DIE PERSONENGESELLSCHAFT ALS UMSATZSTEUERLICHE ORGANGESELLSCHAFT
Der EuGH erteilt in seinem Urteil vom 15.4.2021 der Rechtsansicht der Finanzverwaltung und des V. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) eine Absage: entgegen deren Auffassung ist eine nationale Beschränkung der umsatzsteuerlichen Organschaft hinsichtlich Personengesellschaften als Organgesellschaften nicht mit dem Unionsrecht vereinbar. Dies birgt sowohl Chancen als auch Risiken.
I. Die Rechtsfigur der umsatzsteuerlichen Organschaft
Die umsatzsteuerliche Organschaft geht auf die Rechtsprechung des preußischen Oberverwaltungsgerichts bzw. des Reichsfinanzhofs zurück und wurde 1934 erstmalig gesetzlich verankert. In ihrer heutigen Form findet sie ihre Grundlage in Art. 11 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (MwStSystRL). Folglich ist die nationale Umsetzung der „Mehrwertsteuergruppe“, wie die Organschaft auch genannt werden kann, in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG unionsrechtskonform auszulegen.
Nach Art. 11 MwStSystRL kann jeder Mitgliedstaat in seinem Gebiet ansässige Personen, die zwar rechtlich unabhängig, aber durch gegenseitige finanzielle, wirtschaftliche und organisatorische Beziehungen eng miteinander verbunden sind, zusammen als einen Steuerpflichtigen behandeln. Insofern kann der Mitgliedstaat die erforderlichen Maßnahmen treffen, um Steuerhinterziehungen oder ‑umgehungen durch die Anwendung dieser Bestimmung vorzubeugen.
Die einzelnen Eingliederungs-Merkmale müssen zwar kumulativ vorliegen, aber keinesfalls gleich stark ausgeprägt sein. Während bei einer Personengesellschaft als Organgesellschaft die wirtschaftliche und organisatorische Eingliederung zu keinen Besonderheiten führt, stellt sich das Merkmal der finanziellen Eingliederung nach Ansicht des BFH und der Finanzverwaltung als problematisch dar.
1. Wirtschaftliche Eingliederung
Wirtschaftliche Eingliederung liegt vor, wenn die Organgesellschaft und der Organträger eine wirtschaftliche Einheit bilden, also die Organgesellschaft als Teil des Organträgers anzusehen ist. Bestehen Kooperationen und Verflechtungen (beispielsweise auch von Unternehmensbereichen verschiedener Organgesellschaften), die darauf schließen lassen, dass die Organgesellschaft nach dem Willen des Organträgers und in einem wirtschaftlichen Zusammenhang mit diesem tätig wird, ist das Merkmal erfüllt.
2. Organisatorische Eingliederung
Das Merkmal der organisatorischen Eingliederung meint die tatsächliche Beherrschung der Organgesellschaft durch den Organträger hinsichtlich der laufenden Geschäftsführung. Dieses Merkmal wird in der Regel dadurch erfüllt, dass die Geschäftsführung des Organträgers mit der Geschäftsführung der Organgesellschaft personell verflochten ist (z.B. Identität oder Teilidentität besteht).
3. Finanzielle Eingliederung
Maßgeblich für das Vorliegen des Merkmals der finanziellen Eingliederung ist, dass der Organträger durch einen Mehrheitsbeschluss seinen Willen in der Organgesellschaft durchsetzen kann. Beträgt die Beteiligung des Organträgers an der Organgesellschaft mehr als 50 %, und besteht kein höheres qualifiziertes Mehrheits-Erfordernis für die Beschlussfassung, ist das Merkmal erfüllt.
4. Rechtsfolge
Bei Vorliegen der Voraussetzungen ist die Organgesellschaft nicht Unternehmerin im Sinne des Umsatzsteuergesetzes, sondern nur ein „Unternehmensteil“ des Organträgers und zusammen mit diesem (und gegebenenfalls weiteren Organgesellschaften) umsatzsteuerlich als ein Unternehmen zu behandeln.
Das führt in der Praxis vor allem zu einer Verwaltungsvereinfachung: nur der Organträger ist zur Abgabe von Umsatzsteuererklärungen verpflichtet. Umsätze zwischen dem Organträger und der/den Organgesellschaften stellen „nicht-steuerbare Innenumsätze“ dar, die weder Umsatzsteuer auslösen noch zur Vorsteuer berechtigen. Hinsichtlich des Vorsteuerabzugs, der nur vom Organträger geltend gemacht werden kann, ist auf die Ausgangsumsätze des gesamten Organkreises abzustellen. Umsatzsteuersalden werden i.d.R. im Innenverhältnis unter den an der Organschaft beteiligten Gesellschaften ausgeglichen. Sofern alle Gesellschaften für sich vorsteuerabzugsberechtigt sind, ergeben sich keine Besonderheiten. Ist jedoch eine Gesellschaft, deren Umsätze nicht zum Vorsteuerabzug berechtigen, Organgesellschaft, ist in auf Ebene des Organträgers eine (ggf. prozentuale) Vorsteuer-Aufteilung zu prüfen und § 15a UStG zu beachten.
II. Die Personengesellschaft als Organgesellschaft
Die Frage, ob eine Personengesellschaft umsatzsteuerliche Organgesellschaft sein kann, beschäftigt den EuGH in seinem Urteil vom 15.4.2021 nicht zum ersten Mal. Der Gerichtshof entschied bereits am 16.7.2015 in der Rechtssache Larentia + Minerva (C-108/14), dass die relevante Regelung der MwStSystRL so auszulegen sei, dass eine pauschale Beschränkung der Organgesellschaften auf juristische Personen nicht unionsrechtskonform sei. Personengesellschaften können also bereits nach dieser Rechtsprechung grundsätzlich umsatzsteuerliche Organgesellschaften sein. Eine Einschränkung diesbezüglich sei nach Ansicht des EuGH jedoch zulässig, sofern durch diese Konstellation Steuerumgehungen möglich sind.
In der Folge urteilte der V. Senat des BFH am 2.12.2015, dass „auch eine Personengesellschaft in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert sein [kann], wenn Gesellschafter der Personengesellschaft neben dem Organträger nur Personen sind, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG in das Unternehmen des Organträgers finanziell eingegliedert sind“. Die generelle Möglichkeit für Personengesellschaften, Organgesellschaften zu sein, wurde jedoch durch die hohen Anforderungen hinsichtlich der Gesellschafterstruktur bzw. der engen Auslegung des Merkmals „Personen“ vom BFH wieder erschwert.
Nicht überraschend ist, dass die Finanzverwaltung in Abschnitt 2.8 Abs. 5a Umsatzsteueranwendungserlass (UStAE) der Rechtsansicht des V. Senats des BFH folgt. Begründet wird dies mit dem Argument der fehlenden Rechtssicherheit, da Beweisschwierigkeiten hinsichtlich der Abstimmungsmodalitäten in der Personengesellschaft bestünden. Denn, anders als bei juristischen Personen, könne das Abstimmungserfordernis in der Personengesellschaft auch mündlich geändert werden. Ein Formzwang besteht hierbei nicht.
III. Das Urteil des EuGH vom 15.4.2021
Der EuGH setzt sich in der Entscheidung aufgrund einer Vorlage des Finanzgerichts Berlin-Brandenburg nun mit der Frage auseinander, ob die einschränkende Auffassung der Finanzverwaltung und des V. Senats des BFH hinsichtlich der finanziellen Eingliederung einer Personengesellschaft als Organgesellschaft der Auslegung des Art. 11 Abs. 1 MwStSystRL entgegensteht.
Der Rechtsprechung des V. Senats steht hierbei nämlich die Auffassung des XI. Senats des BFH entgegen, nach der § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG richtlinienkonform dahingehend ausgelegt werden kann, dass der Begriff der „juristischen Person“ auch eine GmbH & Co. KG umfasst. Diese unterschiedliche höchstrichterliche Rechtsprechung machte es für das Finanzgericht im vorliegenden Fall erforderlich, dem EuGH diese Auslegungsfrage zur Vorabentscheidung vorzulegen.
1. Entscheidungsrelevanter Sachverhalt
Die Vorlageentscheidung betrifft folgenden Sachverhalt: die Klägerin, eine GmbH, war neben einer GbR sowie drei natürlichen Personen an einer GmbH & Co. KG (KG) als Kommanditistin beteiligt. Komplementärin war eine weitere GmbH. Nach dem Gesellschaftsvertrag der KG besaß die Klägerin in der Gesellschafterversammlung sechs Stimmen, die übrigen Gesellschafter verfügten über jeweils eine Stimme. Die KG fasste ihre Beschlüsse mit einfacher Mehrheit.
Unstreitig war die KG in wirtschaftlicher und organisatorischer Hinsicht in die Klägerin eingegliedert. Die Klägerin ging zudem davon aus, dass ab Dezember 2017 das Merkmal der finanziellen Eingliederung erfüllt gewesen sei und zwischen ihr und der KG eine Organschaft i.S.v. § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG bestand. In der Folge reichte die KG für den Monat Dezember 2017 keine Umsatzsteuervoranmeldung ein, da die Beteiligten der Meinung waren, die Umsatzsteuer sei von der Klägerin als Organträgerin zu tragen. Das Finanzamt setzte jedoch eine Umsatzsteuer-Vorauszahlung gegenüber der KG für Dezember 2017 fest, da nach dessen Meinung eine Organschaft mangels finanzieller Eingliederung nicht bestand. Grund hierfür sei die fehlende Durchgriffsmöglichkeit des Organträgers als Gesellschafter der KG. Das Finanzamt verwies auf Abschnitt 2.8 Abs. 5a S. 1 des UStAE. Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos. Die Klage zum Finanzgericht führte zur Vorlage an den EuGH.
2. Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs
Der EuGH entschied, dass Art. 11 MwStSystRL vor dem Hintergrund der Grundsätze der Rechtssicherheit, der steuerlichen Neutralität und der Verhältnismäßigkeit so auszulegen sei, dass dieser der nationalen Regelung entgegensteht, nach der die Möglichkeit einer Personengesellschaft, zusammen mit dem Organträger eine Organschaft zu bilden, davon abhängig gemacht werde, dass neben dem Organträger nur solche Personen Gesellschafter der Personengesellschaft sind, die in das Unternehmen finanziell eingegliedert sind. Im Klartext: die oben ausgeführte einschränkende Auslegung des Merkmals der finanziellen Eingliederung, die die Verwaltung in Anlehnung an die Rechtsprechung des V. Senats des BFH vornimmt, verstößt laut EuGH gegen Unionsrecht.
IV. Folgen aus dem EuGH-Urteil
Der EuGH hat der Rechtsansicht des V. Senats und somit auch der Auffassung der Finanzverwaltung eine Abfuhr erteilt und die Auffassung des XI. Senats des BFH bestätigt. Die Rechtsunsicherheit in Bezug auf Personengesellschaften als Organgesellschaften sollte nun also beseitigt sein. Die Finanzverwaltung ist zwar weiterhin an den UStAE gebunden, jedoch führt die unionsrechtskonforme Auslegung des Gesetzes zur Einbeziehung von Personengesellschaften in den Organkreis, sofern die o.g. Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind.
1. Auswirkungen auf die Praxis
Ist also eine Organschaft mit einer Personengesellschaft als Organgesellschaft gewünscht, die bisher jedoch vom Finanzamt unter Verweis auf den UStAE nicht anerkannt wurde, kann man sich auf das EuGH-Urteil berufen. Zur Kenntlichmachung der gewünschten Organschaft sollte die entsprechende Angabe in der Umsatzsteuervoranmeldung beziehungsweise in der Umsatzsteuerjahreserklärung genügen. Die Personengesellschaft wird durch die Erfüllung der o.g. Kriterien unselbständiger Teil des Unternehmens des Organträgers. Eines besonderen Antrags bedarf es nicht.
Risiken bestehen jedoch für den umgekehrten Fall, dass diese Rechtsfolge nicht gewünscht ist. Denn auch eine nicht erkannte umsatzsteuerliche Organschaft löst die Rechtsfolgen des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG aus. In diesem Fall sollte sich der Unternehmer unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes auf die bisherige Verwaltungspraxis laut UStAE berufen.
2. Reaktion des Gesetzgebers
Dem Gesetzgeber sind die Probleme im Zusammenhang mit der umsatzsteuerlichen Organschaft bekannt. Daher sieht das von der Bundesregierung am 13.04.2021 beschlossene „Paket für Bürokratieerleichterungen“ u.a. vor, dass künftig eine umsatzsteuerliche Organschaft nur noch auf Antrag und durch eine korrespondierende Bestätigung hinsichtlich der Erfüllung der gesetzlichen Voraussetzungen der Finanzverwaltung entstehen können soll.
Wie diese Regelungen künftig aussehen soll und insbesondere, welche Wirkungen eine einmal erteilte Bestätigung hat, ist dem Maßnahmenpaket nicht zu entnehmen. Der Koalitionsvertrag 2021-2025 enthält hierzu keine Aussage. Die weitere gesetzliche Entwicklung bleibt daher abzuwarten.
V. Fazit
Die Entscheidung des EuGH ist zu begrüßen, da sie die Harmonisierung der Umsatzbesteuerung durch die einheitliche Anwendung der MwStSystRL fördert und die zuvor bestehende Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Voraussetzungen der finanziellen Eingliederung bei der Personengesellschaft als Organgesellschaft beseitigt. Im Einzelfall sollten Unternehmen in der Rechtsform einer Personengesellschaft prüfen, ob nach den o.g. Kriterien eine Organschaft besteht und welche Folgen, Chancen und Risiken hieraus entstehen.
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