KLARSTELLENDES URTEIL DES BGH ZUR VERTRETUNGSZUSTÄNDIGKEIT BEI HANDELN DER AG GEGENÜBER VORSTANDSMITGLIEDERN
Gemäß § 112 AktG wird die AG durch den Aufsichtsrat vertreten, soweit sie gegenüber dem Vorstand handelt. Der BGH hat jüngst darüber entschieden, wann ein solches Handeln gegenüber dem Vorstand nicht vorliegt und dabei die für das Insichgeschäft nach § 181 BGB geltenden Grundsätze zur Anwendung gebracht. Was bedeutet diese Klarstellung im Einzelfall für die Zeichnungsberechtigung von Vorstands- und Aufsichtsratsmitgliedern?
I. Insichgeschäft: Die Grundzüge des § 181 BGB
§ 181 BGB normiert für sog. Insichgeschäfte eine gesetzliche Beschränkung der Vertretungsmacht. Bei einem Insichgeschäft tritt eine Person auf beiden Seiten eines Rechtsgeschäfts auf, wobei sie mindestens einmal als Vertreter agiert. Innerhalb des Insichgschäfts wird danach unterschieden, ob der Vertreter das Geschäft mit sich im eigenen Namen (sog. Selbstkontrahieren, z.B. wenn der Geschäftsführer einer GmbH an sich selbst ein Grundstück der GmbH verkauft) oder mit sich als Vertreter eines Dritten (sog. Mehrfachvertretung, z.B. wenn der Geschäftsführer einer GmbH an eine andere GmbH, bei der er ebenfalls Geschäftsführer ist, ein Grundstück der ersten GmbH verkauft) abschließt. Das Vertretergeschäft ist in beiden Fällen grundsätzlich schwebend unwirksam, sein Zustandekommen hängt also maßgeblich von der Genehmigung des Vertretenen ab.
Es liegt auf der Hand, dass mit derartigen Insichgeschäften eine große Gefahr des Missbrauchs einhergeht, der auf einem abstrakt generellen Interessenkonflikt beruht und zum Schutz des Vertretenen grds. verhindert werden soll. Ungeachtet der Ausnahmen von dieser Beschränkungswirkung, welche hier nicht weiter ausgeführt werden sollen, liegt indes kein Insichgeschäft vor, wenn der Vertreter auf „derselben Seite“ des Rechtsgeschäfts im eigenen und im fremden Namen auftritt, z.B. dann, wenn ein Grundstück der GmbH und ihrem Geschäftsführer zu Miteigentum gehört und der Geschäftsführer das Grundstück sowohl im eigenen Namen als auch im Namen der GmbH an einen Dritten verkauft. Ein abstrakter Interessenkonflikt wird in diesem Fall nicht angenommen.
II. Vertretung der Gesellschaft gegenüber Vorstandsmitgliedern: Die Grundzüge des § 112 AktG
Eine Aktiengesellschaft wird grundsätzlich durch ihre Vorstände vertreten. Gegenüber den Vorstandsmitgliedern wiederum wird die AG nach § 112 AktG gerichtlich und außergerichtlich durch den Aufsichtsrat vertreten. Erfasst werden sämtliche Rechtsgeschäfte und Rechtshandlungen zwischen der AG und den Vorstandsmitgliedern, welche die aktive und passive Vertretung der AG gegenüber allen amtierenden und ausgeschiedenen sowie werdenden Vorstandsmitgliedern zum Gegenstand haben.
§ 112 AktG bezweckt die Sicherstellung der unbefangenen Wahrung der Geschäftsbelange und beruht auf der Besorgnis, dass der Vorstand die erforderliche Unbefangenheit nicht aufbringt, wenn auch nur einzelne seiner Mitglieder an dem fraglichen Rechtsverhältnis selbst beteiligt sind. Wie bei § 181 BGB erfolgt im Interesse der Rechtssicherheit eine typisierte Betrachtung der Interessenlagen unabhängig davon, ob eine konkrete Gefährdung der Geschäftsbelange vorliegt.
Von § 112 AktG werden nur Fälle des Selbstkontrahierens erfasst, also Vertragsabschlüsse der AG mit ihren Vorstandsmitgliedern persönlich. Für Fälle der Mehrfachvertretung bleibt es bei der Anwendung des § 181 BGB. Während für Vertretungsorgane von Personengesellschaften und GmbHs eine teilweise sowie die vollständige Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB möglich ist, kann Vorstandsmitgliedern einer AG wegen des zwingenden Charakters von § 112 AktG daher nur die Mehrfachvertretung gestattet werden. Unklar ist insoweit, ob § 112 AktG entsprechend auf Geschäfte mit Dritten (etwa einer GmbH) anzuwenden ist, wenn dieser Dritte durch ein Vorstandsmitglied beherrscht wird. Diese Frage wird in der Literatur im Hinblick auf den Schutzzweck diskutiert und ist höchstrichterlich bislang nicht entschieden.
Es ist außerdem umstritten, ob ein Verstoß gegen § 112 AktG zur schwebenden Unwirksamkeit eines Rechtsgeschäfts führt, insoweit also eine Genehmigung möglich wäre, oder zur Nichtigkeit des Rechtsgeschäfts. Der BGH hat diese Frage bislang mangels Entscheidungserheblichkeit offen gelassen, wohl aber für Passivprozesse gegenüber der Gesellschaft angenommen, dass der Aufsichtsrat die Prozessführung des nicht vertretungsberechtigten Vertreters genehmigen kann und als gesetzlicher Vertreter in den Prozess eintreten kann.
III. Das Urteil des BGH vom 25. Juli 2017
Der für das Gesellschaftsrecht zuständige Zweite Zivilsenat des BGH hat mit Urteil vom 25. Juli 2017 (Az. II ZR 235/15) im Hinblick auf den Anwendungsbereich des § 112 AktG klargestellt:
“Eine Aktiengesellschaft handelt nicht i.S.v. § 112 Satz 1 AktG gegenüber einem Vorstandsmitglied, wenn im Rahmen eines mehrseitigen Vertrags Gesellschaft und Vorstandsmitglied keine gegenläufigen, sondern parallele Willenserklärungen gegenüber einer anderen Vertragspartei abgeben.“ (Leitsatz des Gerichts)
Dem lag folgender Sachverhalt zugrunde: Der Kläger war Mitglied des Aufsichtsrats der AG, der Beklagte Vorstandsvorsitzender der AG. Die Parteien schlossen mehrere Vereinbarungen, deren Partei jedenfalls teilweise auch die AG war. Die AG wurde dabei in einer Vereinbarung, in der sie Pflichten gegenüber dem Kläger übernahm, durch zwei Vorstandsmitglieder vertreten. Gegenstand des Rechtsstreits war, ob eine Kündigung des Beklagten zur Beendigung der Vereinbarungen geführt hat und damit die Vorfrage, ob die Vereinbarungen überhaupt wirksam geschlossen waren, insbesondere die AG rechtswirksam vertreten wurde.
Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurück verwiesen, weil er unter anderem die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Anwendbarkeit des § 112 AktG für unzureichend erachtet. Unter Verweis auf seine Rechtsprechung und die Literatur zu § 181 BGB, nach der (wie bereits unter Ziffer I. dargestellt) keine Beschränkung der Vertretungsmacht besteht, soweit ein Vertreter für mehrere Parteien auf derselben Seite eines Rechtsgeschäfts auftritt, nimmt der BGH ein Handeln der AG gegenüber dem Vorstandsmitglied i.S.v. § 112 AktG nur bei bestehenden gegenläufigen Interessen der Parteien an. Der BGH stellt weiter fest, dass gegenläufige Willenserklärungen nicht allein daraus abgeleitet werden können, dass zwischen dem Vorstandsmitglied, der AG und Dritten ein dreiseitiger Vertrag mit wechselseitigen Pflichten aller Beteiligten zustande kommt. Auch sei es nicht ausreichend, wenn die Vertragsbestimmungen die AG lediglich als „Objekt“ betreffen, ohne eigene Erklärungen der AG zu beinhalten.
Zu der Frage, welche Rechtsfolgen ein eventueller Verstoß gegen § 112 AktG für das Rechtsgeschäft hat, also Nichtigkeit oder schwebende Unwirksamkeit, hat sich der BGH indes nicht geäußert.
IV. Folgerungen für die Praxis
Das BGH-Urteil stellt klar, dass gleichgerichtete Interessen auch die Anwendbarkeit des § 112 AktG einschränken. Das ist im Sinne der Rechtsklarheit zu begrüßen und angesichts des mit § 181 BGB vergleichbaren Schutzzwecks keine Überraschung. Damit kann künftig bei eindeutigem Interessengleichlauf die Vertretungszuständigkeit des Vorstands belastbar angenommen werden. Da das Urteil indes im Detail offen lässt, wann Interessen in einem dreiseitigen Vertrag als gleichgerichtet bzw. gegenläufig anzusehen sind, ist dies nach wie vor im Wege einer Einzelfallprüfung zu bestimmen.
In Zweifelsfällen mag Rechtssicherheit durch eine vorsorgliche Doppelvertretung der AG durch Vorstand und Aufsichtsrat hergestellt werden können. Eine vorsorgliche Beteiligung aller potentiell erforderlichen Vertretungsorgane wird indes nicht immer praxistauglich sein. Insbesondere bei Konzernstrukturen, die typischerweise eine personelle Verflechtung auf mehreren Ebenen aufweisen, kann es zu komplexen Abgrenzungsfragen kommen.
Es bleibt also weiterhin unerlässlich, eine Einzelfallprüfung anhand der beteiligten Parteien sowie der Vertragsinhalte vorzunehmen und danach zu ermitteln, welche Vertretungsorgane zu involvieren sind.
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