AUFSICHTSRATSVERGÜTUNGEN – UMSATZSTEUER ODER DOCH NICHT?
Aufsichtsratsmitglieder erzielen mit ihrer Tätigkeit ertragsteuerlich Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Bisher folgte die Umsatzsteuer dieser Beurteilung und stufte Aufsichtsratsmitglieder als Unternehmer ein, so dass die Vergütungen generell der Umsatzsteuer unterlagen. Aufgrund neuester Rechtsprechung ist diese Ansicht jedoch teilweise überholt. Zukünftig muss im Einzelfall geprüft werden, ob Aufsichtsratsvergütungen umsatzsteuerpflichtig sind oder nicht.
I. Bisherige Beurteilung
Aufsichtsratsmitglieder erzielen nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 EStG Einkünfte aus selbständiger Arbeit. Die Frage, ob sie umsatzsteuerlich als Unternehmer einzustufen sind, ist nicht neu. Bisher gingen die Rechtsprechung und die Finanzverwaltung von einer selbständigen und damit unternehmerischen Tätigkeit i.S.d. § 2 Abs. 1 UStG aus und Aufsichtsratsvergütungen wurden sodann als steuerbare und steuerpflichtige sonstige Leistungen beurteilt. Kam die sog. Kleinunternehmerregelung des § 19 UStG nicht zur Anwendung oder wurde – trotz Kleinunternehmerqualifikation – vom jeweiligen Mitglied des Aufsichtsrats freiwillig zur Umsatzsteuer optiert, waren daher Rechnungen mit gesondertem Umsatzsteuerausweis an die Aktiengesellschaft zu erteilen und Umsatzsteuererklärungen beim Finanzamt abzugeben. Fielen im Zusammenhang mit der Aufsichtsratstätigkeit Aufwendungen an, die mit Umsatzsteuer belastet waren, konnte bei Vorlage ordnungsgemäßer Eingangsrechnungen durch das Aufsichtsratsmitglied ein Vorsteuerabzug beansprucht werden.
Die in Rechnung gestellte Umsatzsteuer war auf Ebene der Gesellschaft dem Grunde nach abzugsfähig, da die Leistung von einem anderen Unternehmer für das Unternehmen der Gesellschaft erbracht wurde. War die Gesellschaft ihrerseits aufgrund steuerpflichtiger Ausgangsumsätze zum vollen Vorsteuerabzug berechtigt, konnte sie sich daher die entsprechenden Beträge im Rahmen ihrer Umsatzsteuervoranmeldungen vom Finanzamt erstatten lassen.
II. Rechtsprechungsänderung
Die vorgenannten Grundsätze galten in der Form bereits seit dem Jahr 1972. Sie wurden jüngst durch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs modifiziert. Ausgangspunkt dieser Rechtsprechungsänderung war ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 13. Juni 2019 in der Rechtssache IO (C-420/18). Das Gericht hatte dabei den Fall eines Mitglieds des Aufsichtsrats einer niederländischen Stiftung zu beurteilen. Es lehnte dessen Unternehmereigenschaft ab und begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass das Aufsichtsratsmitglied weder im eigenen Namen noch auf eigene Rechnung, sondern lediglich für den Aufsichtsrat selbst als dessen Organ tätig werde. Ferner trage das einzelne Mitglied für die Entscheidungen des Aufsichtsrates keine Verantwortung und sei auch keinen wirtschaftlichen Risiken ausgesetzt, da es im Entscheidungsfall eine feste, tätigkeitsunabhängige Vergütung vereinnahmt habe. Selbst fahrlässige Sorgfaltspflichtverletzungen hätten sich auf die Vergütungshöhe nicht ausgewirkt, was einer selbständigen Ausübung der Tätigkeit entgegenstünde. Hieran angelehnt entschied sich der Bundesfinanzhof abweichend von seiner bisherigen Beurteilung im November 2019 in zwei Entscheidungen (V R 23/19 und V R 62/17) ebenfalls gegen die Unternehmereigenschaft von Aufsichtsratsmitgliedern und argumentierte ähnlich wie der Europäische Gerichtshof.
Die Entscheidungen wurden zunächst nicht im Bundessteuerblatt veröffentlicht, da sie der langjährigen umsatzsteuerlichen Praxis sowie den Verwaltungsanweisungen widersprachen. Mit Schreiben vom 8. Juli 2021 hat das Bundesministerium der Finanzen nunmehr jedoch eine Änderung des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses vorgenommen und die Änderung der Rechtsprechung zur Unternehmereigenschaft von Aufsichtsratsmitgliedern akzeptiert. Parallel hierzu erfolgte eine Veröffentlichung der o.g. Urteile des Bundesfinanzhofs im Bundessteuerblatt. Welche Folgen dies künftig für die Mitglieder des Aufsichtsrats hat, wird nachfolgend dargestellt.
III. Zukünftige Beurteilung
Zunächst ist festzuhalten, dass Aufsichtsratsmitglieder dem Grunde nach weiterhin selbständig und damit unternehmerisch tätig sein können. Allerdings wird eine selbständige Tätigkeit dann nicht mehr angenommen, wenn das Mitglied des Aufsichtsrats lediglich eine feste Vergütung erhält und damit kein Vergütungsrisiko trägt (A 2.2 Abs. 3a Satz 1 UStAE). In diesem Fall sind die Vergütungen ohne Umsatzsteuerausweis zu berechnen und das Aufsichtsratsmitglied hat keine weiteren umsatzsteuerlichen Pflichten mehr zu erfüllen. Insbesondere entfällt eine Abführung der auf die Vergütung entfallenden Umsatzsteuer an das Finanzamt sowie die Pflicht zur Erklärung dieser Umsätze in einer Umsatzsteuererklärung. Andererseits ist das Mitglied mangels Unternehmereigenschaft nicht mehr zum Vorsteuerabzug in Bezug auf die für bezogene Lieferungen und Leistungen gezahlte Umsatzsteuer berechtigt.
Unter Festvergütung versteht die Finanzverwaltung eine pauschale Aufwandsvergütung, die für die Dauer der Mitgliedschaft im Aufsichtsrat gezahlt wird (A 2.2 Abs. 3a Satz 3 UStAE). Dabei ist unerheblich, ob diese in Geld besteht oder durch Sachwerte abgegolten wird (A 2.2 Abs. 3a Satz 2 UStAE). Hingegen sind Sitzungsgelder, die nur bei einer Teilnahme an einer Aufsichtsratssitzung bezahlt werden, sowie nach dem tatsächlichen Aufwand bemessene Aufwandsentschädigungen keine Festvergütungen in vorstehendem Sinne (A 2.2 Abs. 3a Satz 4 UStAE). Erhält das Aufsichtsratsmitglied nur solche variablen Beträge, bleibt es bei der bisherigen umsatzsteuerlichen Würdigung. D.h., das Aufsichtsratsmitglied ist nach wie vor Unternehmer und hat, sofern es nicht unter die Kleinunternehmerregelung fällt oder zur Regelversteuerung optiert hat, seine Vergütung weiterhin mit Umsatzsteuer zu fakturieren.
Werden sowohl feste als auch variable Vergütungsbestandteile gezahlt, ist von einer Unternehmereigenschaft des Aufsichtsratsmitglieds auszugehen, wenn der variable Vergütungsanteil im Kalenderjahr mindestens 10 % der Gesamtvergütung beträgt (A 2.2 Abs. 3a Satz 5 UStAE). Für die Ermittlung der 10 %-Grenze sind Reisekostenerstattungen außer Betracht zu lassen (A 2.2 Abs. 3a Satz 6 UStAE). Trägt das Mitglied des Aufsichtsrats kein Vergütungsrisiko, ist es nicht deshalb selbständig tätig, weil es unter den Voraussetzungen des § 116 AktG für pflichtwidriges Verhalten haftet (A 2.2 Abs. 3a Satz 10 UStAE).
Die vorgenannten Grundsätze sind in allen noch offenen Fällen anzuwenden. Allerdings wird es seitens der Finanzverwaltung nicht beanstandet, wenn Aufsichtsratsvergütungen noch bis zum 31. Dezember 2021 generell als umsatzsteuerpflichtig behandelt werden.
IV. Auswirkungen für die Praxis
Wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, müssen Aufsichtsratsmitglieder infolge der geänderten Rechtsprechung und Verwaltungsansicht nunmehr prüfen, ob sie aufgrund der Art der vereinbarten Vergütung (fest bzw. variabel) unternehmerisch tätig sind oder nicht. Dies gilt auch, wenn seitens der Gesellschaft im Gutschriftverfahren (§ 14 Abs. 2 Satz 2 UStG) abgerechnet wird, da das Aufsichtsratsmitglied als Empfänger der Gutschrift bei einem Fehler in der umsatzsteuerlichen Beurteilung dem ihm übermittelten Dokument widersprechen kann (§ 14 Abs. 2 Satz 3 UStG). Jedes Aufsichtsratsmitglied ist individuell zu betrachten und die Umsatzsteuerfolgen können theoretisch von Jahr zu Jahr voneinander abweichen.
Bei Unternehmen, die umsatzsteuerpflichtige Leistungen erbringen und daher vorsteuerabzugsberechtigt sind empfiehlt es sich i.d.R., die Aufsichtsratsvergütung so zu gestalten, dass sie der Umsatzsteuer unterfallen, da dann das Aufsichtsratsmitglied für seine eigenen Kosten den Vorsteuerabzug geltend machen kann. Bei nicht-vorsteuerabzugsberechtigten Unternehmen (z.B. Wohnungsvermietungsunternehmen, Banken, Versicherungen) empfiehlt es sich i.d.R., Aufsichtsratsvergütungen so zu gestalten, das keine Umsatzsteuer anfällt, also Fixvergütungen.
Für Vergütungen, die Zeiträume bis zum 31. Dezember 2021 betreffen, besteht ein Wahlrecht. Veranlagungen, die noch nicht bestandskräftig sind, können dem Grunde nach zugunsten einer umsatzsteuerlichen Nichterfassung von Aufsichtsratsvergütungen geändert werden. Allerdings ist zu beachten, dass eine solche Anwendung der jüngsten Rechtsprechung in Altjahren mit einer Rechnungskorrektur verbunden sein dürfte, da die Umsatzsteuerbeträge andernfalls durch das Mitglied des Aufsichtsrats nach § 14c UStG geschuldet werden. Ob sich ein solches Verfahren aufgrund der anfallenden Kosten lohnt, muss im Einzelfall geprüft werden, da eine Korrektur der Umsatzsteuer nach unserem Verständnis nur mit Zustimmung des Finanzamts möglich ist (§ 14c Abs. 2 Sätze 3 ff. UStG). Sie dürfte wohl nur dann sinnvoll sein, wenn die Gesellschaft nicht oder in wesentlichen Teilen nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt ist.
Weiterhin muss beachtet werden, dass die Änderung der umsatzsteuerlichen Beurteilung von Aufsichtsratsmitgliedern bei diesen eine Berichtigung nach § 15a UStG auslösen kann. Nach dieser Vorschrift sind in der Vergangenheit geltend gemachte Vorsteuerbeträge unter bestimmten Umständen ganz oder teilweise an das Finanzamt zurückzuzahlen, wenn sich die für die Beurteilung des Vorsteuerabzugs maßgebliche Umstände in späteren Jahren ändern. Hierzu gehört auch, wenn eine unternehmerische Tätigkeit gleich aus welchen Gründen aufgegeben wird, was bei Verlust des Unternehmerstatutes des Aufsichtsratsmitglieds der Fall ist.
V. Fazit
Die bisherige einfache Handhabung, dass Aufsichtsratsmitglieder nicht nur ertragsteuerlich Einkünfte aus selbständiger Arbeit erzielen, sondern auch umsatzsteuerlich selbständig und damit Unternehmer sind, wurde durch die jüngste Rechtsprechung der Finanzgerichte überholt. Dies ist einerseits zu bedauern, weil es nunmehr wohl in vielen Fällen zu einem Auseinanderfallen des Ertrags- und Umsatzsteuerrechts kommen wird. Aufsichtsratsmitglieder sind gehalten, ihren umsatzsteuerlichen Status bis spätestens Ende des Jahres 2021 zu überprüfen bzw. überprüfen zu lassen. Hierbei sollte vor allem auch der Übergangsregelung sowie der Berichtigungsvorschrift des § 15a UStG Aufmerksamkeit gewidmet werden. Anderseits kann die Neueinstufung der Unternehmereigenschaft von Aufsichtsratsmitgliedern zu einer Kostenentlastung auf Ebene der Gesellschaft führen. Ist diese nämlich aufgrund der Erbringung von steuerfreien Ausgangsumsätzen nicht oder nicht vollständig zum Vorsteuerabzug berechtigt, entfällt künftig eine zusätzliche Aufwandskomponente, wenn die Mitglieder des Aufsichtsrats als Nichtunternehmer einzustufen sind.
Für Sie da
Ansprechpartner zu diesem Thema
Dr. Jürgen Honert
honert münchen
Partner, Rechtsanwalt, Steuerberater, Fachanwalt für Steuerrecht
Transaktionen (M&A), Kapitalmarktrecht, Steuerrecht, Gesellschaftsrecht
Telefon | +49 (89) 388 381 0 |
[email protected] |
Susanne Labus
honert münchen
Counsel, Steuerberater
Nachfolge, Steuerrecht, Internationales Steuerrecht
Telefon | +49 (89) 388 381 0 |
[email protected] |
Dr. Hanspeter Maute
honert münchen
Partner, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Dipl.-Kfm.
Nachfolge, Steuerrecht, Internationales Steuerrecht
Telefon | +49 (89) 388 381 0 |
[email protected] |
Dr. Jochen Neumayer
honert münchen
Partner, Rechtsanwalt, Steuerberater, Fachanwalt für Steuerrecht
Gesellschaftsrecht, Transaktionen (M&A), Nachfolge, Steuerrecht, Internationales Steuerrecht
Telefon | +49 (89) 388 381 0 |
[email protected] |