OLG MÜNCHEN: TÄUSCHUNG ÜBER KRISENANZEICHEN BEIM UNTERNEHMENSKAUF BERECHTIGT ZUR RÜCKABWICKLUNG
Das OLG München hat sich in einem aktuellen Urteil (Urteil vom 3.12.2020 – 23 U 5742/19) mit den Aufklärungspflichten des Unternehmensverkäufers hinsichtlich der wirtschaftlichen Lage des zu verkaufenden, sich in der Krise befindenden Unternehmens auseinandergesetzt. Aus der Entscheidung lassen sich über den konkreten Fall hinaus allgemeine Grundsätze für die Aufklärungspflichten beim Unternehmenskauf ableiten.
I. Zum Sachverhalt
Im vom OLG München entschiedenen Fall erwarben die Beklagten als Käufer vom Kläger dessen Kommanditanteil an einer GmbH & Co. KG (“KG”) erwarben, die eine Diskothek betrieb. Der Verkäufer hatte in einer auf die zum Verkauf stehende Diskothek bezogenen Annonce auf ImmobilienScout24 einen “sehr schnellen return of invest” in Aussicht gestellt. Außer der Diskothek hatte die KG noch eine verlustbringende Bar betrieben. Während der mehrmonatigen Vertragsverhandlungen gab es mehrere Besprechungen zwischen den Parteien. An einer dieser Besprechungen nahm auch der Steuerberater des Verkäufers teil, um Fragen der Käufer zu beantworten. Den Käufern wurden im Rahmen der Verhandlungen betriebswirtschaftliche Auswertungen (im Folgenden: “BWA”) für das zurückliegende Geschäftsjahr nebst Summen- und Saldenlisten übergeben. Die mit “KG Diskothek” gekennzeichneten BWAs wiesen für den Vorjahreszeitraum ein erheblich negatives Ergebnis aus. Das tatsächlich erwirtschafte Ergebnis der KG war jedoch noch deutlich schlechter als in den BWAs ausgewiesen, weil die Verluste aus dem Betrieb der Bar darin nicht enthalten waren. Die KG hatte tatsächlich noch nie ein positives Ergebnis erwirtschaftet. Ob der Steuerberater des Verkäufers die Beklagten darauf hingewiesen hatte, dass die Verluste aus dem Betrieb der Bar in den BWAs nicht enthalten waren, war zwischen den Parteien umstritten. In einer dem Vertragsabschluss vorangegangenen E-Mail hatte der Verkäufer geäußert, dass “das ganze jetzt wieder erheblich ins Plus” gehe.
Im Rahmen des notariellen Einbringungs- und Veräußerungsvertrages (“Unternehmenskaufvertrag”) hatten sich die Beklagten u.a. verpflichtet, den Kläger von einer Bürgschaftsschuld freizustellen, aus welcher der Kläger später in Anspruch genommen wurde, nachdem die Beklagten ein knappes Jahr nach Vertragsabschluss für die KG Insolvenzantrag stellten.
Der Kläger nahm die Käufer der KG auf Schadensersatz wegen Verletzung ihrer Freistellungsverpflichtung bezüglich der Bürgschaft in Anspruch. Die Beklagten verlangten ihrerseits per Widerklage Schadensersatz in Form der Rückgängigmachung des Unternehmenskaufvertrages und des Ersatzes der ihnen im Zusammenhang mit dem Erwerb entstandenen Aufwendungen.
II. Die Entscheidung des OLG München
Nachdem das LG München I in erster Instanz sowohl die Klage als auch die Widerklage abgewiesen hatte, hielt das OLG München die auf Rückabwicklung des Unternehmenskaufvertrages gerichtete Widerklage der Beklagten für begründet.
Der Unternehmenskaufvertrag sei durch Anfechtung der Beklagten wegen arglistiger Täuschung des Verkäufers unwirksam. Bei einem Unternehmensverkauf treffe den Verkäufer eine gesteigerte Aufklärungspflicht, weil der Erwerber von außen das Kaufobjekt nur schwer richtig bewerten könne. Die Aufklärungspflicht erstrecke sich insbesondere auf Umstände, welche die Überlebensfähigkeit ernsthaft gefährdeten, namentlich auf eine drohende oder bereits eingetretene Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung. Der Verkäufer müsse auch ungefragt über Vorkommnisse, die gewichtige Anzeichen für eine anhaltende Krise der Gesellschaft sind, umfassend und wahrheitsgemäß unterrichten. Entsprechend müsse er den Erwerber auch auf die Verluste der vergangenen Jahre, die den Vertragszweck gefährden können, hinweisen.
Der Verkäufer der KG habe die Käufer getäuscht, indem er ihnen eine unzutreffende wirtschaftliche Situation vorgespiegelt habe. Er habe zudem die Käufer nicht ausreichend über die damals schon gewichtigen Anzeichen einer dauerhaften Krise der Gesellschaft unterrichtet. Mit seiner Aussage, dass „das Ganze wieder erheblich ins Plus” gehe, habe der Verkäufer suggeriert, dass es bereits einmal ein solches Plus der Gesellschaft gegeben habe, wohingegen die KG tatsächlich noch niemals einen Gewinn erwirtschaftet habe. Auch die Ankündigung eines „sehr schnellen return of invest” sei vor diesem Hintergrund irreführend gewesen und sei ohne jeden greifbaren Anhaltspunkt ins Blaue hinein behauptet worden. Der Verkäufer habe die Käufer nicht „deutlich und unmissverständlich” darüber aufgeklärt, dass und in welcher Höhe die KG bislang nur negative Ergebnisse erzielt hatte. Die Täuschungen des Verkäufers seien nicht durch die den Käufern im Rahmen der Verhandlungen überlassenen Unterlagen entfallen. Die Käufer seien nicht verpflichtet gewesen, diese Unterlagen darauf zu prüfen, ob und inwieweit die expliziten Angaben des Verkäufers der Wahrheit entsprachen, sondern durften auf die Richtigkeit dieser Angaben vertrauen. Die überlassenen Unterlagen hätten die wahre Verlustsituation der KG auch nur unzutreffend wiedergegeben, da das tatsächliche negative Ergebnis der KG mehr als doppelt so hoch gewesen sei wie in der BWA angegeben. Der Verkäufer sei auch nicht dadurch entlastet, dass die Käufer die Möglichkeit hatten, Fragen an den Steuerberater des Verkäufers zu stellen. Die Aufklärungspflicht habe in diesem besonders wichtigen Punkt unabhängig davon bestanden, ob die Käufer danach fragten. Der Steuerberater habe in der Besprechung mit den Käufern ebenfalls nicht ausreichend über die wahre Verlustsituation der KG informiert.
III. Praxishinweise
Urteile von Oberlandesgerichten oder des BGH zu Fragen des Unternehmenskaufs sind selten. Die meisten Streitigkeiten in diesem Bereich, insbesondere wenn es um hochvolumige Transaktionen geht, werden vor nicht-öffentlichen Schiedsgerichten ausgetragen oder enden mit einem Vergleich. Die seltenen Urteile der ordentlichen Gerichte betreffen meist kleinere Deals, die oftmals von Parteien abgeschlossen werden, die mit den Gepflogenheiten des M&A-Geschäfts nicht vertraut sind und noch dazu teilweise ohne Rechts- oder Steuerberater agieren. Eine solche Situation lag wohl auch der Entscheidung des OLG München zugrunde. Das zu verkaufende Unternehmen wurde auf ImmobilienScout24 zum Kauf angeboten, die Käufer waren nicht anwaltlich beraten, es wurden lediglich einige BWAs übergeben, von den Käufern aber anscheinend weder hinterfragt noch verstanden.
Die Entscheidung des OLG München, welches die Käufer in dieser Situation für schutzwürdig hielt, steht in Einklang mit der – ebenfalls spärlichen – Rechtsprechung des BGH. Ob sich auch erfahrene und anwaltlich beratene Käufer bei Durchführung einer marktüblichen Due Diligence auf eher vage und allgemein werbend anpreisende, inhaltlich unklare und auslegungsfähige Angaben des Verkäufers („das Ganze geht wieder deutlich ins Plus”, „schneller return of invest”) verlassen dürfen, ist nicht abschließend geklärt. Bei einer Schadensersatzforderung wegen vorvertraglicher Aufklärungspflicht (cic) trifft den Käufer jedenfalls im Regelfall ein den Anspruch minderndes Mitverschulden, wenn er die ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen nicht sorgfältig prüft.
Allgemein lässt sich sagen, dass falsche Darstellungen des Verkäufers über wesentliche, die wirtschaftliche Situation des zu verkaufenden Unternehmens betreffende Umstände eine arglistige Täuschung darstellen, wenn sie „ins Blaue hinein” oder bewusst erfolgen. Auch das Verschweigen oder das Unterdrücken von Krisenanzeichen stellt eine Täuschung dar. Ob die Käufer in dieser Situation den Unternehmenskaufvertrag erfolgreich anfechten oder Schadensersatz geltend machen können, hängt davon ab, ob die Täuschung für das Zustandekommen des Vertrages ursächlich geworden ist. Werden solche Falschangaben oder Krisenanzeichen im Rahmen der Due Diligence erkannt oder haben die Käufer auf diese Angaben von vornherein nicht vertraut, bestehen solche Ansprüche nicht. Für die Kausalität der Täuschung für den Vertragsabschluss besteht allerdings eine Vermutung. Zweifel gehen insoweit zu Lasten des täuschenden Verkäufers.
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