INKONGRUENTE GEWINNAUSSCHÜTTUNGEN
Inkongruente Gewinnausschüttungen und deren steuerliche Anerkennung sind ein Dauerbrenner in der Rechtsprechung und der Beratungspraxis. Während die Finanzverwaltung abweichende Gewinnverteilungsbeschlüsse gerne als Gestaltungsmissbrauch (§ 42 AO) einstuft, ist die Akzeptanz in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung deutlich größer. Dies bestätigt nunmehr erneut das Finanzgericht Münster in einem aktuellen Urteil.
I. Einführung
Grundsätzlich erfolgen (offene) Gewinnausschüttungen nach der kapitalmäßigen Beteiligung. Das heißt, Dividenden werden den Gesellschaftern gemäß dem Verhältnis ihrer Beteiligung am Kapital zugerechnet. Dies ergibt sich beispielsweise für Gesellschaften mit beschränkter Haftung aus § 29 Abs. 3 Satz 1 GmbH. Hiervon abweichend können jedoch auch inkongruente (disquotale) Ausschüttungen vorgenommen werden. Heiß umstritten ist noch immer, ob diese steuerlich anerkannt werden können. Die Rechtsprechung hat dies in nahezu allen bisher entschiedenen Fällen bejaht. Trotzdem lehnt die Finanzverwaltung die Anerkennung disquotaler Gewinnausschüttungen sehr oft mit Verweis auf § 42 AO als Gestaltungsmissbrauch ab. Dies zeigt auch der nachstehende Fall, den das Finanzgericht Münster im letzten Jahr zu entscheiden hatte (FG Münster, Urteil vom 30. Juni 2021, Az. 13 K 272/19 G, F, rkr.).II. Sachverhalt
Klägerin des Ausgangsverfahrens war eine Kommanditgesellschaft, die im Streitjahr 2013 91 % der Anteile an der N-GmbH hielt. Die übrigen Geschäftsanteile hielten die Gesellschafter der Klägerin. Hierzu gehörte insbesondere die G-GmbH, die als Komplementärin der Klägerin fungierte, an dieser vermögensmäßig zu 25 % beteiligt war und der 2,33 % der Anteile an der N-GmbH unmittelbar zuzurechnen waren. Zudem war die G-GmbH Organträgerin einer eigenen Unternehmensgruppe, die nicht in den Konzernabschluss der Klägerin einbezogen wurde.
Die G-GmbH erwirtschaftete im Streitjahr einen Verlust in Millionenhöhe. Um eine Insolvenz der Gesellschaft zu vermeiden und die Kreditwürdigkeit der G-GmbH zu verbessern, wurde daher noch im selben Jahr in der Gesellschafterversammlung der N-GmbH eine disquotale Ausschüttung zugunsten der G-GmbH beschlossen, mit der der Verlust der G-GmbH kompensiert werden sollte.
Der entsprechende Gewinnverwendungsbeschluss wurde unter der aufschiebenden Bedingung einer wirksamen Satzungsänderung der N-GmbH gefasst, mit der eine sog. Öffnungsklausel in Bezug auf die Gewinnverteilung in den Gesellschaftsvertrag aufgenommen werden sollte. Ferner sollte es zu einer Liquidationspräferenz dergestalt kommen, dass die restlichen Gesellschafter zum Ausgleich der zugunsten der G-GmbH erfolgten inkongruenten Ausschüttung bei Auflösung der Gesellschaft vorab entschädigt werden.
Mit Gesellschafterbeschluss vom 17. März 2014 änderte die N-GmbH ihren Gesellschaftsvertrag in vorstehendem Sinne. Es wurde insbesondere die Möglichkeit, eine nach § 29 Abs. 3 Satz 2 GmbHG gesellschaftsrechtlich zulässige abweichende Gewinnverteilungsabrede zu treffen, in der Satzung verankert. Die Satzungsänderung wurde im April 2014 in das Handelsregister eingetragen. Die G-GmbH erfasste daraufhin die Ausschüttung in ihrem Jahresabschluss 2013 als Forderung und wendete auf die Erträge die Steuerbefreiung des § 8b KStG an. Dies führte zu einer Freistellung der disquotalen Ausschüttung in Höhe von 95 %.
Im Rahmen der steuerlichen Außenprüfung wurde die abweichende Gewinnverteilung als Gestaltungsmissbrauch eingestuft. Der Prüfer argumentierte, dass die Verbesserung der Kreditwürdigkeit bzw. die Abwendung einer drohenden Insolvenz der G-GmbH auch durch den Regelfall einer quotalen Gewinnausschüttung mit sich anschließender Einlage der Beträge durch die Gesellschafter der Klägerin, die an der G-GmbH beteiligt waren, zu erreichen gewesen wäre. Die gewählte Gestaltung diene daher allein dem Zweck, einen gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil zu erlangen. Sie sei aus diesem Grund nach § 42 AO nicht anzuerkennen.
Die Veranlagungsstelle schloss sich dieser Beurteilung an und stellte die Einkünfte der Klägerin so fest, wie sie bei einer kongruenten Ausschüttung entstanden wären. Dies führte in der Folge zu einem teilweisen Wegfall der Steuerbefreiung des § 8b KStG und zu einer Anwendung des Teileinkünfteverfahrens bei den übrigen Gesellschaftern der KG. Gleichzeitig ging man von einer Einlage der Beträge in die G-GmbH aus. Nachdem das Einspruchsverfahren erfolglos blieb, wurde Klage erhoben.III. Entscheidung
Das Finanzgericht Münster gab in seinem Urteil der Klägerin Recht. Es entscheid, dass die im Streitjahr beschlossene Ausschüttung allein der G-GmbH steuerlich zuzurechnen sei. Die im Beschluss vereinbarte aufschiebende Bedingung sei durch Eintragung der Satzungsänderung in das Handelsregister im Jahr 2014 eingetreten, was zur Wirksamkeit des Beschlusses geführt habe. Allein der Umstand, dass eine von den Beteiligungsverhältnissen abweichende Ausschüttung vorgenommen worden sei, rechtfertige noch keinen Gestaltungsmissbrauch. Das Gericht verweist insoweit auf die bisher ergangene Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, wonach die Wirkung des § 42 AO überdehnt wird, wenn die fraglichen Beträge bei einem anderen Anteilseigner fiktiv als zugeflossen gelten.
Hinzu komme im Streitfall, dass eine fingierte quotale Ausschüttung zu einer Überkompensation bei den restlichen Gesellschaftern führen würde. Denn diese hätten sich mit der G-GmbH darauf geeinigt, die aktuelle disquotale Verteilung in Zukunft dadurch auszugleichen, dass sie über einen Erlöswasserfall in der Liquidation entschädigt werden.
Ferner gäbe es keinen allgemeinen Rechtsatz, wonach inkongruente Gewinnausschüttungen missbräuchlich seien. Vielmehr sehe das Gesellschaftsrecht solche gemäß § 29 Abs. 3 GmbHG explizit als zulässig an. Daher bestünden grundsätzlich auch keine Bedenken, dem in steuerlicher Hinsicht zu folgen. Hierbei müsse auch berücksichtigt werden, dass nahezu jede verdeckte Gewinnausschüttung zugleich auch eine disquotale Ausschüttung darstelle. Diese werden steuerlich jedoch unstrittig nur einem und nicht sämtlichen Gesellschaftern gemäß Quote zugerechnet. Gründe, offene und verdeckte Gewinnausschüttungen unterschiedlich zu behandeln, gebe es insoweit nicht.
Abschließend, und ohne dass es darauf noch angekommen wäre, nimmt das Gericht zu den von der Klägerin vorgebrachten außersteuerlichen Gründe für die gewählte Gestaltung Stellung. Es billigt dem Steuerpflichtigen Entscheidungsfreiheit bei der Wahl der Durchführung von Kapitalmaßnahmen zu. So sei der Gesellschafter nicht gezwungen, solche Zuführungen auf eine bestimmte Weise, d.h. mittels quotaler Ausschüttung und anschließender Einlage, vorzunehmen, wenn dies mit einer höheren Steuerlast verbunden ist.
Das Gericht ließ eine Revision zum Bundesfinanz nicht zu, da es die Rechtslage insoweit für geklärt hält.IV. Folgen für die Beratungspraxis
Das Urteil des Finanzgerichts Münster verdeutlicht einmal mehr, dass zumindest in der Rechtsprechung abweichende Gewinnverteilungsabreden nicht per se als steuerlicher Missbrauch eingestuft werden.
Die Finanzverwaltung ist hingegen leider nach wie vor sehr restriktiv. Sie verlangt, dass eine vom Anteil am Grund- oder Stammkapital abweichende Gewinnverteilungsabrede hinreichend bestimmt seien muss (Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen vom 17. Dezember 2013, BStBl. I 2014, 63). Dies ist bei Gesellschaften mit beschränkter Haftung dann der Fall, wenn in der Satzung nach § 29 Abs. 3 Satz 2 GmbH ein anderer Maßstab festgelegt ist oder der Gesellschaftsvertrag eine Öffnungsklausel enthält und der entsprechende Gewinnverwendungsbeschluss mit der im Vertrag geregelten Mehrheit gefasst wurde. Darüber hinaus sind nach Ansicht der Finanzverwaltung in allen Fällen der disquotalen Ausschüttung die Grundsätze des Missbrauchs rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten (§ 42 AO) zu prüfen. So soll ein Missbrauch (nur) dann nicht vorliegen, wenn für die vom gesetzlichen Gewinnverteilungsschlüssel abweichende Verteilung beachtliche wirtschaftlich vernünftige außersteuerliche Gründe nachgewiesen werden.
Für die Beratungspraxis bedeutet dies Folgendes:
Es ist zunächst darauf zu achten, dass die abweichende Gewinnverteilung entweder explizit oder mittels Öffnungsklausel im Gesellschaftsvertrag geregelt ist. Zwar wird in der Literatur, unseres Erachtens zutreffend, darauf hingewiesen, dass zivilrechtlich auch satzungsdurchbrechende Beschlüsse möglich und zulässig sind, was für eine steuerliche Berücksichtigung spricht. Die Finanzverwaltung erkennt diese nach eigener Aussage aber nicht an. Es darf daher mit Spannung auf ein anhängiges Verfahren bei Bundesfinanzhof (Az. VIII R 20/20) gewartet werden, in welchem das Gericht hierzu Stellung nehmen wird. Die Vorinstanz, ebenfalls das Finanzgericht Münster, hatte eine Anerkennung jedenfalls bejaht.
Darüber hinaus sollten außersteuerliche Gründe, sofern diese vorliegen, was der Regelfall für eine Abweichung von der gesetzlichen Verteilung seien dürfte, sauber dokumentiert werden, um im Falle einer Betriebsprüfung gerüstet zu sein. Liegen keine außensteuerlichen Gründe für eine inkongruente Verteilung vor oder können diese zumindest nicht mehr zweifelsfrei nachvollzogen werden, lohnt es dennoch, gegen entsprechende Bescheide rechtlich vorzugehen. Denn, wie bereits erläutert, sieht der Bundesfinanzhof die Wirkung des § 42 AO als überdehnt an, wenn einem anderen Anteilseigner fiktiv Beträge zugerechnet werden.
Dies gilt, und auch das macht das besprochene Urteil des Finanzgerichts Münster sehr deutlich, umso mehr, wenn der durch die Ausschüttung begünstigte Gesellschafter in irgendeiner Form zukünftig einen Ausgleich an die Mitgesellschafter zu leisten hat. Liquidationspräferenzen sind daher ein sicheres Mittel, um einerseits die (ggf. schenkungssteuerpflichtige) Begünstigung eines Gesellschafters und andererseits eine nicht gewollte Zurechnung der Einkünfte bei den Mitgesellschaftern zu vermeiden.
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