VERSCHÄRFUNG DER REGELUNGEN ZUR PRÜFMÖGLICHKEIT AUSLÄNDISCHER INVESTITIONEN IN DEUTSCHLAND
Die Bundesregierung hat mit Wirkung zum 18. Juli 2017 die Regelungen zur Prüfung des vollständigen oder teilweisen Erwerbs deutscher Unternehmen durch ausländische Investoren verschärft. Die Prüfungskriterien bleiben zwar vorerst, ob eine Übernahme oder ein Beteiligungserwerb wesentliche Sicherheitsinteressen oder die öffentliche Sicherheit und Ordnung der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Die Auslegung dieser unbestimmten Begriffe unterliegt aber dem Wandel der Zeit und der technischen Weiterentwicklung. Gerade die Zunahme von vermutlich von ausländischen Staaten getriebenen Direktinvestitionen in Technologieunternehmen in Deutschland sowie Cyberangriffe auf zivile und sicherheitsrelevante Bereiche in Deutschland haben verschiedene Branchen und Unternehmen in den Fokus der Außenwirtschaftsverordnung/des Außenwirtschaftsrechts gerückt. Die derzeit für eine Investitionsprüfung relevanten Branchen und Unternehmen wurden nun von der Bundesregierung konkretisiert und erweitert. Zukünftig sind wohl weitere Änderungen zu erwarten: die Europäische Kommission hat am 13. September 2017 den Entwurf einer Verordnung zur (erstmaligen) Einführung eines europäischen Rahmens für die Investitionsprüfung vorgelegt.
I. Überblick über die wesentlichen Änderungen im Deutschen Recht
1. Vorbemerkung
Die Regelungen zur Prüfung von Übernahmen von oder Anteilserwerben an deutschen Unternehmen durch Ausländer finden sich weiterhin unverändert im Wesentlichen in den §§ 2, 4, 5 und 15 des Außenwirtschaftsgesetzes („AWG“) sowie in den §§ 55 bis 62 der Außenwirtschaftsverordnung („AWV“). Der Schwellenwert für prüfpflichtige Anteilserwerbe ist bei 25 % der Stimmrechte (unmittelbar oder mittelbar) verblieben. Die am Erwerb Beteiligten sollten aber beachten, dass der Schwellenwert nicht nur bei Share Deals sondern z. B. auch bei Erwerben im Wege von Verschmelzungen, Einbringungen bestehender Unternehmen in Joint Venture und auch im Wege des Asset Deals (jedenfalls bei Erwerb von 25% aller Vermögenswerte) relevant sein dürfte. Die wesentlichen Änderungen durch die 9. Änderungsverordnung sind nachfolgend kurz dargestellt:
2. Ausdehnung des sachlichen Anwendungsbereiches (Zielunternehmen)
2.1 Rüstungs- und Sicherheitsbereich
Der sachliche Anwendungsbereich der Investitionsprüfung von Unternehmenserwerben im Rüstungs- und Sicherheitsbereich (siehe dazu § 60 AWV) wurde vor allem auf solche Unternehmen erweitert, die Hersteller oder Entwickler von Gütern oder notwendiger Ausrüstung für den Bereich Sensorik, Aufklärung oder elektronische Kriegsführung sind. Darunter können z.B. Hersteller oder Entwickler von Verschlüsselungs-, Identifizierungssystemen, Kameras oder Infrarot- und Wärmebildausrüstung fallen.
2.2 Ziviler Bereich – Allgemein
Für den zivilen Bereich wurde nun in § 55 AWV eine beispielhafte und nicht abschließende Aufzählung von Unternehmen aufgenommen, die als bedeutend für die öffentliche Sicherheit und Ordnung angesehen werden und in den sachlichen Anwendungsbereich der Investitionsprüfung fallen können. Dies sind vor allem Betreiber von sogenannten „Kritischen Infrastrukturen“ sowie Entwickler oder Bearbeiter von Software für deren Betrieb, Cloud-Computing-Dienstleister ab einer gewissen Größenordnung und bestimmte Unternehmen in den Bereichen der Telekommunikation (§ 55 AWV verweist auf § 110 Telekommunikationsgesetz) oder Telematikinfrastruktur (§ 55 AWV verweist diesbezüglich auf Unternehmen mit Zulassungen nach § 291 Abs. 1a oder 1e SGB V).
2.3 Ziviler Bereich – Kritische Infrastruktur
Welche Anlagen als „Kritische Infrastruktur“ gelten, wird durch §§ 2 Abs. 10, 10 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik („BSI-Gesetz“) und der auf Basis dieses Gesetzes erlassenen Verordnung zur Bestimmung Kritischer Infrastrukturen („BSI-KritisV“) näher definiert. Zur Kritischen Infrastruktur gehören gemäß § 2 Abs. 10 BSI-Gesetz „Einrichtungen, Anlagen oder Teile davon, die 1. den Sektoren Energie, Informationstechnik und Telekommunikation, Transport und Verkehr, Gesundheit, Wasser, Ernährung sowie Finanz- und Versicherungswesen angehören und 2. von hoher Bedeutung für das Funktionieren des Gemeinwesens sind, weil durch ihren Ausfall oder ihre Beeinträchtigung erhebliche Versorgungsengpässe oder Gefährdungen für die öffentliche Sicherheit eintreten würden.“ Die BSI-KritisV in der Fassung der 1. Änderungsverordnung vom 21. Juni 2017 konkretisiert die als Kritische Infrastruktur erachteten Anlagen und damit zusammenhängenden Dienstleistungen für die verschiedenen Sektoren. Nachfolgend ein kurzer Auszug und Überblick:
Sektor | Kritische Infrastruktur können nach näherer Maßgabe der BSI-KritisV beispielsweise sein |
Energie | Stromerzeugungsanlagen mit einer installierten Netto-Nennleistung (elektrisch) von 420 MW oder ein Tankstellennetz mit einer Abgabe von 420.000 to. Kraftstoff p.a. |
Wasser | Abwassereinrichtungen für mehr als 500.000 Einwohner oder Wasseraufbereitungsanlagen für mindestens 22 Mio. m³ Trinkwasser p.a. |
Ernährung | Anlagen mit einer Jahresproduktion von 434.500 to. Speisen oder 350 Mio. ltr. Getränke |
Informationstechnik und Kommunikation |
IT-Hosting mit einer Serverfarm von im Jahresdurchschnitt 25.000 laufenden Instanzen |
Transport und Verkehr | Anlagen oder System zur Passagierabfertigung an Flugplätzen für 20.000.000 Passagiere p.a. oder Anlagen oder System zum Betrieb eines Logistikzentrums in den Segmenten Massengut-, Ladungs-, Stückgut-, Kontrakt-, See- oder Luftfrachtlogistik mit einer Gütermenge von mindestens 17.000.000 to. p.a. |
Gesundheit | Krankenhäuser mit einer vollstationären Fallzahl von 30.000 p.a. oder Produktionsstätten für bestimmte Arzneimittel mit einem Jahresumsatz von ca. EUR 90,68 Mio. |
Finanz- und Versicherungswesen |
Betreiber von Settlement oder Clearing-Systemen für die Bargeldversorgung mit mindestens 18.000.000 Transaktionen p.a. oder von Vertragsverwaltungs- und Zahlungssystemen der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung für mindestens 3.000.000 Versicherte |
Das BSI gibt darüber hinaus auf seiner Website im Rahmen von Fragen und Antworten („FAQ“) weitere Hilfestellung zur Auslegung der BSI-KritisV.
3. Klarstellung zu Investoren, die der Prüfung unterliegen
Grundsätzlich unterliegen der Investitionsprüfung nur Investitionen von – untechnisch – „Ausländern“. Für den Rüstungsbereich bleibt es dabei, dass grundsätzlich jede Investition durch einen Nicht-Deutschen Investor geprüft werden kann. Für den Erwerb von Unternehmen des zivilen Bereichs kommt eine Prüfung grundsätzlich nur dann in Betracht, wenn der Investor weder im (Zoll-)Gebiet der Europäischen Union („EU“) noch – und dies wurde nun klargestellt – im Gebiet der Europäischen Freihandelsassoziation („EFTA“) ansässig ist (§ 55 Abs. 2 Satz 5 AWV). Klargestellt wurde für alle Bereiche zudem, dass es bei (ansonsten substanzlosen) Erwerbsgesellschaften nicht auf deren Sitz sondern vielmehr auf die Herkunft der dahinter stehenden Gesellschafter ankommt und daher auch Erwerbe von „Inländern“ der Investitionsprüfung unterfallen können (Umgehungsverbot gemäß §§ 55 Abs. 2 Satz 2, 60 Abs. 1 Sätze 2 ff. AWV)
4. Meldepflicht
Nunmehr ist auch der Erwerb von Unternehmen im zivilen Bereich meldepflichtig (§ 55 Abs. 4 AWV). Mit der Erstreckung der Meldepflicht war allerdings keine andere öffentlich-rechtliche Einordnung des Verfahrens bzw. des Erwerbs verbunden. Es bleibt bei der generellen Erlaubnis mit Verbotsvorbehalt, d.h. dass der Erwerbsvertrag zivilrechtlich grundsätzlich wirksam ist, aber unter der auflösenden Bedingung der Untersagung des Unternehmens- bzw. Beteiligungserwerbs steht (§ 15 Abs. 2 AWG). Für meldepflichtige Erwerbsverträge für Rüstungsunternehmen (im weitesten Sinne) bleibt es beim Verbot mit Erlaubnisvorbehalt, d.h. der Erwerbsvertrag ist schwebend unwirksam und wird mit Freigabe rückwirkend zum Zeitpunkt seiner Vornahme wirksam (§ 15 Abs. 3 AWG).
5. Prüfverfahren
Die Frist für die Eröffnung der Prüfung bzw. – sofern ein Prüfverfahren nicht eröffnet wird – der fingierten Erlaubnis einer Investition in ein Unternehmen des Rüstungs- und Sicherheitsbereiches wurde von 1 auf 3 Monate nach Eingang der Meldung verlängert (§§ 61, 62 AWV). Die Frist für die Untersagung von Unternehmens- bzw. Anteilserwerben an zivilen Unternehmen nach Eröffnung eines Prüfverfahrens beträgt nun 4 statt 2 Monate ab Erhalt der vollständigen Unterlagen; eine Unbedenklichkeitsbescheinigung gilt nunmehr erst 2 Monate nach Antragstellung (statt vorher 1 Monat) als erteilt, sofern kein Prüfungsverfahren eingeleitet wird. Ein grafischer Überblick über den Ablauf der jeweiligen Verfahren findet sich hier.
Aus den vorgenannten Änderungen ergibt sich, dass im Falle der Eröffnung eines Prüfungsverfahrens mehr als 3 bzw. 4 Monate vergehen können, bis Gewissheit über die Freigabe bzw. Untersagung eines Erwerbs besteht.
Für Erwerbe von Unternehmen in allen Bereiche wurde zudem klargestellt, dass das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie („BMWiE“) im Rahmen der Prüfungen mit den am Erwerb beteiligten Personen Verhandlungen zur Anpassung der Erwerbsdokumentation führen kann, aber der Ablauf der jeweiligen Prüfungsfristen für die Dauer dieser Verhandlungen gehemmt sind.
6. Erwartete Anzahl von Fällen p.a.
Die Bundesregierung prognostiziert als Folge der Ausdehnung des Anwendungsbereichs der Investitionsprüfung und Einführung der Meldepflicht auch für den zivilen Bereich eine niedrige zweistellige Zahl an zusätzlichen Meldungen pro Jahr, von denen der Großteil im zivilen Bereich erwartet wird. Ob diese Erwartungen tatsächlich eintreten, wird letzten Endes von der Handhabbarkeit der Kriterien zur Bestimmung des Anwendungsbereichs der Investitionsprüfung in der Praxis abhängen. Sollte es im Einzelfall nicht eindeutig bestimmbar sein, ob der Anwendungsbereich der Investitionsprüfung eröffnet ist, könnte (soweit möglich – siehe dazu III.) Rechtssicherheit durch die Beantragung einer Unbedenklich¬keitsbescheinigung gewonnen werden.
II. Ausblick
Deutschland setzt sich auf europäischer Ebene für eine Ergänzung des EU-Rechts ein (siehe die Website des BMWiE), damit im Rahmen der Investitionsprüfungen zukünftig auch industriepolitische Kriterien berücksichtigt und gegebenenfalls auch zur Untersagung von Erwerben herangezogen können werden. Dies wird insbesondere für solche Fälle erwogen, in denen (i) für deutsche bzw. europäische Unternehmen die Investitionsfreiheit nicht in einem vergleichbaren Umfang in dem Herkunftsland des Investors wie für den Investor in Deutschland oder der EU besteht oder in denen (ii) ein Erwerb im Endergebnis von ausländischer staatlicher Seite aus strategischen Gründen unterstützt und/oder finanziert wird und legitimen Interessen der EU oder eines Mitgliedsstaates zuwiderläuft. Inzwischen hat die Europäische Kommission einen Verordnungsentwurf für einen europäischen Rahmen für die Investitionsprüfung vorgelegt (COM (2017) 487 final), der Vorgaben für die nationalen Regelungen zur Investitionsprüfung macht. Darin greift die Europäische Kommission den deutschen Vorschlag jedenfalls insoweit auf, als nun als weiteres Kriterium für eine Untersagung einer Investition berücksichtigt werden kann, ob der Investor durch die Regierung eines ausländischen Staates kontrolliert oder wesentlich finanziert wird (Artikel 4 des Entwurfs). Ferner soll jeder Mitgliedsstaat Investitionsprüfungen unverzüglich allen anderen Mitgliedsstaaten und der Europäischen Kommission melden. Die Europäische Kommission soll zudem ein eigenes Prüfungsrecht erhalten, wenn eine Investition Auswirkungen auf bestimmte EU-Infrastruktur-Programme wie z.B. Galileo, EGNOS, Copernicus, Horizon 2020, Trans-Europäische Netzwerke für Transport, Energie oder Telekommunikation hat. Zwar kann die Europäische Kommission in dem Rahmen nur eine Empfehlung aussprechen und einen Erwerb nicht untersagen, aber der Mitgliedsstaat muss eine etwaige Abweichung von der Empfehlung erläutern (siehe Artikel 9 des Entwurfs). Die nationalen Prüffristen sollen so ausgestaltet sein, dass die Empfehlungen der Europäischen Kommission im Rahmen der Prüfungen berücksichtigt werden können. Es bleibt abzuwarten, ob und in welcher Form der Entwurf „Gesetz“ wird sowie ob und welcher Änderungsbedarf für die deutschen Regelungen letzten Endes daraus resultiert.
III. Exkurs: Beachtung ausländischer Investitionsprüfungen bei Übernahme deutscher Unternehmen mit Geschäftstätigkeiten im Ausland
Regelungen zur Prüfung ausländischer Investitionen gibt es unter anderem auch in Australien, Kanada, China, Frankreich, Indien, Japan, Russland, Großbritannien, Vereinigte Arabische Emirate und den USA. Auch diese Vorschriften können bei der Übernahme von deutschen Unternehmen, die in den betreffenden Ländern Geschäftstätigkeiten unterhalten, zu beachten sein und – wie im Fall der beabsichtigten Übernahme der AIXTRON SE durch einen chinesischen Investor – bei Untersagung des (mittelbaren) Erwerbs der ausländischen Geschäftstätigkeit auch zum Scheitern der Übernahme führen. Bemerkenswert war im Zusammenhang mit der gescheiterten Übernahme der AIXTRON SE zudem, dass das BMWiE zunächst eine Unbedenklichkeitsbescheinigung erteilt hatte, diese aber noch vor der Untersagung des (mittelbaren) Erwerbs des US-Geschäfts widerrief und eine Wiederaufnahme des Prüfverfahrens anordnete (siehe Ad-Hoc Mitteilung der AIXTRON SE vom 24. Oktober 2016).
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