DIE STEUERPRIVILEGIERTE VERÄUßERUNG FREIBERUFLICHER PRAXEN – BFH ZUR ANWENDUNG DER TARIFBEGÜNSTIGUNG BEI (GERINGFÜGIGER) FORTFÜHRUNG DER FREIBERUFLICHEN TÄTIGKEIT
In einem aktuellen Beschluss konkretisiert der BFH die Kriterien, gemäß denen nach der Veräußerung einer freiberuflichen Praxis die Wiederaufnahme der freiberuflichen Tätigkeit innerhalb des bisherigen örtlichen Wirkungskreises für die steuerliche Privilegierung des bei der Veräußerung erzielten Veräußerungsgewinns unschädlich ist.
I. Besteuerung von Veräußerungsgewinnen
Zu den einkommensteuerpflichtigen Einkünften aus selbstständiger Arbeit gehört auch der Gewinn, der bei der Veräußerung des Vermögens anfällt, das der Ausübung einer freiberuflichen Tätigkeit diente. Da die Veräußerung von freiberuflichen Praxen nicht selten zur Aufdeckung erheblicher stiller Reserven führt, ist die steuerliche Privilegierung derartiger Veräußerungsgewinne von besonderer praktischer Relevanz.
Das EStG hält im Wesentlichen zwei Möglichkeiten einer steuerlich begünstigten Behandlung von Veräußerungsgewinnen bereit.
1. Freibetrag auf den Veräußerungsgewinn
Hat ein veräußernder Freiberufler das 55. Lebensjahr vollendet oder ist er im sozialversicherungspflichtigen Sinne dauernd berufsunfähig, so wird ein aus der Praxisveräußerung resultierender Veräußerungsgewinn zur Einkommensteuer nur herangezogen, soweit er EUR 45.000 übersteigt (§ 18 Abs. 3 S. 2 EStG i.V.m. § 16 Abs. 4 EStG). Jedoch ermäßigt sich dieser – einmalig zur Verfügung stehende – Freibetrag um den Betrag, um den der Veräußerungsgewinn EUR 136.000 übersteigt. Dies hat zur Folge, dass ab einem Veräußerungsgewinn von EUR 181.000 die Inanspruchnahme eines Freibetrages ausscheidet. Da diese betragsmäßige Grenze häufig überschritten wird, ist die praktische Bedeutung der steuerlichen Privilegierung von Veräußerungsgewinnen über einen Freibetrag eher gering.
2. Tarifbegünstigung
Umso relevanter ist die Privilegierung von Veräußerungsgewinnen über den anzuwendenden Steuertarif im Rahmen von § 34 EStG.
2.1 Fünftelregelung
Nach der sog. Fünftelregelung des § 34 Abs. 1 EStG sind Gewinne aus der Veräußerung freiberuflicher Praxen als außerordentliche Einkünfte im Ergebnis lediglich mit dem Steuersatz zu besteuern, der sich bei einer fiktiven Verteilung des Veräußerungsgewinns über fünf Jahre für den jeweiligen Veranlagungszeitraum ergäbe. Die Fünftelregelung führt damit zu einer Glättung der Steuerprogression durch eine fiktive mehrjährige Verteilung des Veräußerungsgewinns (L. Seeling in: BeckOK EStG, § 34 Rn. 279).
2.2 Ermäßigter Steuersatz
Alternativ zur Anwendung der sog. Fünftelregelung sieht § 34 Abs. 3 EStG eine Besteuerung des Veräußerungsgewinns mit einem ermäßigten Steuersatz von 56 % des durchschnittlichen Steuersatzes des Steuerpflichtigen vor, mindestens aber mit einem Steuersatz von 14 %. Diese Tarifbegünstigung nach § 34 Abs. 3 EStG wird einmalig auf Antrag des Veräußerers gewährt, wenn dieser das 55. Lebensjahr vollendet hat oder im sozialversicherungspflichtigen Sinne dauernd berufsunfähig ist, und ist auf den Betrag beschränkt, um den der Veräußerungsgewinn den Betrag von EUR 5.000.000 nicht übersteigt.
2.3 Voraussetzung: Definitive Übertragung der vermögensmäßigen Grundlagen
Sowohl die Fünftelregelung des § 34 Abs. 1 EStG als auch die Tarifermäßigung nach § 34 Abs. 3 EStG setzen nach ständiger Rechtsprechung des BFH voraus, dass der Steuerpflichtige die für die Ausübung seiner freiberuflichen Tätigkeit wesentlichen vermögensmäßigen Grundlagen (hierzu zählt bei Freiberuflern insbesondere der Praxis-/Mandantenstamm) entgeltlich und definitiv auf einen Anderen überträgt. Dies erfordert unter anderem, dass der Veräußerer seine freiberufliche Tätigkeit in dem bisherigen örtlichen Wirkungskreis wenigstens für eine „gewisse Zeit“ einstellt (vgl. BFH, Urt. v. 23.1.1997 – Az. IV R 36/95). Dem liegt der Gedanke zu Grunde, dass bei einer uneingeschränkten Wiederaufnahme der Tätigkeit innerhalb des bisherigen örtlichen Tätigkeitsbereichs eine Mitnahme des Mandanten-/Praxisstamms besonders wahrscheinlich ist. In einem solchen Fall kann von einer definitiven Übertragung der wesentlichen Betriebsgrundlagen auf den Erwerber nicht gesprochen werden. Wie lange die von der Rechtsprechung geforderte Wartezeit („gewisse Zeit“) dauert, wird jeweils im Einzelfall beurteilt. Nach Ansicht des BFH kann, je nach den konkreten Umständen, ein Zeitraum von zwei bis drei Jahren ausreichend sein.
Für die Anwendung der Tarifprivilegierung nach § 34 EStG nicht hinderlich ist es aber, wenn ein Veräußerer im Anschluss an die Veräußerung im Auftrag und für Rechnung des Erwerbers tätig wird, was zum Erhalt des Mandanten-/Praxisstamms vielfach erwerberseitig gewünscht sein dürfte. Ebenfalls unschädlich ist es, wenn ein Veräußerer seine freiberufliche Tätigkeit innerhalb des bisherigen örtlichen Wirkungskreises in einem so geringen Umfang wieder aufnimmt, dass der hierdurch erzielte Umsatz weniger als 10 % der durchschnittlichen Jahreseinnahmen aus den drei Jahren vor der Veräußerung ausmacht (sog. Geringfügigkeitsgrenze). Diese beiden Ausnahmen von dem Erfordernis der Aufgabe der Tätigkeit innerhalb des bisherigen örtlichen Tätigkeitsbereichs sind in Rechtsprechung und Finanzverwaltung mittlerweile im Grundsatz anerkannt. Im Detail besteht hinsichtlich der Anwendung dieser Ausnahmen zwischen Finanzverwaltung und Rechtsprechung dennoch immer noch Klärungsbedarf. Dies zeigt ein aktueller Beschluss des BFH, in dem dieser zu den Grenzen, innerhalb derer die Fortführung einer Tätigkeit im bisherigen örtlichen Wirkungskreis zulässig ist, ohne zugleich der Möglichkeit einer Privilegierung nach § 34 EStG verlustig zu gehen, Stellung genommen hat (Beschl. v. 11.2.2020 – Az. VIII B 131/19).
II. Sachverhalt und Entscheidung des BFH
Der der genannten Entscheidung zu Grunde liegende Sachverhalt betraf die Veräußerung der Einzelkanzlei eines Steuerberaters. Dieser hatte seine Kanzlei an zwei Erwerber veräußert. Im Anschluss wurde der Veräußerer für eine neu gegründete Partnerschaftsgesellschaft, in welche die Einzelkanzlei von den beiden Erwerbern eingebracht worden war, in Auftrag und für Rechnung der Partnerschaftsgesellschaft zunächst im Rahmen einer sog. überleitenden Mitarbeit und anschließend als freier Mitarbeiter tätig. Zweieinhalb Jahre nach der Praxisveräußerung nahm der Veräußerer innerhalb seines bisherigen örtlichen Wirkungskreises wieder eine eigenständige steuerberatende Tätigkeit auf. Durch diese neu aufgenommene selbständige Tätigkeit erzielte der Veräußerer jedoch lediglich Umsätze, die unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze lagen. Dennoch versagte das Finanzamt dem Veräußerer letztlich die Tarifbegünstigung des § 34 Abs. 3 EStG mit der Begründung, dieser habe noch innerhalb der „gewissen Zeit“ in unzulässiger Weise neue Mandanten übernommen.
Die Auffassung des Finanzamts entsprach der in einem BMF-Schreiben aus dem Jahr 2003 zum Ausdruck kommenden Rechtsmeinung der obersten Finanzbehörden der Länder, wonach „die Hinzugewinnung neuer Mandate/Patienten innerhalb der „gewissen“ Zeit nach Betriebsaufgabe […] – auch ohne Überschreiten der 10 %-Grenze – in jedem Fall schädlich [sei], da eine Betriebsaufgabe dann tatsächlich nicht stattgefunden habe.“ (BMF-Schreiben v. 28.07.2003, DStR 2003, 2166).
Dem hat der BFH mit Beschluss vom 11.2.2020 nun widersprochen: Der BFH hält fest, dass die Tatsache, dass der veräußernde Steuerberater im Anschluss an seine Veräußerung eine Tätigkeit ausübte, die unterhalb der Geringfügigkeitsgrenze lag und in diesem Zusammenhang auch neue Mandate betreute, das Vorliegen einer nach § 34 EStG tarifbegünstigten Praxisveräußerung nicht ausschließt. Nach der Auffassung des BFH kann es keinen Unterschied machen, ob der Veräußerer einzelne Altmandante auf eigene Rechnung weiter betreut oder ob er die Beziehung zu Altmandanten dazu nutzt, nun neue Mandanten zu gewinnen. Entscheidend sei in beiden Fällen ausschließlich, ob der Veräußerer dabei unterhalb der Geringfügigkeitsschwelle von 10 % des Durchschnittsumsatzes der der Veräußerung vorausgegangenen drei Veranlagungszeiträume bleibe. Daher kam es in der durch den BFH zu entscheidenden Konstellation auch schon nicht darauf an, ob der Veräußerer die für eine definitive Übertragung des wesentlichen Betriebsvermögens erforderliche „gewisse“ Wartezeit eingehalten hatte.
III. Einordnung und Bewertung
In seinem Beschluss vom 11.2.2020 nimmt der BFH eine logische Konkretisierung der bei der steuerlichen Privilegierung von Veräußerungsgewinnen zu beachtenden Geringfügigkeitsgrenze vor. Die bisherige Auffassung der Finanzverwaltung, wonach neu gewonnene Mandanten eine Tarifprivilegierung nach § 34 EStG in jedem Fall ausschließen, lässt sich vor dem Hintergrund des mit der Voraussetzung der Einstellung der Tätigkeit im bisherigen örtlichen Wirkungskreis verfolgten Zwecks nicht rechtfertigen. Diese Voraussetzung soll den Erwerber vor einem Verlust des erworbenen Wirtschaftsguts „Praxis-/Mandantenstamm“ schützen, da es sich hierbei naturgemäß um ein „flüchtiges Wirtschaftsgut“ handelt (Diemer, DStR 2020, 486 (491)). Dieser Schutzzweck ist bei Neumandanten des Veräußerers allenfalls indirekt betroffen, und zwar nur insoweit, als bestehende Mandatsbeziehungen zur Akquise neuer Mandate genutzt werden. Wenn aber – wie auch von der Finanzverwaltung anerkannt – ein Tätigwerden für Altmandate innerhalb der Geringfügigkeitsgrenze einer Tarifprivilegierung nicht entgegensteht, so muss dies erst recht für das – allenfalls indirekt mit dem zum Veräußerungszeitpunkt bestehenden Mandantenstamm verbundene – Tätigwerden für Neumandanten gelten.
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