ZEITLICHER GELTUNGSBEREICH DER DURCH DAS GESETZ ZUR MODERNISIERUNG DES PERSONENGESELLSCHAFTSRECHTS (MOPEG) NEU EINGEFÜHRTEN VORSCHRIFTEN ZUR HAFTUNG EINES GBR-GESELLSCHAFTERS
Mit Inkrafttreten des MoPeG zum 01.01.2024 finden mangels spezieller Übergangsvorschriften § 721 S. 1 BGB (Haftung des Gesellschafters für Verbindlichkeiten einer GbR), § 728 Abs. 1 BGB (Ansprüche des ausgeschiedenen Gesellschafters auf Abfindung und Freistellung) sowie § 728b Abs. 1 BGB (fünfjährige Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters) auch auf Sachverhalte Anwendung, die zeitlich vor dem 31.12.2023 liegen. Hiermit befasst sich ein aktuelles Urteil des OLG Hamm (Urt. v. 17.6.2024 – 8 U 102/23).
I. Einführung und Hintergründe
Die Haftung eines GbR-Gesellschafters für Verbindlichkeiten der Gesellschaft hat sich bis zum Inkrafttreten des MoPeG im Wesentlichen aus der entsprechenden Anwendung von Vorschriften aus dem HGB ergeben. So hat sich die Außenhaftung des Gesellschafters für Verbindlichkeiten der Gesellschaft gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft während der Dauer der Zugehörigkeit des Gesellschafters zur Gesellschaft in erster Linie auf die analoge Anwendung des § 128 HGB alte Fassung (aF) gegründet. Hiernach haben die Gesellschafter den Gläubigern der Gesellschaft für Verbindlichkeiten der Gesellschaft als Gesamtschuldner persönlich gehaftet. Die Nachhaftung eines Gesellschafters für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft bei dessen Ausscheiden aus der Gesellschaft hat sich hingegen aus der Anwendung von §§ 736 Abs. 2 BGB aF i. V. m. 160 Abs. 1 HGB aF ergeben. Danach hat der Gesellschafter für die bis zu seinem Ausscheiden begründeten Verbindlichkeiten der Gesellschaft unter bestimmten Voraussetzungen bis zum Ablauf von 5 Jahren nach seinem Ausscheiden gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft gehaftet. Die Ansprüche des ausgeschiedenen Gesellschafters auf Abfindung und Freistellung gegen die Gesellschaft haben sich auf § 738 Abs. 1 S. 2 BGB aF gestützt.
Mit dem Inkrafttreten des MoPeG am 01.01.2024 sind im gesamten Personengesellschaftsrecht in verschiedenen Gesetzen zahlreiche Änderungen vorgenommen worden. Im Rahmen dieser weitreichenden Änderungen sind unter anderem Regelungen zur Haftung bzw. Nachhaftung des Gesellschafters einer GbR in das BGB selbst integriert worden. Hierbei sind insbesondere die §§ 721, 728 und 728b BGB neu ins BGB aufgenommen worden.
Das MoPeG enthält jedoch nur partielle Übergangsregelungen, die festlegen bis zu welchem konkreten Zeitpunkt die alten Regelungen fortgelten bzw. ab wann die neuen Regelungen Anwendung finden. Hiervon sind die vorgenannten Vorschriften nicht erfasst. Auch finden sich im MoPeG keine Regelungen im Hinblick auf die Anwendbarkeit der neuen Regelungen auf in der Vergangenheit liegende Sachverhalte. Vor diesem Hintergrund wird die Frage relevant, ob und in welchem Umfang die §§ 721, 728, 728b BGB auch auf Sachverhalte Anwendung finden, die sich vor dem Inkrafttreten des MoPeG, also vor dem 01.01.2024, ereignet haben.
II. Die neuen Regelungen zur Nachhaftung eines Gesellschafters
Mit dem Inkrafttreten des MoPeG wurden unter anderem die §§ 721, 728 und 728b neu in das BGB eingeführt. In § 721 BGB ist die Außenhaftung des Gesellschafters einer GbR geregelt. Hiernach haftet der Gesellschafter in Übereinstimmung mit dem früheren § 128 HGB aF für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern der Gesellschaft als Gesamtschuldner persönlich. § 721 BGB unterscheidet sich inhaltlich nicht von § 128 HGB aF.
In § 728b Abs. 1 BGB finden sich Regelungen zur Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters einer GbR. Hiernach haftet der Gesellschafter nach Ausscheiden aus der Gesellschaft für die bis zu seinem Ausscheiden aus der Gesellschaft begründeten Verbindlichkeiten der Gesellschaft gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft bis zum Ablauf von fünf Jahren, sofern diese Verbindlichkeiten innerhalb dieser fünf Jahre fällig werden und der sich aus der Verbindlichkeit ergebende Anspruch vollstreckbar wird oder eine gerichtliche oder behördliche Vollstreckungshandlung vorgenommen oder beantragt wird. § 728b Abs. 1 BGB unterscheidet sich von §§ 736 Abs. 2 BGB aF i. V. m. 160 Abs. 1 HGB aF insoweit, als dass § 728b Abs. 1 S. 2 BGB die Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters bei Schadensersatzansprüchen in einem bestimmten Umfang begrenzt. Der ausgeschiedene Gesellschafter haftet nämlich nur dann für Schadensersatzverbindlichkeiten nach seinem Ausscheiden aus der Gesellschaft, wenn auch die zum Schadensersatz führende Verletzung vertraglicher oder gesetzlicher Pflichten vor dem Ausscheiden des Gesellschafters erfolgt ist. Kommt es also erst nach dem Ausscheiden des Gesellschafters zu der zum Schadensersatz führenden Pflichtverletzung, haftet der ausgeschiedene Gesellschafter für diese Schadensersatzverbindlichkeit nicht.
In § 728 Abs. 1 BGB sind die Ansprüche des ausgeschiedenen Gesellschafters gegen die Gesellschaft normiert. Hiernach ist die Gesellschaft verpflichtet den ausgeschiedenen Gesellschafter von der Haftung für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft zu befreien und ihm eine dem Wert seines Anteils angemessene Abfindung zu bezahlen. Im Vergleich zu § 738 Abs. 1 BGB aF stellt § 728 Abs. 1 BGB klar, dass sich die Ansprüche des ausgeschiedenen Gesellschafters direkt gegen die Gesellschaft und nicht gegen die übrigen Gesellschafter richten. Eine direkte Inanspruchnahme der Gesellschafter bleibt über § 721 BGB jedoch trotzdem möglich. Zudem wird klargestellt, dass sich die Höhe der angemessenen Abfindung am Wert des Gesellschaftsanteils des ausgeschiedenen Gesellschafters orientiert. Der vormals noch in § 738 Abs. 1 S. 2 1. Var. BGB aF geregelte Anspruch auf Rückgabe der Gegenstände, die der Gesellschafter der Gesellschaft zur Benutzung überlassen hat, findet sich nicht mehr in § 728 Abs. 1 BGB wieder.
III. Grundsatz lex temporis actus
Der Grundsatz lex temporis actus stellt das Leitprinzip des intertemporalen Rechts dar. Er besagt, dass auf eine Handlung oder ein Rechtsverhältnis grundsätzlich das Recht anzuwenden ist, das zum Zeitpunkt der Handlung oder des Zustandekommens des Rechtsverhältnisses gegolten hat. Schuldverhältnisse unterstehen damit in Bezug auf Inhalt und Wirkung grundsätzlich dem Recht, das zur Zeit der Verwirklichung ihres Entstehungstatbestands gegolten hat. Der Grundsatz soll der Rechtssicherheit und dem Vertrauensschutz dienen, indem er gewährleistet, dass bestehende Rechtsverhältnisse nicht durch nachträglich eingeführte Regelungen beeinträchtigt werden und Betroffene nicht rückwirkend an rechtliche Maßstäbe gebunden werden, die zum Zeitpunkt der relevanten Handlung noch nicht existiert haben. Von diesem Grundsatz kann jedoch durch gesetzliche Bestimmungen abgewichen werden, sofern in der jeweiligen gesetzlichen Bestimmung ausdrücklich die Rückwirkung des neuen Rechts normiert wird (Übergangsregelungen).
IV. Entscheidung des OLG Hamm
Der Entscheidung des OLG Hamm (Urt. v. 17.06.2024) lag im Wesentlichen folgender Sachverhalt zu Grunde. Die Parteien stritten über die Haftung eines bereits aus einer GbR ausgeschiedenen Gesellschafters für bestehende Darlehensverbindlichkeiten der GbR gegenüber anderen Gesellschaftern der GbR.
Die Kläger zu 1 (I GmbH) und zu 2 (Q GmbH) haben zusammen mit der Beklagten (G Immobilen GmbH) und der Z-GmbH die Klägerin zu 3, eine GbR, gegründet. Zweck dieser GbR war der Erwerb eines Grundstücks samt der sich auf diesem Grundstück befindlichen Objekte, einschließlich der Sanierung und des anschließenden Weiterverkaufs dieser Objekte. Die Beklagte war zudem Geschäftsführerin dieser GbR. Zur Finanzierung des Erwerbs des obigen Grundstücks, der Erwerbsnebenkosten und der Sanierung der Objekte stellten die Kläger 1 und 2 der GbR wie im Gesellschaftsvertrag vereinbart zwei Darlehen zur Verfügung. Sowohl die Sanierung der Objekte als auch die gewinnbringende Veräußerung dieser Objekte scheiterten. Aufgrund dessen schied die Beklagte in der Folgezeit aus der GbR aus und legte ihre Geschäftsführertätigkeit nieder. Eine Rückzahlung der Darlehen an die Kläger 1 und 2 erfolgte nicht. Die Kläger verklagten darauf hin die Beklagte und verlangten von ihr u.a. die Rückzahlung der gewährten Darlehen nebst Zinsen. Das Landgericht gab dieser Klage statt, worauf die Beklagte Berufung einlegte.
Das OLG Hamm hatte darüber zu entscheiden, ob die Beklagte als ehemalige bereits ausgeschiedene Gesellschafterin einer GbR den Klägern als Gesellschafter und Darlehensgeber auf Rückzahlung der gewährten Darlehen haftet. In diesem Zusammenhang musste das Gericht insbesondere darüber entscheiden, ob die Beklagte als ausgeschiedene Gesellschafterin nach altem Recht oder nach dem durch das MoPeG eingeführten neuem Recht haftet.
Nach der Auffassung des OLG Hamm sind die mit dem MoPeG geänderten Vorschiften der §§ 721, 728 Abs. 1, 728b Abs. 1 BGB für die Beurteilung der Haftung der Beklagten als maßgebliche Vorschriften heranzuziehen. Zur Begründung führt das OLG Hamm aus, dass sich die Entscheidung über die Anwendbarkeit von neuem Recht im Verhältnis zum alten Recht, sofern keine Übergangsregelungen vorhanden sind, nach den allgemeinen Regeln des intertemporalen Rechts richte. Maßgeblich sei dabei zwar insbesondere der Grundsatz lex temporis actus, wonach es grundsätzlich auf das zur Zeit des zu beurteilenden Sachverhalts geltende Recht ankomme, soweit sich die gesamte Entstehung unter Geltung des alten Rechts vollzogen habe.
In dem zu entscheidenden Fall sei jedoch trotz des Fehlens umfassender Übergangsregelungen von der Anwendbarkeit des neuen Rechts auf den vollständig unter alter Rechtslage entstandenen Anspruchsvoraussetzungen auszugehen. Zum einen seien die §§ 721, 728, 728b BGB ab dem 01.01.2024 auf alle ab diesem Zeitpunkt entstehende Sachverhalte anzuwenden. Dies ergebe sich daraus, dass der Gesetzgeber lediglich teilweise Übergangsregelungen getroffen habe, von denen die §§ 721, 728, 728 b BGB aber bewusst nicht erfasst würden. Das erlaube bei systematischer Gesetzesauslegung gerade den Umkehrschluss, dass dem MoPeG auch ohne ausdrückliche Klarstellung eindeutig entnommen werden könne, dass Normen, die nicht unter die genannten Übergangsvorschriften fielen, bereits ab dem 01.01.2024 gelten sollten.
Zum anderen könne auch für Fälle, in denen bereits vor dem 01.01.2024 ursprünglich nach §§ 128, 160 HGB aF analog eine Nachhaftung eines GbR-Gesellschafters für Drittansprüche begründet worden sei, sowie für die Ansprüche des Gesellschafters bei Ausscheiden ohne Kündigung, auch für Altverbindlichkeiten, ab dem 01.01.2024 zur rechtlichen Beurteilung uneingeschränkt auf die §§ 721, 728b und 728 Abs. 1 BGB abgestellt werden. Voraussetzung hierfür sei jedoch, dass die §§ 723–728 BGB aF im Gesellschaftsvertrag abbedungen wurden, da andernfalls nach Art. 229, § 61 EGBGB die Fortgeltung der §§ 723–728 BGB aF verlangt werden könne. Die Fortgeltung der §§ 723–728 BGB aF würde wiederrum beim Ausscheiden des Gesellschafters ohne Kündigung grundsätzlich zur Auflösung der Gesellschaft führen und damit eine etwaige Nachhaftung verhindern.
Der wesentliche Grund für die Nichtanwendung des Grundsatzes des lex temporis actus sei, dass die Ratio dieses Rechtsgrundsatzes im vorliegenden Fall gar nicht greife. Der Grundsatz beabsichtige, den an einem Rechtsgeschäft bzw. Schuldverhältnis beteiligten Parteien Rechtssicherheit und Vertrauensschutz in Bezug auf die Fortgeltung der materiellen Rechtslage zu gewähren. Wenn jedoch das neue Recht im Vergleich zum früheren Recht keine Änderungen mit sich bringe, gelte die materielle Rechtslage unabhängig von der Anwendung des Grundsatzes fort. In diesem Fall bestehe auch kein Erfordernis zur Anwendung dieses Grundsatzes. Die Regelungen der akzessorischen Haftung des GbR-Gesellschafters für Gesellschaftsverbindlichkeiten (§ 128 HGB aF analog bzw. § 721 BGB ), der fünfjährigen Nachhaftung des ausgeschiedenen Gesellschafters (§§ 736 Abs. 2 BGB aF, 160 HGB aF analog bzw. § 728b BGB ) und der Ansprüche eines nicht durch Kündigung ausgeschiedenen Gesellschafters gegen die Gesellschaft (§ 738 Abs. 1 S. 2 BGB aF bzw. § 728 I BGB) hätten sich mit der Einführung der neuen Normen materiell-rechtlich nicht geändert. Es bestehe daher kein Bedürfnis, entgegen Wortlaut und Systematik des MoPeG über die abschließenden Übergangsregelungen hinaus, auf den Grundsatz lex temporis actus zurückzugreifen.
V. Ausblick und Folgen für die Praxis
Die Entscheidung des OLG Hamm schafft Klarheit im Hinblick auf den zeitlichen Geltungsbereich der alten und durch das MoPeG neu eingeführten Vorschriften zur Haftung eines GbR-Gesellschafters und verdeutlicht hiermit zugleich die Relevanz dieser Neuregelungen für den Rechtsanwender. Die §§ 721, 728b, 728 BGB finden hiernach nicht nur auf Sachverhalte ab dem 01.01.2024 Anwendung, sondern sind in bestimmten Konstellationen bereits auf Sachverhalte anzuwenden, die zeitlich vor dem 01.01.2024 liegen. Darüber hinaus zeigt die Entscheidung auf, wie mit gesetzlichen Vorschriften umzugehen ist, die kürzlich in Kraft getreten sind, für die aber keine Übergangsregelungen bestehen. Auch stellt sie klar, dass eine Anwendung des Grundsatzes des lex temporis actus insbesondere in den Fällen nicht geboten ist, in denen sich die materielle Rechtslage nach altem Recht durch die Einführung des neuen Rechts nicht maßgeblich ändert oder lediglich (neu) kodifiziert wird.
Das Urteil Änderungen an GbR-Gesellschaftsverträgen erforderlich machen, die vor dem 01.01.2024 vereinbart wurden. Sofern die §§ 723 ff. BGB aF in einem solchen Gesellschaftsvertrag nicht abbedungen worden sind, die Gesellschafter aber möchten, dass die Regelungen der §§ 721, 728b und 728 BGB auf sie Anwendung finden, ist eine Änderung ihres Gesellschaftsvertrages erforderlich. Andernfalls bestünde nach Art. 229, § 61 EGBGB für den einzelnen Gesellschafter die Möglichkeit, die Fortgeltung der §§ 723 ff. BGB aF geltend zu machen. Um dies zu vermeiden, können im Gesellschaftsvertrag entweder die §§ 723–728 BGB aF ausdrücklich abbedungen oder direkt auf die neuen gesetzlichen Vorschriften verwiesen werden.
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