PFLICHT ZUR ARBEITSZEITERFASSUNG – BUNDESARBEITSGERICHT VERÖFFENTLICHT ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat die Entscheidungsgründe zu seinem Beschluss vom 12.09.2022 (1 ABR 22/21) betreffend die Pflicht der Arbeitgeber zur Arbeitszeiterfassung veröffentlicht. Zur hiernach ab sofort bestehenden Verpflichtung des Arbeitgebers, die Arbeitszeit seiner Arbeitnehmer zu erfassen, sind noch nicht alle Einzelheiten geklärt. Offen ist, ob der Gesetzgeber tatsächlich, wie das Bundesarbeitsministerium plant, Regelungen verabschieden wird.
I. Beschluss des BAG vom 12. September 2022
Das BAG hatte in seiner Entscheidung (1 ABR 22/21) über die Frage zu befinden, ob dem Betriebsrat ein Initiativrecht zur Einführung eines elektronischen Systems zur Arbeitszeiterfassung zustand, d.h. zu der Frage, „ob“ ein solches System im Betrieb des Arbeitgebers eingeführt soll. Das BAG hat ein solches Initiativrecht des Betriebsrats verneint. Diese Entscheidung wirkt nur auf den ersten Blick wie ein Erfolg des Arbeitgebers, denn das BAG hat das Initiativrecht des Betriebsrats deshalb verneint, weil es davon ausgeht, dass für sämtliche Arbeitgeber – auch diejenigen ohne Betriebsrat – bereits die gesetzliche Verpflichtung besteht, ein objektives, verlässliches und zugängliches System zur Erfassung der Arbeitszeit der Arbeitnehmer einzuführen. Die rechtliche Basis für diese Pflicht des Arbeitgebers hat das BAG im Wege einer unionsrechtskonformen Auslegung in § 3 Abs. 2 Nr. 1 ArbSchG ausgemacht.
II. Konkrete Auswirkungen der BAG-Entscheidung
1. Was ist aufzuzeichnen?
Beginn und Ende der Arbeitszeit sowie Beginn und Ende der Pausen, wobei nicht eindeutig aus der Entscheidung hervorgeht, ob für Pausen auch ein pauschaler Abzug zulässig ist.
2. Ab wann gilt die Aufzeichnungspflicht?
Die Verpflichtung besteht ab sofort.
3. Welche Sanktionen drohen bei Nichtumsetzung?
Gegenwärtig stellen Verstöße gegen die Aufzeichnungspflicht der Arbeitszeit keine Ordnungswidrigkeiten dar, sodass kein Bußgeld verwirkt wird, solange nicht eine ausdrückliche Anordnung der zuständigen Behörde erfolgt ist.
4. Wie hat die Arbeitszeiterfassung zu erfolgen?
Die Erfassung muss objektiv, verlässlich und zugänglich sein. Das BAG hat aber keine Vorgaben für ein konkretes System gemacht. Daher sind elektronisch oder auch händisch geführte Aufzeichnungen denkbar, solange sie die vorstehenden Anforderungen an das System erfüllen. Die Delegierung der Arbeitszeiterfassung an die Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen ist möglich.
5. Bestehen im Zusammenhang mit der Aufzeichnungspflicht noch Rechte des Betriebsrats?
Dem Betriebsrat steht ein Mitbestimmungsrecht bei der Einführung eines Systems zur Erfassung von Arbeitszeiten nur bezüglich des „Wie“, nicht aber des „Ob“ zu.
6. Auswirkungen für die Praxis
Die Entscheidung des BAG hat weitgehende Auswirkungen auf die Praxis. Auch wenn eine flexible Handhabung von Arbeitszeiten weiter möglich ist, ist das sog. Vertrauensarbeitszeitmodell ohne Erfassung und Dokumentation der tatsächlichen Arbeitszeiten nicht mehr zulässig. Der Arbeitgeber muss somit nicht nur ein System zur Arbeitszeiterfassung anbieten, sondern überwachen und dafür Sorge tragen, dass dieses System tatsächlich genutzt wird. Arbeitgeber sollten daher ihre Arbeitnehmer in nachweisbarer Form verpflichten, die Systeme zur Arbeitszeiterfassung zu nutzen und diese Nutzung auch kontrollieren.
Neben den konkreten Auswirkungen im Bereich der Arbeitszeiterfassung ist noch nicht geklärt, inwieweit die Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung indirekte Folgen für andere Bereiche arbeitsrechtlicher Auseinandersetzungen zeitigt. Dies kann die Frage des Nachweises und der Verantwortung für die Nicht-Einhaltung des Arbeitszeitgesetzes betreffen sowie Fragen zur Darlegungs- und Beweislast im Überstundenprozess, bei dem das BAG zuletzt noch an dem bekannten 2-Stufen-Modell festgehalten hatte.
III. Ob und ggf. wie reagiert der Gesetzgeber?
Vorerst bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber auf die Verpflichtung zur Erfassung von Arbeitszeiten durch das BAG selbst noch reagiert und Regelungen zu Umfang (beispielsweise Nichtanwendung oder Anwendung auf leitende Angestellte, Nichtanwendung auf Kleinunternehmen) oder Konkretisierung der Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung (beispielsweise Erlaubnis oder Verbot der Delegation auf Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, Definition bestimmter Systemanforderungen, Umgang bei Erfassung von Pausen) schafft. Das Bundesarbeitsministerium hat verlautbart, im ersten Quartal 2023 einen Gesetzesentwurf vorzulegen. Ob dieser dann aber tatsächlich zu einem Gesetz führt, ist offen.
IV. Fazit
Das BAG hat in seiner Entscheidung die Verpflichtung aller Arbeitgeber zur Erfassung der Arbeitszeit der Arbeitnehmer festgeschrieben.
Die Verpflichtung gilt mit sofortiger Wirkung und erfordert von Seiten aller Arbeitgeber – auch wenn unmittelbar keine Sanktionen drohen – die Einführung und dem Betrieb eines geeigneten Systems zur Arbeitszeiterfassung.
Bei der konkreten Ausgestaltung des Systems zur Arbeitszeiterfassung genießt der Arbeitgeber einen weitgehenden Gestaltungsspielraum, muss jedoch ein System einrichten, das objektiv, verlässlich und zugänglich die Arbeitszeiterfassung ermöglicht. Die Einhaltung dieser Anforderungen wird der Arbeitgeber ebenso regelmäßig zu überprüfen haben, wie die korrekte Benutzung des Systems durch seine Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen im Falle der Delegation der Aufzeichnungspflicht.
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