DAS BUNDESVERFASSUNGSGERICHT HAT ENTSCHIEDEN: DIE EINSCHRÄNKUNG DER „ZUVOR-BESCHÄFTIGUNG“ DURCH DAS BUNDESARBEITSGERICHT IST NICHT MIT DEM GRUNDGESETZ VEREINBAR
Die jahrelange Kritik der Landesarbeitsgerichte und der Literatur an der Rechtsprechung des 7. Senats des Bundesarbeitsgerichts (BAG) zeigt ihre Wirkung: Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) kippte am 6. Juni 2018 die bisherige Rechtsprechung des BAG zum Vorbeschäftigungsverbot bei sachgrundlosen Befristungen und hinterlässt Rechtsunsicherheit. Die vom BAG entwickelte und angewendete Dreijahresgrenze widerspricht dem Grundgesetz, so das BVerfG.
I. Hintergrund
Arbeitsverträge werden häufig befristet. Im Jahr 2015 hatten etwa acht Prozent der Arbeitnehmer ab einem Alter von 25 Jahren einen befristeten, also zeitlich begrenzten Arbeitsvertrag, so das statistische Bundesamt. Dem Arbeitgeber räumt eine Befristung Flexibilität ein. Ohne die Möglichkeit einer Befristung wäre die Einstellung von Arbeitnehmern häufig zu riskant und damit nicht realisierbar. Für den Arbeitnehmer ist eine Befristung hingegen häufig mit Unsicherheiten verbunden. Arbeitnehmer und Arbeitgeber sind gleichermaßen an einer zufriedenstellenden Lösung interessiert. Wie eine solche – beidseitig zufriedenstellende und interessenorientierte – Lösung für die einzelnen Bedingungen einer Befristung aussehen kann und soll wird daher seit jeher kontrovers diskutiert und uneinheitlich beurteilt.
II. Befristung mit und ohne Sachgrund
Bei der Befristung von Arbeitsverträgen ist streng zwischen Befristungen mit einem Sachgrund und denjenigen ohne einen solchen zu unterscheiden. Der Gesetzgeber hat in § 14 Abs. 1 S. 1 Teilzeitbefristungsgesetz (TzBfG) einige mögliche Gründe für eine Befristung aufgelistet: Es kann die Eigenart der Arbeitsleistung oder der nur vorübergehende betriebliche Bedarf eine Befristung rechtfertigen.
Befristet der Arbeitgeber das Beschäftigungsverhältnis ohne einen sachlichen Grund, ist der Arbeitnehmer in besonderem Maße schutzbedürftig. Dies hat zur Folge, dass eine sachgrundlose Befristung nur unter strengen Voraussetzungen rechtlich zulässig ist. Das TzBfG normiert in § 14 Abs. 2 S. 2 das sogenannte „Vorbeschäftigungsverbot“. Danach ist bei jedem Arbeitgeber nur eine sachgrundlose Befristung von maximal zwei Jahren erlaubt, wobei bis zum Erreichen der zwei Jahre bis zu vier Befristungszeiträume möglich sind, vorausgesetzt diese schließen nahtlos aneinander an. Jede nachfolgende Befristung ohne Sachgrund ist unzulässig. Erfolgt dennoch eine Befristung ohne Sachgrund, führt diese nicht zur Unwirksamkeit des Arbeitsvertrages. Lediglich die Befristung ist unwirksam mit der Folge, dass der Arbeitsvertrag nun unbefristet gilt.
III. Die bisherige Rechtsprechung des BAG
Das BAG hat im Jahre 2011 (Urt. v. 6.4.2011, Az. 7 AZR 716/097) über den Gesetzeswortlaut des § 14 TzBfG hinausgehend eine weitere Befristung für zulässig erklärt, wenn die Vorbeschäftigung bereits länger als drei Jahre zurücklag. Ein so lange zurückliegendes Arbeitsverhältnis verletze nicht mehr den Zweck der Norm. Kommt ein Arbeitnehmer nach drei oder mehr Jahren zu seinem früheren Arbeitgeber zurück, sorgt eine Befristung nicht vergleichbar für Unsicherheit, wie es eine Befristung etwa bei einer nur wenige Monate zurückliegenden Vorbeschäftigung würde. Von dieser Meinung hat sich das BAG in den nachfolgenden Jahren nicht abbringen lassen, wenngleich zahlreiche Landesarbeitsgerichte und auch Teile der Fachliteratur diese Rechtsprechung heftig kritisierten.
IV. Die Entscheidung des BVerfG
Das BVerfG hat am 6. Juni 2018 in zwei Fällen über die sachgrundlose Befristung entschieden (Beschluss v. 6.6.2018, Az.1 BvL 7/14 und Az. 1 BvR 1375/14).
1. Sachverhalte
Der ersten Entscheidung des BVerfG lag folgender Sachverhalt zugrunde: Ein Arbeitnehmer hielt seine sachgrundlose Befristung für unwirksam und klagte vor dem Arbeitsgericht Braunschweig auf Entfristung seines Arbeitsvertrages. Das Arbeitsgericht Braunschweig vertrat eine andere Auffassung als das BAG, setzte das Verfahren aus und legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vor, ob § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG mit dem Grundgesetz vereinbar sei.
Das andere Verfahren betraf eine Verfassungsbeschwerde. Ein Arbeitnehmer hatte bereits auf Entfristung seines Arbeitsvertrages geklagt. Die Fachgerichte hatten sich dem BAG angeschlossen und die erneute Befristung nach Ablauf von drei Jahren für zulässig erklärt. Der Arbeitnehmer richtete sich mit einer Verfassungsbeschwerde gegen diese Entscheidung und ließ sie durch das BVerfG überprüfen.
Die rechtlichen Fragestellungen der beiden Verfahren sind nahezu identisch.
2. Die Entscheidung des BVerfG
Das BVerfG hat entschieden, dass die Regelung des § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG mit den Grundrechten vereinbar sei. Die Vorschrift verletze nicht die Berufsfreiheit der Arbeitnehmer; auch die berufliche und wirtschaftliche Betätigungsfreiheit der Arbeitgeber sei nicht verletzt, da dem Arbeitgeber genügend Alternativen blieben. Das Verbot der Vorbeschäftigung entspreche dem Arbeitnehmerschutz sowie den sozial- und beschäftigungspolitischen Zielen.
Hingegen widerspreche die vom BAG in die Vorschrift hineingelesene zeitliche Begrenzung des Vorbeschäftigungsverbots auf drei Jahre grundsätzlich dem deutlich erkennbaren Willen des Gesetzgebers. Die erkennbare gesetzgeberische Grundentscheidung sei für die Arbeitsgerichte und auch das BAG maßgeblich.
Allerdings hält das BVerfG auch weiterhin Ausnahmen vom Vorbeschäftigungsverbot unter bestimmten Voraussetzungen für möglich und zulässig. Droht keine Kettenbefristung und ist das Verbot der sachgrundlosen Befristung nicht erforderlich, um das unbefristete Arbeitsverhältnis als Regelbeschäftigungsform zu erhalten, ist eine sachgrundlose Befristung weiterhin trotz Vorbeschäftigung möglich. Beispielhaft nennt das BVerfG Fälle, in denen die Vorbeschäftigung sehr lange zurückliegt oder ganz anders ausgestaltet war. Wann eine Vorbeschäftigung sehr lange zurückliegt, bestimmt das BVerfG nicht. Dass es länger als drei Jahre zurückliegen muss, ist selbsterklärend. Aber sind bereits vier Jahre eine sehr lange Zeit? Die genauen Voraussetzungen bleiben ungewiss.
V. Ausblick und Fazit
Auch wenn die Entscheidung des BVerfG auf den ersten Blick eindeutig und verständlich anmutet, sind auf den zweiten Blick doch erhebliche Rechtsunsicherheiten erkennbar. Die pragmatische Dreijahresregel des BAG war für Arbeitgeber sehr viel leichter handhabbar als es die jetzigen Vorgaben des BVerfG für die Ausnahmefälle sein werden. Zudem müssen die geplanten, aber noch nicht umgesetzten Änderungen des TzBfG durch die Große Koalition (insbesondere die Reduzierung der sachgrundlosen Befristung auf 18 Monate sowie die Begrenzung sachgrundloser Befristung auf 2,5% der Arbeitsverhältnisse in Betrieben mit mehr als 75 Arbeitnehmern) im Auge behalten werden. Im Hinblick auf das striktere Vorbeschäftigungsverbot müssen bei einer geplanten befristeten Einstellung auch länger zurückliegende Daten zu einer potentiellen Vorbeschäftigung sorgfältig abgefragt und vorgehalten werden.
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