REFORM DES GEMEINNÜTZIGKEITSRECHTS
Durch das Jahressteuergesetz 2020 hat das Gemeinnützigkeitsrecht einige wichtige Änderungen erfahren. Die Reformmaßnahmen haben insbesondere für gemeinnützige Kooperationen und Konzernstrukturen deutliche Erleichterungen zur Folge. Auch besteht für gemeinnützige Servicegesellschaften mehr Rechtssicherheit. Dieser Newsletterbeitrag befasst sich mit den zentralen Reformmaßnahmen und zeigt deren praktische Relevanz auf.
I. Entwicklung des Gemeinnützigkeitsrechts
Das Gemeinnützigkeitsrecht stammt in weiten Teilen noch aus den 1970er-Jahren und hat zuletzt durch das Gesetz zur Stärkung des Ehrenamts (Ehrenamtsstärkungsgesetz) vom 21. März 2013 eine umfassendere Überarbeitung erfahren. Nach gut sieben Jahren seit der letzten Reformierung enthält das Jahressteuergesetz 2020 einige wichtige Gesetzesänderungen, welche am Tag nach dessen Verkündung, demnach am 29.12.2020, in Kraft getreten sind.
II. Reformmaßnahmen
1. Erweiterung des Katalogs der gemeinnützigen Zwecke sowie der Zweckbetriebe
In § 52 AO nennt der Gesetzgeber die aus seiner Sicht förderungswürdigen gemeinnützigen Zwecke (sog. gemeinnützige Katalogzwecke), wie z.B. die Förderung der Wissenschaft und Forschung. Dieser Katalog der gemeinnützigen Zwecke wurde im Rahmen der Reformierung um weitere Bereiche ergänzt. Die neu hinzugekommenen förderungswürdigen Zwecke betreffen u.a. den Klimaschutz, die Hilfe für politisch, rassistisch oder religiös Verfolgte sowie die Heimatpflege und Heimatkunde (Aufzählung hier nicht abschließend, für Einzelheiten vgl. § 52 Abs. 2 Nr. 8, 10, 22, 23 und 26 AO).
Ergänzt wurden zudem die eng auszulegenden Ausnahmevorschriften zu den sog. Zweckbetrieben (§§ 65, 68 AO). Diese ermöglichen gemeinnützigen Körperschaften sich wirtschaftlich zu betätigen, ohne dabei den Gemeinnützigkeitsstatus zu gefährden. Die zwei in § 68 AO hinzugefügten Zweckbetriebe betreffen die Bereiche der entgeltlichen Versorgung, Verpflegung und Betreuung von Flüchtlingen (§ 68 Nr. 1 Buchst. c AO) sowie der entgeltlichen Durchführung der Fürsorge für psychische und seelische Erkrankungen bzw. Behinderungen (§ 68 Nr. 4 AO).
2. Kooperationen zwischen gemeinnützigen Organisationen
Die §§ 55-57 AO legen fest, in welcher Art und Weise steuerbegünstigte Zwecke durch gemeinnützige Körperschaften verfolgt werden müssen. Neben der Selbstlosigkeit (§ 55 AO) und der Ausschließlichkeit (§ 56 AO) wird in § 57 AO die unmittelbare Zweckverfolgung festgeschrieben, wonach förderungswürdige Zwecke entweder selbst oder mit Hilfe eingeschalteter Hilfspersonen unmittelbar verfolgt werden können (§ 57 Abs. 1 AO). Der neu hinzugefügte § 57 Abs. 3 AO enthält erstmals Aussagen zu möglichen Kooperationen von gemeinnützigen Organisationen. So steht es der vorgeschriebenen „unmittelbaren“ Zweckverfolgung im Sinne des § 57 Abs. 1 AO nicht entgegen, wenn gemeinnützige Körperschaften durch planmäßiges Zusammenwirken steuerbegünstigte Zwecke verwirklichen. Demnach können auch reine Servicegesellschaften unmittelbar gemeinnützig tätig werden, sofern deren Dienstleistungen gegenüber anderen gemeinnützigen Körperschaften erbracht werden.
Bislang kam es vor, dass eine Körperschaft, die zur Verwirklichung eines steuerbegünstigten Zweckes mit einer anderen Körperschaft arbeitsteilig zusammengearbeitet hat, nicht selbst als steuerbegünstigt anerkannt wurde. Dies betraf u. a. (Konzern-) Servicegesellschaften, da sie regelmäßig den Grundsatz der Unmittelbarkeit des § 57 AO nicht erfüllten. Diese „unmittelbare Tätigkeit“ wird nun gesetzlich fingiert, wenn eine Körperschaft „satzungsgemäß durch planmäßiges Zusammenwirken mit mindestens einer weiteren Körperschaft, die im Übrigen die Voraussetzungen der §§ 51 bis 68 AO erfüllt, einen steuerbegünstigten Zweck verwirklicht“ (§ 57 Abs. 3 S. 1 AO). Nach einer insoweit notwendigen Satzungsanpassung, können bislang steuerpflichtige Konzern-/Tochter-/Service- oder sonstige Gesellschaften künftig als gemeinnützig anerkannt werden. Als Beispiel für eine Kooperation im Sinne des § 57 Abs. 3 AO nennt die Gesetzesbegründung dementsprechend das Verhältnis zwischen einem gemeinnützigen Krankenhausbetreiber und einer (ausgelagerten) Krankenhauswäscherei (Servicegesellschaft). Dieses zeigt auch den organisationsübergreifenden Ansatz der Neuregelegung, welcher bei der Beurteilung wirtschaftlicher Tätigkeiten innerhalb eines Kooperationsverbunds zum Tragen kommt. Nach § 57 Abs. 3 S. 2 AO erbringen die Wäscherei (Servicegesellschaft) und die Krankenhausgesellschaft ihre Leistungen im Rahmen eines Zweckbetriebs nach § 67 AO. Wäschereileistungen gegenüber Dritten sind hingegen einem steuerpflichtigen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb (§ 64 AO) zuzuordnen.
Nach § 57 Abs. 3 AO kann somit eine Körperschaft auch dann unmittelbar gemeinnützig tätig sein kann, wenn diese planmäßig mit mindestens einer anderen gemeinnützigen Körperschaft zusammenwirkt. Verlangt wird aber eine strenge Anbindung an den gemeinnützigen Satzungszweck, d.h. das Zusammenwirken muss „satzungsgemäß“ und zur Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke erfolgen. Bestehende Servicegesellschaften sollten daher prüfen, ob eine Satzungsanpassung notwendig ist.
3. Konzernstrukturen
Aus verschiedensten Gründen kann es in der Praxis sinnvoll sein, das gemeinnützige operative Geschäft auf Tochtergesellschaften (häufig gemeinnützige GmbHs) zu übertragen und auszugliedern. Um den Unmittelbarkeitsgrundsatz des § 57 AO zu erfüllen, musste eine Holdinggesellschaft bisher entweder selbst eine eigene begünstigte Tätigkeit entfalten, sich Hilfspersonen i.S.d. § 57 Abs. 2 AO bedienen (z.B. steuerbegünstigte Tochtergesellschaften) oder als Förderkörperschaft i.S.d. § 58 Nr. 1 AO fungieren. Entsprechende Konstrukte sind künftig nicht mehr notwendig, da eine „unmittelbare Zweckverwirklichung“ fingiert wird, wenn eine Körperschaft ausschließlich Anteile an steuerbegünstigten Kapitalgesellschaften hält und verwaltet (§ 57 Abs. 4 AO n.F.). Konzernobergesellschaften können demnach auch ohne eigene operative oder fördernde gemeinnützige Aktivitäten den Gemeinnützigkeitsstatus innehaben.
4. Mittelweitergabe zwischen gemeinnützigen Körperschaften
Eine für die Praxis wichtige Änderung betrifft die Regelungen zu den steuerlich unschädlichen Betätigungen einer gemeinnützigen Körperschaft. Die vormals in § 58 Nr. 1 und Nr. 2 AO a.F. enthaltenen Restriktionen zur Mittelweitergabe zwischen gemeinnützigen Körperschaften sind nun in § 58 Nr. 1 AO zusammengefasst. Dabei wurde die betragsmäßige Beschränkung, wonach eine Körperschaft ihre Mittel nur „teilweise“ einer anderen, ebenfalls steuerbegünstigten Körperschaft zuwenden darf, gänzlich gestrichen. Nach der seit 29. Dezember 2020 geltenden Neufassung des § 58 Nr. 1 AO gefährdet die ausschließliche Weitergabe von Mitteln an andere gemeinnützige Körperschaften die Steuervergünstigung grundsätzlich nicht mehr. Sollte jedoch die Mittelweitergabe die einzige Art der Zweckverwirklichung darstellen, so ist dies in der Satzung entsprechend zu benennen (§ 58 Nr. 1 Satz 4 AO).
Darüber hinaus wird in § 58 Nr. 1 AO erstmals klargestellt, dass zu den „Mitteln“ im Sinne dieser Vorschrift sämtliche Vermögenswerte einer Körperschaft zählen, folglich neben Bar- und Bankvermögen auch alle anderen Vermögenswerte. Nach der Gesetzesbegründung fallen
hierunter auch die unentgeltliche oder verbilligte Nutzungsüberlassung oder unentgeltliche oder verbilligte Erbringung von Dienstleistungen.
In einem neuen § 58 a AO wird außerdem eine gesetzliche Vertrauensschutzregelung zugunsten steuerbegünstigter Körperschaften geschaffen, die gutgläubig Mittel an eine andere Körperschaft zur Verwirklichung steuerbegünstigter Zwecke weitergeben. Weist die Empfänger-Körperschaft ihre eigene Gemeinnützigkeit im Zeitpunkt der Mittelweiterleitung anhand einer finanzamtlichen Bestätigung nach, wird die Geber-Körperschaft als schutzwürdig eingestuft, auch wenn der Empfänger-Körperschaft im Nachhinein die Gemeinnützigkeit nicht zuerkannt bzw. aberkannt wird oder diese die empfangenden Mittel nicht für steuerbegünstigte Zwecke verwendet (§ 58 a Abs. 1 und 2 AO). Kein Vertrauensschutz liegt nach § 58 a Abs. 3 AO dagegen vor, wenn der zuwendenden Körperschaft die Unrichtigkeit des vorgelegten Bescheids bekannt oder in Folge grober Fahrlässigkeit nicht bekannt war oder die zuwendende Körperschaft eine Verwendung für nicht steuerbegünstigte Zwecke durch die empfangende Körperschaft veranlasst hat.
5. Zuwendungen an ausländische Körperschaften
Eine weitere Neuerung betrifft die Förderung ausländischer Körperschaften, welche in Deutschland mit ihren inländischen Einkünften beschränkt steuerpflichtig sind. Diese müssen nunmehr nach § 58 Nr. 1 S. 3 AO auch in Deutschland steuerbegünstigt sein. Bislang galt diese Voraussetzung lediglich für unbeschränkt steuerpflichtige, d.h. in Deutschland steuerlich ansässige Körperschaften (§ 58 Nr. 1 Hs. 2 AO a.F.). Diese Neuregelung ist nicht ganz unproblematisch, weil es aufgrund der Satzungsstrenge des deutschen Rechts für beschränkt steuerpflichtige (ausländische) Körperschaften schwierig sein kann, die Gemeinnützigkeitsvoraussetzungen vollständig zu erfüllen.
Ab sofort gilt es bei entsprechenden Förderungsabsichten vorab zu eruieren, ob die ausländische Körperschaft aufgrund von inländischen Einkünften in Deutschland beschränkt steuerpflichtig ist und wenn ja, ob die zuvor genannten Voraussetzungen erfüllt sind. Erzielt die ausländische Körperschaft hingegen keine inländischen Einkünfte, ist bei deren Förderung – wie schon bisher – zu beachten, dass die Körperschaft gemeinnützige Zwecke nach deutschem Rechtsverständnis verfolgen muss. Für letztgenannte Fälle hat sich durch die Reform also nichts geändert.
6. Ausnahme vom Gebot der zeitnahen Mittelverwendung
Gemeinnützige Körperschaften müssen ihre Mittel grundsätzlich (vorbehaltlich der begrenzten Rücklagenbildung nach § 62 AO) zeitnah, d.h. spätestens in den auf den Zufluss folgenden zwei Kalender- oder Wirtschaftsjahren, für ihre Satzungszwecke verwenden (§ 55 Abs. 1 Nr. 5 AO). Seit Inkrafttreten der Reformmaßnahmen (29. Dezember 2020) existiert zu diesem Gebot eine Ausnahme, und zwar für kleine Körperschaften, deren jährliche Einnahmen nicht mehr als EUR 45.000 betragen (§ 55 Abs. 1 Nr. 5 Satz 4 AO). Diese Vereinfachung ist aus Sicht kleiner gemeinnütziger Körperschaften zwar zu begrüßen. Allerdings ist zu beachten, dass sich die Ausnahmeregelung rein auf die zeitliche Vorgabe des Mittelverwendungsgebots bezieht. Die grundsätzliche Verpflichtung, sämtliche Mittel für die gemeinnützigen Satzungszwecke zu verwenden(§ 55 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 AO), gilt weiterhin ausnahmslos und ungeachtet der zuvor genannten Bagatellgrenze.
7. Stärkung des ehrenamtlichen Engagements
Neben den Reformmaßnahmen auf Ebene der gemeinnützigen Organisationen wurden die Grenzen zur steuerlichen Anerkennung des ehrenamtlichen Engagements sowie das Spendenrecht angepasst. Die jährliche Ehrenamtspauschale erhöht sich von EUR 720 auf EUR 840, der Übungsleiterfreibetrag von EUR 2.400 auf EUR 3.000 (§ 3 Nr. 26 und Nr. 26a EStG). Die Grenze für den vereinfachten Spendennachweis durch Bareinzahlungsbeleg oder Buchungsbestätigung eines Kreditinstituts (§ 50 Abs. 4 EStDV) wurde von EUR 200 auf EUR 300 angehoben; diese Änderung gilt schon für Spenden ab dem 1. Januar 2020.
III. Fazit
Die Reform des an vielen Stellen in die Jahre gekommenen Gemeinnützigkeitsrechts ist insgesamt sehr zu begrüßen. Auch wenn nicht sämtliche Unklarheiten und Kritikpunkte beseitigt wurden, führen die Gesetzesanpassungen und -ergänzungen in der Gesamtschau zu einer Verbesserung der gemeinnützigkeitsrechtlichen Rahmenbedingungen. Die Mittelweitergabe unter gemeinnützigen Körperschaften wurde rechtssicher ausgestaltet. Gemeinnützige Servicegesellschaften sowie Holdingstrukturen können nunmehr auf einheitliche und weitestgehend klare Vorgaben zurückgreifen.
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