GEWERBEMIETRECHT IM „LOCKDOWN“
Auch ein Jahr nach Ausbruch der Covid-19-Pandemie stellen sich noch zahlreiche Rechtsfragen. Dies gilt unter anderem für das Gewerbemietrecht, das vor dem Hintergrund des zweiten „Lockdowns“ weiterhin erhebliche Relevanz für zahlreiche Händler und Dienstleister hat. Im Jahr 2020 gab es sehr unterschiedliche Rechtsprechung zu den Rechten von Vermietern und Mietern. Aufgrund dessen hat der Gesetzgeber kurz vor Weihnachten 2020 eine Gesetzesänderung für Gewerberaummietverträge auf den Weg gebracht. Zeit also, nicht nur diese Änderung unter die Lupe zu nehmen, sondern auch die bereits ergangene Rechtsprechung zur Gewerberaummiete zu analysieren.
I. Überblick über die Gesetzesänderung
Am 31. Dezember 2020 ist das „Gesetz zur weiteren Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Anpassung pandemiebedingter Vorschriften im Gesellschafts-, Genossenschafts-, Vereins- und Stiftungsrecht sowie im Miet- und Pachtrecht“ in Kraft getreten. Durch dieses Gesetz wurde ein neuer Art. 240 § 7 in das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch (EGBGB) eingefügt. Diese Vorschrift gilt für vermietete Grundstücke oder Räume, die keine Wohnräume sind und die infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie für den Betrieb des Mieters nicht oder nur mit erheblicher Einschränkung verwendbar sind bzw. waren. Die neue Regelung bewirkt eine gesetzliche Vermutung dahingehend, dass sich insofern ein Umstand im Sinne des § 313 Abs. 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), der zur Grundlage des Mietvertrags geworden ist, nach Vertragsschluss schwerwiegend geändert hat. § 313 Abs. 1 BGB bietet einer Partei unter gewissen Umständen einen Anspruch auf Vertragsanpassung. Die Neuerung gilt entsprechend für Pachtverträge. Für die einfachere Lesbarkeit sprechen wir nachfolgend nur von Mietverträgen und meinen Pachtverträge gleichermaßen.
II. Analyse der neuen gesetzlichen Regelung
§ 313 Abs. 1 BGB, auf den Art. 240 § 7 EGBGB Bezug nimmt, normiert den Anspruch einer Partei auf Vertragsänderung wegen einer sog. Störung der Geschäftsgrundlage. Für den Fall, dass sich
- (1) Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben; und
(2) die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden,
(3) soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zu gemutet werden kann.
Eine Vertragspassung kann beispielsweise in einer Herabsenkung der Miete liegen.
Die Vorschrift hat mithin drei Voraussetzungen. Die Neuregelung bewirkt, dass gesetzlich vermutet wird, die erste der drei Voraussetzungen (Veränderung von Umständen, die Vertragsgrundlage geworden sind) sei erfüllt, wenn der gewerbliche Mieter seine gemietete Fläche infolge staatlicher Maßnahmen im Zuge der Corona-Pandemie nicht mehr oder nur eingeschränkt nutzen kann. Unter eingeschränkter Nutzung versteht der Gesetzgeber insbesondere die Beschränkung der zugelassenen Personen pro Quadratmeter.
Das Vorliegen dieser ersten Voraussetzung, dass sich grundlegende Umstände schwerwiegend geändert haben, wurde in den vergangenen Monaten bereits von einigen Gerichten bei einer pandemiebedingten, staatlich vorgeschriebenen Schließung von Geschäften bejaht. Was die Gerichte aber teilweise verneint haben und was seit je her die schwierigste aller Voraussetzungen für den Anspruch auf Vertragsanpassung war, ist die dritte Voraussetzung, nämlich die Risikoverteilung. Diesbezüglich gilt nach wie vor keine Vermutungsregel. Der Gesetzgeber äußert sich in der Gesetzesbegründung lediglich dahingehend, dass Belastungen infolge staatlicher Maßnahmen zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie regelmäßig weder der Sphäre des Mieters noch der Sphäre des Vermieters zuzuordnen seien. Maßgeblich seien auch hier die vertraglichen Regelungen.
Im Ergebnis dürften aus Sicht des Mieters die gegebenen Unsicherheiten in der Anwendung von § 313 Abs. 1 BGB weiter bestehen. Dies hat sich bereits in einem jüngst ergangenen Urteil gezeigt, das auf die gesetzgeberische Klarstellung eingeht. Der Gesetzgeber wollte ausweislich der Gesetzesbegründung an die Verhandlungsbereitschaft der Vertragsparteien, wohl insbesondere der Vermieter appellieren, indem geregelt wird, dass § 313 BGB grundsätzliche Anwendung finden soll. Dies kann sich der Mieter für Verhandlungen sicher zu eigen machen, ein Anspruch lässt sich daraus jedoch nicht herleiten.
Schließlich wird in der Gesetzesbegründung ausgeführt, dass das gesetzliche Leistungsstörungsrecht, insbesondere die Mietminderung, Anwendung fände und dies gegenüber § 313 BGB vorrangig sei. Auch diese Äußerung des Gesetzgebers können sich Mieter unter Umständen zu eigen machen, denn einige Gerichte verneinten bislang die Möglichkeit der Mietminderung, wenn Ladenlokale aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorgaben nicht öffnen durften.
Eine Institution wie das „Mietenmoratorium“, das im Zeitraum April bis Juni 2020 galt, wurde Ende 2020 nicht erneut geschaffen. Während des „Mietenmoratoriums“ konnten Mieter ihre Mietzahlungen aufgrund der Pandemie aussetzen, ohne dass der Vermieter deswegen kündigen konnte. Die Zahlungspflicht als solche blieb hiervon unberührt und nicht gezahlte Mieten sind spätestens am 30. Juni 2022 zu zahlen.
Auf prozessualer Ebene führte der Gesetzgeber Ende 2020 eine Regelung ein, wonach Gerichte Verfahren über die Anpassung von Miet- und Pachtzahlungen bei Gewerberäumen, die durch staatliche Maßnahmen aufgrund der Covid-19-Pandemie bedingt sind, beschleunigt terminieren sollen.
III. Kurzüberblick über die Rechtsprechung
In den vergangenen Monaten wurden bereits einige erstinstanzliche Entscheidungen zum Gewerbemietrecht aufgrund der staatlichen Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung in der „ersten Welle“ ab Mitte März 2020 veröffentlicht. Soweit ersichtlich, hat jedoch noch kein Gericht in zweiter Instanz über derartige Fragen entschieden und die Aussagekraft der verschiedenen überwiegend landgerichtlichen Entscheidungen ist mangels einheitlicher obergerichtlicher Rechtsprechung begrenzt.
Die Rechtsprechung hielt zwar das allgemeine Leistungsstörungsrecht gemäß der §§ 536 ff. BGB, zu welchem auch das Recht zur Mietminderung zählt, grundsätzlich für anwendbar, wenn es um staatlich angeordnete Schließungen ging. Sie sah dies auch nicht durch das zuvor geschilderte Mietenmoratorium eingeschränkt. Allerdings lehnte die überwiegende Zahl der damit beschäftigten Amts- und Landgerichte erster Instanz das Vorliegen eines Mangels ab, der Voraussetzung für das Eingreifen des Leistungsstörungsrechts ist.
Ein Mangel ist immer dann gegeben, wenn der Ist-Zustand der Mietsache vom vertraglich vorausgesetzten Zustand abweicht. Auch öffentlich-rechtliche Gebrauchshindernisse und Beschränkungen können die Tauglichkeit zu dem vertragsmäßigen Gebrauch mindern und damit einen Sachmangel darstellen. Dies kann insbesondere bei der Vermietung von Gewerberäumen gelten. Voraussetzung ist, dass die Beschränkungen der konkreten Mietsache ihre Ursache gerade in deren Beschaffenheit und Beziehung zur Umwelt haben, und nicht etwa in den persönlichen oder betrieblichen Umständen des Mieters.
Diese Voraussetzung sahen einige Gerichte nicht als erfüllt an, weil die Beschränkungen nicht an die Beschaffenheit der Mietsache bzw. deren Umwelt geknüpft seien, sondern an das Geschäft, das in der Mietsache betrieben wird, mithin die Nutzungsart. Die Pflicht zur Tragung des Risikos, die Mietsache zum geplanten Zweck verwenden zu können, sahen jene Gerichte beim Mieter und nicht beim Vermieter.
Es gab aber auch Gerichte, die anders geurteilt haben und das Minderungsrecht des Mieters anerkannten. Der Mietzins minderte sich in diesen Fällen von selbst in angemessener Höhe. Die Höhe des Minderungsbetrags ist gerichtlich überprüfbar.
Ähnlichen Argumenten sind manche Gerichte auch im Rahmen der Anwendbarkeit von § 313 Abs. 1 BGB gefolgt. Das sogenannte Verwendungsrisiko liege hier beim Mieter und deswegen kann der Mieter keinen Anspruch auf eine Vertragsanpassung herleiten. Der Gewerbetreibende könne die gemieteten Räume für seinen Onlinehandel und/oder als Lagerräume nutzen. Auf den Versandhandel müsse der Mieter auch kurzfristig umsatteln. Mitunter wurde Vortrag und Beweis zum Vorliegen einer existenzgefährdenden Lage beim Mieter verlangt. Dem sind die Gerichte teilweise nicht gefolgt, weil die Mieter von Kurzarbeit, staatlichen Hilfen, Einsparungen beim Einkauf etc. profitierten.
Jedoch gab es auch zu § 313 BGB Entscheidungen zu Gunsten des Mieters. Das Risiko für die Betriebsuntersagung liege weder im Risikobereich des Mieters noch des Vermieters und deswegen sei eine hälftige Herabsetzung des Mietzinses für die Zeit des „Lockdowns“ angemessen, so beispielsweise die Entscheidung eines Landgerichts.
IV. Fazit
Im Ergebnis gab es schon nach bisheriger Rechtslage gewisse Erfolgsaussichten des Gewerberaummieters auf eine Mietminderung oder einen Anspruch auf Vertragsanpassung. Zu beachten ist auch, dass es vorrangig auf die vertraglich vereinbarten Regelungen und die Umstände des Einzelfalls ankommt. Die individuelle Vereinbarung im Mietvertrag kann eine gänzlich andere Bewertung erfordern. Für die Zukunft ist offen, inwiefern die Gesetzesänderung die Rechtsprechung zu § 313 BGB beeinflusst. Die Gesetzesänderung hat schließlich den Mietern für Verhandlungen mit den Vermietern den Rücken gestärkt und manche Unsicherheiten beseitigt, wobei aus Sicht des Mieters weitergehende Regelungen durchaus wünschenswert gewesen wären. Dennoch können Mieter die Positionierung des Gesetzgebers in Verhandlungen mit ihrem Vermieter vorbringen. In Anbetracht der Diskussionen um die Verödung der Innenstädte werden auch die Vermieter ein Interesse daran haben, dass ihre Gewerberaum-Mieter so durch die aktuelle Krise kommen, dass auch künftig noch ein funktionierendes und ggf. noch mit einiger Mindestlaufzeit ausgestattetes Mietverhältnis fortbesteht.
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