MÄNGELGEWÄHRLEISTUNG UND STÖRUNG DER GESCHÄFTSGRUNDLAGE BEIM UNTERNEHMENSKAUF – ERFORDERNIS DES AUSSCHLUSSES VON § 313 BGB IM SPA?
Unternehmenskaufverträge enthalten in der Regel einen – im Einzelnen ausverhandelten, mehr oder weniger umfangreichen – Katalog von Garantieerklärungen des Verkäufers verbunden mit Vereinbarungen über die Rechtsfolgen im Falle der Unrichtigkeit einer Garantieerklärung. Die grundsätzlich daneben bestehende gesetzliche Haftung des Verkäufers wird üblicherweise im Rahmen des rechtlich Zulässigen ausgeschlossen. Dass auf die Ausgestaltung des vertraglichen Haftungsausschlusses – insbesondere seine Reichweite – ein besonderes Augenmerk zu legen ist, zeigt eine Entscheidung des BGH vom 26. September 2018 (VIII ZR 187/17).
I. Urteil des BGH vom 26. September 2018
1. Sachverhalt
Der Entscheidung des BGH lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die Klägerin und die Rechtsvorgängerin der Beklagten waren seit dem Jahr 2001 im Rahmen eines Joint Ventures zu gleichen Teilen an einer Gesellschaft in der Rechtsform einer GmbH (nachfolgend Zielgesellschaft) beteiligt. Aufgrund von Meinungsverschiedenheiten zwischen den Gesellschaftern sollte das Joint Venture im Wege des Verkaufs der von der Beklagten an der Zielgesellschaft gehaltenen Geschäftsanteile an die Klägerin beendet werden. Nach einem von der Klägerin in Auftrag gegebenen Gutachten einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft belief sich der Gesamtwert der Zielgesellschaft zum 31. Dezember 2010 auf rund EUR 8 Mio. Vor diesem Hintergrund erwarb die Klägerin mit Wirkung zum 1. Oktober 2011 die Geschäftsanteile der Beklagten zu einem Kaufpreis von rund EUR 4 Mio. Der Kaufvertrag enthielt verschiedene Garantieerklärungen der Beklagten, insbesondere betreffend das rechtswirksame Bestehen der verkauften Geschäftsanteile, das Fehlen von Belastungen mit Rechten Dritter, die Eigentümerstellung der Beklagten hinsichtlich der Geschäftsanteile sowie die hälftige Einzahlung der Einlagen auf diese. Gesetzliche Gewährleistungsansprüche der Klägerin wurden ausgeschlossen, „soweit dies rechtlich möglich“ ist. Nach Vollzug des Kaufvertrages wurde im Zuge der Prüfung des Jahresabschlusses der Zielgesellschaft für das Geschäftsjahr 2011 festgestellt, dass der für die Kaufpreisfindung maßgebliche Jahresabschluss für das Geschäftsjahr 2009 infolge massiver Abgrenzungsfehler deutlich zu hohe Umsatzerlöse ausgewiesen hatte. Bei Zugrundelegung der den Parteien nicht bekannten, zutreffenden Unternehmenszahlen hätte sich eine deutliche Unterbilanz ergeben. Die Beklagte verlangte vor diesem Hintergrund die Rückerstattung des gezahlten Kaufpreises und stützte dieses Begehren auf einen Anspruch auf Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage, hilfsweise auf Mängelgewährleistungsansprüche.
2. Entscheidungsgründe
Die Vorinstanzen hatten die Klage jeweils abgewiesen. Die Überschuldung und Insolvenzreife der Zielgesellschaft sei in entsprechender Anwendung des Sachmängelgewährleistungsrechts (§§ 434 ff. BGB) auf den Anteilskauf nach den vom BGH entwickelten Grundsätzen ein Sachmangel der verkauften Geschäftsanteile. Die Haftung für Sachmängel sei im Kaufvertrag jedoch ausdrücklich ausgeschlossen worden. Ansprüche aus § 313 BGB wegen Störung der Geschäftsgrundlage kämen ebenfalls nicht in Betracht, weil im Anwendungsbereich des Mängelrechts eine Sperrwirkung für die Anwendbarkeit von § 313 BGB bestehe.
Der BGH bestätigte in einem ersten Schritt noch die Auffassung des Berufungsgerichts, dass § 313 BGB im Anwendungsbereich der kaufrechtlichen Sach- und Rechtsmängelgewährleistung nicht herangezogen werden kann. Grund hierfür sei, dass die §§ 434 ff. BGB die Risikoverteilung zwischen Verkäufer und Käufer vorgeben würden und diese nicht durch die Anwendung der Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage umgangen werden dürfe. Dies müsse auch dann gelten, wenn im Einzelfall die Voraussetzungen für eine Mängelhaftung – etwa aufgrund eines vertraglich vereinbarten Haftungsausschlusses – nicht vorlägen.
Anders als die Vorinstanzen sah der BGH den Anwendungsbereich des Mängelgewährleistungsrechts im konkreten Fall jedoch nicht als eröffnet an. Nach Auffassung des BGH stellt ein Mangel des verkauften Unternehmens – vorliegend dessen Überschuldung und in der Folge dessen Insolvenzreife – weder einen Sach- noch einen Rechtsmangel der verkauften Geschäftsanteile dar. Insbesondere erteilte der BGH Tendenzen im Schrifttum, wonach bei einem Anteilskauf Mängel einzelner Sachen, Rechte oder sonstigen Gegenstände bzw. des Unternehmensvermögens zugleich als Mängel des verkauften Anteils anzusehen sind, eine klare Absage: Auch nach Inkrafttreten des Gesetzes zur Modernisierung des Schuldrechts vom 26. November 2001 (Schuldrechtsmodernisierungsgesetz) hafte der Verkäufer eines Rechts nur für dessen Bestand (Verität), nicht aber für die Güte des Gegenstandes, auf den sich das Recht bezieht (Bonität). Dies ergebe sich nicht zuletzt aus einem Umkehrschluss zu § 453 Abs. 3 BGB. Für eine Ausweitung der Gewährleistungshaftung beim Rechtskauf bestehe auch kein praktisches Bedürfnis. Denn die Parteien eines Anteilskaufvertrages könnten – wie in der Praxis üblich – entsprechende Garantieabreden treffen. Wenn die Parteien dies versäumt hätten, sei der Käufer dennoch nicht schutzlos. Denn ihm stünden im Grundsatz Ansprüche aus culpa in contrahendo (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 2, 241 Abs. 2 BGB) oder wegen Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB zu.
Schließlich sei die Überschuldung und Insolvenzreife der Zielgesellschaft – anders als im Schrifttum überwiegend behauptet – auch kein Rechtsmangel der verkauften Geschäftsanteile. Denn der rechtliche Bestand der Geschäftsanteile werde durch die Überschuldung bzw. Insolvenzreife nicht beeinträchtigt, insbesondere bestünden Stimmrechte und Gewinnansprüche wie vor Eintritt der Überschuldung.
Gleichzeitig stellte der BGH klar, dass seine ständige Rechtsprechung vor Inkrafttreten des Schuldrechtmodernisierungsgesetzes, wonach im Falle des Anteilskaufs unter bestimmten Voraussetzungen das Sachmängelgewährleistungsrecht bei Mängeln des von der Gesellschaft betriebenen Unternehmens entsprechende Anwendung finden kann, auch nach Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes Bestand hat. Voraussetzung einer solchen entsprechenden Anwendung der §§ 434 ff. BGB sei, dass sich der Erwerb der Anteile sowohl nach der Vorstellung der Parteien als auch objektiv als Kauf des Unternehmens selbst und damit bei wirtschaftlicher Betrachtung als „Sachkauf“ darstelle. Ein solcher Unternehmens- bzw. Sachkauf liege vor, wenn der Käufer von seinem Verkäufer sämtliche oder nahezu sämtliche Geschäftsanteile erwerbe und damit, ohne durch die Befugnisse von Mitgesellschaftern beeinträchtigt zu sein, uneingeschränkt über das Unternehmen verfügen könne. Diese Voraussetzungen sah der BGH im Fall des Erwerbs von lediglich 50 % der Geschäftsanteile – ungeachtet des Umstandes, dass die Klägerin im Zeitpunkt des Erwerbs bereits die anderen 50 % der Geschäftsanteile gehalten und infolge des Zuerwerbs sämtliche Geschäftsanteile auf sich vereinte hatte – als nicht gegeben an: Der Umstand, dass die Klägerin im Zeitpunkt des Anteilserwerbs bereits Geschäftsanteile an der Zielgesellschaft hielt, könne für die Beurteilung des Vorliegens eines Unternehmenskauf nicht berücksichtigt werden. Denn maßgeblicher Anknüpfungspunkt des Mängelgewährleistungsrechts sei ausschließlich der jeweilige Kaufgegenstand. Und im konkreten Fall waren Kaufgegenstand eben nur 50 % der Geschäftsanteile und damit nicht alle bzw. nahezu alle Geschäftsanteile.
Mangels Anwendbarkeit der §§ 434 ff. BGB war demnach Raum für die Anwendung der Regeln über die Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB. Insoweit konnte der BGH jedoch nicht entscheiden, sondern musste die Sache wegen Fehlens relevanter Feststellungen an das Berufungsgericht zurückverweisen. Zwar hatte dieses bereits festgestellt, dass beide Parteien von einem positiven Eigenkapital und einer Fortführungsfähigkeit der Zielgesellschaft ausgegangen waren. Allerdings fehlte es an Feststellungen, ob und in welchem Umfang diese wesentlichen Vorstellungen der Parteien sich tatsächlich als falsch herausstellten und ob der Klägerin unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls ein Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zumutbar war.
Der BGH wies abschließend noch ausdrücklich darauf hin, dass die Anwendbarkeit des § 313 BGB nicht deshalb ausgeschlossen sei, weil die Parteien im Kaufvertrag einen Ausschluss der gesetzlichen Gewährleistungsansprüche und stattdessen bestimmte Garantien betreffend die zu übertragenden Geschäftsanteile vereinbart hätten. Zwar sei § 313 BGB unanwendbar, wenn sich durch die Störung der Geschäftsgrundlage ein Risiko verwirklicht, das nach den vertraglichen Vereinbarungen in den Risikobereich einer der Parteien fällt. Der streitgegenständliche Kaufvertrag habe jedoch keine näheren Angaben zur wirtschaftlichen Lage der Gesellschaft enthalten und dementsprechend keine Aussage darüber getroffen, wer insoweit das Risiko der Störung des angestrebten Äquivalenzinteresses zwischen Leistung und Gegenleistung tragen sollte.
II. Folgerungen für die Praxis
Die Ausführungen des BGH zur entsprechenden Anwendung des Sachmängelgewährleistungsrechts werden für sich genommen für die Praxis kaum Relevanz haben, da eine Mängelhaftung in Anteilskaufverträgen weit überwiegend vertraglich ausgeschlossen wird. Die Entscheidung führt aber, soweit sie Ansprüche eines Käufers von Geschäftsanteilen nach § 313 BGB betrifft, noch einmal deutlich vor Augen, dass dem Verkäufer von Geschäftsanteilen mit dem Ausschluss der Mängelhaftung allein noch nicht hinreichend gedient ist. Sofern das Berufungsgericht in dem der Entscheidung des BGH zugrunde liegenden Fall die Tatbestandsvoraussetzungen des § 313 BGB als gegeben erachten sollte, wäre der Verkäufer zur Rückzahlung des Kaufpreises an den Käufer verpflichtet. Dieses Ergebnis wollte der Verkäufer durch die Abgabe von nur auf die verkauften Geschäftsanteile bezogenen Garantien (Title-Garantien) und den Ausschluss von gesetzlichen Gewährleistungsansprüchen aber sicherlich gerade vermeiden. Der Verkäufer wäre daher gut beraten gewesen, seine gesetzliche Haftung im Rahmen des rechtlich Zulässigen vollumfänglich, insbesondere einschließlich etwaigen Ansprüchen aus § 313 BGB und aus „culpa in contrahendo“, auszuschließen.
Für Sie da
Ansprechpartner zu diesem Thema
Sven Fritsche
honert münchen
Partner, Rechtsanwalt, Steuerberater
Transaktionen (M&A), Venture Capital, Managementbeteiligung, Steuerrecht, Gesellschaftsrecht
Telefon | +49 (89) 388 381 0 |
[email protected] |
Dr. Thomas Grädler, LL.M. (Birmingham)
honert münchen
Partner, Rechtsanwalt, Steuerberater, Fachanwalt für Steuerrecht
Gesellschaftsrecht, Allgemeines Wirtschaftsrecht, Transaktionen (M&A), Nachfolge, Steuerrecht, Internationales Steuerrecht
Telefon | +49 (89) 388 381 0 |
[email protected] |
Dr. Jan-Christian Heins
honert hamburg
Partner, Rechtsanwalt
Transaktionen (M&A), Kapitalmarktrecht, Venture Capital, Managementbeteiligung, Gesellschaftsrecht
Telefon | +49 (40) 380 37 57 0 |
[email protected] |
Florian Leßniak
honert hamburg
Partner, Rechtsanwalt
Gesellschaftsrecht, Allgemeines Wirtschaftsrecht, Transaktionen (M&A), Insolvenzrecht, Venture Capital
Telefon | +49 (40) 380 37 57 0 |
[email protected] |