NICHT OHNE MEINE TOCHTER! ZUR GESTALTUNG VON NACHFOLGEKLAUSELN IN (PERSONEN-)GESELLSCHAFTSVERTRÄGEN
In seiner Entscheidung vom 24.1.2019 hat der OGH Wien erstmals festgestellt, dass sog. Geschlechterklauseln in Gesellschaftsverträgen von Personenhandelsgesellschaften wegen Verstoßes gegen das verfassungsrechtlich gewährleistete Gleichbehandlungsgebot sittenwidrig und damit nichtig sind. Der zum österreichischen Recht ergangenen Entscheidung wird Signalwirkung für das deutsche Gesellschaftsrecht zugesprochen. Vor diesem Hintergrund sollten Regelungen zur Unternehmensnachfolge kritisch geprüft und ggfs. angepasst werden.
I. Nachfolge in Gesellschafterpositionen von Personenhandelsgesellschaften
Die Regelung der Rechtsnachfolge in die Position eines Gesellschafters einer offenen Handelsgesellschaft (OHG) oder Kommanditgesellschaft (KG) ist insbesondere für Familienunternehmen von besonderer Bedeutung. Das Gesetz sieht beim Ausscheiden eines persönlich haftenden Gesellschafters einer OHG oder KG zu Lebzeiten, z.B. durch Kündigung der Gesellschaft, oder von Todes wegen grundsätzlich vor, dass die Gesellschaft ohne den ausscheidenden Gesellschafter fortgesetzt wird. Der Gesellschafter (oder seine Erben) erhalten (nur) einen Abfindungsanspruch gegen die Gesellschaft.
Für die Rechtsnachfolge in die Kommanditistenstellung von Todes wegen sieht das Gesetz in § 177 HGB eine Sonderregelung vor. Danach rücken alle Erben des Kommanditisten in seine Position – entsprechend ihrer Erbquote – ein. Die rechtsgeschäftliche Übertragung einer Gesellschafterstellung ist von Gesetzes wegen hingegen ausgeschlossen und deshalb – zumindest beim Fehlen anderslautender gesellschaftsvertraglicher Bestimmungen – von der Zustimmung aller anderen Gesellschafter abhängig. Diese gesetzlichen Regelungen empfinden Gesellschafter von (Familien-)Personenhandelsgesellschaften oftmals als ungenügend und impraktikabel. Sie machen deshalb regelmäßig von der Möglichkeit Gebrauch, im Gesellschaftsvertrag abweichende Regelungen zu vereinbaren.
Beliebtes Mittel zur Gestaltung der Rechtsnachfolge von Todes wegen sind sog. qualifizierte Nachfolgeklauseln, die den Gesellschaftsanteil vererblich stellen und den möglichen Kreis von Nachfolgern durch Statuierung bestimmter Kriterien festlegen. Nicht selten findet man – insbesondere in älteren Gesellschaftsverträgen – qualifizierte Nachfolgeklauseln, die an das Geschlecht des (einen) Nachfolgers anknüpfen. Mit einer solchen sog. Geschlechterklausel hatte sich der Oberste Gerichtshof in Wien in seiner Entscheidung vom 24.1.2019 auseinanderzusetzen.
II. Entscheidungssachverhalt
Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zu Grunde: Der Gesellschaftsvertrag einer Kommanditgesellschaft aus dem Jahr 1963 enthielt eine Geschlechterklausel, welche vorsah, dass Gesellschaftsanteile an der KG nur an männliche Nachkommen vererbt werden dürfen. Eine Übertragung zu Lebzeiten an weibliche Familienmitglieder war nur mit Zustimmung der anderen beiden Mitgesellschafter zulässig. Als einer der persönlich haftenden Gesellschafter seine Gesellschaftsbeteiligung bereits zu Lebzeiten auf seine Tochter übertragen wollte, verweigerten die beiden anderen Gesellschafter ihre Zustimmung zur Übertragung auf die Tochter. Der betroffene Gesellschafter (und nach dessen Ableben seine Erben) begehrte(n) daraufhin gerichtliche Feststellung der Nichtigkeit der streitgegenständlichen Geschlechterklausel.
III. Die Entscheidung des OGH Wien
Wie schon die Vorinstanzen erklärte der OGH die streitgegenständliche Geschlechterklausel für sittenwidrig und daher unwirksam, da sie für Frauen den Zugang zur Ausübung einer unternehmerischen Tätigkeit in unzulässiger Weise einschränke. Zur Begründung seiner Entscheidung führt der OGH aus, dass zwar die Vertragsfreiheit der Gesellschafter diesen grundsätzlich eine freie Gestaltung ihres Gesellschaftsverhältnisses gewährleiste. Diese Gestaltungsfreiheit jedoch ihre Grenzen u.a. über die Sittenwidrigkeit erfahre. Zur Konkretisierung der Generalklausel „Sittenwidrigkeit“ seien die allgemeinen Wertvorstellungen aller billig und gerecht Denkenden heranzuziehen. Diese Wertvorstellungen leiteten sich – so auch die gefestigte Rechtsprechung in Deutschland – aus den Grundrechten ab (sog. mittelbare Drittwirkung der Grundrechte im Privatrecht).
Gemäß dem verfassungsrechtlich garantieren Gleichheitssatz, der sowohl in Österreich als auch in Deutschland und auf Ebene der Europäischen Union zahlreiche (einfach)gesetzliche Ausprägungen erfahren hat, darf niemand wegen seines Geschlechts, seiner Abstammung, seiner Rasse, seines Glaubens (u.a.) diskriminiert werden. Der OGH leitet daraus ab, dass – heutzutage – eine abstrakt-generelle gesellschaftsvertragliche Regelung keine unsachliche Differenzierung nach dem Geschlecht vornehmen darf und einer gesamten Personengruppe die Möglichkeit zur Erlangung der Gesellschafterstellung und damit verbunden den Zugang zur Ausübung unternehmerischer Tätigkeit entziehen darf. Der OGH stellt in seiner Entscheidung klar, dass es für die Prüfung der Sittenwidrigkeit gesellschaftsvertraglicher Klauseln nicht (nur) auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankommt. Gesellschaftsvertragliche Klauseln, die zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses wirksam waren, dürfen daher nicht mehr angewendet werden, wenn und soweit sie den heutigen Wertvorstellungen widersprechen.
IV. Bedeutung für die Praxis (in Deutschland)
Das deutsche Handelsgesetzbuch galt ab 1939 weitgehend auch in Österreich. Mit dem 1.1.2007 wurde das österreichische Handelsgesetzbuch (HGB) in großem Umfang novelliert und dabei in Unternehmensgesetzbuch (UGB) umbenannt. Auch nach dem Jahr 1945 blieb das Handelsgesetzbuch in Österreich in Geltung belassen. Seither entwickelten sich das deutsche und das österreichische Handelsgesetzbuch getrennt, auch wenn die Kernbestimmungen immer noch vergleichbar waren. Dennoch sind viele Regelungen und Wertungen in Österreich sehr ähnlich zu denen in Deutschland.
Auch wenn die Entscheidung des OGH zum österreichischen Personengesellschaftsrecht ergangen ist und deutsche Gerichte nicht bindet, wird ihr – insbesondere weil der OGH in seiner Entscheidungsbegründung vielfach auf die deutsche Judikatur und Literatur zurückgreift – auch eine Signalwirkung für das deutsche Recht zugesprochen. Überdies wird aus der Entscheidung des Gerichtshofs teilweise ein allgemein gültiger Grundsatz abgeleitet. Gemäß dieses Grundsatzes sollen – unabhängig von der gewählten Rechtsform – Geschlechterklauseln in Gesellschaftsverträgen insoweit unwirksam seien, als sie Personen wegen ihres Geschlechtes diskriminieren und diese Personen in ihrem Zugang zur Ausübung unternehmerischer Tätigkeit einschränken. Darüber hinaus muss die Praxis damit rechnen, dass dieser Grundsatz auf alle diskriminierenden Regelungen (sei es wegen des Geschlechts, des Glaubens, der Rasse oder ähnlichen gleichheitswidrigen Kriterien) angewendet werden könnte. Ferner ist zu bedenken, dass das Verbot der Sittenwidrigkeit nicht nur für (Gesellschafts-)Verträge aktuellen Datums gilt, sondern auch für Altverträge, die oftmals schon Jahrzehnte in Geltung standen. Vor diesem Hintergrund ist Gesellschaftern von Personen- und Kapitalgesellschaften zu raten, die gesellschaftsvertraglichen Grundlagen ihrer Gesellschaft im Lichte der OGH Entscheidung auf ihre Bestandskraft überprüfen und um diskriminierende Klauseln bereinigen zu lassen.
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