UMSATZSTEUERLICHE BEHANDLUNG VON AUFSICHTSRÄTEN – DIE FINANZVERWALTUNG BESSERT NACH
Die Unternehmereigenschaft von Aufsichtsratsmitgliedern zählt zu den Brennpunktthemen in der Umsatzsteuer. Dies zeigt sich nicht zuletzt am Turnus der hierzu veröffentlichten BMF-Schreiben. Gerade mal ein halbes Jahr nach dem BMF-Schreiben vom 8. Juli 2021 äußert sich die Finanzverwaltung erneut. Das BMF-Schreiben vom 29. März 2022 präzisiert die Grundsätze der Finanzverwaltung und beantwortet weitere Fragen. Die zentralen Erkenntnisse und Neuerungen sind Gegenstand dieses Newsletterbeitrags, welcher an den honert Newsletterbeitrag vom 1. Oktober 2021 anschließt.
I. Problemaufriss
Für umsatzsteuerliche Zwecke ist es von zentraler Bedeutung, ob man aufgrund der ausgeübten Tätigkeiten als Unternehmer im Sinne des Umsatzsteuergesetzes gilt oder nicht. Ist die Unternehmereigenschaft zu bejahen, unterliegen die erbrachten Leistungen der Umsatzsteuer (soweit im Inland ausgeführt und nicht steuerbefreit). In der Folge sind Rechnungen mit gesondertem Umsatzsteuerausweis auszustellen und Umsatzsteuererklärungen abzugeben. Zugleich kann für Aufwendungen im Zusammenhang mit dieser Tätigkeit der sog. Vorsteuerabzug in Anspruch genommen werden.
Trotz der zentralen Bedeutung der Unternehmereigenschaft sind die hierfür erforderlichen Voraussetzungen zumindest rein nach dem Gesetzeswortlaut überschaubar: nach § 2 Abs. 1 Satz 1 UStG ist Unternehmer im umsatzsteuerlichem Sinne, wer eine gewerbliche oder berufliche Tätigkeit selbständig ausübt. Ob diese Voraussetzungen im Hinblick auf die Tätigkeiten von Aufsichtsratsmitgliedern erfüllt sind, war in der Vergangenheit jedoch umstritten. Fraglich war insbesondere, ob ein Aufsichtsratsmitglied seine Tätigkeiten selbständig ausübt oder aber weisungsgebunden handelt.
Wie in unserem Newsletterbeitrag vom 1. Oktober 2021 bereits dargestellt, hat sich der BFH mit Urteil vom 27.11.2019 (V R 23/19, BStBl. II 2021, 542) umfassend zur Unternehmereigenschaft von Mitgliedern eines Aufsichtsrats geäußert. Entgegen seiner bisherigen Auffassung hat der BFH entschieden, dass ein Aufsichtsratsmitglied mit einer reinen Festvergütung aufgrund des fehlenden wirtschaftlichen Risikos als nicht selbständig im Sinne des § 2 Abs. 1 UStG und insofern als Nichtunternehmer anzusehen ist. Demnach ist insbesondere das wirtschaftliche Risiko ausschlaggebend, wobei dem Vergütungsrisiko besonderes Gewicht beigemessen wird.
Mit BMF-Schreiben vom 8. Juli 2021 reagierte die Finanzverwaltung auf die Rechtsprechungsänderung des BFH, indem sie sich der BFH-Auffassung angeschlossen hat (s. hierzu unseren Newsletterbeitrag vom 1. Oktober 2021). In der Praxis führten die Anweisungen der Finanzverwaltung allerdings zu Anwendungsfragen und Unklarheiten.
II. Grundsätze zur Prüfung der Unternehmereigenschaft
Infolge der geänderten BFH-Rechtsprechung aus 2019 ist eine allgemeingültige Aussage über die Unternehmereigenschaft von Aufsichtsräten nicht mehr möglich. Die Unternehmereigenschaft ist vielmehr im Einzelfall anhand der Art bzw. Zusammensetzung der vereinbarten Vergütungsbestandteile zu bestimmen. Dabei ist zwischen drei Fällen zu unterscheiden.
Wird ausschließlich eine Festvergütung gezahlt, trägt das Aufsichtsratsmitglied kein Vergütungsrisiko und ist demzufolge nicht unternehmerisch tätig. In der Konsequenz sind die Vergütungen ohne Umsatzsteuerausweis zu berechnen. Erhält das Aufsichtsratsmitglied hingegen allein eine variable Vergütung und trägt somit das volle Vergütungsrisiko, liegt die Unternehmereigenschaft im Sinne des Umsatzsteuergesetzes vor. In diesen Fällen sind die erbrachten Leistungen mit Umsatzsteuer zu fakturieren. Es sei denn, die Kleinunternehmerregelung nach § 19 UStG kommt zur Anwendung.
Werden sowohl feste als auch variable Vergütungsbestandteile gezahlt, ist die Quote entscheidend. Wenn der variable Vergütungsanteil mindestens 10 % der Gesamtvergütung ausmacht, ist die Unternehmereigenschaft des Aufsichtsratsmitglieds anzunehmen, da dann davon ausgegangen wird, dass das geforderte unternehmertypische Vergütungsrisiko besteht. Diese 10%-Grenze führte in der Praxis jedoch zu Anwendungsfragen. So war unter anderem unklar, auf welchen Zeitpunkt bei Prüfung der 10%-Grenze abzustellen ist (prognostizierte Vergütungsparameter oder retrospektiv).
III. BMF-Schreiben vom 29. März 2022
Nach dem neuen BMF-Schreiben sind für die Ermittlung der 10 %-Grenze alle Vergütungen einzubeziehen, welche innerhalb eines Geschäftsjahres an das Aufsichtsratsmitglied gezahlt werden. Maßgeblich ist also nicht mehr das Kalenderjahr, sondern das Geschäftsjahr. Dabei ist nach Auffassung der Finanzverwaltung auf die zu Beginn des Geschäftsjahres geplanten Sitzungen abzustellen. Kann beispielsweise ein Aufsichtsratsmitglied krankheitsbedingt nicht an einer Aufsichtsratssitzung teilnehmen, hat dies nicht zwangsläufig Folgen für den Unternehmerstatus. Nachträgliche Änderungen sollen jedoch explizit unberücksichtigt bleiben. Demzufolge bedarf es einer guten Planung zu Beginn eines jeden Geschäftsjahres. Die Klarstellung zum Ermittlungszeitpunkt der 10 %-Grenze und das Abstellen auf die geplanten Sitzungen schafft Planungssicherheit und ist daher zu begrüßen. Weiterhin fraglich ist hingegen, ob die von der Finanzverwaltung willkürlich und über die Rechtsprechungsgrundsätze hinausgehend festgelegte 10%-Grenze einer Prüfung durch die Rechtsprechung standhalten wird.
Darüber hinaus äußert sich die Finanzverwaltung zum maßgeblichen Leistungszeitpunkt, d.h. zu welchem Zeitpunkt die Leistung eines Aufsichtsratsmitglieds als erbracht gilt. Für allgemeine Tätigkeiten eines Aufsichtsratsmitglieds ist nunmehr auf den Ablauf des Geschäftsjahres der Gesellschaft abzustellen. Insofern wurde der Tag der Hauptversammlung als Leistungszeitpunkt abgelöst. Aufsichtsratsmitglieder haben im Rahmen ihrer Tätigkeit allerdings noch weitere Leistungszeitpunkte zu beachten. Werden nämlich Auslagenersatz und Sitzungsgelder für die tatsächliche Teilnahme an einer Aufsichtsratssitzung gezahlt, so gilt der Tag der Aufsichtsratssitzung als umsatzsteuerlicher Leistungszeitpunkt. Dies kann bei unternehmerisch tätigen Aufsichtsratsmitgliedern zu einer zeitlich veränderten Verpflichtung zur Meldung der Umsätze führen und sollte daher im Einzelfall nochmal überprüft werden.
Wichtig für die Praxis ist zudem, dass die ergänzten und angepassten Regelungen grundsätzlich in allen offenen Fällen anzuwenden sind. Es gibt jedoch eine Übergangsregelung, wonach die bisherigen Regelungen auf alle jene Tätigkeiten weiterhin angewendet werden können, die in einem Geschäftsjahr der Gesellschaft ausgeführt worden sind, welches vor dem 1.1.2022 begonnen hat. Für derartige Fälle kann folglich auch dann von einer unternehmerischen Tätigkeit ausgegangen werden, wenn die 10 %-Grenze nicht überschritten wurde.
IV. Folgen für die Praxis
Das jüngst veröffentlichte BMF-Schreiben vom 29.3.2022 erleichtert für Aufsichtsratsmitglieder die Handhabung der im Umsatzsteuer-Anwendungserlass („UStAE“) unter Abschnitt 2.2 Abs. 3a UStAE veröffentlichten Grundsätze zur Unternehmereigenschaft. Die Ergänzungen und Klarstellungen der Finanzverwaltung verdeutlichen aber auch, dass es im Hinblick auf die Unternehmereigenschaft einer vorausschauenden Planung bedarf. Für Fälle, bei denen das Geschäftsjahr vor dem 1.1.2022 begonnen hat und damit erst im Laufe des Jahres 2022 enden wird, kann aufgrund der Übergangsregelungen unter Umständen Handlungsbedarf bestehen. Es ist nämlich vorausschauend zu entscheiden, ob die Unternehmereigenschaft für das darauffolgende Geschäftsjahr noch bestehen soll oder kann. Für alle anderen Fälle, bei denen das Geschäftsjahr seit dem 1.1.2022 läuft, gelten uneingeschränkt die aktualisierten Grundsätze. Änderungen können in diesen Fällen erst für das nächste Geschäftsjahr umgesetzt werden.
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