Bankbürgschaft) für den gesamten Zeitraum der Stundung anordnen. Schlussendlich bleibt abzuwarten, wie der Gesetzgeber auf das ergangene EuGH-Urteil reagieren wird. Mit dem honert+partner Newsletter halten wir Sie stets auf dem Laufenden.
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