DIE NOVELLE(N) DES AUßENWIRTSCHAFTSRECHTS
Der Gesetzgeber hat den Anwendungsbereich der Investitionskontrolle im Jahr 2020 erheblich ausgeweitet und verschärft. Statt einer tatsächlichen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung reicht nun deren voraussichtliche Beeinträchtigung für eine Untersagung aus. Zudem wurde im sektorübergreifenden Bereich ein Vollzugsverbot für die kritischen Technologien und Branchen aus dem Katalog des § 55 Abs. 1 S. 2 AWV eingeführt, der um dem Gesundheitssektor erweitert wurde.
I. Anlass und Zweck der Novelle(n)
Die Investitionskontrolle wird erheblich verschärft. Dies erfolgt sowohl auf der Ebene des Außenwirtschaftsgesetzes (AWG) als auch der Außenwirtschaftsverordnung (AWV). Eine Novelle des Außenwirtschaftsrechts war wegen der erforderlichen Anpassung an die 2019 in Kraft getretene EU-Screening-Verordnung, die ab dem 11.10.2020 gilt, schon länger geplant.
Covid-19-Pandemie – 15. AWV-Novelle (bereits umgesetzt) – Gesundheitssektor
Die Bundesregierung sah im Anblick der COVID-19-Pandemie allerdings schnelle(re)n Handlungsbedarf zur Verhinderung ausländischer Übernahmen im Gesundheitssektor. Einer der Auslöser war sicherlich das amerikanische Interesse an einer Übernahme von CureVac, einem der Vorreiter bei der Entwicklung eines Impfstoffs gegen das SARS-CoV-2-Virus, an dem nun der Bund als neuer Großinvestor für 300 Mio. € eine Beteiligung von 23% erworben hat. In einem ersten Schritt hat das Bundeskabinett daher (außerplanmäßig) bereits die 15. Änderungsverordnung zur AWV beschlossen, die am 03.06.2020 in Kraft trat und die Investitionskontrolle nun auch auf den Gesundheitssektor erstreckt.
Sommer 2020 – 16. AWV-Novelle (ausstehend) – Schutz von weiterer „Hochtechnologie“
Das BMWi hat einen zweiten (bereits länger geplanten) Teil der AWV-Novelle (die 16. Änderungsverordnung) bereits für den Sommer 2020 angekündigt. Es ist zu erwarten, dass darin – wie ursprünglich geplant – die Investitionskontrolle auf die Branchen Künstliche Intelligenz, Robotik, Halbleiter, Bio- und Quantentechnologie ausgeweitet werden wird.
AWG-Novelle 2020
Die Novelle des AWG, mit der auch Fristen der AWV neu geregelt werden, hat das Gesetzgebungsverfahren bereits durchlaufen: der Entwurf des Gesetzes vom 21.04.2020 wurde am 18.06.2020 im Bundestag in 2. und 3. Lesung mit den vom Ausschuss für Wirtschaft und Energie vorgeschlagenen Änderungen abschließend beraten sowie beschlossen und liegt nun dem Bundesrat vor. Der Bundesrat hatte mit Stellungnahme vom 20.05.2020 bezüglich der ursprünglichen Fassung erklärt, keine Einwendungen zu erheben.
II. Welche Unternehmenserwerbe sind von den Novellen vor allem betroffen?
Sektorübergreifende Prüfung
Die Novellen betreffen vor allem den zivilen sog. sektorübergreifenden Bereich:
Grundsatz – 25%-Schwelle, wenn Unternehmen nicht in Katalog kritischer Technologien und Branchen fällt
Grundsätzlich kann eine Investitionsprüfung nach dem Außenwirtschaftsrecht bei dem Erwerb jedes Unternehmens in Deutschland durch einen unionsfremden Erwerber (und sogar durch unionsansässige Erwerber im Falle von Umgehungen) stattfinden, wenn dieser nach dem Erwerb mindestens unmittelbar oder mittelbar 25 % der Stimmrechte oder Assets (dazu s. unten) hält und der Erwerb die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union voraussichtlich beeinträchtigt (dazu unter III.).
10 %-Schwelle für bestimmte Fallgruppen, Meldepflicht
Jedoch sind in § 55 Abs. 1 S. 2 AWV bestimmte kritische Technologien und Branchen festgelegt, bei denen (i) ein unmittelbarer oder mittelbarer (Teil-)Erwerb eines darin tätigen deutschen Unternehmens an das BMWi zu melden ist und (ii) nach § 56 Abs. 1 Nr. 1 AWV schon ein unmittelbarer oder mittelbarer Erwerb von 10 % der Stimmrechte (oder Assets (s. unten)) an/von solch einem Unternehmen die Investitionskontrolle auslöst.
Erweiterung der kritischen Technologien und Branchen um den Gesundheitssektor
Der Katalog des § 55 Abs. 1 S. 2 AWV wurde seit Anfang Juni 2020 um Unternehmen aus dem Gesundheitssektor weitläufig erweitert, sodass nun auch unmittelbarer oder mittelbare Erwerbe von 10% der Stimmrechte (oder Assets – dazu s. unten) an Unternehmen darunter fallen, die persönliche Schutzausrüstung entwickeln oder herstellen, wesentliche Arzneimittel, wie zum Beispiel Impfstoffe, einschließlich deren Ausgangs- und Wirkstoffe, entwickeln, herstellen oder in Verkehr bringen, Inhaber einer entsprechenden arzneimittelrechtlichen Zulassung sind oder Medizinprodukte, wie zum Beispiel chirurgische Masken und Beatmungsgeräte, oder in-vitro-Diagnostika, wie zum Beispiel diagnostische Tests zum Nachweis eines Infektionserregers, im Zusammenhang mit lebensbedrohlichen und hochansteckenden Infektionskrankheiten entwickeln oder herstellen.
Geltung auch für Start-Ups
Eine Ausnahme für Start-Ups oder kleinere Unternehmen besteht nicht. Die zahlreichen deutschen Start-Ups, die in den Bereichen der kritischen Technologien und Branchen des Katalogs des § 55 Abs. 1 S. 2 AWV tätig sind, zu dem nun auch der Gesundheitssektor und u.a. der Bereich Forschung im Zusammenhang mit Covid-19 gehört, müssen daher bei der Suche nach Investoren das Außenwirtschaftsrecht ebenfalls im Blick haben.
Klarstellung zu Asset Deals – aber Unklarheiten bleiben
Die Novelle stellt nun klar, dass auch Asset Deals der Investitionskontrolle unterfallen, sofern und soweit (i) ein abgrenzbarer Betriebsteil oder (ii) alle wesentlichen Betriebsmittel eines Unternehmens oder eines abgrenzbaren Betriebsteils (§ 55 Abs. 1 und 1a AWV n.F.) erworben werden. Dazu, wann ein abgrenzbarer Betriebsteil im Sinne der AWV vorliegt und ob die mit dem Betriebsteil erworbenen Vermögenswerte zudem eine bestimmte Schwelle überschreiten müssen (wie z.B. 10 % beziehungsweise 25 % der Vermögenswerte des Unternehmens), damit die Investitionskontrolle anwendbar ist, äußern sich die Begründung(en) der Novellen nicht.
III. Erweiterung des bisherigen Prüfungsmaßstabs
Sowohl für Erwerbe von Unternehmen aus dem Katalog des § 55 Abs. 1 AWV, für die die 10 %-Schwelle gilt, als auch für sonstige Unternehmen, für die die 25 %-Schwelle gilt, wurde der Prüfungsmaßstab verschärft.
Im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage, nach der eine tatsächliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit „nur“ der Bundesrepublik Deutschland erforderlich war, soll nach der AWG-Novelle zukünftig bereits eine voraussichtliche Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder (das ist neu) eines anderen Mitgliedstaates der EU genügen (§ 5 Abs. 2 AWG n.F.). Durch diese Verschärfung des Prüfungsmaßstabs, die Art. 4 Abs. 1 der EU-Screening-VO entspricht, kommt es zu einer erheblichen Ausweitung des Anwendungsbereichs der Investitionskontrolle. Zudem sind nun auch Auswirkungen auf andere Mitgliedsstaaten der EU zu berücksichtigen, so dass der Abstimmungsbedarf innerhalb der EU im Rahmen der Investitionsprüfung steigt.
Bei der Prüfung, ob eine voraussichtliche Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit vorliegt, werden nun auch investorenbezogene Faktoren berücksichtigt, insbesondere ob der Erwerber von der Regierung eines Drittstaates kontrolliert oder finanziert wird, ob er bereits an Aktivitäten beteiligt war, die nachteilige Auswirkungen auf die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines anderen EU-Mitgliedstaates hatten, oder ob das erhebliche Risiko besteht, dass er sich nach § 123 Abs. 1 GWB, nach dem AWG oder nach dem Gesetz über die Kontrolle von Kriegswaffen strafbar gemacht hat (§ 55 Abs. 1b AWV n.F.).
IV. Einführung eines Vollzugsverbots auch für bestimmte Erwerbe im sektorübergreifenden Bereich
Vollzugsverbot nunmehr auch im sektorübergreifenden Bereich
Nach der AWG-Novelle ist nunmehr auch der Vollzug sämtlicher Rechtsgeschäfte zum (Teil-)Erwerb (im Sinne der AWV) eines Unternehmens aus den Fallgruppen des § 55 Abs. 1 S. 2 AWV bis zum Abschluss des Prüfverfahrens schwebend unwirksam (§ 15 Abs. 3 AWG n.F.). Zur Klarstellung: dies gilt nicht für sonstige Unternehmen, die nicht unter eine der in § 55 Abs. 1 S. 2 AWV genannten Fallgruppen fallen und für die nach § 56 Abs. 1 Nr. 2 AWV die 25 %-Schwelle gilt.
Dauer des Vollzugsverbots
Die Dauer des Vollzugsverbots richtet sich danach, ob und wann eine Prüfung angeordnet wird und ein Erwerb genehmigt wird oder als genehmigt gilt. § 14a AWG regelt nun für die sektorspezifische und sektorübergreifende Prüfung die Verfahrensfristen für die verschiedenen Stufen des Prüfverfahrens einheitlich und ersetzt die Fristenregelungen in §§ 55 ff. AWV. Das BMWi muss nun binnen einer (verkürzten) Höchstfrist von zwei (2) Monaten nach Erlangen der Kenntnis vom Vertragsschluss mitteilen, ob es eine Prüfung durchführen wird (§ 55 Abs. 3 AWV n.F., § 14a Abs. 1 Nr. 1 AWG n.F.), die grundsätzlich binnen vier (4) Monaten nach Eingang der vollständigen Unterlagen abgeschlossen sein muss; allerdings können die Fristen (teils einseitig durch das BMWi, teils nur im Einvernehmen mit den Betroffenen) nach näherer Maßgabe des § 14a AWG neu verlängert werden. Eine Unbedenklichkeitsbescheinigung kann weiterhin beantragt werden, beschleunigt das Verfahren jedoch aufgrund der verkürzten Vorprüfungsfrist gegebenenfalls nicht mehr (§ 58 Abs. 2 AWV n.F., § 14a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 AWG n.F.).
Umfang des Vollzugsverbots
Das Vollzugsverbot will vor einer Freigabe des Vollzugs neben der Einflussnahme des Erwerbers insbesondere auch den Zugriff des Erwerbers auf sicherheitsrelevante Technologien oder sicherheitsrelevante Informationen bzw. deren Abfluss an den Erwerber verhindern. Dies betrifft nach § 15 Abs. 4 Nr. 3 AWG n.F. sämtliche unternehmensbezogene Informationen, die sich auf Unternehmensbereiche oder -gegenstände beziehen, die dem Katalog des § 55 Abs. 1 S. 2 AWV zuzuordnen sind und für die das BMWi die Erstreckung des Vollzugsverbots gegebenenfalls im Rahmen des Verfahrens anordnet. Laut Gesetzesbegründung sollen solche Technologien und Informationen von dem Verbot erfasst sein, die im Hinblick auf die mögliche Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung von besonderer Relevanz sind (also den Grund für die Investitionskontrolle darstellen). Es wird schon an der sehr offenen Formulierung deutlich, dass dies nur im Einzelfall ermittelt werden kann und es vermutlich auch Abgrenzungsschwierigkeiten geben wird. Das Technologie- und Informationsabflussverbot an den Erwerber sowie Vollzugsverbot im Übrigen ist jedenfalls schon im Rahmen der Vorbereitung und Durchführung der Due Diligence sowie den Vertragsverhandlungen (z.B. bezüglich weiterer Offenlegungen im Vertrag, Vereinbarungen von Covenants) zu beachten.
Strafrechtliche Folgen eines Verstoßes gegen das Vollzugsverbot
Eine Verletzung des Vollzugsverbots ist nun auch im sektorübergreifenden Bereich nach näherer Maßgabe des § 18 Abs. 1b AWG n.F. strafbewehrt. Der Strafrahmen reicht von Geldstrafe bis Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren.
Übergangsregelung
Der § 30 AWG n.F. sieht nach seinem Wortlaut nur eine Übergangsregelung für die neue Fristenregelung in § 14a AWG n.F. und die in dem Zusammenhang geänderten Regelungen der AWV vor. Diese gelten erst für Erwerbsverfahren, die dem BMWi nach Inkrafttreten der AWG-Novelle bekannt werden. § 30 AWG n.F. enthält keine Übergangsregelung für das Eingreifen des Vollzugsverbots und der schwebenden Unwirksamkeit der zum Vollzug des Erwerbs abgeschlossenen Rechtsgeschäfte. Dies ist aufgrund der Strafbewehrung des Vollzugsverbots erstaunlich; hier dürfte das Rückwirkungsverbot nach Art. 103 Abs. 2 GG zu berücksichtigen sein.
Folgen des Brexit für den Anwendungsbereich des Außenwirtschaftsrechts – nichts Neues, aber im Blick zu behalten
Die Verhandlungen mit Großbritannien über die nach dem Austritt aus der EU zwischen der EU und Großbritannien geltenden Rechtsbeziehungen sollten auch im Hinblick auf die sektorübergreifende Investitionskontrolle weiter im Blick behalten werden. Seit dem EU-Austritt von Großbritannien am 31. Januar 2020 gilt das sog. Austrittsabkommen, in dem eine Übergangsphase bis zum 31. Dezember 2020 (vorbehaltlich einer Verlängerung) vereinbart ist. Ab dem 1. Januar 2021 ist daher auch auf Investoren aus Großbritannien die Investitionskontrolle anwendbar. Dies ist allerdings keine Neuerung durch die AWV- oder AWG-Novellen.
V. Fazit und Ausblick
Die Verschärfung und die bereits erfolgte und noch bevorstehende weitere Ausdehnung der Investitionskontrolle (vermutlich) auch auf die Branchen Künstliche Intelligenz, Robotik, Halbleiter, Biotechnologie und Quantentechnologie wird Investitionen in Deutschland bürokratischer machen und ggf. erschweren.
Die Einführung des Vollzugsverbots nun auch im sektorübergreifenden bzw. zivilen Bereich erfordert, dass bei Unternehmen aus den Fallgruppen des § 55 Abs. 1 S. 2 AWV nun auch bereits bei Vorbereitung eines M&A-Prozesses und im Rahmen der weiteren Offenlegung bzw. Vertragsverhandlungen von beiden Seiten zu beachten ist, welche Informationen beziehungsweise ob und wie diese welchem potentiellen Investor bereitgestellt und welche Covenants vereinbart werden dürfen.
Die Ausweitung der Investitionskontrolle ist auch von Start-Ups zu beachten und kann ggf. eine Hürde für eine (schnelle) Umsetzung von Finanzierungsrunden unter Teilnahme von Investoren aus Drittländern darstellen, sollte die Investitionskontrolle eingreifen und ein längerwieriges Prüfverfahren drohen.
Zudem zeichnet sich bereits ab, dass die EU Kommission zukünftig auch mit wettbewerbsrechtlichen Instrumenten Übernahmen durch Erwerber aus Drittstaaten untersagen könnte, wenn diese ausländische Beihilfen (d.h. Beihilfen aus Drittstaaten) erhalten haben und sich in der EU Wettbewerbsvorteile verschaffen oder EU-Unternehmen erwerben wollen. Die Generaldirektion Wettbewerb der EU Kommission unter Margarethe Vestager hat ein Weißbuch dazu erstellt („White Paper on levelling the playing field as regards foreign subsidies“), auf dessen Grundlage Gespräche mit Mitgliedstaaten für ein entsprechendes Gesetzgebungsvorhaben ggf. in 2022 aufgenommen werden sollen.
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