KEINE PROZESSFÜHRUNGSBEFUGNIS DER KOMMANDITISTIN EINER GMBH & CO. KG GEGEN DEN FREMDGESCHÄFTSFÜHRER DER KOMPLEMENTÄR-GMBH
Nach ständiger Rechtsprechung des BGH können Gesellschafter bestimmte Ansprüche der Gesellschaft gegen einen Mitgesellschafter als Prozessführer im Wege der „actio pro socio“ geltend machen. Bislang umstritten war jedoch, ob auch dem Kommanditisten einer GmbH & Co. KG für Ansprüche der KG gegen den Fremdgeschäftsführer ihrer Komplementär-GmbH ein solches Recht zusteht. Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 19.12.2017 (II ZR 255/16) dies abgelehnt.
I. Rechtsfigur der „actio pro socio“
Unter der „actio pro socio“ versteht man das Recht eines jeden Gesellschafters, von den Mitgesellschaftern Erfüllung ihrer Verpflichtungen gegenüber der Gesellschaft zu verlangen und diese im Ernstfall auch einzuklagen. Es handelt sich dabei um ein Minderheitenrecht des einzelnen Gesellschafters, welches diesem die Geltendmachung innergesellschaftlicher Rechte ermöglicht, falls er diese mangels hinreichender Geschäftsführungs- oder Vertretungsbefugnis nicht selbstständig geltend machen kann. Die „actio pro socio“ bezieht sich daher ausschließlich auf sog. Sozialansprüche, d.h. auf Ansprüche der Gesellschaft gegen den einzelnen Gesellschafter, die ihre Grundlage mittelbar oder unmittelbar im Gesellschaftsvertrag haben. Die praxisrelevantesten Beispiele für derartige Ansprüche sind Ansprüche auf Zahlung der Beiträge oder Schadensersatz wegen Verletzung des Gesellschaftsvertrages oder der Geschäftsführungspflichten.
Im Umkehrschluss gilt die „actio pro socio“ dagegen grundsätzlich nicht für die Geltendmachung von Ansprüchen gegen Dritte, da für diesen Fall die gesetzlichen und gesellschaftsvertraglichen Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnisse Vorrang vor dem Interesse an der gerichtlichen Durchsetzung von Gesellschaftsforderungen haben. In Ausnahmefällen kann jedoch auch eine Anwendung der „actio pro socio“ auf Ansprüche gegen Dritte erfolgen. Ein solcher Ausnahmefall liegt insbesondere dann vor, wenn für den unmittelbaren Durchgriff auf den Dritten ein besonderes Interesse des Gesellschafters besteht.
II. Keine Anwendbarkeit der „actio pro socio“ auf Ansprüche der GmbH & Co. KG gegen den Fremdgeschäftsführer ihrer Komplementär-GmbH
1. Bisherige Rechtsauffassung
Ein solches besonderes Interesse für die Anwendbarkeit der „actio pro socio“ wurde vom BGH im Fall der Geltendmachung von Ansprüchen der Kommanditgesellschaft gegen ihren geschäftsführenden Gesellschafter als möglich angesehen (BGH, Urteil vom 2.7.1973 – II ZR 94/71).
Auf dieser Grundlage wurde in der Literatur angenommen, die „actio pro socio“ sei auch auf Ansprüche gegen den Fremdgeschäftsführer der Komplementär-GmbH einer GmbH & Co. KG anwendbar. Auch in diesem Fall sollte ein solches besonderes Interesse bestehen, da der Geschäftsführer als Organ der Komplementär-GmbH nicht mit einem beliebigen anderen Schuldner vergleichbar sei und daher die Interessenlage derjenigen bei der Geltendmachung von Ansprüchen gegen den geschäftsführenden Gesellschafter entspreche. Eine Entscheidung des BGH zu dieser Frage stand bislang jedoch noch aus.
2. Die Entscheidung des BGH
Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 19.12.2017 (II ZR 255/16) die Anwendbarkeit der „actio pro socio“ zur Durchsetzung von Ansprüchen einer GmbH & Co. KG gegen den Fremdgeschäftsführer ihrer Komplementär-GmbH abgelehnt.
Die Kläger, Kommanditisten einer GmbH & Co. KG, verlangten von dem beklagten Fremdgeschäftsführer der Komplementär-GmbH Ausgleichszahlungen an die Kommanditgesellschaft aufgrund eines Grundstückskaufs zu einem überteuerten Preis. Diesen hatte die Komplementär-GmbH als geschäftsführende Gesellschafterin für die GmbH & Co. KG getätigt. Vertreten wurde die Komplementärin hierbei durch den Beklagten als ihren zur Einzelvertretung berechtigten Geschäftsführer.
Der BGH wies die Klage als bereits unzulässig ab. Die Kläger seien als Kommanditisten nicht zur Geltendmachung von Ansprüchen der Kommanditgesellschaft gegen den Geschäftsführer berechtigt gewesen. Es fehle ihnen an der Prozessführungsbefugnis als zwingende Zulässigkeitsvoraussetzung der Klage. Dies deshalb, weil die klagenden Kommanditisten hier gerade keinen Anspruch aus dem Gesellschaftsverhältnis gegenüber einem Mitgesellschafter auf Leistung an die Gesellschaft geltend machten. Vielmehr richte sich der Anspruch hier gegen den Fremdgeschäftsführer, einen Nichtgesellschafter. Die Aufgabe der Einziehung von Gesellschaftsforderungen sei bei Personengesellschaften eine Maßnahme der Geschäftsführung, also des geschäftsführenden Gesellschafters – hier der Komplementär-GmbH. Kein Gesellschafter müsse daher dulden, dass ein nichtberechtigter Gesellschafter die Entscheidung über die klagweise Geltendmachung einer Forderung gegenüber Dritten – unter Durchbrechung der Regeln über die Geschäftsführung – allein treffe.
Hieran ändere auch die (oben unter Ziffer 1 dargestellte) Möglichkeit der Anwendbarkeit der „actio pro socio“ durch die BGH-Rechtsprechung auf Ansprüche der Kommanditgesellschaft gegen einen geschäftsführenden Gesellschafter nichts, weil diese sich eben nicht auf Ansprüche gegen Dritte, also Nichtgesellschafter, erstrecke.
Ein Bedarf der Erweiterung der Grundsätze der „actio pro socio“ auf Fälle wie den hier vorliegenden besteht nach Auffassung des BGH nicht. Ein Durchgriff der Kommanditisten gegen den Fremdgeschäftsführer der Komplementär-GmbH ist auch deswegen nicht erforderlich, weil zu erwarten sei, dass der Fremdgeschäftsführer den gegen ihn gerichteten Anspruch nicht durchsetzen werde. Diese Pflichtverletzung des Geschäftsführers führe nämlich im Verhältnis zwischen der Komplementär-GmbH und der Kommanditgesellschaft zu einem Schadenersatzanspruch der Kommanditgesellschaft gegen die Komplementär-GmbH, die sich die Pflichtverletzungen ihres Geschäftsführers zurechnen lassen müsse.
Diesen Schadensersatzanspruch der Kommanditgesellschaft gegen die Komplementär-GmbH könnten die Kommanditisten unstreitig im Wege der „actio pro socio“ durchsetzen, einen Titel gegen die Komplementär-GmbH erstreiten und daraus in den Anspruch der Komplementär-GmbH gegen ihren Geschäftsführer vollstrecken.
III. Praxisfolgen
Für die Praxis bedeutet diese Entscheidung des BGH, dass die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen durch Kommanditisten einer KG, die nicht Gesellschafter der Komplementär-GmbH sind, gegen die Geschäftsführung der Komplementär-GmbH nicht im Wege der „actio pro socio“ erfolgen kann. Eine solche Klage wäre bereits unzulässig. Vielmehr sind die Kommanditisten auf die Geltendmachung gegenüber der Komplementär-GmbH verwiesen, während der Komplementär-GmbH ein Anspruch gegen ihren Geschäftsführer zusteht. In einer solchen Konstellation sind auch die Möglichkeiten der Anspruchsdurchsetzung mittels Bestellung eines besonderen Vertreters bei der GmbH gemäß § 46 Nr. 8 GmbHG bzw. bei der Kommanditgesellschaft in analoger Anwendung der Vorschrift zu erwägen.
Um den vom BGH abgelehnten Durchgriff der Kommanditisten auf Nichtgesellschafter als Schuldner der Komplementär-GmbH zu ermöglichen, könnte im Rahmen der Gestaltung der Gesellschaftsverträge bei einer GmbH & Co. KG die Vereinbarung einer vertraglichen Prozessführungsbefugnis der Kommanditisten erwogen werden, damit diese im Wege der gewillkürten Prozessstandschaft den Anspruch selbst einklagen können.
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