NEUE MÖGLICHKEITEN DER PRÄVENTIVEN UNTERNEHMENSRESTRUKTURIERUNG
Am 1. Januar 2021 tritt das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) in Kraft. Erstmals gibt es damit in Deutschland einen rechtlichen Rahmen für vorinsolvenzliche Sanierungsvorhaben. Kriselnde Unternehmen haben die Möglichkeit, selbst mit ihren Gläubigern zu verhandeln und sich auf Grundlage eines Restrukturierungsplans zu sanieren. Die Besonderheit dabei: Stimmt die Mehrheit dem Plan zu, gilt er für alle Beteiligten. Daneben steht es grundsätzlich dem Schuldner offen, welche gerichtlichen Verfahrenshilfen er in Anspruch nimmt. Die Neuregelungen kommen in Anbetracht der andauernden COVID-19-Pandemie zur rechten Zeit.
I. Das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG)
Nach einem Gesetzgebungsverfahren im Schnelldurchlauf tritt am 1. Januar 2021 das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrecht (SanInsFoG) in Kraft. Hintergrund ist die Umsetzung der Restrukturierungsrichtlinie (Richtlinie (EU) 2019/1023 vom 20. Juni 2019) in das nationale Recht. Durch die Umsetzung der Richtlinie werden erstmals EU-weit vorinsolvenzliche Sanierungsmöglichkeiten für kriselnde Unternehmen geschaffen. Bisher gab es solche Verfahren nur in einzelnen Mitgliedstaaten, etwa in UK (scheme of arrangement) und Frankreich (procedure de sauvegarde).
Insbesondere hierzulande stellt sich die Umsetzung der Richtlinie als Neuerung dar: dem deutschen Insolvenzrecht fehlt bisher ein rechtlicher Rahmen für sanierungsbedingte Umstrukturierungen außerhalb eines Insolvenzverfahrens. Unternehmenssanierungen auf Basis außergerichtlicher Verhandlungen sind zwar möglich; weigern sich jedoch einzelne Beteiligte, den Sanierungsplan mitzutragen (bezeichnet als „Akkord-Störer„), scheitert das gesamte Vorhaben – selbst dann, wenn es allen Beteiligten Vorteile gebracht hätte.
Das SanInsFoG setzt den „präventiven Restrukturierungsrahmen“ der Richtlinie nun im deutschen Recht um. Die entsprechenden Vorschriften finden sich primär in einem neuen Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG), es werden aber auch Vorschriften der Insolvenzordnung (InsO) geändert. Die technische Abwicklung insbesondere des Restrukturierungsplans erfolgt in vielen Teilen entsprechend dem schon bekannten, aber nur innerhalb eines Insolvenzverfahrens möglichen sog. Insolvenzplanverfahren, §§ 217-269 InsO.
II. Überblick über das neue Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG)
Nachfolgend erläutern wir die wichtigsten Regelungsmaterien des StaRUG.
1. Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmen
Herzstück des StaRUG ist der vorinsolvenzliche Restrukturierungsrahmen. Unternehmen im Stadium der drohenden Zahlungsunfähigkeit, die aber noch nicht zahlungsunfähig oder überschuldet sind, haben die Möglichkeit, sich unabhängig von einem Insolvenzverfahren auf der Grundlage eines Restrukturierungsplans zu sanieren. Der Restrukturierungsplan muss mehrheitlich angenommen werden und entfaltet seine Wirkung gegenüber allen beteiligten Gläubigern und Gesellschaftern (sog. Planbetroffene), also auch denjenigen, die dem Plan nicht zustimmen. Grundsätzlich führt das betroffene Unternehmen die Verhandlungen mit den Gläubigern selbst. Auch soll der Betrieb des Unternehmens aufrechterhalten bleiben.
a) Inhalt des Restrukturierungsplans (§§ 5 ff. StaRUG)
Der Restrukturierungsplan besteht aus einem darstellenden und einem gestaltenden Teil. Während der darstellende Teil das Restrukturierungskonzept beschreibt und hauptsächlich Informationszwecken dient, greift der gestaltende Teil konkret in die Rechtsstellung der Planbetroffenen ein.
„Gestaltbar“ durch den Plan sind etwa Verbindlichkeiten des Schuldners, vom Schuldner oder seinen Tochtergesellschaften bestellte (Dritt-)sicherheiten, Anteils- und Mitgliedschaftsrechte am Schuldner, aber auch mehrseitige Vertragsverhältnisse zwischen dem Schuldner und Gläubigern (z.B. Konsortialkreditverträge) oder zwischen Gläubigern untereinander (z.B. Interkreditorenvereinbarungen). Im Restrukturierungsplan können also z.B. Fälligkeits- und Kündigungsregelungen bestehender Kreditverträge abgeändert oder debt to equity swaps vereinbart werden. Auch die Aufnahme von neuen Finanzierungen oder die Bestellung neuer Sicherheiten ist zulässig. Nicht restrukturieren lassen sich aber auf diese Weise z.B. Arbeitnehmerforderungen.
Der Plan teilt die Planbetroffenen in Gruppen ein. Ihre Gruppenzugehörigkeit richtet sich nach Art ihrer jeweiligen Forderungen (besicherte und unbesicherte Gläubiger, Gläubiger mit nachrangigen Insolvenzforderungen, Anteilsinhaber). Den Betroffenen derselben Gruppe müssen im Restrukturierungsplan grundsätzlich die gleichen Rechte zugeteilt werden.
An dieser Stelle weisen wir daraufhin, dass das BMJV eine Checkliste für Restrukturierungspläne veröffentlichen wird, die besonders an die Bedürfnisse von kleinen und mittleren Unternehmen angepasst ist (zu finden ab Inkrafttreten des Gesetzes hier).
b) Annahme des Restrukturierungsplans (§§ 17 ff. StaRUG)
Nach der Ausarbeitung des Plans kann der Schuldner die Zustimmung der Beteiligten einzeln einholen oder aber einen Abstimmungstermin durchführen. Abgestimmt wird in den jeweiligen Gruppen. Grundsätzlich ist eine Annahme durch jede Gruppe mit mindestens 75 % der Stimmrechte erforderlich. Die Stimmrechte richten sich nach der Höhe der Forderungen bzw. nach dem Wert der Sicherheiten.
Wird in einer Gruppe die Dreiviertelmehrheit nicht erreicht, verbleibt noch der sogenannte „Cross-Class Cram-Down„: Wenn insgesamt die Mehrheit der abstimmenden Gruppen dem Plan zugestimmt hat, wird der Plan trotzdem beschlossen, solange die Mitglieder der dissentierenden Gruppe durch den Plan nicht schlechter gestellt werden, als sie ohne ihn stünden, und angemessen am wirtschaftlichen Wert der Restrukturierung beteiligt werden.
2. Verfahrenshilfen
Daneben enthält das StaRUG eine Reihe von gerichtlichen Verfahrenshilfen (genannt „Instrumente des Stabilisierungs- und Restrukturierungsrahmens“, § 29 StaRUG), die der Schuldner im Rahmen des Sanierungsvorhabens in Anspruch nehmen kann, aber nicht muss. Eine gerichtliche Beteiligung ist also nicht zwingend erforderlich. Außerdem ist es dem Schuldner überlassen, ob er das Verfahren öffentlich oder nicht-öffentlich durchführen möchte.
Vor diesem Hintergrund kann der Schuldner:
- die Durchführung eines Planabstimmungsverfahrens durch das Gericht beantragen, anstatt die Abstimmung selbst durchzuführen,
- den Restrukturierungsplan gerichtlich bestätigen lassen, mit der Wirkung, dass den Betroffenen Rechtsmittel nur beschränkt zur Verfügung stehen und im Fall einer Folgeinsolvenz der Plan anfechtungssicher ist,
- dem Gericht streitige Rechtsfragen zur Vorprüfung vorlegen,
- für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten die Anordnung einer Vollstreckungs- und Verwertungssperre beantragen (sog. Stabilisierungsanordnung), so dass Gläubiger ihre Forderungen nicht im Wege der Zwangsvollstreckung oder durch die Verwertung von Sicherheiten durchsetzen können.
Hierfür wird eine neue Gerichtszuständigkeit geschaffen: ein Amtsgericht im OLG-Bezirk ist als sogenanntes „Restrukturierungsgericht“ für alle Verfahren nach dem StaRUG zuständig (§ 34 StaRUG).
Auf Antrag bestellt das Gericht auch einen Restrukturierungsbeauftragten, der Schuldner und Gläubiger bei der Aushandlung und Ausarbeitung des Restrukturierungsplans unterstützt. Wenn allerdings am Sanierungsvorhaben Verbraucher oder Kleinst-, kleine oder mittlere Unternehmen beteiligt sind, der Schuldner eine Stabilisierungsanordnung beantragt oder absehbar ist, dass einzelne Planbetroffene dem Plan nicht zustimmen werden, ist die Hinzuziehung des Restrukturierungsbeauftragten nicht mehr fakultativ, sondern er wird von Amts wegen bestellt (§§ 73 ff. StaRUG). Dann kann der Restrukturierungsbeauftragte nach Ermessen des Gerichts auch mit verschiedenen Prüfungs- und Mitwirkungsbefugnissen ausgestattet werden (z.B. Prüfungen als Sachverständiger, Überwachung der Geschäftsführung, Zustimmung zu bestimmten Zahlungsvorgängen des Schuldners).
Neu ist auch die Möglichkeit der Sanierungsmoderation (§§ 94 ff. StaRUG). Für Schuldner, die sich in wirtschaftlichen oder finanziellen Schwierigkeiten befinden, aber noch nicht zahlungsunfähig oder überschuldet sind, bestellt das Gericht auf Antrag einen Sanierungsmoderator, der Schuldner und Gläubiger bei Sanierungsverhandlungen unterstützt. Ein sodann geschlossener Sanierungsvergleich kann gerichtlich bestätigt und dadurch insolvenzanfechtungssicher gemacht werden.
3. Haftung der Geschäftsleiter
Nach § 1 StaRUG sind Geschäftsleiter nunmehr zur Einrichtung eines Krisenfrühwarnsystems und zum Krisenmanagement verpflichtet. Ansonsten sieht das StaRUG keine weiteren Haftungsverschärfungen vor. Die im Gesetzesentwurf der Bundesregierung noch vorgesehenen haftungsbewehrten Pflichten der Geschäftsleiter bei drohender Zahlungsunfähigkeit wurden gestrichen: Unklar war insbesondere das Verhältnis zum gesellschaftsrechtlichen Haftungsregime.
Eine Entlastung für Geschäftsleiter kommt aber in der Form des neuen § 15b InsO: Geschäftsleiter trifft für Zahlungen, die sie nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung zur Aufrechterhaltung des Betriebs tätigen, im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage keine Ersatzpflicht – solange sie ihren insolvenzrechtlichen Pflichten nachkommen (z.B. Vorbereitung und Stellung des Insolvenzantrags oder Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife). Auch müssen Steuerschulden nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung nicht beglichen werden, sofern die Geschäftsleiter ihrer Pflicht zur Insolvenzantragstellung nach § 15a InsO nachkommen.
III. Verhältnis der Neuregelungen zum Insolvenzverfahren
Um eine klare Abgrenzung zwischen Restrukturierungssachen (drohende Zahlungsunfähigkeit) und Insolvenzverfahren (Überschuldung) zu schaffen, ändert das SanInsFoG auch die Insolvenzordnung. In Zukunft beträgt der Prognosezeitraum für die drohende Zahlungsfähigkeit (§ 18 Abs. 2 InsO) 24 Monate, der Prognosezeitraum für die Überschuldung (§ 19 Abs. 2 InsO) nur zwölf Monate. Eine Ausnahme gilt jedoch für von der COVID-19-Pandemie betroffene Unternehmen: zwischen dem 1. Januar 2021 und dem 31. Dezember 2021 beträgt der Prognosezeitraum für die Überschuldung nur vier Monate, wenn die Überschuldung auf die COVID-19-Pandemie zurückzuführen ist. So muss nicht allein aufgrund von aktuellen Prognoseunsicherheiten ein Insolvenzantrag gestellt werden. Außerdem wird die Antragsfrist bei einer Überschuldung von drei auf sechs Wochen verlängert (§ 15a Abs. 1 InsO), so dass eine Überschuldung u.U. noch abgewendet werden kann.
Während der Rechtshängigkeit einer Restrukturierungssache ruht die Insolvenzantragspflicht (§ 42 StaRUG); wird eine Stabilisierungsanordnung verhängt, ist auch das Insolvenzantragsrecht der Gläubiger (§ 14 InsO) ausgesetzt. Der Schuldner ist jedoch verpflichtet, sofort mitzuteilen, wenn die Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung eintritt. Grundsätzlich hat dies zur Folge, dass die Restrukturierungssache aufgehoben und ein Insolvenzverfahren eröffnet wird. Das Gericht kann dann dennoch von der Aufhebung absehen, wenn die Restrukturierungssache so weit fortgeschritten ist, dass die Aufhebung nicht im Interesse der Gläubiger läge.
IV. Fazit
Der große Vorteil des neuen Restrukturierungsrahmens liegt in der Einführung des schon aus dem Insolvenzplanverfahren bekannten Mehrheitsprinzips in der Vorinsolvenzphase: Sanierungsvorhaben können nun nicht mehr am Widerstand einzelner Gläubiger scheitern und es muss auch keine förmliche Insolvenz durchgeführt werden. Zudem ermöglicht der „Mix & Match“-Charakter der Verfahrenshilfen eine flexible Anpassung des Sanierungsvorhabens an die Bedürfnisse des Schuldners. Es steht zu erwarten, dass Deutschland als Restrukturierungsstandort in Zukunft beliebter wird und ein Ausweichen in andere Rechtsordnungen („forum shopping„) abnimmt. Ob das komplexe und beratungsintensive Verfahren aber für kleine und mittlere Unternehmen einen Mehrwehrt liefert, bleibt abzuwarten.
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