HOFFNUNGSVOLLER ANFANG FÜR DEN VERLUSTABZUG BEI KÖRPERSCHAFTEN
Mit Beschluss vom 29. März 2017 hat das BVerfG entschieden, dass der quotale Verlustuntergang gem. § 8c Abs. 1 S. 1 KStG a.F. verfassungswidrig ist und den Gesetzgeber aufgefordert, bis zum 31. Dezember 2018 eine Neuregelung zu treffen, die den Verfassungsverstoß rückwirkend zum 1. Januar 2008 beseitigt. Der Gesetzgeber setzte dies um, indem mit dem „Gesetz zur Vermeidung von Umsatzsteuerausfällen beim Handel mit Waren im Internet und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ vom 11. Dezember 2018 („UStAVermG“; auch unter seiner ursprünglichen Bezeichnung „Jahressteuergesetz 2018“ bekannt) die Regelung zum quotalen Verlustuntergang rückwirkend zum 1. Januar 2008 ersatzlos gestrichen wurde.
I. Allgemeines zum Verlustuntergang gemäß § 8c KStG
Der Erhalt des Verlustabzugs bei Körperschaften im Zusammenhang mit Anteilsübertragungen oder vergleichbaren Maßnahmen ist seit Jahren eines der zentralen Themen im Körperschaftsteuerrecht. Auslöser ist die gesetzgeberische Sorge eines rechtsmissbräuchlichen „Handels mit Verlusten“ dergestalt, dass der Erwerber einer Kapitalgesellschaft die dort vorhandenen Verlustvorträge für sich nutzbar macht (sog. Mantelkauf), obwohl diese über keinen Geschäftsbetrieb und kein nennenswertes Betriebsvermögen verfügt. Der Gesetzgeber hatte deshalb die Voraussetzungen für die Verlustnutzung normativ festgelegt. Die erste gesetzliche Verankerung erfolgte im Jahr 1990 in § 8 Abs. 4 KStG a.F., die – nachdem einige Modifikationen erfolgt waren – im Rahmen des Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 durch die Nachfolgeregelung des § 8c KStG abgelöst wurde. § 8c KStG wurde vom Gesetzgeber als vermeintlich „einfachere und zielgenauere Verlustabzugsbeschränkung“ konzipiert, die fortan nur noch auf den Anteilseignerwechsel als maßgebliches Kriterium für das Eingreifen der Verlustabzugsbeschränkung abstellte. Auf die in der Vorgängernorm noch berücksichtigte Voraussetzung der Zuführung von überwiegend neuem Betriebsvermögen wurde verzichtet. In der Folge wurde § 8c KStG durch sog. Verschonungsregelungen entschärft und war mehrfach Gegenstand finanz-, verfassungs- und europagerichtlicher Verfahren.
In seiner bisherigen Fassung (d.h. vor der jüngsten Änderung durch das UStAVermG; im Einzelnen dazu unter Ziffer II.2.) enthielt § 8c KStG a.F. zwei Tatbestandsalternativen mit jeweils unterschiedlichen Rechtsfolgen:
§ 8c Abs. 1 S. 1 KStG a.F. regelte den quotalen Verlustuntergang, wenn innerhalb von fünf Jahren mittelbar oder unmittelbar mehr als 25 % (bis zu 50 %) des gezeichneten Kapitals, der Mitgliedschaftsrechte, Beteiligungsrechte oder der Stimmrechte (vereinfacht: Anteile) an einer Körperschaft an einen Erwerber oder eine diesem nahe stehende Person übertragen werden oder ein vergleichbarer Sachverhalt vorliegt. § 8c Abs. 1 S. 2 KStG a.F. normierte den vollständigen Verlustuntergang, wenn unter eben genannten Voraussetzungen insgesamt mehr als 50 % der Anteile übertragen werden oder ein vergleichbarer Sachverhalt vorliegt.
Der (quotale) Verlustuntergangs war nur unter den engen Voraussetzungen der sog. Konzernklausel (§ 8c Abs. 1 S. 5 KStG a.F.), der Stille-Reserven-Klausel (§ 8c Abs. 1 S. 6 bis 9 KStG a.F.), der Sanierungsklausel (§ 8c Abs. 1a KStG a.F.) oder des fortführungsgebundenen Verlustvortrags (§ 8d KStG) zu verhindern. Lagen diese Voraussetzungen vor, kam es zu keinem quotalen oder vollständigen Verlustuntergang – die Verluste wurden vielmehr anteilig verschont bzw. blieben in voller Höhe erhalten.
II. Quotaler Verlustuntergang gem. § 8c Abs. 1 S. 1 KStG a.F.
Den vermeintlichen Funken Hoffnung auf Erhalt von Verlustvorträgen trotz schädlichem Beteiligungserwerb säte das Verfassungsrecht. § 8c KStG war seit seiner normativen Verankerung in verfassungsrechtlicher Hinsicht höchst umstritten. Dies insbesondere, weil man das bloße Anknüpfen an einen Anteilseignerwechsel als ungerechtfertigte Ungleichbehandlung ansah. Das Finanzgericht Hamburg hat daher mit Vorlagebeschluss vom 4. April 2011 dem BVerfG die Regelung zum quotalen Verlustuntergang nach § 8c Abs. 1 S. 1 KStG a.F. zur verfassungsrechtlichen Prüfung vorgelegt.
1. Entscheidung des BVerfG vom 29. März 2017
Mit Beschluss vom 29. März 2017 hat das BVerfG (Az.: 2 BvL 6/11) zu der Frage der Verfassungsmäßigkeit von § 8c Abs. 1 S. 1 KStG a.F. (also betreffend den quotalen Verlustuntergang) festgestellt, dass diese Regelung für den Zeitraum vom 1. Januar 2008 bis zum 31. Dezember 2015 verfassungswidrig ist. (Für Zeiträume ab Einführung des § 8d KStG mit Wirkung zum 1. Januar 2016 hat das BVerfG die Verfassungswidrigkeit von § 8c Abs. 1 S. 1 KStG a.F. hingegen ausdrücklich offengelassen.)
Nach Ansicht des BVerfG bewirke § 8c Abs. 1 S. 1 KStG a.F. eine unterschiedliche Behandlung von Kapitalgesellschaften hinsichtlich der Bestimmung ihrer steuerpflichtigen Einkünfte je nachdem, ob ein schädlicher Beteiligungserwerb vorliegt oder nicht. Diese Ungleichbehandlung sei nicht gerechtfertigt – es fehle ein sachlicher Grund. Zwar könne eine Ungleichbehandlung grundsätzlich gerechtfertigt sein, weil sie auf die Bekämpfung von missbräuchlichen Steuergestaltungen abzielt. Jedoch habe der Gesetzgeber im Zusammenhang mit der Einführung von Missbrauchsvermeidungsvorschriften u.a. die Grenzen zulässiger Typisierung zu beachten. Vorliegend indiziere der Erwerb einer Beteiligung von mehr als 25 Prozent an einer Kapitalgesellschaft schon keine missbräuchliche Gestaltung, so dass § 8c Abs. 1 S. 1 KStG a.F. mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar ist. Darüber hinaus stellt die Regelung gerade nicht auf einen vom Gesetzgeber beabsichtigten Wechsel der wirtschaftlichen Identität ab. Andere sachliche Rechtfertigungsgründe wie bspw. die Unternehmeridentität konnten die Ungleichbehandlung gleichfalls nicht rechtfertigen. Zudem ändern die Sanierungsklausel, die Konzernklausel und die Stille-Reserven-Klausel nichts an der Ungleichbehandlung.
Dem Gesetzgeber wurde daher aufgetragen bis zum 31. Dezember 2018 eine Neuregelung zu treffen, die den Verfassungsverstoß rückwirkend zum 1. Januar 2008 beseitigt. Sollte der Gesetzgeber dieser Verpflichtung nicht nachkommen, würde rückwirkend am 1. Januar 2019 die Nichtigkeit von § 8c Abs. 1 S. 1 KStG a.F. eintreten.
2. Umsetzung der Entscheidung des BVerfG durch das UStAVermG
Diesem gerichtlichen Auftrag ist der Gesetzgeber mit dem UStAVermG vom 11. Dezember 2018 nachgekommen. Im Diskussionsentwurf des BMF zum UStAVermG war zunächst nur eine „minimalinvasive“ gesetzgeberische Anpassung des KStG vorgesehen. Der zeitliche Anwendungsbereich des § 8c Abs. 1 S. 1 KStG a.F. sollte demnach nur für schädliche Beteiligungserwerbe, die nach dem 31. Dezember 2007 und vor dem 1. Januar 2016 stattgefunden haben, suspendiert werden. Aufgrund der Empfehlungen der Ausschüsse (federführend Finanzausschuss) hat man sich dann doch dazu durchgerungen § 8c Abs. 1 S. 1 KStG a.F. auch für die Jahre 2016 bis 2018 und für die Zukunft zu suspendieren. Im Ergebnis wurde § 8c Abs. 1 S. 1 KStG a.F. rückwirkend ab dem 1. Januar 2008 ersatzlos aufgehoben. Die Regelung ist nun nicht mehr in § 8c KStG n.F. enthalten, so dass die bisherigen Regelungen jeweils einen Satz nach vorne gerückt sind.
III. Vollständiger Verlustuntergang gem. § 8c Abs. 1 S. 2 KStG a.F.
Hinsichtlich der Regelung des § 8c Abs. 1 S. 2 KStG a.F. (nunmehr § 8c Abs. 1 S. 1 KStG n.F.) betreffend den mehr als 50 %igen Anteilseignerwechsel und den daraus folgenden vollständigen Untergang des Verlustvortrags teilt der Gesetzgeber des UStAVermG jedenfalls (noch) nicht die in der Literatur und finanzgerichtlichen Rechtsprechung vorherrschenden verfassungsrechtlichen Zweifel.
Gemäß dem Vorlagebeschluss des Finanzgerichts Hamburg vom 29. August 2017 bestehen hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit des § 8c Abs. 1 S. 2 KStG a.F. gleichfalls ernsthafte Zweifel. Nach Ansicht des Finanzgerichts führe die Anwendung von § 8c Abs. 1 S. 2 KStG a.F. in Bezug auf die periodenübergreifende Verlustverrechnung zu einer unterschiedlichen Behandlung von Kapitalgesellschaften mit und ohne Anteilseignerwechsel. Sachliche Rechtfertigungsgründe für diese Ungleichbehandlung liegen nach Ansicht des Gerichts nicht vor. Zwar diene § 8c Abs. 1 S. 2 KStG a.F. der Missbrauchsbekämpfung. Allerdings werde durch das alleinige Anknüpfen an Anteilsübertragungen nicht der typische Missbrauchsfall als Leitbild gewählt, so dass hierdurch die Grenzen zulässiger Typisierung überschritten werden. Weiterhin sei fraglich, ob der in § 8c Abs. 1 S. 2 KStG a.F. verankerte Fallbeileffekt, da bei einem Anteilseignerwechsel von 50,01 % der Verlustvortrag vollständig untergeht, einer folgerichtigen Ausgestaltung entspreche.
Für das BVerfG könnte bei der Entscheidung, ob § 8c Abs. 1 S. 2 KStG a.F. verfassungswidrig ist, ausschlaggebend sein, ob (im Unterschied zur Entscheidung zu § 8c Abs. 1 S. 1 KStG a.F.) die Möglichkeit der Einflussnahme des Mehrheitsgesellschafter die wirtschaftliche Identität der Gesellschaft verändern kann, so dass eine hierdurch begründete Ungleichbehandlung gerechtfertigt wäre. Im Schrifttum wird dies – mit Blick auf die Ausführungen des Gerichts zu § 8c Abs. 1 S. 1 KStG a.F. – allerdings bezweifelt, da insoweit die tatsächliche Einflussnahme entscheidend sei, hingegen nicht die bloße Möglichkeit der Einflussnahme.
IV. Fazit
Die Entscheidung des BVerfG zur Verfassungskonformität des quotalen Verlustuntergangs und die hieran anknüpfende ersatzlose Streichung der Regelung zum quotalen Verlustuntergang stellen den ersten Schritt zu mehr Planungs- und Rechtssicherheit dar. Mit Spannung bleibt die Entscheidung aus Karlsruhe zur Verfassungsmäßigkeit von § 8c Abs. 1 S. 2 KStG a.F. zur Verfassungswidrigkeit des vollständigen Verlustuntergangs nach § 8c Abs. 1 S. 2 KStG a.F. zu erwarten. Dann ist es Aufgabe des Gesetzgebers nachzubessern – am besten durch eine überarbeitete Verlustuntergangsregelung, die an die Stelle der bisher kompliziert konzipierten Regel-Ausnahmekonstellation durch Untergangs- und Verschonungsregelungen tritt.
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