DIE STEUERERMÄßIGUNG NACH § 34 ABS. 3 ESTG – AUCH DURCH EINE UNRECHTMÄßIGE GEWÄHRUNG VERBRAUCHT
Mit Urteil vom 28.09.2021 (BFH VIII R 2/19) hat der BFH entschieden, dass die Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 3 EStG auch in dem Fall verbraucht ist, wenn diese unrechtmäßigerweise und ohne vorherige Antragstellung gewährt wurde. Dieses Ergebnis verwundert auf den ersten Blick. Dem Steuerpflichtigen wird die Möglichkeit genommen, selbst über die Stellung eines Antrags nach § 34 Abs. 3 EStG zu entscheiden. Die gesetzlich vorgegebenen Gestaltungsmöglichkeiten hat der BFH beschränkt.
I. Die Steuerermäßigung nach § 34 Abs. 3 EStG
Eine Auseinandersetzung mit dem Urteil erfordert zunächst eine kurze Betrachtung der praktisch bedeutsamen, in ihren Einzelheiten aber komplizierten Norm.
Zentrale Voraussetzung für die Steuerermäßigung ist das Bestehen eines Veräußerungsgewinns iSv. § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG. Klassischer Anwendungsfall ist die Veräußerung eines Betriebs oder von Personengesellschaftsbeteiligungen nach § 16 EStG (ebenso nach § 18 Abs. 3 EStG bei Selbständigen). Für Kapitalgesellschaftsanteile greift ein anderes „Steuersystem“, das sog. Teileinkünfteverfahren.
Die Steuerermäßigung kann bis zu einem Betrag von 5 Mio. € derjenige in Anspruch nehmen, der entweder das 55. Lebensjahr vollendet hat oder dauernd berufsunfähig ist, § 34 Abs. 3 S. 1 EStG. Der Gesetzgeber verfolgt mit dieser Voraussetzung den Zweck, denjenigen zu begünstigen, der dauerhaft seine berufliche Betätigung beendet oder diese aufgrund anderer Faktoren beenden muss. Dem Steuerpflichtigen soll der realisierte Gewinn aus der Wertsteigerung, die im Rahmen der unternehmerischen Betätigung erwirtschaftet wurde, für seine Altersversorgung zur Verfügung stehen. Ein praktischer Anwendungsbereich ist beispielsweise der Verkauf einer Arztpraxis, wenn der Inhaber die berufliche Tätigkeit beendet. Bedeutung hat die Norm in Einzelfällen auch bei Umstrukturierungsmaßnahmen.
Liegen die genannten Voraussetzungen vor und wurde ein entsprechender Antrag gestellt, wird im Rahmen der Steuerfestsetzung für den Veräußerungsgewinn der begünstigte Steuersatz angewandt. Dieser berechnet sich zunächst aus dem durchschnittlichen Steuersatz des gesamten zu versteuernden Einkommens und sodann wird dieser mit 56% multipliziert (§ 34 Abs. 3 S. 2 EStG). Übersteigt ein Gewinn im genannten Sinn diesen Betrag, werden nur höchstens 5 Mio. € im Rahmen von § 34 Abs. 3 EStG berücksichtigt. Der übersteigende Betrag wird nach herkömmlichen Vorschriften (häufig zusätzlich begünstigt gemäß der sog. Fünftelregelung nach § 34 Abs. 1 EStG, vgl. II.) besteuert.
Die Steuerermäßigung wird nur einmal im Leben gewährt, § 34 Abs. 3 S. 4 EStG. Für späzere Fälle oder auch für alle anderen Einkünfte des Steuerpflichtigen im gleichen Veranlagungszeitraum gelten die allgemeinen Vorschriften des EStG, bei deren Berechnung der Veräußerungsgewinn nicht mehr zu berücksichtigen ist, § 34 Abs. 3 S. 3 EStG. Dies gilt selbst für andere Veräußerungsgewinne im gleichen Veranlagungszeitraum. Der ermäßigte Steuersatz kann nur auf einen Veräußerungsgewinn angewandt werden, § 34 Abs. 3 S. 5 EStG.
II. Die Vorteile des ermäßigten Steuersatzes
Die geschilderten Eckpunkte können bei einer geplanten Antragstellung zu einer deutlich reduzierten Steuerlast führen. Der Steuerpflichtige kann bestimmen, in welchem Veranlagungszeitraum er veräußert und, falls bei ihm mehrfach solche begünstigten Veräußerungen erfolgen, für welchen Veräußerungsgewinn er den Antrag auf Gewährung der Steuerbegünstigung stellen will.
Im Verhältnis zur „Fünftelregelung“, § 34 Abs. 1 EStG, hat der ermäßigte Steuersatz den Vorteil, dass er immer zu einer Steuerbegünstigung führt. Der Steuersatz beträgt 56 % des Durchschnittssteuersatzes. Die „Fünftelregelung“ hingegen schlägt sich nicht immer in einer geringeren Steuerlast nieder. Deren Zweck liegt darin, für einmalige, hohe Gewinne die Progression abzumildern, indem die Steuerbelastung nur aus einem Fünftel der Gewinne berechnet wird. Dieser Effekt bleibt aus, wenn die Einkünfte im Bereich des Spitzensteuersatzes liegen.
Die „Fünftelregelung“ und der ermäßigte Steuersatz stehen in einem Alternativverhältnis, sodass der Steuerpflichtige mit der Antragstellung über die konkrete Rechtsfolge entscheiden kann. Ein Antrag bietet sich grundsätzlich immer für einen möglichst hohen Veräußerungsgewinn an. Liegt dieser an der Grenze von 5 Mio. €, lässt sich eine Reduzierung der Steuerlast von ca. 1 Mio. € erzielen. Die größte Reduzierung ergibt sich, wenn mit den anderen Einkünften bereits der Spitzensteuersatz anzuwenden ist.
Die zeitliche Zuordnung kann zu einem Veranlagungszeitraum bestimmt werden, indem die Veräußerung entweder auf den Schluss eines Kalenderjahres oder auf den Beginn eines neuen gelegt wird. Zwischen einer Übertragung zum 31.12., 23:59 Uhr und einer solchen zum 01.01, 0:01 Uhr liegt lediglich eine juristische Sekunde.
III. Der Sachverhalt des Urteils des BFH
Auf diese „Planung“ wirkt sich in einem Detail das eingangs genannte Urteil aus. Damit der Steuerpflichtige die vorgenannten Gestaltungsspielräume für sich wahren kann, hat er darauf zu achten, dass ihm die Steuerbegünstigung nicht unrechtmäßigerweise durch die Finanzverwaltung gewährt wird.
Dem Urteil lag ein Fall zugrunde, in dem der Steuerpflichtige im Streitjahr (2016) seinen Anteil an einer Gemeinschaftspraxis veräußerte. Hiermit erzielte er einen Veräußerungsgewinn nach § 34 Abs. 2 Nr. 1 EStG. Im Rahmen seiner Einkommensteuererklärung beantragte er die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes nach § 34 Abs. 3 EStG. Das Finanzamt gewährte diese dem Kläger jedoch nicht. Hintergrund war, dass dem Steuerpflichtigen der ermäßigte Steuersatz bereits im Jahr 2006 gewährt wurde. Es lag damals jedoch weder eine Veräußerung vor, noch hatte der Kläger einen Antrag auf Gewährung der Tarifbegünstigung gestellt. Die Quintessenz des Falles lag darin, ob diese unrechtmäßige Gewährung des ermäßigten Steuersatzes zu einem “Verbrauchen” iSv. § 34 Abs. 3 S. 4 EStG führt.
IV. Die wesentlichen Erwägungen des Senats
Der BFH hat entschieden, dass auch die geschilderte Konstellation für einen “Verbrauch” ausreicht und eine nochmalige Inanspruchnahme ausgeschlossen ist.
Der Senat stützt sich auf die bisher bestehende Rechtsprechungslinie. Ein „Verbrauchen“ nach § 34 Abs. 3 S. 4 EStG liege vor, wenn sich „die Vergünstigung auf die frühere Steuerfestsetzung ausgewirkt hat und sie dort nicht mehr rückgängig gemacht werden kann“ (BFH v. 29.09.2021 – VIII R 2/19, DStR 2022, 38 Rn. 16). Im Fall einer unrechtmäßigen Gewährung ohne Antrag stehe dem Steuerpflichtigen der Rechtsbehelf des Einspruchs zu. Ein „Verbrauchen“ soll nur dann nicht angenommen werden können, wenn die resultierende Begünstigung so gering ist, dass diese für den Steuerpflichtigen aus dem ergangenen Steuerbescheid nicht erkennbar war. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut der Norm. Aus der Formulierung „in Anspruch nehmen” lasse sich nicht ableiten, dass ein Antrag notwendig ist. Darüber hinaus stehe diese Auslegung mit dem Zweck der Norm in Einklang. Dieser liege darin, das Ausscheiden aus dem Berufsleben steuerlich zu begünstigen. Ein solcher Fall könne nur einmal im Leben erfasst werden – unabhängig davon, ob es sich um eine rechtmäßige Gewährung handele oder nicht.
Offen lässt der BFH, wie sich das fehlende Vorliegen eines Veräußerungsgewinns auswirkt. Hierzu nennt er nur kurz die beiden bestehenden Ansichten und folgt der mehrheitlich vertretenen Ansicht, dass auch ein fehlender „Veräußerungsgewinn“ zu einem Verbrauch der Begünstigung führen kann.
V. Die nötige Berücksichtigung des „Verbrauchens“ bei der Auseinandersetzung mit § 34 EStG
Das Urteil zeigt zunächst, dass jeder „laufende“ Steuerbescheid dahingehend zu prüfen ist, ob das Finanzamt fälschlicherweise den begünstigten Steuersatz nach § 34 Abs. 3 EStG angewandt hat, was theoretisch sogar schon vor Vollendung des 55. Lebensjahres erfolgt sein kann.
Sodann ist im Zusammenhang mit den steuerlichen Überlegungen bei potentiell begünstigten Veräußerungen zu prüfen, in welchem Veranlagungszeitraum die Veräußerung erfolgen sollte und ob in der Vergangenheit (ggf. fälschlicherweise) einmal der begünstigte Steuersatz nach § 34 Abs. 3 EStG gewährt wurde.
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