NEUES ZUM MITBESTIMMUNGSRECHT VON ARBEITNEHMERN IN AUFSICHTSRÄTEN
Überschreitet die bei einem Unternehmen beschäftigte Anzahl der Arbeitnehmer bestimmte Schwellenwerte, sieht das Gesetz die Einrichtung eines durch Arbeitnehmer mitbestimmten Aufsichtsrates vor. Die Bestimmung der Anzahl der beschäftigten Arbeitnehmer erfolgt nach der gefestigten Rechtsprechung unter Berücksichtigung der Vergangenheit und der zukünftigen Entwicklung anhand mehrmonatiger Referenzperioden. Auf diese Weise sollen zufällige Ergebnisse aufgrund kurzfristiger Schwankungen der Arbeitnehmeranzahl und häufige Wechsel der Struktur im Aufsichtsrat vermieden werden. In einer neuen Entscheidung hat das Bayerische Oberste Landesgericht (BayObLG) diese Rechtsprechung konkretisiert und die Position der Unternehmen gestärkt.
I. Einführung
§ 1 Abs. 1 des Gesetzes über die Drittelbeteiligung der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat (DrittelbG) gewährt den Arbeitnehmern einer Aktiengesellschaft, einer Kommanditgesellschaft auf Aktien oder einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) ein Mitbestimmungsrecht im Aufsichtsrat, wenn die betreffende Gesellschaft in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmer hat. Anders ist es nach dem MitbestG, bei dem eine Anzahl von 2.000 Arbeitnehmern maßgeblich ist.
Nach dem klaren Wortlaut ist der Arbeitnehmerbestand „in der Regel“ zu bestimmen. Der Gesetzgeber erklärt den regemäßigen Arbeitnehmerbestand für maßgeblich, um zufälligen Resultaten bei schwankenden Beschäftigungszahlen vorzubeugen. Nach der gefestigten Rechtsprechung ist der tatsächliche Arbeitnehmerbestand deshalb nicht durch Abzählen an einem bestimmten Stichtag, sondern unter Berücksichtigung der Vergangenheit und der zukünftigen Entwicklung festzulegen. Der dafür angemessene Bemessungszeitraum (Referenzperiode) muss dem Zweck dienen, dass bei Schwankungen der Arbeitnehmeranzahl kein häufiger Wechsel der Mitbestimmungsform eintritt. Die Gerichte halten hierzu eine Referenzperiode von 17 bis 20 Monaten regelmäßig für erforderlich und ausreichend.
Gelangt etwa eine GmbH auf dieser Grundlage zu dem Ergebnis, dass sie in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt, hat sie einen Aufsichtsrat zu bilden, der zu einem Drittel aus Arbeitnehmervertretern besteht (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG i.V.m. § 4 Abs. 1 DrittelbG). Soweit die GmbH später zu der Auffassung gelangt, dass sie den Schwellenwert in der Regel nun nicht mehr überschreitet, muss sie dies zunächst im sogenannten Statusverfahren nach den (gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG auch für die mitbestimmte GmbH anzuwendenden) §§ 97 bis 99 AktG öffentlich bekanntmachen.
Mit dem Statusverfahren bekommen die in § 98 Abs. 2 AktG aufgeführten Betroffenen (insbesondere Betriebsräte, Gewerkschaften und Aktionäre) Gelegenheit, gegen die veränderte Zusammensetzung des Aufsichtsrats vorzugehen und eine gerichtliche Entscheidung herbeizuführen. § 99 Abs. 1 AktG regelt, dass auf das Verfahren das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) anzuwenden ist. Während die Zivilprozessordnung (ZPO) den Beibringungsgrundsatz, also den Grundsatz, dass jede Partei, die für sich günstigen Umstände selbst vortragen muss, verfolgt, gilt im FamFG der sog. Amtsermittlungsgrundsatz, wonach das Gericht bei Vorliegen eines entsprechenden Antrags selbstständig den Sachverhalt ermitteln muss und anschließend danach entscheidet.
II. Beschluss des BayObLG
In einer neuen Entscheidung hat das BayObLG die oben skizzierte Rechtsprechung bestätigt und weiter konkretisiert.
1. Sachverhalt
In dem zugrunde liegenden Sachverhalt hatte die Antragsgegnerin, eine im Bereich der Logistikdienstleistungen tätige GmbH, bei der im Jahr 2017 auf Grundlage des DrittelbG ein Aufsichtsrat gebildet worden war, das Statusverfahren eingeleitet, da die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG nach Ansicht ihrer Geschäftsführung nicht mehr vorlagen. Während sie im Jahr 2017 in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt habe, habe sie nunmehr als Folge einer im Jahre 2019 durchgeführten Personalreduktion weniger als 400 Arbeitnehmer. Die Geschäftsführung erwarte nicht, dass die Arbeitnehmerzahl im Kalenderjahr 2020 oder auch danach in der Regel mehr als 400 Arbeitnehmer übersteigen werde. Die Zahl der in der Regel bei der Antragsgegnerin beschäftigten Arbeitnehmer werde damit deutlich unter dem Schwellenwert von 500 liegen. Das Drittelbeteiligungsgesetz sei auf sie daher nicht mehr anwendbar.
Hiergegen wandte sich der Antragssteller, der Betriebsrat der Antragsgegnerin, in seinem Antrag vor dem Landgericht München mit der Begründung, es könne nicht davon ausgegangen werden, dass bei der Gesellschaft in der Regel weniger als 500 Arbeitnehmer beschäftigt seien. Die zukünftige Entwicklung der Gesellschaft sei derzeit völlig ungewiss und die Personalplanung der Antragsgegnerin nicht nachvollziehbar. Sie basiere nicht auf einer nachvollziehbaren und realistischen Einschätzung der tatsächlichen Sachlage. Tatsächlich herrsche Personalmangel. Das Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Hiergegen wandte sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde, der das Landgericht nicht abhalf.
2. Entscheidung des BayObLG
Das BayObLG hat sich der Rechtsauffassung des Landgerichts angeschlossen. Dieses habe rechtsfehlerfrei erkannt, dass die Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Nr. 3 DrittelbG nicht erfüllt waren. Zur Ermittlung der regelmäßigen Beschäftigtenzahl sei nicht nur der Personalbestand in der Vergangenheit, sondern auch die künftige, aufgrund konkreter Unternehmerentscheidungen zu erwartende Entwicklung des Beschäftigtenstands einzubeziehen. Die Feststellung der maßgeblichen Unternehmensgröße erfordere daher sowohl eine rückblickende Betrachtung als auch eine Prognose, bei der konkrete Veränderungsentscheidungen einzubeziehen sind. Generell gelte, dass Prognoseentscheidungen – ausgehend von den rechtlichen Rahmenbedingungen – auf einer hinreichend tragfähigen Tatsachengrundlage beruhen müssen.
Kern des Beschwerdevorbringens des Antragstellers war der Einwand, Planungen, die die Auslastung der Antragsgegnerin bestimmen, hätten von der Antragsgegnerin dargelegt und bei der Prognose berücksichtigt werden müssen. Die Argumentation des Antragstellers, die Antragsgegnerin treffe nach allgemeinen Grundsätzen die Darlegungs- und Beweislast für eine Personalplanung, auf deren Grundlage von einem dauerhaften Absinken der Anzahl der Arbeitnehmer auf unter 500 ausgegangen werde könne, verkenne, dass es sich bei dem Verfahren nach § 99 AktG zwar um ein sog. echtes Streitverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit handelt, in Folge der Anwendbarkeit des FamFG (§ 99 Abs. 1 AktG) das Gericht aber eine Amtsermittlungspflicht (§ 26 FamFG) trifft. Die Grundsätze der subjektiven Beweislast (Beweisführungslast) gelten deshalb nicht, auch wenn den Parteien eine gewisse Mitwirkungspflicht bei der Sachverhaltsaufklärung (§ 27 FamFG) obliege. Den Umfang seiner Ermittlungen bestimme das Gericht unter Berücksichtigung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale und der besonderen Umstände des einzelnen Falles nach pflichtgemäßem Ermessen. Diese Aufklärungspflicht habe das Landgericht nicht verletzt, da der Antragsteller nicht hinreichend konkret vorgetragen habe, weshalb zu erwarten sei, dass die Antragsgegnerin künftig in der Regel mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt.
III. Bewertung und Praxisfolgen
Der Beschluss des BayObLG bestätigt die bisherige Rechtsprechung, wonach für die Beurteilung, ob das DrittelbG anwendbar ist, auf eine Referenzperiode von 17-20 Monaten abzustellen ist, in dem der Schwellenwert von mehr als 500 Arbeitnehmern überschritten wurde. Dies ist zu begrüßen, da bei allzu kurzen Referenzperioden die Gefahr häufiger Strukturwechsel im Aufsichtsrat bestünde, was wiederum eine erhebliche Einschränkung seiner Leistungsfähigkeit als Kontrollorgan nach sich ziehen könnte. Auch die Ausführungen des Gerichts zur Verteilung der Darlegungslast und der Reichweite des Amtsermittlungsgrundsatzes des Gerichts überzeugen. Der Gesetzgeber hat das gerichtliche Verfahren über die Zusammensetzung des Aufsichtsrates bewusst dem auf objektive Richtigkeit (Amtsermittlungsgrundsatz!) abzielenden Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit zugeordnet, da dieses der Eigenart des hier bestehenden Streits weit besser entspricht als das Verfahren nach der Zivilprozessordnung. Dennoch darf die Amtsermittlungspflicht des Gerichts nicht ausufern, sondern kann nur gelten, soweit der Antragsteller konkret vorträgt.
Der Beschluss stärkt insoweit die Position von Unternehmen, da etwaige Antragsteller konkrete Anhaltspunkte dafür vortragen müssen, dass das Unternehmen künftig mehr als 500 Arbeitnehmer beschäftigt und sich nicht darauf zurückziehen können, die Prognose des Unternehmens sei nicht ausreichend tragfähig. Dennoch sollten Unternehmen die relevanten Schwellenwerte genau im Blick haben. Auch wenn der relevante Schwellenwert derzeit noch unterschritten ist, kann bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte dafür, dass die Schwelle künftig überschritten wird, ein Recht auf Etablierung eines mitbestimmten Aufsichtsrats bestehen. Im Konzern (also einem Verbund von mindestens zwei rechtlich selbstständigen Unternehmen) werden die Arbeitnehmer der einzelnen Konzerngesellschaften nach dem DrittelbG der Konzernspitze zugerechnet, wenn ein Beherrschungsvertrag vorliegt, anders beim MitbestG, bei dem eine Mehrheitsbeteiligung erforderlich ist. Daher kann die oben genannte Schwelle von 500 Arbeitnehmer im Einzelfall auch dann überschritten sein, wenn die Gesellschaft an der Konzernspitze diese selbst nicht überschreitet.
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