SANIERUNGSKLAUSEL – EUGH ERKLÄRT BEIHILFEBESCHLUSS FÜR NICHTIG
Ein Anteilseignerwechsel kann zu einem quotalen oder vollständigen Untergang der vorhandenen Verluste einer Gesellschaft führen. Dies soll jedoch nicht gelten, wenn der Beteiligungserwerb mit dem Ziel der Unternehmenssanierung erfolgt. In dieser sog. Sanierungsklausel sah die EU-Kommission jedoch bis dato eine staatliche Beihilfe. Erst nachdem jüngst der EuGH diesen Beihilfebeschluss für nichtig erklärt hat, kann die Sanierungsklausel wieder angewendet werden.
I. Steuerliche Behandlung von Sanierungsgewinnen
Zur Vermeidung von Gestaltungsmissbrauch beinhaltet das deutsche Steuerrecht spezifische Verlustabzugsbeschränkungen. Diese sollen u.a. verhindern, dass ein defizitäres Unternehmen mit hohen Verlustvorträgen allein mit der Intention erworben wird, die übergehenden Verluste mit den Gewinnen des Erwerbers zu verrechnen. Die hierzu eingeführte sog. Mantelkaufregelung (§ 8 Abs. 4 KStG a.F.) wurde im Rahmen der Unternehmenssteuerreform 2008 durch § 8c KStG abgelöst. Diese Regelung sieht seither bei Anteilsübertragungen je nach Umfang des Beteiligungswechsels einen quotalen oder vollständigen Verlustuntergang vor (sog. „schädlicher Beteiligungserwerb“).
Dass derartige Verlustabzugsbeschränkungen jedoch auch eine krisenverschärfende Wirkung entfalten und die Sanierung von Unternehmen erheblich erschweren können, wurde insbesondere durch die Finanz- und Wirtschaftskrise deutlich. In der Folge wurde in Anlehnung an das insolvenzrechtliche Sanierungsprivileg (§ 39 Abs. 4 Satz 2 InsO) die sog. Sanierungsklausel (§ 8c Abs. 1a KStG) eingeführt.
1. Funktionsweise der Sanierungsklausel
Die Sanierungsklausel nach § 8c Abs. 1a KStG sieht vor, dass es bei einem schädlichen Beteiligungserwerb nicht zu einem (anteiligen) Verlustuntergang kommt, wenn dieser mit der Absicht der Unternehmenssanierung und -fortführung erfolgt. Hiervon ausgenommen sind Fälle, bei welchen der Geschäftsbetrieb zum Zeitpunkt des Erwerbs im Wesentlichen bereits eingestellt wurde. Auch ein Branchenwechsel innerhalb eines 5-Jahres-Zeitraums führt zur Nichtanwendbarkeit der Sanierungsklausel (§ 8c Abs. 1a Satz 4 KStG).
Ausnahmeregelungen wie die Sanierungsklausel kommen aufgrund ihres eingeschränkten Geltungsbereichs nur bei ausgewählten Unternehmen zur Anwendung. In einem solchen Fall soll durch das europäische Beihilferecht sichergestellt werden, dass es nicht zu einer diskriminierenden Ungleichbehandlung kommt. Im Falle der Sanierungsklausel hat die EU-Kommission bereits bei Einführung der Regelung im August 2009 eine beihilferechtliche Untersuchung eingeleitet, das förmliche beihilferechtliche Prüfverfahren wurde sodann im Frühjahr 2010 eröffnet.
2. Beihilferechtliche Würdigung der Sanierungsklausel
Das Verbot von Beihilfen beruht auf dem Grundgedanken, dass „staatliche oder aus staatlichen Mitteln gewährte Beihilfen gleich welcher Art, die durch die Begünstigung bestimmter Unternehmen oder Produktionszweige den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, mit dem Binnenmarkt unvereinbar [sind], soweit sie den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigen“ (Art. 107 Abs. 1 Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, „AEUV“).
Für die konkrete EU-Beihilfenkontrolle von steuerlichen Regelungen bzw. Maßnahmen haben sich durch die Rechtsprechung eigenständige Prüfungskriterien entwickelt. Insbesondere den Tatbestandsmerkmalen des Vorteils („Begünstigung“) und der Selektivität („bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige“) kommt eine entscheidende Bedeutung zu. Dabei gilt es im Wesentlichen festzustellen, ob die entsprechende Regelung zu einer diskriminierenden Ungleichbehandlung führt.
Liegen diese Voraussetzungen vor und wird in der Folge eine steuerliche Maßnahme als Beihilfe eingestuft, ist mit umfangreichen steuerlichen Konsequenzen zu rechnen. Ein EU-Mitgliedstaat ist nämlich verpflichtet, den Zustand wiederherzustellen, der ohne die Gewährung der Beihilfe bestünde. Für die Praxis besonders problematisch ist, dass auch bei bestandskräftigen Steuerbescheiden und bei Vorliegen von verbindlichen Auskünften, eine (ggf. rückwirkende) Steuerbelastung droht. Vertrauensschutz gibt es bei einer unzulässigen Beihilfe nicht.
Im Falle der Sanierungsklausel ist die EU-Kommission Anfang 2011 zu dem Ergebnis gekommen, dass diese eine selektive Begünstigung darstellt. Laut EU-Kommission kann diese auch nicht durch die anerkannten Rechtfertigungsründe gerechtfertigt werden. Die Sanierungsklausel wurde demzufolge als unionsrechtswidrige Beihilfe und damit als nicht mit dem Europäischen Binnenmarkt vereinbar eingestuft.
Diese Einordnung der EU-Kommission wurde in der Literatur und teils auch von deutschen Gerichten (vgl. AdV-Beschluss des FG Münster v. 1. August 2011 – 9 V 357/11 K) heftig kritisiert. Deutschland war in der Folge gezwungen, die gewährten Vorteile von den betroffenen Unternehmen zurückzufordern. Bereits erteilte verbindliche Auskünfte wurden aufgehoben und entsprechende Steuerbescheide nur mehr unter Vorbehalt der Nachprüfung (§ 164 AO) erlassen.
Einige Unternehmen, welche die Voraussetzungen der Sanierungsklausel erfüllten, reichten eine Nichtigkeitsklage beim Gericht der Europäischen Union („EuG“) ein. Nur am Rande sei an dieser Stelle erwähnt, dass auch die damalige Bundesregierung eine solche Klage einreichte, allerdings einen Tag zu spät, sodass die Klage als unzulässig abgewiesen wurde. Daraufhin ist Deutschland den wirksam erhobenen Klagen als sog. Streithelfer beigetreten.
Das EuG hat Anfang 2016 mit zwei weitgehend inhaltsgleichen Urteilen die Auffassung der EU-Kommission bestätigt, woraufhin die betroffenen Unternehmen Rechtsmittel beim Europäischen Gerichtshof („EuGH“) eingelegt haben. Am 28. Juni 2018 hat der EuGH vier (erneut weitgehend inhaltsgleiche) Urteile erlassen (EuGH-Rechtsache C-203/16 P, C-208/16 P, C-219/16 P und C-209/16 P). Der beihilferechtliche Negativbeschluss der EU-Kommission zur Sanierungsklausel wurde durch diese rechtskräftigen (da letztinstanzlichen) Urteile des EuGH für nichtig erklärt.
Allerdings ist zu beachten, dass der EuGH lediglich über die Rechtmäßigkeit des Negativbeschlusses der EU-Kommission zu entscheiden hatte. Über das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals der Selektivität und damit über den Beihilfecharakter hatte der EuGH nicht zu entscheiden. Hieraus haben sich Folgefragen betreffend die Anwendung der Sanierungsklausel ergeben.
II. Folgen für die Praxis
Die Entscheidungen des EuGH sind sowohl aus Sicht des Gesetzgebers als auch des Steuerpflichtigen sehr zu begrüßen, da die Sanierungsklausel in allen noch offenen Fällen (wieder) zur Anwendung kommen soll. Nicht eindeutig geklärt ist, ob die Anwendung aufgrund der ursprünglich eingeführten Übergangsbestimmung zu § 8c KStG möglich ist. Die Übergangsbestimmung (§ 34 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 KStG) sieht nämlich in ihrer aktuellen Fassung ein Wiederaufleben der Sanierungsklausel unter zwei Voraussetzungen vor. Zum einen bedarf es einer Nichtigkeitserklärung der EU-Kommissionsentscheidung durch den EuGH. Diese liegt zweifelsfrei vor.
Zum anderen hat laut Übergangsbestimmungen der EuGH festzustellen, dass es sich bei der Sanierungsklausel um keine staatliche Beihilfe i.S.d. Art. 107 Abs. 1 AEUV handelt. Wie bereits erwähnt, hatte der EuGH jedoch lediglich über die Rechtmäßigkeit des Negativbeschlusses der EU-Kommission zu entscheiden. Fraglich ist daher, ob der EuGH auch Feststellungen über den Beihilfecharakter getroffen hat. Dies ist insofern von Bedeutung, als andernfalls die EU-Kommission die Sanierungsklausel abermals als Beihilfe einstufen könnte. Angesichts der Nichtigerklärung und der klaren Argumentation des EuGH dürfte es allerdings für die EU-Kommission schwierig sein, an der Einschätzung zur beihilferechtlichen Selektivität festzuhalten.
Umso bedeutender ist es für die Gestaltungs- und M&A-Praxis, dass aktuell der Gesetzgeber für eine Klarstellung sorgen möchte. Im Jahressteuergesetz 2018 (vgl. Beschluss der Bundesregierung vom 1. August 2018) ist nämlich u.a. die Umsetzung der EuGH-Urteile zur Sanierungsklausel vorgesehen. Durch eine angepasste Übergangsbestimmung (§ 34 Abs. 6 Satz 2 und 3 EStG-Entwurf) soll die Anwendung der Sanierungsklausel sichergestellt werden. Vorgesehen ist eine rückwirkende Anwendung für Anteilsübertragungen, welche nach dem 31.12.2007 erfolgt sind, sofern die entsprechenden Steuerbescheide noch nicht bestandskräftig sind.
Zum Abschluss sei noch darauf hingewiesen, dass derzeit mit § 3a EStG (Steuerbefreiung von Sanierungserträgen) eine weitere, auf Sanierungsfälle gerichtete, Norm einer beihilferechtlichen Überprüfung unterzogen wird. Im Sinne der Rechtssicherheit ist zu hoffen, dass sich die o.g. EuGH-Urteile zur Sanierungsklausel positiv auf dieses Notifizierungsverfahren auswirken und es zeitnah zu einem Abschluss kommt. Auch diesbezüglich halten wir Sie wie gewohnt mit unserem honert Newsletter auf dem Laufenden.
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