KEINE ENTLASTUNG FÜR GESCHÄFTSFÜHRER EINER KOMPLEMENTÄR-GMBH BEI GRAVIERENDER VERLETZUNG SEINER ORGANISATIONS- UND ÜBERWACHUNGSPFLICHTEN
Die Entlastung des Geschäftsführers steht im Ermessen der Gesellschafterversammlung und billigt die Geschäftsführung der Gesellschaft. Inwieweit ist dieses Ermessen eingeschränkt, wenn der Geschäftsführer die ihm obliegenden Pflichten verletzt hat? Können die Gesellschafter der GmbH & Co. KG den Geschäftsführer der Komplementär-GmbH überhaupt direkt in Anspruch nehmen? Das OLG Frankfurt hatte über die Wirksamkeit der Entlastung des Geschäftsführers einer Komplementär-GmbH zu entscheiden, der über Jahre hinweg nicht bemerkt hatte, dass ein angestellter Verwalter der Gesellschaft Gelder unterschlug.
I. Einführung und Hintergründe
Der Geschäftsführer einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung haftet gegenüber der GmbH nach § 43 Abs. 2 GmbHG für Schäden, die ihr aufgrund einer Verletzung seiner Obliegenheiten entstehen. Die Entlastung des Geschäftsführers erfolgt durch die Gesellschafterversammlung und wird durch entsprechenden Gesellschaftsbeschluss (§ 46 Nr. 5 GmbHG), im Regelfall nach Rechnungslegung durch Vorlage des Jahresabschlusses, gefasst. Im Kern bedeutet die Entlastung für den Geschäftsführer die vergangenheitsbezogene Billigung seiner Geschäftsführung. Sie entfaltet eine Präklusionswirkung dergestalt, dass es der Gesellschaft im Umfang der Entlastung verwehrt ist, Ansprüche gegen ihren Geschäftsführer geltend zu machen. Dies betrifft somit abgeschlossene Vorgänge, über die die Gesellschafter auf der Grundlage der Berichtspflicht der Geschäftsführer Kenntnis erlangt haben.
Ist das Unternehmen als GmbH & Co. KG organisiert, haftet der Geschäftsführer der Komplementär-GmbH nach gefestigter obergerichtlicher Rechtsprechung neben der Komplementär-GmbH selbst auch der Kommanditgesellschaft unmittelbar, wenn die alleinige oder wesentliche Aufgabe der Komplementär-GmbH in der Führung der Geschäfte der KG besteht (BGH, Urteil vom 18 Juni 2013 –II ZR 86/11). Dogmatischer Hintergrund ist die Erwägung, dass sich der aufgrund des Organ- und Dienstverhältnisses zwischen der Komplementär-GmbH und ihrem Geschäftsführer bestehende Schutzbereich auf die KG erstreckt. Die KG kann damit im Falle einer Pflichtverletzung grundsätzlich den Geschäftsführer der Komplementär-GmbH direkt in Anspruch nehmen und somit wirkt auch der Beschluss der Entlastung der Komplementär-GmbH unmittelbar zugunsten des Geschäftsführers derselben.
II. Aktueller Fall
In dem vom OLG Frankfurt entschiedenen Fall (Urteil vom 23.05.2019 – 5 U 21/18) ging es um die Reichweite der Entlastung der Komplementär-GmbH. Die KG hatte eine Immobilie erworben und diese gewinnbringend vermietet. Zu diesem Zweck hatte sie einen externen Verwalter eingestellt, der die Buchhaltung übernahm und mit einer Bankvollmacht ausgestattet wurde. Diese Bankvollmacht nutzte der Verwalter, um über Jahre hinweg Gelder der KG zu unterschlagen, indem er der KG zustehende Kautionszahlungen für sich vereinnahmte, Handwerkerrechnungen fingierte und sich sein Verwaltergehalt doppelt überwies. Der Gesamtschaden der Gesellschaft betrug am Ende ca. eine halbe Million Euro.
Nach Bekanntwerden dieser Umstände entlasteten die Gesellschafter die Komplementär-GmbH bzw. ihren Geschäftsführer in Gesellschaftersammlungen der KG und der Komplementär-GmbH durch Mehrheitsbeschluss. Der Kläger hatte dagegen gestimmt und begehrte zunächst erfolglos vor dem Landgericht, nun aber mit Erfolg vor dem OLG Frankfurt die Feststellung der Nichtigkeit der Entlastung der Komplementär-GmbH seitens der KG.
III. Ermessenseinschränkungen im Rahmen der Entlastung des Geschäftsführers
Die Entlastung des Geschäftsführers steht grundsätzlich im Ermessen der Gesellschafter. Umstritten ist allerdings nach wie vor, inwieweit dieses Ermessen bei Vorliegen grober Verfehlungen seitens des Geschäftsführers eingeschränkt ist. Insbesondere die Frage, ob die Gesellschafter die Entlastung verweigern müssen, wenn ihnen ein zum Schadensersatz verpflichtender Rechtsverstoß seitens des Geschäftsführers bekannt ist, ist Gegenstand lebendiger Diskussion und auch die Rechtsprechung verhält sich hierzu bislang uneinheitlich. Entscheidend ist, ob das der Gesellschafterversammlung eingeräumte Ermessen so weit reduziert werden kann, dass nur noch die Verweigerung der Entlastung in Betracht kommt. Dies ist nach der Rechtsprechung eine Frage des Einzelfalls.
Das OLG Frankfurt hat in der Zustimmung zur Entlastung eine Verletzung der gesellschaftlichen Treuepflicht erkannt und damit die Nichtigkeit des Beschlusses festgestellt. Die Entlastung sei nichtig, wenn keine andere Entscheidung als die Versagung denkbar und damit die Entlastung missbräuchlich ist, insbesondere weil dem Geschäftsführer schwere bzw. gravierende Pflichtverletzungen vorzuwerfen sind und der Gesellschaft ein erheblicher Schaden zugefügt wurde. Genauso wie die Entlastung eines GmbH-Geschäftsführers treuwidrig sei, wenn die Gesellschafter aufgrund ihrer Treuepflicht verpflichtet gewesen wären, nach § 46 Nr. 8 GmbHG die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen den Geschäftsführer zu beschließen. Maßgeblich sei damit, ob die Gesellschafter der KG durch die Entlastungsentscheidungen auch auf einen Anspruch der KG gegen den Geschäftsführer auf Schadensersatz verzichtet hätten, obwohl eine derart gravierende Pflichtverletzung vorlag, nach der keine andere Entscheidung als die Versagung der Entlastung denkbar gewesen sei. Diese Voraussetzungen sah das OLG Frankfurt als erfüllt an.
Zunächst stehe der Haftung des Geschäftsführers nicht schon der Umstand entgegen, dass er in seiner Person lediglich Geschäftsführer der Komplementär-GmbH ist. Aus dem Anstellungs- und Organverhältnis des Geschäftsführers zur Komplementär-GmbH ergäben sich Schutzpflichten, die auch die KG einbeziehen, sodass diese einen Direktanspruch gegen den Geschäftsführer habe (s.o.). Dieser habe nach § 43 Abs. 1 GmbHG die Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmannes anzuwenden. Er könne seine Aufgaben zwar an Dritte delegieren, sei in diesem Fall jedoch verpflichtet, diese sorgfältig auszuwählen, anzuleiten und zu kontrollieren. Diese Kontrolle habe umso lückenloser zu erfolgen, je gefahrgeneigter die delegierte Aufgabe sei (Kontrollpflicht). Ferner müsse der Geschäftsführer die Gesellschaft so organisieren, dass Pflichtverletzungen von Personen, an die Aufgaben delegiert wurden, verhindert werden (Organisationspflicht). Nach diesen Maßstäben habe der Geschäftsführer seine Pflichten schwerwiegend verletzt. Insbesondere die Nutzung der Kontovollmacht habe dem Verwalter uneingeschränkten Zugriff auf das Gesellschaftsvermögen ermöglicht und sei daher derart missbrauchsanfällig, dass eine regelmäßige Kontrolle erforderlich gewesen wäre. Die Gefahrgeneigtheit dieser Organisation und der mangelnden Überwachung durch den Geschäftsführer habe sich durch die über Jahre hinweg geschehenen Unterschlagungen eindrucksvoll realisiert. Vor diesem Hintergrund träfe ihn eine gravierende Verletzung seiner Geschäftsführerpflichten nach § 43 Abs. 1 GmbHG, weswegen die Gesellschafter der KG die Komplementär-GmbH (und damit mittelbar ihren Geschäftsführer) nicht hätten entlasten dürfen.
IV. Ausblick und Folgen für die Praxis
Das Urteil beleuchtet die Voraussetzungen, unter denen die Gesellschafter im Rahmen der Beschlussfassung über die Entlastung des Geschäftsführers in ihrem Ermessen eingeschränkt sind und schafft somit erfreulicherweise ein gewisses Maß an Rechtsklarheit. Die langjährige Streitfrage, ob das Ermessen der Gesellschafter generell eingeschränkt ist, wenn schadensersatzbegründende Pflichtverletzungen bekannt sind, bleibt dagegen unbeantwortet. In jedem Fall bedeutet das Urteil eine weitere Entwertung des Rechtsinstituts der Entlastung des Geschäftsführers und damit einhergehend eine weitere Einschränkung der Autonomie von Gesellschaftern im Rahmen ihrer Beschlussfassung. Darüber hinaus unterstreicht das Urteil einmal mehr, dass es aus Sicht des Geschäftsführers angezeigt ist, bei besonders sensiblen Entscheidungen im Vorfeld das Einverständnis aller Gesellschafter einzuholen. Mittlerweile ist die Revision anhängig, sodass abzuwarten bleibt, ob sich der BGH in dieser Frage der Rechtsauffassung des OLG Frankfurt anschließt.
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