EUROPA ALS DIGITALISIERUNGSMOTOR FÜR DEUTSCHES NEULAND? HERAUSFORDERUNGEN DER VEREINBARKEIT DER EUROPÄISCHEN DIGIRL MIT DEM DEUTSCHEN GESELLSCHAFTS- UND REGISTERRECHT
Am 10.02.2021 hat die Bundesregierung einen Regierungsentwurf zur Umsetzung der europäischen Digitalisierungsrichtlinie vorgelegt. Die Digitalisierungsrichtlinie ist Teil des 2019 verabschiedeten Reformpakets „Company Law Package“ für die europäische Gesellschaftsrechtrichtlinie aus dem Jahr 2017. Gegenstand des Entwurfs ist insbesondere die Möglichkeit zur Online-Gründung von GmbHs sowie die Digitalisierung und Verbesserung verschiedener Registerangelegenheiten.
I. Hintergrund
Der am 10.02.2021 von der Bundesregierung vorgelegte Regierungsentwurf („DiRUG-RegE“) beruht auf der europäischen Digitalisierungsrichtlinie („DigiRL“) welche von den Mitgliedstaaten bis zum 1.8.2021 in das nationale Recht umgesetzt werden muss. Für die deutsche Umsetzung wurde von der Verlängerungsoption bis zum 1.8.2022 trotz geplanter Verabschiedung in der aktuellen Legislaturperiode Gebrauch gemacht, um den Gerichten und Notaren in der Folgezeit die Gelegenheit zur ausreichenden Vorbereitung auf die praktische Umsetzung zu geben.
Die DigiRL bildet zusammen mit der Mobilitätsrichtlinie („MobilRL“) als sog. Company Law Package das bereits 2019 verabschiedete umfassende Reformprojekt zur europäischen Gesellschaftsrechtrichtlinie. Dieses zielt neben einer Erhöhung der Standortattraktivität für Europa durch Vereinheitlichung des europäischen Kapitalgesellschaftsrechts auch besonders auf eine voranschreitende Digitalisierung gemäß den Bedürfnissen der modernen Wirtschaft getreu dem Motto der europäischen Kommission: „A Europe fit for the digital age“. Wovon man in Deutschland in Sachen Digitalisierung bisher nur träumen konnte, ist dagegen in manchen anderen Ländern bereits normal. In Estland beispielsweise kann seit 2014 eine sog. e-residency beantragt werden, mit welcher binnen Minuten online eine Gesellschaft gegründet werden kann. Der folgende Beitrag soll neben den künftig zu erwartenden Neuerungen insbesondere die Umsetzungsprobleme ins deutsche Recht sowie einen Ausblick in die Zukunft näher erläutern.
II. Online-Gründungsverfahren
Herzstück und die Wohl aufsehenerregendste Neuerung der DigiRL und des DiRUG-RegE ist die Möglichkeit künftig Kapitalgesellschaften online innerhalb von fünf bis zehn Tagen zu gründen. Diese Möglichkeit soll beliebig vielen natürlichen und juristischen Personen sowie Personengesellschaften offenstehen. Nach Vorgabe der DigiRL sollen die Mitgliedstaaten grundsätzlich die Online-Gründung für alle Kapitalgesellschaften, also AGs, KGaAs und GmbHs gleichermaßen, ermöglichen. Dafür soll optional für Gründer ein Musterprotokoll bereitgestellt werden, ähnlich des bereits vorhandenen Musterprotokolls im vereinfachten Gründungsverfahren nach § 2 Abs. 1a GmbHG, um KMUs die Gründung zu erleichtern. Trotz bestehender (jedoch stark eingeschränkter) Wahlmöglichkeiten im neuen Online-Protokoll wird in der Praxis im Regelfall aber wohl weiterhin eine individuelle Satzung notwendig sein.
Aufgrund der in Deutschland bekanntermaßen strengen Gründungs- und Kapitalaufbringungsvorschriften und der damit verbundenen Komplexität des Gründungsverfahrens hat die Bundesregierung im DiRUG-RegE vorerst von den in der DigiRL zugelassenen Opt-Out Möglichkeiten für eine Beschränkung auf GmbH-Gründungen sowie für den Ausschluss der Sachgründung Gebrauch gemacht. Demzufolge wird in naher Zukunft wohl lediglich die Online-Bargründung einer GmbH (einschließlich UG als Unterform der GmbH) möglich sein. Eine Ausweitung der Online-Gründungsmöglichkeiten in den nächsten Jahren ist jedoch nicht ausgeschlossen und ist mutmaßlich von den bis dahin gewonnenen Erfahrungswerten und Optimierungsmöglichkeiten abhängig.
Trotz des Onlineverfahrens kann in Deutschland durch eine Öffnungsklausel der DigiRL weiterhin an der zwingenden Beteiligung eines Notars im Gründungsvorgang festhalten werden. Die notarielle Beurkundung erfüllt, als ein diskussionsintensiver Punkt der Beratungen zum Company Law Package, eine wichtige Belehrungs- und Warnfunktion sowie Filter- und Entlastungsfunktion für die deutschen Registergerichte. Die Notareinbindung im Gründungsvorgang stellt nach Meinung des Gesetzgebers als vorsorgende Rechtspflege einen unverzichtbaren selbständigen Bestandteil neben der registerrechtlichen Nachprüfung im deutschen Registersystem dar. Dies gilt umso mehr im manipulationsgefahrbehafteten Online-Gründungsvorgang. Zu diesem Zweck neu eingeführt werden soll daher ein von der Bundesnotarkammer bereitzustellendes Echtzeit-Videokommunikationssystem, welches den hoheitlichen Charakter der Notartätigkeit einerseits und Manipulationsschutz andererseits gewährleisten soll. Über dieses System kann ein Notar dann die Beteiligten identifizieren und die Online-Gründung der GmbH vornehmen. Die Identifizierung soll anhand eines elektronisch übermittelten Lichtbildes zusammen mit einem Identifizierungsmittel erfolgen.
Als Identifizierungsmittel dient in Deutschland beispielsweise der Personalausweis mit eID-Funktion oder ein elektronisches Identifizierungsmittel eines anderen Mitgliedstaates, sofern dieses einem gleichwertigen hohen Sicherheitsstandard unterliegt. In diesem Zusammenhang problematisch ist auch die Beteiligung von Gesellschaften als Gründer. Während die Vertretungsbefugnisse von Kapital- und deutschen Personenhandelsgesellschaften aus den Handels- und Unternehmensregistern ohne weiteres einsehbar sind, ist die Beteiligung von außerdeutschen Personengesellschaften mangels Harmonisierung der Registerpublizität problematisch. Bislang besteht in Deutschland noch keine Möglichkeit entsprechende Nachweisdokumente, insbesondere auch Vollmachten zur Vertretung von natürlichen Personen, in elektronischer Form abzubilden. Solche zur verlässlichen Identifizierung erforderlichen Nachweisdokumente werden daher auch bei der Online-Gründung weiterhin in Papierform vorzulegen sein.
Darüber hinaus wird das generelle Ablehnungsrecht („insbesondere“) einer Beurkundung mittels Videokommunikation gem. § 16a Abs. 2 BerurkG-E noch kritisch gesehen, für den Fall, dass Notare die Erfüllung ihrer Amtspflichten als nicht gewährleistet ansehen. Dies steht aber im Widerspruch zu der eingeschränkten Ablehnungsmöglichkeit für bestimmte Fälle nach der DigiRL und würde damit das europäische Effizienzgebot untergraben.
III. Neuerungen bei Registerangelegenheiten
Der zweite große Regelungskomplex betrifft verschiedene Registerangelegenheiten. Neben der Verbesserung der digitalen Einreichung von Unterlagen zum Handelsregister und einer Neugestaltung der Registerpublizität wird die grenzüberschreitende Kommunikation europäischer Unternehmensregister in Bezug auf directors disqualifications und Zweigniederlassungen zum Zwecke des grenzüberschreitenden Datenaustauschs ermöglicht.
Obwohl die elektronische Einreichung von Unterlagen zum Handelsregister gem. § 12 Abs. 1 S. 1 HGB möglich ist, bedürfen diese bisher einer notariellen Unterschriftenbeglaubigung, womit ein physisches Erscheinen beim Notar notwendig ist. Alternativ sollen Notare nach § 40a Abs. 1 S. 1 BeurkG-E nun auch qualifizierte elektronische Signaturen über das neue Videokommunikationssystem beglaubigen können. Diese neue Form der Beglaubigung soll neben der Anmeldung von AGs, KGaAs und GmbHs auch bei Einzelkaufläuten, Zweigniederlassungen, EU/EWR-Kapitalgesellschaften sowie beim Genossenschaftsregister möglich sein. Zwar erfüllt die qualifizierte elektronische Signatur bereits selbst eine Identifizierungsfunktion, der Notar hat darüber hinaus allerdings auch weitere Aufgaben zum Zwecke einer vorsorgenden Rechtspflege zu erfüllen. Hieran soll weiter festgehalten werden.
Als weiterer Regelungsgegenstand wurde die “register-only”-Lösung eingeführt. Traditionell unterscheidet das deutsche Registerrecht zwischen Eintragung und Bekanntmachung, wobei nach der Intention des (früheren) Gesetzgebers, aus Zeiten der Registerführung in Papierform und Bekanntmachung im Amtsblatt oder Tageszeitung, die Bekanntmachung die verlässlichere Quelle sein sollte. Die doppelte Berücksichtigung war entsprechend fehleranfällig. Eine Bekanntmachung ist nach der neuen Lösung nunmehr als erstmalige Abrufbarkeit im Register definiert. Dadurch wird die Anpassung diverser Vorschriften, welche auf die Bekanntmachung verweisen, vermieden. Im Zuge dessen soll gleichermaßen auch die Bekanntmachung von Rechnungslegungsunterlagen im Bundesanzeiger entfallen, welche künftig nur noch im Unternehmensregister einzutragen sind. Schlussendlich wird die Registereinsicht künftig gebührenfrei, stattdessen fällt eine Bereitstellungsgebühr für die jeweiligen Rechtsträger an.
Erwähnenswert sind auch die Neuerungen zur Erschwerung von Disqualifikationsarbitrage, da bisher Geschäftsführer nach einer „Disqualifizierung” in einem anderen Mitgliedstaat eine vergleichbare Position einnehmen konnten. Es wurde zwar keine Harmonisierung der Vorschriften erreicht, doch können Mitgliedstaaten (müssen aber nicht) Disqualifikationen aus anderen Mitgliedstaaten bei der Ernennung berücksichtigen. Der grenzüberschreitende Informationsaustausch diesbezüglich soll über das BRIS Informationssystem stattfinden. Statt ein eingebundenes Register disqualifizierter Direktoren in Deutschland zu schaffen soll diese Aufgabe das Unternehmensregister durch händische Anfragen übernehmen. Im Sinne einer besseren Vernetzung des BRIS Informationssystems werden zudem künftig nicht nur Informationen inländischer Zweigüberlassungen übermittelt, sondern auch Informationen der ausländischen Gesellschaft an das Register der Zweigstelle.
IV. Fazit und Ausblick
Wie der Beitrag gezeigt hat, bringt die Umsetzung der DigiRL durch den DiRUG-RegE neue gesetzgeberische Impulse in das deutsche Gesellschafts- und Registerrecht. Sollte man in Deutschland mit der Online-Gründung von GmbHs gute Erfahrungen machen können, steht einer Online-Bargründungsmöglichkeit aller Kapitalgesellschaften wohl nichts mehr im Wege. Im Zuge dessen kann als weiterer logischer Schritt über die Möglichkeiten zur Digitalisierung anderer Notarangelegenheiten nachgedacht werden. Wenn eine GmbH-Gründung online funktioniert, warum dann nicht beispielsweise auch die Übertragung von GmbH-Geschäftsanteilen?
Nachbesserungsbedarf besteht bei den weiterhin in Papierform vorzulegenden Nachweisdokumenten. Von einem europäischen Vollmachtsregister mit Publizitätswirkung ist man noch weit entfernt. Die Möglichkeiten der Online-Beurkundung und Online-Beglaubigung qualifizierter elektronischer Signaturen sind dagegen sehr erfreulich. Eine zusätzliche Einbindung der Personengesellschafts- und Partnerschaftsregister wäre noch eine Überlegung wert. Die Aufgabe der Dichotomie von Eintragung und Bekanntmachung sowie die voranschreitende Vernetzung europäischer Register sind zu begrüßen.
Darüber hinaus kann mit gespanntem Blick das Vorhaben zur Einführung einer einheitlichen europäischen e-ID verfolgt werden, wie es die aktuelle Kommissionspräsidentin bereits angekündigt hat. Dadurch würde die Möglichkeit zur europaweiten Gründung von Kapitalgesellschaften allen Unionsbürgern gleichermaßen offenstehen. Mithilfe des Konzepts zur estnischen e-residency wären sogar Bürger aus Drittstaaten potentiell miteinbezogen.
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