PAUKENSCHLAG AUS KARLSRUHE: DER WEGFALL DES VERLUSTVORTRAGS BEI SCHÄDLICHEM BETEILIGUNGSERWERB NACH § 8c ABS. 1 SATZ 1 KSTG IST VERFASSUNGSWIDRIG
Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 29. März 2017 die Verfassungswidrigkeit des teilweisen Wegfalls des Verlustabzugs im Falle eines schädlichen Anteilseignerwechsels von über 25% bis 50% für alle Gesetzesfassungen von 2008 bis 2015 festgestellt. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, bis 31. Dezember 2018 rückwirkend für die Zeit vom 1. Januar 2008 bis 31. Dezember 2015 eine Neuregelung zu treffen.
I. Was regelt § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG?
Kapitalgesellschaften können negative Einkünfte, die im Veranlagungsjahr (§ 2 Abs. 7 EStG) bei der Ermittlung des Gesamtbetrags der Einkünfte nicht ausgeglichen werden, in bestimmten Grenzen vom Gesamtbetrag der Einkünfte eines unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraums (Verlustrücktrag nach § 10d Abs. 1 EStG) und der folgenden Veranlagungszeiträume (Verlustvortrag nach § 10d Abs. 2 EStG) abziehen. Werden jedoch innerhalb von fünf Jahren mittelbar oder unmittelbar mehr als 25 Prozent des gezeichneten Kapitals, der Mitgliedschaftsrechte, Beteiligungsrechte oder der Stimmrechte an einer Körperschaft an einen Erwerber oder diesem nahe stehende Personen übertragen oder liegt ein vergleichbarer Sachverhalt vor (schädlicher Beteiligungserwerb), sind insoweit die bis zum schädlichen Beteiligungserwerb nicht genutzten Verluste nicht mehr abziehbar (§ 8c Abs. 1 S. 1 KStG).
II. Was hat das Bundesverfassungsgericht entschieden?
Die Regelung des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Denn sie behandelt Kapitalgesellschaften bei der Bestimmung ihrer steuerpflichtigen Einkünfte unterschiedlich, je nachdem, ob innerhalb von fünf Jahren mittelbar oder unmittelbar mehr als 25 Prozent des gezeichneten Kapitals, der Mitgliedschaftsrechte, Beteiligungsrechte oder der Stimmrechte an der Kapitalgesellschaft an einen Erwerber oder diesem nahe stehende Personen übertragen worden sind oder nicht. Die Verluste gehen nach der Regelung anteilig unter, obwohl die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Kapitalgesellschaft durch die bloße Anteilsübertragung nicht verändert wird. Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit ist aber gerade Anknüpfungspunkt der Körperschaftsteuer.
§ 8c KStG dient der Missbrauchsbekämpfung und soll insbesondere den Handel mit vortragsfähigen Verlusten unterbinden. Der typische Missbrauchsfall sei dadurch gekennzeichnet, dass eine Kapitalgesellschaft, die zwar noch über Verlustvorträge verfügt, aber mangels Geschäftsbetriebs und nennenswerten Betriebsvermögens sonst nur einen leeren Mantel darstellt, von einem Investor mit einer neuen, nach Möglichkeit gewinnträchtigen Aktivität gefüllt wird, um die Verluste steuerlich nutzbar zu machen. Der Erwerb einer Beteiligung von mehr als 25 Prozent indiziere keine missbräuchliche Gestaltung, weil es für die Übertragung einer derartigen Beteiligung an einer Verlustgesellschaft vielfältige Gründe geben kann. Nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts hat der Missbrauchsgedanke in § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG keinen hinreichenden Eingang gefunden. Der Gesetzgeber hat damit die Grenzen zulässiger Typisierung überschritten, wenn zur Erfassung solcher Gestaltungen allein an die Übertragung eines Anteils von mehr als 25 Prozent angeknüpft wird.
III. Welche Fälle sind von der Entscheidung nicht betroffen?
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bezieht sich ausschließlich auf den schädlichen Beteiligungserwerb nach § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG. Sie trifft demgegenüber keine Aussage zum vollständigen Untergang von Verlusten beim Übergang von mehr als 50 Prozent der Anteile nach § 8c Abs. 1 Satz 2 KStG. Ob diese Vorschrift mit dem Grundgesetz vereinbar ist, hat das Gericht ausdrücklich offen gelassen.
Ebenfalls nicht Gegenstand der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts war die Rechtslage ab 2016. Denn mit § 8d KStG, der mit Wirkung zum 1. Januar 2016 eingeführt wurde, bleibt nunmehr ein Verlustvortrag trotz eines Anteilseignerwechsels nutzbar, wenn das betreffende Unternehmen drei Jahre vor dem Anteilseignerwechsel ausschließlich denselben Geschäftsbetrieb unterhält und diesen fortführt, sog. fortführungsgebundener Verlustvortrag (s. bereits unseren Beitrag „Neuregelung des § 8d KStG – Steuerliche Verlustvorträge von Körperschaften können bei einem Anteilseignerwechsel in bestimmten Fällen gerettet werden“ im Newsletter 2017 Q 2). Die Frage, ob durch Einführung des § 8d KStG der Anwendungsbereich des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG in einer Weise reduziert worden ist, dass die Norm nunmehr den Anforderungen von Art. 3 Abs. 1 GG genügt, bedarf einer gesonderten Betrachtung, zumal § 8c KStG auf einen Anteilseignerwechsel abstellt und § 8d KStG auf die Fortführung des identischen Geschäftsbetriebs.
IV. Wie geht es weiter?
Der Gesetzgeber ist verpflichtet, den festgestellten Verfassungsverstoß bis zum 31. Dezember 2018 rückwirkend zum Zeitpunkt der Einführung des § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG im Jahr 2008 zu beseitigen. Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, tritt am 1. Januar 2019 im Umfang der Unvereinbarkeit der Regelung rückwirkend die Nichtigkeit von § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG ein.
Das Bundesfinanzministerium wird vermutlich in absehbarer Zeit ein Schreiben zum weiteren Vorgehen veröffentlichen. Mindestens bis dahin sollten Verlustfeststellungsbescheide, die eine Kürzung des Verlustabzugs nach § 8c Abs. 1 Satz 1 KStG enthalten, mit dem Einspruch offen gehalten werden.
1. Rückwirkende Neuregelung?
Sofern der Gesetzgeber die Vorschrift zum Verlustabzug rückwirkend neu regelt, wäre ein bisheriger teilweiser Untergang des Verlustes unter Zugrundelegung der neuen Rechtslage zu beurteilen. Dies gilt jedenfalls für alle noch offenen Fällen, für die nicht mehr offenen Fälle dann, wenn dies gesetzlich angeordnet würde. Es bleibt dann abzuwarten, wie mit den nicht mehr offenen Fällen mangels einer gesetzlichen Anordnung verfahren werden soll. Wir gehen im Ergebnis davon aus, dass es beim anteiligen Verlustuntergang bleibt, soweit Veranlagungen bestandskräftig geworden sind.
2. Untätigkeit des Gesetzgebers
Im Falle der Untätigkeit des Gesetzgebers bis zum 31. Dezember 2018 wäre § 8c Abs. 1 S. 1 KStG nichtig. Ein teilweiser Verlustuntergang nach dieser Vorschrift käme dann nicht mehr in Betracht. Alle noch offenen Fälle müssten geändert werden. Bestandskräftige Veranlagungen würden bestehen bleiben.
3. § 8c Abs. 1 S. 1 KStG (seit 2016 geltende Fassung)
Wir empfehlen, auch gegen Verlustfeststellungsbescheide, in denen § 8c Abs. 1 S. 1 KStG in der seit 2016 geltenden Fassung angewendet worden ist, Einspruch einzulegen, wenn die Anwendung von § 8c Abs. 1 S. 1 KStG nicht durch § 8d KStG vermieden werden kann.
4. Anteilseignerwechsel von mehr als 50%
Einspruch sollte auch gegen solche Bescheide eingelegt werden, die einen Anteilseignerwechsel von mehr als 50 % i.S.d. § 8c Abs. 1 S. 2 KStG betreffen. Hier kann im Hinblick auf ein beim BFH anhängiges Revisionsverfahren zur Frage der Verfassungswidrigkeit des § 8c Abs. 1 S. 2 KStG zusätzlich zum Einspruch das Ruhen des Verfahrens beantragt werden (Az. des BFH: I R 31/11).
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