VOLLZUGSVERBOTE UND „GUN-JUMPING“ BEI M&A-TRANSAKTIONEN – KARTELLRECHTLICHE SANKTIONSGEFAHREN
In jüngster Vergangenheit haben, insbesondere auf europäischer Ebene, Entscheidungen der EU-Kommission sowie des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu Fällen des sog. Gun-jumpings („Frühstarts“) im Rahmen von M&A-Transaktionen aufhorchen lassen.
Nicht zuletzt verdienen die Entscheidungen der EU-Kommission besondere Beachtung, da in einem Fall ein Bußgeld in Rekordhöhe verhängt worden ist. Zum anderen sind die Entscheidungen aber auch für die Vertragsgestaltung und Praxis beim Vollzug von Unternehmenstransaktionen besonders aufschlussreich. Insoweit äußert sich insbesondere die EU-Kommission nämlich erstmals vertieft zum Bereich der Zustimmungsvorbehalte eines Käufers in Bezug auf Maßnahmen der Zielgesellschaft im Zeitraum zwischen dem Vertragsschluss (Signing) und dem Vollzug der Transaktion (Closing).
I. Der Begriff des Gun-jumpings und dessen rechtliche Hintergründe
Die EU-Kommission, als zuständige Kartellrechtsbehörde auf Ebene der Europäischen Union, hat sich in mehreren Entscheidungen in jüngerer Zeit zu Fällen des sog. Gun-jumping (teilweise erstmalig) vertieft geäußert.
M&A-Transaktionen, an denen Unternehmen beteiligt sind, die (zusammen) bestimmte Umsatzschwellen erreichen, sind bei den zuständigen nationalen Kartellbehörden oder der europäischen Kartellhörde anzumelden. Die Kartellbehörden prüfen die M&A-Transaktion dann darauf, ob sie zu Wettbewerbsbeeinträchtigungen führen (können) (sog. Fusionskontrolle oder Zusammenschlusskontrolle). „Gun-jumping“ im engeren Sinn bedeutet Verstöße gegen das kartellrechtliche Vollzugsverbot im Rahmen von M&A-Transaktionen.
Durch die behördliche Kontrolle von Unternehmenszusammenschlüssen soll die Bildung von Kartellen und eine gefährdende Beeinträchtigung des freien Wettbewerbs im jeweiligen Markt verhindert werden.
1. Fusionsverbot mit Erlaubnisvorbehalt
Die Zusammenschlusskontrolle ist in Deutschland im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und dort in den §§ 35 ff. GWB geregelt. Auf europäischer Ebene regelt die EU-Fusionskontrollverordnung („FKVO“) parallel die Voraussetzung, das Verfahren sowie die Rechtsfolgen etwaiger Verstöße gegen die Vorschriften zur Fusionskontrolle.
Sowohl das deutsche als auch das europäische Recht statuieren dabei ein präventives Verbot mit Erlaubnisvorbehalt. D.h., anmeldepflichtige M&A-Transaktionen dürfen vor Ablauf eines gesetzlich festgelegten Zeitraums nicht vollzogen werden, es sei denn, die entsprechende Behörde (in Deutschland das Bundeskartellamt und in Europa die Europäische Kommission) hat die Freigabe erteilt (sog. Vollzugsverbot). Diese Zeiträume betragen nach europäischem Recht grundsätzlich 25 Arbeitstage, Art. 10 Abs. 1 S.1 FKVO, und nach deutschem Recht einen Monat, § 40 Abs. 1 S.1 GWB, wobei die Behörden diese Zeiträume im Einzelfall zur vertieften Prüfung verlängern können.
2. De-minimis-Regelung
Sowohl nach deutschem als auch nach europäischem Recht sind jedoch nicht sämtliche Zusammenschlüsse zur Zusammenschlusskontrolle anzumelden. Vielmehr müssen bestimmte gesetzlich definierte Umsatzschwellenwerte durch die an dem Zusammenschluss beteiligten Unternehmen erreicht werden. Bezugspunkt ist dabei das letzte Geschäftsjahr vor dem Zusammenschluss. Werden diese Schwellenwerte erreicht, ist die Transaktion bei den entsprechenden Kartellbehörden anzumelden und ein vorzeitiger Vollzug gesetzlich untersagt.
3. Verstoß gegen das Vollzugsverbot
Ein Verstoß gegen das kartellrechtliche Vollzugsverbot führt dabei zur (schwebenden) Unwirksamkeit des Vollzugs der Transaktion. D.h., bei einer späteren Genehmigung wird der Zusammenschluss zwar wirksam, jedoch ist jeder Vollzugsakt bei Ausbleiben der Genehmigung von Anfang an unwirksam und der Erwerber hat zu keinem Zeitpunkt Eigentum an dem Kaufgegenstand erworben.
Das Verbot des Vollzugs vor Freigabe durch die Kartellbehörden erfasst dabei nicht nur den (rechtlichen) Übergang des Kaufgegenstands (bspw. des Zielunternehmens). Vielmehr kann eine Verletzung des Vollzugsverbots auch bereits dann vorliegen, wenn der Erwerber, auch ohne (schon) rechtlicher Inhaber zu sein, schon Einfluss in der Zielgesellschaft erlangt.
Mangels entsprechender behördlicher und obergerichtlicher Äußerungen herrschte insbesondere hinsichtlich der Frage, welche Maßnahmen bereits einem (unzulässigen) Vollzug gleichstehen große Unsicherheit in der Praxis.
Die jüngst ergangenen Entscheidungen der EU-Kommission und des EuGH lassen insoweit (erstmalig) eine gewisse Konkretisierung und bestimmte Tendenz erkennen.
II. Einem (unzulässigen) Vollzug gleichstehende Maßnahmen
Klarheit zur Frage, wann eine Maßnahme einem unzulässigen Vollzug gleichsteht, brachte eine Entscheidung des EuGH im Jahr 2018. Der EuGH verneinte in diesem Fall einen unzulässigen Vollzug einer M&A-Transaktion, nachdem die EU-Kommission wegen der Unumkehrbarkeit der Maßnahme einen (unzulässigen) Vollzug bereits angenommen hatte.
Der EuGH entschied, dass für einen Verstoß gegen das kartellrechtliche Vollzugsverbot nicht allein ausreiche, dass nicht-umkehrbare Maßnahmen vor der Erteilung der Fusionsfreigabe vorgenommen wurden, selbst wenn diese Maßnahmen bereits Marktauswirkungen hätten. Vielmehr ist nach dem EuGH ein Vollzug nur dann gegeben, wenn der Erwerber die tatsächliche Kontrolle über die Zielgesellschaft erwirbt bzw. Maßnahmen zum Wechsel der Kontrollverhältnisse ergreift. Haben Maßnahmen allein Auswirkungen auf den Markt, ohne dass ein entsprechender Kontrollwechsel tatsächlich stattfindet, ist hierin noch kein Vollzug zu sehen.
Konkret ging es in diesem Fall darum, dass sich eine nationale Einheit einer international tätigen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft von der Dachorganisation trennte, um sich einer anderen internationalen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft anzuschließen. Entgegen der EU-Kommission sah der EuGH in der Trennung von der Dachorganisation keinen Vollzug, so dass er das von der EU-Kommission verhängte Bußgeld aufhob.
III. Reichweite von sog. Werterhaltungsklauseln
Weiteren Aufschluss gab eine Entscheidung der EU-Kommission im Zusammenhang mit der Übernahme eines portugiesischen Telekommunikationsunternehmens durch einen französischen Wettbewerber im Mai 2018.
Der Entscheidung fand nicht zuletzt wegen des verhängten Bußgeldes in Rekordhöhe (EUR 124,5 Mio.) besondere Aufmerksamkeit in der Praxis.
Neben weiteren (kartellrechtlich) interessanten Aussagen der EU-Kommission bot die Entscheidung und ihre Begründung auch insbesondere die Möglichkeit, die Sichtweise der EU-Kommission zu sog. Werterhaltungsklauseln in M&A-Verträgen nachzuvollziehen.
Um einen Verstoß gegen das kartellrechtliche Vollzugsverbot einerseits zu vermeiden und auf der anderen Seite den Erwerber davor zu schützen, dass der Kaufgegenstand zwischen Vertragsunterzeichnung und Erteilung der Fusionsfreigabe auf Grund (außergewöhnlicher) Maßnahmen des Veräußerers nachhaltig an Wert verliert, werden in der Praxis sog. Werthaltungsklauseln in M&A-Verträge aufgenommen. „Werterhaltungsklauseln“ enthalten zum einen die Verpflichtung des Veräußerers im Zeitraum zwischen Signing und Closing den Geschäftsbetrieb der Zielgesellschaft in der bisherigen, gewöhnlichen Art und Weise („ordinary course of business“) wie zuvor weiterzuführen. Zum anderen enthalten solche „Werterhaltungsklauseln“ häufig einen sog. Negativkatalog von Rechtsgeschäften und Maßnahmen der Geschäftsführung, die der Veräußerer bzw. das Zielunternehmen im Zeitraum zwischen Signing und Closing nicht ohne Zustimmung des Erwerbers durchführen darf.
Um aber nicht gegen das kartellrechtliche Vollzugsverbot zu verstoßen, herrscht in der Praxis die weit überwiegende Auffassung, dass dieser sog. Negativkatalog nur Maßnahmen der Geschäftsführung betreffen darf, die über den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb hinausgehen, also gerade keine Maßnahmen der laufenden Geschäftsführung.
Mangels entsprechender Äußerung durch die Kartellrechtsbehörden und Obergerichte herrschte in der Praxis jedoch große Unsicherheit bei der konkreten Abgrenzung, wann eine Maßnahme außerhalb des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs liegt und damit ein Zustimmungsvorbehalt zulässig ist und wann die Maßnahme einen gewöhnlichen Geschäftsvorgang darstellt.
Im entschiedenen Fall erfassten die Zustimmungsvorbehalte bzw. Vetorechte des Erwerbers Verträge des gewöhnlichen Geschäftsbetriebs sowie die Preispolitik der Zielgesellschaft. Die EU-Kommission sah hierin u.a. eine unzulässige Einflussnahme auf den gewöhnlichen Geschäftsbetrieb der Zielgesellschaft vor Freigabe des Vollzugs und verhängte das Bußgeld in Rekordhöhe.
IV. Bewertung und Ausblick
Auch wenn stets im Einzelfall zu prüfen ist, ob Maßnahmen und Zustimmungsvorbehalte kartellrechtlich zulässig sind, geben die ergangenen Entscheidungen zum Gun-jumping wichtige Anhaltspunkte zur Zulässigkeit solcher Maßnahmen und Vereinbarungen im Vorfeld des Vollzugs einer M&A-Transaktion und tragen somit zur Rechtssicherheit bei.
Auf der anderen Seite verdeutlichen diese Entscheidungen, dass insbesondere die EU-Kommission eine sehr restriktive Ansicht hinsichtlich der Zulässigkeit von Abstimmungen zwischen den Unternehmen vor Erteilung der Fusionsfreigabe hat. Auch wenn es sich insbesondere in dem Fall, in dem das Rekordbußgeld verhängt worden ist, um einen besonders gelagerten Fall (der Erwerber als Wiederholungstäter, mehrartige Verstöße) handelte, ist zu erkennen, dass die EU-Kommission gewillt ist, den hier zur Verfügung stehenden Bußgeldrahmen (bis zu 10% des erzielten Gesamtumsatzes) auszuschöpfen.
Die kartellrechtlichen Beschränkungen zwischen Signing und Closing sind daher genau zu beachten und die jeweilige Einflussmöglichkeit des Erwerbers (Zustimmungsvorbehalte) vor Erteilung der Fusionsfreigabe, ebenso wie der Informationsaustausch, sind auf das Mindestmaß zu beschränken.
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