ESOP-BESTEUERUNG – BFH ERÖFFNET GESTALTUNGSPIELRAUM BEI DER BESTEUERUNG VON STOCK OPTIONS IM ZUSAMMENHANG MIT EINEM WOHNSITZSWECHSEL
Im „War for Talents“ setzen insbesondere Start-ups häufig auf Mitarbeiterbeteiligungsprogramme sog. ESOPs (Employee Stock Option Plans), um motivierte und hochqualifizierte Mitarbeiter, trotz meist nicht wettbewerbsfähiger Gehälter, zu gewinnen und langfristig an das Unternehmen zu binden. Dabei läuft ein ESOP in der Regel über mehrere Jahre und die Lebensumstände des Arbeitnehmers können sich in diesem Zeitraum ändern. Solch eine Änderung der Lebensumstände liegt auch dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 21.12.2022, Az. I R 11/20 zugrunde, das sich mit der Besteuerung von Stock Options im Fall des Ansässigkeitswechsels befasst. Dieser grenzüberschreitende Fall ist Anlass, um die allgemeine steuerliche Behandlung von ESOPs näher zu beleuchten und gleichzeitig eventuelles Gestaltungspotenzial aufzuzeigen.
I. Grundlagen
Mit der Gewährung von in der Regel nicht handelbaren „Stock Options“ räumt der Arbeitgeber bestimmten Arbeitnehmern das Recht ein, Unternehmensanteile in Form von realen Aktien (ESOP) oder virtuellen Anteilen (VSOP) zu einem späteren Zeitpunkt und zu einem im Vorhinein bestimmten Preis zu erwerben. Zwischen der Gewährung und der erstmaligen Ausübbarkeit der Optionen liegt in der Regel eine mehrere Jahre dauernde Sperrfrist, in der die Optionen z.B. durch längere Betriebszugehörigkeit oder durch Erreichung bestimmter Meilensteine „erdient“ werden müssen (Erdienenszeitraum).
Unabhängig davon, ob es sich um ESOPs oder VSOPs handelt, liegt steuerlich Arbeitslohn (Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gem. § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) in Form von sonstigen Bezügen (§ 38a Abs. 1 Satz 3 EStG) insoweit vor, als die Anteile später verbilligt erworben werden. Die „sonstigen Bezüge“ gelten nach ständiger Rechtsprechung des BFH steuerlich dann als zugeflossen (§ 11 Abs. 1 Satz 1 EStG) und steuerbar, wenn die Optionen tatsächlich ausgeübt werden und in dessen Folge entweder Anteile in das Eigentum des Arbeitnehmers, z.B. mit Einbuchung in dessen Depot, übergehen oder eine Kompensation gezahlt wird. Der geldwerte Vorteil errechnet sich in der Regel aus der Differenz zwischen dem Kurswert (Marktwert) der Anteile zum Ausübungszeitpunkt und dem vom Arbeitnehmer geleisteten Ausübungspreis. Die Besteuerung erfolgt grundsätzlich mit dem individuellen, „normalen“ Einkommensteuersatz.
Sofern der Zeitraum zwischen Gewährung und erstmaliger Ausübbarkeit der Stock Options zwölf Monate übersteigt, handelt es sich um einen mehrjährigen Bezug, auf den die Tarifermäßigung des § 34 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Nr. 4 EStG zur Anwendung kommen kann.
Für Mitarbeiter, die in mehreren Staaten tätig sind, können sich unterschiedliche steuerliche Anknüpfungspunkte ergeben und, wie das BFH-Urteil vom 21.12.2022 verdeutlicht, stellt sich stets die Frage, welchem Staat der Tätigkeit oder des Wohnsitzes das Besteuerungsrecht ganz oder teilweise zusteht.
II. Sachverhalt des BFH-Urteils
Der Arbeitnehmer (A) war von Juni 2001 bis April 2005 für die in den USA ansässige Tochtergesellschaft (T) einer deutschen Mutteraktiengesellschaft (M) tätig. Während dieses Zeitraums hatte A seinen Wohnsitz von Deutschland in die USA verlegt. A unternahm Dienstreisen außerhalb der USA und hielt sich davon während eines Drittels in Deutschland auf (weniger als 60 Tage pro Kalenderjahr). Das Gehalt zahlte stets die T. Im Mai 2005 kehrte A wieder nach Deutschland zurück und war fortan wieder im Inland tätig.
Im April 2003 gewährte T dem A nicht handelbare Stock Options an M, die ab April 2005 zu 50 % und ab April 2006 zu 100 % ausgeübt werden konnten. Die tatsächliche Ausübung eines Teils dieser Optionen erfolgte im Streitjahr 2011 und es wurde daraus ein steuerpflichtiger Überschuss erzielt. Die resultierenden Einkünfte wurden in den USA besteuert, soweit sie (anteilig) auf die Arbeitstage in den USA entfielen.
Das deutsche Finanzamt behandelte die nicht in den USA besteuerten Einkünfte aus den Stock Options als in Deutschland steuerpflichtig. Das Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg vom 21.05.2019, Az. 6 K 488/17 gab der hiergegen gerichteten Klage statt und vertrat die Auffassung, dass die Einkünfte insgesamt von der inländischen Besteuerung freizustellen und lediglich dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen seien. Denn für die Frage der Ansässigkeit sei nicht das Jahr des Zuflusses (2011), sondern die Ansässigkeit im Erdienenszeitraum maßgeblich. Deswegen seien sämtliche Einkünfte des A aus den Stock Options, und nicht nur die auf Tätigkeiten in den USA entfallenden Einkünfte, von der inländischen Besteuerung freizustellen. Dieser Auffassung folgte der BFH nicht.
III. Entscheidung des BFH
Zum Zeitpunkt der Optionsausübung im Jahr 2011 war A aufgrund seines Wohnsitzes wieder mit seinem Welteinkommen unbeschränkt steuerpflichtig in Deutschland. Gemäß nationalem Recht war demnach auch der geldwerte Vorteil aus dem verbilligten Bezug der Aktien im Inland zu versteuern.
Ausgehend von einer Ansässigkeit des A in Deutschland wird daher das inländische Besteuerungsrecht für die Einkünfte aus den Stock Options nach Art. 15 Abs. 1 iVm Art. 23 Abs. 3 S. 1 Buchst. a DBA-USA 1989/2008 nur insoweit eingeschränkt, als die Tätigkeit im Erdienenszeitraum in den USA ausgeübt worden ist. Für die Beschäftigungstage, an denen der Kläger auf Dienstreise in Deutschland oder in Drittstaaten war, steht das Besteuerungsrecht dagegen Deutschland zu.
Die Rechtsfolge eines Ansässigkeitswechsels vor dem Zeitpunkt der tatsächlichen Ausübung der Option war bislang umstritten. Während das FG auf die Ansässigkeit während des Erdienenszeitraums abstellte, ist nach Meinung der Literatur und der OECD stets derjenige Staat als Ansässigkeitsstaat anzusehen, in dem der Steuerpflichtige zum Zeitpunkt der Einkünfteerzielung ansässig ist. Der BFH schloss sich nunmehr der Literaturmeinung und der OECD an und stellt für das Tatbestandsmerkmal der Ansässigkeit im Sinne des Art. 15 Abs. 1 Satz 1 DBA-USA nicht auf den Erdienenszeitraum, sondern auf den Zuflusszeitpunkt, mithin den Ausübungszeitpunkt, ab.
IV. Fazit für die Praxis
Für die Ansässigkeit einer Person nach Art. 4 DBA-USA und für Zwecke des Art. 15 DBA-USA (und damit wohl auch für andere DBAs, die insoweit dem OECD-Musterabkommen entsprechen) kommt es auf den Zuflusszeitpunkt des Arbeitslohns (Ausübung der Stock-Options) an und nicht auf den Erdienenszeitraum. Deutschland darf somit (nur) die Arbeitstage im Erdienenszeitraum besteuern, die nicht im anderen Vertragsstaat (hier: USA) geleistet wurden. Der Erdienenszeitraum ist mittels der jeweiligen vertraglichen Bestimmungen des ESOPs zu bestimmen und die Tätigkeitstage sind gemäß der physischen Präsenz der Arbeitnehmer vor Ort zu ermitteln.
Basierend auf dem BFH-Urteil lässt sich die Besteuerung von Stock Options durch einen Wohnsitzwechsel vor Ausübung der Option gestalten. Durch den Wohnsitz- und damit Ansässigkeitswechsel vor Optionsausübung wird insoweit der anwendbare Abkommensschutz und Freistellungsmechanismus im Rahmen der Verteilungsnorm des Art. 15 DBA-USA beeinflusst. Das Urteil dürfte entsprechend auf nachlaufende Bonuszahlungen anwendbar sein.
Zur Beurteilung der Vorteilhaftigkeit des Wegzugs in einen anderen Staat müssen die individuelle Situation (Familie, Wohnsitz etc.) sowie das einschlägige Doppelbesteuerungsabkommen (Verteilungsnormen, Freistellungsmechanismen, Rückfallklauseln etc.) geprüft werden. Zudem können sich Schwierigkeiten im Bereich der Doppelbesteuerung ergeben, wenn der ausländische Staat dem Ansatz des BFH nicht folgt und vice versa von der Ansässigkeit im Erdienenszeitraum als Maßstab für die Ansässigkeit ausgeht. Abschließend sei angemerkt, dass das Urteil bisher nicht im Bundessteuerblatt veröffentlicht ist und damit nicht gesichert ist, ob es von der Finanzverwaltung allgemein anerkannt wird.
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