NEUES ZUR REICHWEITE DER HAFTUNG WEGEN SITTENWIDRIGER INSOLVENZVERSCHLEPPUNG
Bei Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einer juristischen Person, sind die Mitglieder des Vertretungsorgans bzw. die Abwickler verpflichtet einen Insolvenzantrag zu stellen. Im Falle des nicht oder nicht rechtzeitigen Stellens des Eröffnungsantrags droht dem Vertretungsorgan neben der Strafverfolgung eine persönliche zivilrechtliche Haftung gegenüber den Gläubigern der insolvenzreifen Gesellschaft. Diese Haftung kann im Einzelfall auch Vertragspartner der insolvenzreifen Gesellschaft treffen. In einer neuen Entscheidung hat sich der BGH mit der Reichweite der zivilrechtlichen Haftung wegen sittenwidriger Insolvenzverschleppung befasst. Das Urteil ist von erheblicher Relevanz für die Praxis.
I. Einführung
Im Falle der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung einer juristischen Person, haben die Mitglieder des Vertretungsorgans bzw. die Abwickler nach § 15a Abs. 1 der Insolvenzordnung (InsO) ohne schuldhaftes Zögern einen Eröffnungsantrag zu stellen. Der Antrag ist spätestens drei Wochen nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und sechs Wochen nach Eintritt der Überschuldung zu stellen. Das Nichtstellen oder nicht rechtzeitige Stellen des Eröffnungsantrags ist nach § 15a Abs. 4 InsO mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bedroht. Sinn und Zweck der Antragspflicht ist der Erhalt des Vermögens für die vorhandenen Gläubiger und der Schutz des Geschäftsverkehrs vor neuen vertraglichen Beziehungen mit einer insolvenzreifen Gesellschaft. Verstößt das Organmitglied einer insolvenzreifen Gesellschaft gegen die Antragspflicht, haftet es nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesgerichtshof (BGH) den Gläubigern der insolvenzreifen Gesellschaft persönlich auf Schadensersatz.
§ 15a Abs. 4 InsO ist ein sog. Schutzgesetz i.S.d. § 823 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), sodass der Geschädigte vom „Täter“ des § 15a Abs. 4 InsO, also dem Geschäftsführer der insolvenzreifen Gesellschaft, Schadensersatz verlangen kann. Das Hinauszögern einer bevorstehenden, als sicher anzunehmenden Insolvenz kann zugleich eine sittenwidrige Schädigung der aktuellen oder künftigen Gläubiger der insolvenzreifen Gesellschaft nach § 826 BGB darstellen. Diese allgemeine zivilrechtliche sittenwidrige Schädigung kann – anders als die Haftung nach § 15a Abs. 1 InsO i.V.m. § 823 Abs. 2 BGB – nicht nur durch Organmitglieder der insolvenzreifen Gesellschaft, sondern auch durch Dritte begangen werden. Von der deliktischen Haftung können daher neben den Organmitgliedern der insolvenzreifen Gesellschaft insbesondere Banken und andere Darlehensgeber betroffen sein, die der insolvenzreifen Gesellschaft Kredit gewähren oder auch stehen lassen. Auch Dritte erhalten die Gesellschaft „künstlich am Leben“ können damit weitere, bislang unbeteiligte Gläubiger mit in den „Abwärtsstrudel“ hineinziehen. Der Schutzbereich der deliktischen Haftung ist insofern in personeller, aber auch – wie sogleich noch ausgeführt werden soll – in sachlicher Hinsicht umfassender.
II. Entscheidung des BGH
In einer neuen Entscheidung hat der BGH die Voraussetzungen und die Reichweite der Haftung für die vorsätzliche Insolvenzverschleppung konkretisiert. Das Urteil beschäftigt sich insbesondere mit dem Zurechnungszusammenhang zwischen Insolvenzverschleppung und Schadenseintritt bei Gläubigern der unerkannt insolvenzreifen Gesellschaft.
1. Sachverhalt
In dem vom BGH entschiedenen Fall hatte der Kläger eine GmbH mit der Durchführung von Fassadenarbeiten beauftragt. Geschäftsführer dieser GmbH war der Beklagte. Trotz der vom Kläger für die in Auftrag gegebenen Arbeiten geleisteten Abschlagszahlungen wurden die Arbeiten nur zu einem geringen Teil fertig gestellt. Im August des Jahres 2016 beantragte der Kläger die Durchführung eines selbstständigen Beweisverfahrens über den Leistungsstand, den darauf anfallenden Werklohn und die Mangelhaftigkeit bereits geleisteter Arbeiten. Das Landgericht ordnete die Begutachtung durch einen Sachverständigen an. Anfang Dezember 2016 erging gegen den Beklagten in einem parallelen Strafverfahren ein Strafbefehl wegen vorsätzlicher Insolvenzverschleppung. Der Beklagte stellte daraufhin Insolvenzantrag, woraufhin Mitte Dezember 2016 über das Vermögen der GmbH Insolvenz eröffnet wurde.
Im Mai 2017 erstatte der Sachverständige im selbstständigen Beweisverfahren ein Gutachten, in dem er eine Leistungserbringungen von ca. fünf Prozent und erhebliche Mängel feststellte. In dem nun vor dem BGH gelandeten Verfahren verlangte der Kläger vom Beklagten die Erstattung der Gerichtskosten für das selbstständige Beweisverfahren, die Kosten der gerichtlich angeordneten Begutachtung sowie seine eigenen Rechtsanwaltskosten ersetzt.
2. Entscheidung
Der BGH entschied, dass der Kläger sämtliche für die Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens aufgewandten Kosten ersetzt verlangen kann. Dabei stellte der BGH erneut klar, dass die vorsätzliche sittenwidrige Insolvenzverschleppung zugleich eine sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB darstellen kann. Indem der Beklagte in Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit der GmbH keine Insolvenzantrag gestellt habe, habe er billigend in Kauf genommen, dass der Kläger einen kostenauslösenden Prozess anstrenge. Durch die vorsätzliche Insolvenzverschleppung des Beklagten sei dem Kläger ein kausaler Schaden entstanden, da die rechtzeitige Stellung des Insolvenzantrags nach Auffassung des Gerichts dazu geführt hätte, dass der Kläger von der Durchführung des selbstständigen Beweisverfahrens abgesehen hätte.
Von der Revision war beanstandet worden, dass das Berufungsgericht offengelassen hatte, ob das Gewährleistungsverlangen des Klägers gegenüber der GmbH in der Sache gerechtfertigt war. Der BGH entschied, dass es auf die Erfolgsaussichten des Gewährleistungsverlangens nicht ankomme. Der Zurechnungszusammenhang zwischen der Insolvenzverschleppung des Beklagten. und den durch das selbstständige Beweisverfahren dem Kläger entstandenen Kosten entfalle auch dann nicht, wenn das Gewährleistungsverlangen des Klägers in der Sache nicht berechtigt war. Der nach § 826 BGB wegen vorsätzlicher sittenwidriger Insolvenzverschleppung verantwortliche Geschäftsleiter einer GmbH hafte für solche Rechtsverfolgungskosten, für deren Verursachung ein rechtfertigender Anlass bestand oder die durch die Insolvenzverschleppung herausgefordert wurden und die sich weder als ungewöhnlich noch als gänzlich unangemessen darstellen
Diese Voraussetzungen seien alle erfüllt. Insbesondere habe der Kläger sich durch den vom Beklagten zu verantwortenden Fortbestand der insolventen GmbH zur Einleitung des Verfahrens herausgefordert fühlen dürfen. Vor dem Hintergrund des Leistungsverzugs des Beklagten sei die Beweissicherung im selbstständigen Beweisverfahren eine nachvollziehbare Maßnahme gewesen. Es sei auch nicht ersichtlich gewesen, dass die in der Sache behaupteten Ansprüche aus Sicht des Klägers nicht bestanden hätten.
Weiter macht der BGH Ausführungen zur unterschiedlichen Reichweite des Schutzzwecks des § 15a Abs.1 InsO und des deliktischen Anspruchs nach § 826 BGB. Der Schutzzweck des § 15a Abs. 1 InsO erfasse den Ersatz solcher (Rechtsverfolgungs-)Kosten, die dem Gläubiger, der nach Insolvenzreife der GmbH einen Vertrag mit dieser abgeschlossen hat, wegen der Verfolgung seiner Zahlungsansprüche gegen die Gesellschaft entstanden sind. Der Schutzzeck des § 826 BGB erfasse weiter Personen, die vor Insolvenzreife in Vertragsbeziehungen mit einer GmbH getreten sind und durch einen gegen die mittlerweile unerkannt insolvenzreife Gesellschaft eingeleiteten Rechtsstreit oder ein gegen diese eingeleitetes selbstständiges Beweisverfahren mit Kosten belastet werden, für die sie bei der Gesellschaft keinen Ersatz erlangen können. Die Schädigung der Vertragspartner der Gesellschaft durch weitere im Vertragsverhältnis wurzelnde, aber wirtschaftlich unsinnige und ohne durchsetzbaren Erstattungsanspruch gegenüber der Gesellschaft bleibende Aufwendungen sei die zwangsläufige Folge der Insolvenzverschleppung und liege auch unmittelbar in der Zielrichtung des sittenwidrigen Verhaltens, weil der Schädiger nur unter Inkaufnahme dieser Schäden die Insolvenz verschleppen kann.
III. Bewertung und Praxisfolgen
Nach allgemeinem Schadensrecht ist ein Schaden nur dann zu ersetzen, wenn die Verletzungshandlung den Schaden zurechenbar verursacht hat (sog. Zurechnungszusammenhang). Die Rechtsverfolgungskosten gegenüber der insolvenzreifen Gesellschaft sind letztlich unmittelbar vom Kläger selbst verursacht. Damit stellt sich in der Tat die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen sich der Gläubiger einer insolvenzreifen Gesellschaft herausgefordert fühlen darf, zur Verfolgung seiner Ansprüche (weitere) Kosten zu verursachen und ob er diese im Anschluss vom Schädiger, hier dem Vertretungsorgan, ersetzt verlangen kann. Das Urteil schafft insofern wünschenswerte Rechtsklarheit und stärkt die Position der Gläubiger unerkannt insolvenzreifer Gesellschaften. Schadensersatz kann somit nicht nur derjenige Gläubiger verlangen, der nach Eintritt der Insolvenz mit der Gesellschaft Vertragsbeziehungen eingeht, sondern auch bestehende Gläubiger, die nach Eintritt der Insolvenz aufgrund von Maßnahmen, die sich vor dem Hintergrund der Insolvenzreife der Gesellschaft nachträglich als wirtschaftlich sinnlos erweisen, Schäden erleiden, können diese ersetzt verlangen.
Das Urteil ist von erheblicher Relevanz für die Praxis, denn die Haftung wegen sittenwidriger Insolvenzverschleppung kann nicht nur das Vertretungsorgan der insolvenzreifen Gesellschaft, sondern auch deren Gläubiger, insbesondere Banken treffen (siehe dazu unter I.). Bei der Gewährung von Kredit, Stundung bestehender Forderungen und ähnlichen Maßnahmen gegenüber kriselnden Gesellschaften ist daher im Einzelfall genau zu prüfen, ob eine Haftung gegenüber neuen und alten Gläubigern der kriselnden Gesellschaft droht.
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