KEINE ANALOGE ANWENDUNG VON § 179A AKTG AUF DIE KOMMANDITGESELLSCHAFT
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit Urteil vom 15.2.2022 (II ZR 235/20) seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben, wonach sich der Rechtsgedanke des § 179a des Aktiengesetzes (AktG) entsprechend auch auf die Kommanditgesellschaft erstreckt. § 179a AktG ist auf die Kommanditgesellschaft nicht (mehr) analog anwendbar.
I. Die Vorschrift des § 179a AktG
Gemäß § 179 Abs. 1 S. 1 AktG bedarf jede Satzungsänderung einer Aktiengesellschaft (AG) eines Beschlusses der Hauptversammlung, der nach § 179 Abs. 2 S. 1 AktG eine Mehrheit von mindestens drei Viertel des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals umfasst. Nach § 179a AktG bedarf ein Vertrag, durch den sich eine AG zur Übertragung des ganzen Gesellschaftsvermögens verpflichtet, ohne dass die Übertragung unter die Vorschriften des Umwandlungsgesetztes (UmwG) fällt, auch dann eines Beschlusses der Hauptversammlung nach § 179 AktG, wenn damit nicht eine Änderung des Unternehmensgegenstandes verbunden ist. Die Satzung kann nur eine größere Kapitalmehrheit vorsehen.
Nach der bisherigen Rechtsprechung (Urt. v. 9.1.1995 – II ZR 24/94) hat der BGH den Rechtsgedanken des § 179a AktG entsprechend auch auf die Kommanditgesellschaft erstreckt, die das von ihr betriebene (ihr gesamtes Vermögen darstellende) Unternehmen veräußert. Mit Urteil vom 8.1.2019 (BGH, Urt. v. 8.1.2019 – II ZR 364/18) hatte der BGH bereits entschieden, dass § 179a AktG jedenfalls nicht (mehr) auf die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) anwendbar ist.
II. Zum Sachverhalt
Der Sachverhalt ist komplex, jedoch ging es letztlich um die Frage, in welchem Umfang die er Beteiligung der Gesellschafterversammlung an der Veräußerung des gesamten Vermögens einer GmbH & Co. KG zu beteiligen ist (§ 179a AktG analog).
Die Parteien stritten u.a. über die Wirksamkeit der Übertragung eines Kommanditanteils. Die Klägerin ist eine in Liquidation befindliche Kommanditgesellschaft, an der mehrere Kommanditisten und eine Komplementär-GmbH beteiligt sind. Die Beklagte ist ebenfalls eine Kommanditgesellschaft, an der die Klägerin einen Kommanditanteil in Höhe von DM 15.600 hielt. Zwischen der Klägerin und der Beklagten (Parteien) wurde ein sog. Druckvertrag geschlossen, mit dem die Beklagte die Klägerin mit der Herstellung und dem Vertrieb einer Lokalzeitung beauftragte. Zu einem späteren Zeitpunkt gründete die Klägerin eine V GmbH & Co. KG (V KG), an der sie den alleinigen Kommanditanteil hielt. Zugleich war die Klägerin auch alleinige Gesellschafterin der Komplementär-GmbH der V KG (V GmbH). Die Klägerin bediente sich in der Folgezeit der V KG, um ihre Verpflichtungen aus dem Druckvertrag gegenüber der Beklagten zu erfüllen.
In der Gesellschafterversammlung der Klägerin wurde – gegen die Stimme eines ihrer Kommanditisten – ein Beschluss zur Sanierung gefasst, der auszugsweise wie folgt lautete:
„Eine Sanierung (…) soll dadurch erfolgen, dass die Geschäftsführung der Klägerin (…) auf Basis der vorliegenden Angebote Vermögenswerte insgesamt oder einzeln veräußert:
- (…) Verkauf der Beteiligungen an der Beklagten.
In einem gerichtlichen Vergleich stimmte auch der in der Beschlussfassung widersprechende Kommanditist der Klägerin dem Gesellschafterbeschluss zu. Im Anschluss schlossen die Parteien einen Kauf- und Übertragungsvertrag, in dem u.a. der Kommanditanteil der Klägerin an der Beklagten an die Beklagte verkauft, der Kommanditanteil an der V KG an die Beklagte verkauft und abgetreten, der Geschäftsanteil an der V GmbH an die Beklagte verkauft sowie vereinbart wurde, dass die V KG anstelle der Klägerin in sämtliche Rechte und Pflichten des Druckvertrags eintritt.
Mit der Klage begehrte die Klägerin im Wesentlichen die Feststellung des Fortbestands der übertragenen Beteiligungen bzw. deren Rückübertragung. Das LG Ravensburg wies die Klage ab. Die hiergegen gerichtete Berufung blieb ohne Erfolg. Das Berufungsgericht hatte ausgeführt, dass es zwar an einer gemäß § 179a AktG erforderlichen Zustimmung der Gesellschafterversammlung fehle, da diese sich auf den vollständigen schriftlich ausformulierten Vertragsentwurf beziehen müsse, der zum Zeitpunkt der Fassung des Sanierungsbeschlusses nicht vorgelegen habe, es hierauf aber nicht ankomme, da eine analoge Anwendung der Vorschrift auf die Kommanditgesellschaft abzulehnen sei. Mit der Revision verfolgte die Klägerin ihre zuletzt gestellten Anträge weiter.
III. Entscheidung und Begründung
Die frühere Rechtsprechung des BGH bejahte eine analoge Anwendung von § 179a AktG auf die GmbH und die KG, was zur Konsequenz hat, dass der abzuschließende Vertrag der Gesellschafterversammlung zur Beschlussfassung vorzulegen ist, die erforderliche Beschlussmehrheit 75% beträgt und ein ohne eine solche ordnungsgemäße Beschlussfassung erfolgte Veräußerung unwirksam ist. Im Ergebnis handelt es sich also um einen der seltenen Fälle, in denen die Geschäftsführung nicht uneingeschränkt die Gesellschaft vertreten kann.
Nach Auffassung des BGH scheidet eine Unwirksamkeit des Kauf- und Übertragungsvertrags aufgrund fehlender Beschlussfassung der Gesellschafterversammlung analog § 179a Abs. 1 S. 1 AktG vorliegend aus, da § 179a AktG auf die Kommanditgesellschaft nicht analog anwendbar ist.
Zunächst stellt der BGH entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts klar, dass seine bisherige Rechtsprechung, nach der sich der Rechtsgedanke des § 179a AktG auch auf die Kommanditgesellschaft erstrecke, nicht bereits mit Urteil vom 8.1.2019 (BGH, Urt. v. 8.1.2019 – II ZR 364/18) aufgegeben wurde, da sich diese Entscheidung lediglich mit der Anwendbarkeit auf die GmbH befasse. Unmittelbar im Anschluss konstatiert der BGH jedoch, dass er an seiner bisherigen Rechtsprechung nicht weiter festhalte und § 179a AktG (auch) auf die Kommanditgesellschaft nicht (mehr) analog anwendbar sei.
Zur Begründung führt der BGH aus, dass die Gesetzgebungshistorie zu § 179a AktG keine Anhaltspunkte für eine analoge Anwendung auf die Kommanditgesellschaft gebe bzw. lediglich einen auf Aktionäre gerichteten Schutzzweck aufzeige.
Außerdem fehle es an den Voraussetzungen für eine Analogie. So liege bereits keine planwidrige Regelungslücke bzw. jedenfalls keine vergleichbare Interessenlage vor, da dem Schutzanliegen des § 179a AktG, einer gesellschaftsinternen Kontrolle der Geschäftsführung bei Gesamtvermögensgeschäften durch die Beteiligung der Gesellschafter zu gewährleisten, bei der Kommanditgesellschaft auch ohne entsprechende Anwendung der Norm durch einen gesetzlich verankerten Beschlussvorbehalt Rechnung getragen werde.
Nach den §§ 116 Abs. 2, 119 Abs. 1, 161 Abs. 2, 164 HGB muss die Geschäftsleitung zur Vornahme eines über den gewöhnlichen Betrieb des Handelsgewerbes einer Kommanditgesellschaft hinausgehenden Geschäfts einen zustimmenden Beschluss aller Gesellschafter einholen, sofern nicht der Gesellschaftsvertrag abweichend hiervon eine Mehrheitsentscheidung zulässt. Die Verpflichtung zur Übertragung des gesamten Gesellschaftsvermögens einer Kommanditgesellschaft stelle in der Regel ein außergewöhnliches Geschäft i.S.d. § 116 Abs. 1 und 2 HGB dar, das nach Inhalt und Zweck oder Bedeutung und damit verbundenen Gefahren über den gewöhnlichen Rahmen des Geschäftsbetriebs der Gesellschaft hinausgehe. Dasselbe gelte, wenn das Gesamtvermögensgeschäft als sog. Grundlagengeschäft einzuordnen sei. Dieses Beschlusserfordernis sichere nicht nur die gesellschaftsinterne Kontrolle sondern schütze auch betroffene Minderheitsgesellschafter.
Wenn auch nur nachrangig für die Beantwortung der Frage nach einer Analogie, scheide eine entsprechende Anwendung von § 179a AktG auf die Kommanditgesellschaft auch aufgrund der strukturell erheblichen Einflussmöglichkeiten der Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft und dem hieraus folgenden geringeren Schutzbedürfnis im Unterschied zu Aktionären einer AG aus. So können Aktionäre nur sehr eingeschränkt Einfluss auf die gesetzlichen Kompetenzzuweisungen hinsichtlich der Wahrnehmung der Leitungs- und Überwachungsaufgaben nehmen; insbesondere kann die Hauptversammlung einer AG über Fragen der Geschäftsführung nur nach § 119 Abs. 2 AktG für den Vorstand bindend entscheiden, wenn der Vorstand dies – nach eigenem freien Ermessen – verlangt. Dagegen ist die Komplementärin einer Kommanditgesellschaft nach § 116 Abs. 2 HGB bei Fragen der Geschäftsführung, die über den gewöhnlichen Betrieb des Handelsgewerbes hinausgehen, stets verpflichtet, die Zustimmung der Gesellschafter einzuholen. Zudem kann der Gesellschaftsvertrag einer Kommanditgesellschaft eine Befugnis der Gesellschafterversammlung vorsehen, der Geschäftsführung Weisungen zu erteilen.
Letztlich spreche auch gegen eine analoge Anwendbarkeit des § 179a AktG auf die Kommanditgesellschaft, dass diese ohne unmittelbar gesetzliche Grundlage das tragende Prinzip der Unbeschränktheit und Unbeschränkbarkeit der Vertretungsbefugnis des Geschäftsführers im Außenverhältnis gefährden würde. Für einen Dritten, der mit einer Handelsgesellschaft Rechtsgeschäfte abschließt oder Erklärungen entgegennimmt, sei es, wenn nicht bereits praktisch undurchführbar, so jedenfalls unzumutbar, sich in jedem Einzelfall im Voraus über den Umfang der Vertretungsbefugnis des für die Handelsgesellschaft auftretenden Vertreters zu informieren. Dies sei gerade bei Kommanditgesellschaften von besonderer Bedeutung, da der jeweilige Vertragspartner das Vorliegen eines Gesamtvermögensgeschäfts in der Regel – auch aufgrund der nur geringen Bilanzpublizität – nicht zuverlässig beurteilen könne.
IV. Folgen für die Praxis
Mit dieser Entscheidung setzt der BGH seine bereits für die GmbH geänderte Rechtsprechung auch für die Kommanditgesellschaft konsequent fort und schafft begrüßenswerte Rechtssicherheit für die Praxis.
Zutreffend begründet der BGH die Abkehr von einer analogen Anwendbarkeit des § 179a AktG auf die Kommanditgesellschaft mit dem Fehlen einer planwidrigen Regelungslücke bzw. einer vergleichbaren Interessenlage. Insbesondere besteht bei der Kommanditgesellschaft – wie auch bei der GmbH – aufgrund der erheblichen Einflussmöglichkeiten kein vergleichbares Schutzbedürfnis der Gesellschafter wie bei der AG.
Im Innenverhältnis besteht allerdings ein Zustimmungsvorbehalt, denn auf der Geschäftsführungsebene muss sich die Geschäftsleitung einer Personengesellschaft für die Vornahme eines über den gewöhnlichen Betrieb des Handelsgewerbes der Gesellschaft hinausgehenden Geschäfts einen zustimmenden Beschluss sämtlicher Gesellschafter einholen, sofern nicht nach dem Gesellschaftsvertrag eine Mehrheitsentscheidung zulässig ist. Die Verpflichtung zur Übertragung des Gesamtvermögens der KG ist in der Regel ein solches Geschäft. In der Praxis wird daher auch künftig für Gesamtvermögensgeschäfte von Kommanditgesellschaften in der Regel ein Zustimmungsbeschluss der Gesellschafterversammlung erforderlich sein, jedoch hat das Vorlegen und die Wirksamkeit dieses Beschlusses ebenso keine Auswirkungen, wie die Frage, ob der abzuschließende vertrag der Gesellschafterversammlung zur Zustimmung vorgelegt worden war.
Ebenso dürfte sich die bisher streitige Frage, ob bei Abweichungen vom Grundsatz der Einstimmigkeit durch den Gesellschaftsvertrag in diesem Fall aufgrund § 179a AktG (analog) eine qualifizierte Dreiviertel-Mehrheit zwingend erforderlich ist, erledigt. An sich genügt hierfür eine (hinreichend bestimmte) einfache Mehrheitsklausel, vorausgesetzt, der Gesellschaftsvertrag sieht dies explizit vor. Aufgrund der Tragweite einer solchen Entscheidung dürfte es in den meisten Fällen gleichwohl im Interesse der Gesellschafter liegen, Gesamtvermögensgeschäfte der Zustimmung einer qualifizierten Mehrheit der Gesellschafterversammlung zu unterwerfen.
Ein fehlender Zustimmungsbeschluss führt mangels analoger Anwendbarkeit des § 179a AktG somit grundsätzlich nicht (mehr) zur Unwirksamkeit des Gesamtvermögensgeschäftes im Außenverhältnis, sondern wirkt sich ausschließlich im Innenverhältnis aus. Etwas anderes gilt allenfalls nach den Grundsätzen des Missbrauchs der Vertretungsmacht, d.h. wenn sich dies dem Vertragspartner geradezu aufdrängen muss oder dieser mit dem Vertreter kollusiv zusammenwirkt.
Infolge der Gesamtvermögensübertragung wird die Kommanditgesellschaft jedoch häufig nicht mehr in der Lage sein, ihren Unternehmensgegenstand aufrechtzuerhalten. Die Gesamtvermögensveräußerung schafft dann eine faktische Lage, die eine Änderung des Gesellschaftsvertrages erforderlich macht, für die die darin geregelten Beschlusserfordernisse, ohne Regelung die Einstimmigkeit, einzuhalten sind. Würde man an die Beschlussmodalitäten der Gesamtvermögensveräußerung geringere Anforderungen als an die in Folge erforderliche Gesellschaftsvertragsänderung stellen, bestünde bei unterschiedlichen Mehrheitserfordernissen die Gefahr, dass die Gesellschaftsvertragsänderung scheitert, so dass eine dauerhafte gesellschaftsvertragswidrige Situation entstünde.
Explizit offen gelassen hat der BGH die Fragen, (i) ob ein Gesamtvermögengeschäft auch stets ein Grundlagengeschäft darstellt und (ii) ob der Ausschluss der analogen Anwendbarkeit von § 179a AktG auch für die – an die AG angenäherte – Publikumspersonengesellschaft gilt.
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