GEPLANTE ANZEIGEPFLICHT BEI STEUERGESTALTUNGEN
Der aus den Wirtschafts- und Finanzministern bestehende ECOFIN-Rat hat am 25. Mai 2018 die Richtlinie (EU) 2018/822 zur Änderung der Richtlinie 2011/16/EU des verpflichtenden automatischen Informationsaustauschs im Bereich der Besteuerung über meldepflichtige Gestaltungen verabschiedet. Durch diese soll eine Verpflichtung zur Meldung potenziell aggressiver Steuergestaltungen geschaffen werden. Die Richtlinie muss bis zum 31.12.2019 in nationales Recht umgesetzt werden. Die Anzeigepflicht tritt am 01.07.2020 in Kraft.
Bereits zum 21.06.2018 hat die Finanzministerkonferenz einen Gesetzesentwurf gebilligt, der auch rein innerstaatliche Sachverhalte umfassen soll. Die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der beiden Regelungssysteme sollen nachfolgend näher betrachtet werden.
I. Anzeigepflicht nach der Richtlinie 2018/822
Aufgrund der in den letzten Jahren erfolgten Enthüllungen zu Panama Papers und Paradise Papers sieht der EU-Gesetzgeber Handlungsbedarf hinsichtlich einer Anzeigepflicht in Bezug auf grenzüberschreitende Steuergestaltungsmodelle.
1. Ziele der Richtlinie
Durch die Anzeigepflicht soll „Transparenz geschaffen und der frühzeitige Zugang der Behörden zu den richtigen Informationen verbessert werden, um schädlichen Strukturen entgegenzuwirken, die das reibungslose Funktionieren des Marktes durch Verzerrungen sowie mangelnde Fairness beeinträchtigen und zu einem Rückgang der Steuereinnahmen in den Mitgliedstaaten führen“. Als wichtigstes Ziel wird die Einführung eines Mechanismus mit abschreckender Wirkung genannt. Hierdurch sollen Intermediäre davon abgehalten werden, potenziell aggressive Steuerplanungsmodelle zu konzipieren und zu vermarkten.
Des Weiteren verfolgt die Richtlinie das rechtspolitische Ziel, mögliche Gesetzeslücken frühzeitig zu identifizieren, um diese entsprechend schließen zu können. Durch das beabsichtigte Meldesystem soll zudem erreicht werden, dass die Steuerbehörden nach der Meldung die entsprechenden Informationen mit ihren Amtskollegen in den anderen Mitgliedstaaten teilen. Der diesbezügliche Austausch soll über das Gemeinsame Kommunikationsnetz (CNN) der Union erfolgen.
2. Meldepflichtige Personen
Nach Erwägungsgrund (8) der Richtlinie sollen alle „Akteure, die an der Konzeption, Vermarktung, Organisation oder der Verwaltung meldepflichtiger grenzüberschreitender Transaktionen oder einer Reihe solcher Transaktionen beteiligt sind, sowie alle, die diesbezüglich Unterstützung oder Beratung leisten“, zur Meldung verpflichtet sein. Der europäische Gesetzgeber weist bereits hier darauf hin, dass verschiedene Meldepflichten aufgrund einer gesetzlichen Verschwiegenheitspflicht nicht durchsetzbar sein könnten. In der Richtlinie ist daher vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten Maßnahmen ergreifen müssen, die gewährleisten, dass die Vorlage von Informationen über eine meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltung dann dem relevanten Steuerpflichtigen obliegt.
3. Meldepflichtige Gestaltungen
Nach Art. 3 Nr. 19 der Richtlinie ist eine meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltung dann gegeben, wenn sie mindestens eines der in Anhang IV aufgeführten Kennzeichen aufweist. Diese Kennzeichen sind in fünf Kategorien aufgeteilt. Der für die ersten beiden genannten Kennzeichen durchzuführende „Main-benefit“-Test gilt dann als erfüllt, wenn festgestellt werden kann, dass „der Hauptvorteil oder einer der Hauptvorteile, den eine Person unter Berücksichtigung aller relevanten Fakten und Umstände vernünftigerweise von einer Gestaltung erwarten kann, die Erlangung eines Steuervorteils ist“. Die anderen drei Kennzeichen müssen einen solchen Hauptvorteil gerade nicht aufweisen.
a) Allgemeine Kennzeichen in Verbindung mit dem „Main-benefit“-Test
Hierunter zählen Gestaltungen, hinsichtlich derer sich der Steuerpflichtige oder ein anderer an der Gestaltung Beteiligter sich verpflichtet, eine Vertraulichkeitsklausel einzuhalten, der zufolge sie nicht offenlegen dürfen, auf welche Weise ein Steuervorteil erlangt wurde. Zudem zählen hierzu Gestaltungen, bei denen der jeweilige Berater Anspruch auf eine Vergütung hat, deren Betrag sich aufgrund der Gestaltung des erlangten Steuervorteils errechnet oder die von der Erlangung eines Steuervorteils abhängig gemacht wird. Des Weiteren sind hiervon auch Gestaltungen erfasst, deren Dokumentation und/oder Struktur im Wesentlichen standardisiert und für mehr als einen Steuerpflichtigen verfügbar sind, ohne dass sie für die Umsetzung wesentlich individuell angepasst werden müssen.
b) Spezifische Kennzeichen in Verbindung mit dem „Main-benefit“-Test
Dies beinhaltet alle Gestaltungen, bei denen künstliche Schritte unternommen werden, um ein verlustbringendes Unternehmen zu erwerben, die Haupttätigkeit des Unternehmens zu beenden und dessen Verluste dafür zu nutzen, die eigene Steuerbelastung zu verringern. Zudem sind solche Modelle umfasst, die Einkünfte in Vermögen, Schenkungen oder andere niedriger besteuerte oder steuerbefreite Arten von Einkünften umwandeln können. Des Weiteren sind auch solche Gestaltungen meldepflichtig, die zirkuläre Transaktionen nutzen, welche zu einem „Round tripping“ von Vermögen führen und zwar durch Einbeziehung zwischengeschalteter Unternehmen ohne primäre wirtschaftliche Funktion oder von Transaktionen, die sich gegenseitig aufheben oder ausgleichen oder die ähnliche Merkmale aufweisen.
c) Spezifische Kennzeichen im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Transaktionen
Diese beziehen sich auf Gestaltungen, in denen abzugsfähige grenzüberschreitende Zahlungen zwischen zwei oder mehr verbundenen Unternehmen geleistet werden, bei denen mindestens eine der folgenden Bedingungen erfüllt ist:
- Der Empfänger ist steuerlich in keinem Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten ansässig;
- der Empfänger ist zwar steuerlich in einem Hoheitsgebiet ansässig, allerdings erhebt dieser Mitgliedstaat keine Körperschaftssteuer oder hat einen Körperschaftssteuersatz von null oder nahe null oder wird in der Liste der Drittländer geführt, die als nicht kooperierende Länder eingestuft werden;
- die Zahlung kommt im Hoheitsgebiet, in dem der Empfänger steuerlich ansässig ist, in den Genuss von einem präferentiellen Steuerregime.
Meldepflichtig sind weiterhin Gestaltungen, die eine Beantragung der Befreiung von der Doppelbesteuerung für dieselben Einkünfte oder dasselbe Vermögen beinhalten. Zudem sind Gestaltungen anzeigepflichtig, wenn diese eine Übertragung von Vermögenswerten vorsehen, hinsichtlich derer es einen wesentlichen Unterschied bezüglich des in den beteiligten Hoheitsgebieten für den Vermögenswert anzusetzenden Werts gibt.
d) Spezifische Kennzeichen hinsichtlich des automatischen Informationsaustauschs und der wirtschaftlichen Eigentümer
Die Kennzeichen hinsichtlich des automatischen Informationsaustauschs beziehen sich auf Gestaltungen, die zu einer Aushöhlung der Meldepflicht gemäß den Rechtsvorschriften zur Umsetzung des Unionsrechts oder gemäß gleichwertiger Abkommen über den automatischen Informationsaustausch über Finanzkonten, einschließlich Abkommen mit Drittländern, führen können oder sich das Fehlen derartiger Rechtsvorschriften und Abkommen zunutze macht. Zudem werden Gestaltungen umfasst, die eine „intransparente Kette an rechtlichen oder wirtschaftlichen Eigentümern“ aufweisen.
e) Spezifische Kennzeichen hinsichtlich der Verrechnungspreisgestaltungen
Hierunter zählen Gestaltungen, die
- unilaterale Safe-Harbor-Regeln nutzen;
- die Übertragungen von schwer zu bewertenden immateriellen Werten beinhalten; oder
- hinsichtlich derer eine gruppeninterne grenzüberschreitende Übertragung von Funktionen und/oder Risiken und/oder Vermögenswerten stattfindet, wenn der erwartete jährliche Gewinn vor Zinsen und Steuern (EBIT) des/der Übertragenden über einen Zeitraum von drei Jahren nach der Übertragung weniger als 50 % des jährlichen EBIT des/der Übertragenden beträgt, der erwartet worden wäre, wenn die Übertragung nicht stattgefunden hätten.
4. Meldefristen
Die Meldung muss innerhalb von 30 Tagen erfolgen, beginnend
- an dem Tag, nach dem die meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltung zur Umsetzung bereitgestellt wird, oder
- an dem Tag, nach dem die meldepflichtige grenzüberschreitende Gestaltung umsetzungsbereit ist, oder
- wenn der erste Schritt der Umsetzung der meldepflichtigen grenzüberschreitenden Gestaltung gemacht wurde,
je nachdem, welches Ereignis früher eintritt.
5. Sanktionen
Die Festlegung entsprechender Sanktionen überlässt die Richtlinie den nationalen Gesetzgebern. Die Sanktionen müssen aber laut Art. 25a „wirksam, verhältnismäßig und abschreckend“ sein.
6. Umsetzung im nationalen Recht
Der deutsche Gesetzgeber hat nun bis zum 31. Dezember 2019 Zeit, die Richtlinie in nationales Recht umzusetzen. Das Bundesfinanzministerium hat bereits im April 2018 mitgeteilt, dass es mit den Ländern prüfen wird, in welcher Form die nationale Anzeigepflicht bei der Umsetzung der EU-Richtlinie berücksichtigt werden kann. Zur Umsetzung der Richtlinie sowie zur Einführung der Anzeigepflicht auch auf nationaler Ebene wird eine gemeinsame Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingesetzt.
II. Anzeigepflicht im nationalen Recht
Die Finanzministerkonferenz hat am 21. Juni 2018 einen Gesetzesentwurf bezüglich eines „Gesetz[es] zur Einführung einer Pflicht zur Anzeige von Steuergestaltungen“ gebilligt, der auch innerstaatliche Sachverhalte umfassen soll. Hierfür sollen unter anderem § 138d AO (neu) und § 379a AO (neu) eingeführt werden.
1. Ziele des Gesetzesentwurfs
Ziel des Gesetzes ist es vorrangig, den Gesetzgeber sowie die Verwaltung über mögliche unerwünschte Steuergestaltungen zu informieren, um etwaige Gesetzlücken und „Schlupflöcher“ zu identifizieren. Diese Anzeigepflicht soll unter anderem für Ertragsteuern, die Erbschaft- und Schenkungssteuer sowie für die Grunderwerbssteuer gelten. Im Anschluss an eine Anzeige soll jeweils entschieden werden, ob Gesetze aufgrund möglicherweise bestehender Lücken angepasst werden müssen.
2. Meldepflichtige Personen
Durch den Gesetzesentwurf werden Firmen und Personen, die Steuergestaltungen anbieten, dazu verpflichtet, diese beim Staat anzuzeigen. Steuerpflichtige sollen dann zur Anzeige verpflichtet sein, sobald sie eine Steuergestaltung nutzen wollen.
3. Meldepflichtige Gestaltungen
Eine meldepflichtige Steuergestaltung soll dann vorliegen, wenn mit dem Ziel der Erlangung eines Steuervorteils gesetzliche Regelungen kombiniert oder Sachverhalte verwirklicht werden. Es wird damit jede Transaktion, die dazu führt, dass der Steueranspruch des Fiskus verringert wird oder die der zeitlichen Verschiebung dient, der Anzeigepflicht unterworfen. Durch die Angabe von Regelbeispielen wird versucht, eine entsprechende Eingrenzung vorzunehmen. Als spezifische Kennzeichen werden unter anderem genannt:
- Zuordnung eines steuermindernden Sachverhalts zu mehreren Personen
- Mehrfache Zuordnung von steuermindernden Sachverhalten zu derselben Person
- Zuordnung eines steuermindernden Sachverhalts zu einer anderen Person
- Herbeiführung von Gewinn- und Verlustschwankungen bei gegenläufigen Steuersatzwirkungen
- Transaktionen mit Gesellschaften ohne wirtschaftliche Tätigkeit
- Zirkuläre Transaktionen von identischen, vertretbaren Wirtschaftsgütern
- Umwandlung von (steuerpflichtigen) Einkünften in Kapital, Schenkungen oder niedrig/nichtbesteuerte Einnahmearten
Nicht von der Meldepflicht sollen unter anderem die folgenden Fälle umfasst sein:
- Gestaltungen, die speziell auf die Besonderheiten beim Steuerpflichtigen zugeschnitten sind und nicht auf andere Steuerpflichtige übertragen werden können
- Gestaltungen, die bereits nachweislich bekannt sind
- Gestaltungen, die nicht auf Großbetriebe und Konzerne zugeschnitten sind
- Gestaltungen, deren Steuervorteil im konkreten Fall einen Barwert von EUR 50.000,00 nicht übersteigen
- Gestaltungen bezüglich eines Steuerpflichtigen, dessen Summe der positiven Einkünfte in zwei der vergangenen drei Jahren nicht mehr als EUR 500.000,00 betragen hat.
4. Meldesystem und -fristen
Die Anzeige soll mittels einer abstrakten Beschreibung des Gestaltungsmodells und dessen steuerlichen Auswirkungen an das Bundeszentralamt für Steuern erfolgen. Eine Namensnennung des Steuerpflichtigen ist hierbei nicht vorgesehen. Die Anzeige muss innerhalb von 30 Tagen nach Eintritt des anzeigepflichtigen Ereignisses getätigt werden. Intermediäre müssen über einen Zeitraum von drei Jahren über die Anzahl der durchgeführten Steuergestaltungen berichten.
5. Sanktionen
Falls eine Anzeige unterlassen wurde oder die Anzeige nicht vollständig bzw. innerhalb der Frist abgegeben wurde, kann dies mit einer Geldbuße von bis zu EUR 100.000,00 geahndet werden (§ 379a AO n.F.). Für Berater ist im Gesetzesentwurf eine Mindestgeldbuße von EUR 200,00 für jeden Tag der Fristüberschreitung vorgesehen. Eine Geldbuße soll dann nicht auferlegt werden, sofern das Unterlassen der Anzeige auf einem Rechenfehler bei Berechnung des Steuervorteils zurückzuführen ist und der tatsächliche Steuervorteil den falsch berechneten Vorteil um nicht mehr als 20 % übersteigt.
III. Vergleich der Systeme und Problemstellungen für die Praxis
Die Anzeigepflicht im Deutschen Gesetzesentwurf der Finanzminister ist noch weiter ausgestaltet als die Anzeigepflicht nach Maßgabe der EU-Richtlinie. Lediglich die De-Minimis-Regelungen im nationalen Entwurf stellen eine Entlastung dar. Da dem nationalen Gesetzgeber bei Umsetzung der Richtlinie ein weiter Spielraum bleibt und lediglich die Grundziele der Richtlinie im nationalen Gesetz gewahrt bleiben müssen, ist zu erwarten, dass sich das Umsetzungsgesetz an den Vorgaben der für nationale Sachverhalte entwickelten Anzeigepflicht orientieren wird und über die anzeigepflichtigen Sachverhalte nach EU-Recht noch hinausgehen wird. Für die Beratungspraxis stellt sich damit umso mehr die Herausforderung, Steuergestaltungen nicht lediglich auf ihre grundsätzliche gesetzliche Zulässigkeit, sondern auch auf eine mögliche Anzeigepflicht hin zu überprüfen und hierüber den Mandanten entsprechend zu informieren.
IV. Fazit
Die Richtlinie selbst als auch der nationale Referentenentwurf weisen einige Unschärfen auf, die befürchten lassen, dass aus Sicherheitsgründen eine Anzeigeflut zu erwarten ist, bei der selbst alltägliche Gestaltungen gemeldet werden, um etwaigen Sanktionen zu entgehen. Hier ist Handeln des Gesetzgebers gefordert, um die sowohl durch die Richtlinie als auch durch das nationale Gesetz verfolgten Ziele der Transparenz und Vermeidung von Steuerausfällen durch unerwünschte Gestaltungsmöglichkeiten nicht durch eine schier unübersichtliche und nicht auszuwertende Datenflut zu konterkarieren. Ob das Anzeigeverfahren – wie von der Finanzministerkonferenz deklariert – „einfach und unbürokratisch“ ausgestaltet sein wird, bleibt abzuwarten.
Für Sie da
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Dr. Thomas Grädler, LL.M. (Birmingham)
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Dr. Jürgen Honert
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