SANIERUNGSERLASS – DOCH KEIN VERTRAUENSSCHUTZ IN SOG. ALTFÄLLEN
Der Große Senat des BFH hat mit Beschluss vom 28. November 2016, Az. GrS 1/15, den sog. Sanierungserlass für rechtswidrig erklärt. Der Gesetzgeber hat die Bedürfnisse für die Sanierung von Unternehmen anerkannt und eine neue gesetzliche Grundlage für die Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen geschaffen (vgl. Beitrag in unserem Newsletter 2017 | Q3). Die Verwaltung wollte in sog. Altfällen Vertrauensschutz auf den Sanierungserlass gewähren, was der BFH jedoch in einem aktuellen Urteil für unzulässig erklärt hat.
I. Historie der steuerlichen Behandlung von Sanierungsgewinnen
Wie in unserem letzten Newsletter bereits berichtet, hat die steuerliche Behandlung von Sanierungsgewinnen in Deutschland eine wechselvolle Geschichte.
Mehrere Jahrzehnte wurden Buchgewinne, die aufgrund eines Gläubigerverzichtes zum Zwecke der Sanierung entstehen (sog. Sanierungsgewinne), über die Vorschrift des § 3 Nr. 66 EStG (1976) von der Besteuerung ausgenommen. Die Regelung wurde mit dem Gesetz zur Förderung der Unternehmenssteuerreform vom 29. Oktober 1997 aufgehoben, primär um die bis dahin bestehende Doppelbegünstigung aus Freistellung von Sanierungsgewinnen einerseits und die weitgehend einschränkungslose Verlustnutzung nach dem Forderungsverzicht durch das sanierte Unternehmen anderseits zu beseitigen.
Da aber Unternehmenssanierungen auch in der Folgezeit nicht durch die Besteuerung dieser reinen Buchgewinne gefährdet werden sollten, erließ die Finanzverwaltung im März 2003 den sog. Sanierungserlass. Hiernach konnten Sanierungsgewinne bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen aus sachlichen Billigkeitsgründen nach §§ 163, 227 AO „steuerfrei“ gestellt werden.
Bereits frühzeitig meldeten Teile des Schrifttums Zweifel an der Legalität des Sanierungserlasses an. Argumentiert wurde, dass der Gesetzgeber im Jahr 1997 seinen Willen zur einschränkungslosen Besteuerung von Sanierungsgewinnen durch die ersatzlose Streichung des § 3 Nr. 66 EStG (1976) hinreichend zum Ausdruck gebracht habe und sich die Verwaltung hierüber nicht im Rahmen einer pauschalierenden Billigkeitsmaßnahme hinwegsetzen dürfe. Dem wurde entgegen gehalten, dass die Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG (1976) lediglich der Beseitigung der zuvor erwähnten „Doppelbegünstigung“ gedient habe. Aus verschiedenen Gesetzesbegründungen, in denen auf den Sanierungserlass Bezug genommen wird, ergebe sich zudem eindeutig, dass der Gesetzgeber die Verwaltungspraxis gekannt und gebilligt habe.
Im November 2016 hat der Große Senat des Bundesfinanzhofs die über viele Jahre andauernde Diskussion beendet. Er stufte den Sanierungserlass u.a. wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung als rechtswidrig ein und urteilte darüber hinaus, dass „typisierende Billigkeitsregelungen in Gestalt subsumierbarer Tatbestände“ allein Bestandteil einer gesetzlichen Regelung sein könnten und nicht im Verwaltungswege geregelt werden können.
Als Reaktion auf diese Rechtsprechung wurden sowohl der Gesetzgeber als auch die Finanzverwaltung im Jahr 2017 tätig. Mit dem Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen vom 27. Juni 2017 wurden neue Vorschriften in das Einkommen- und in das Gewerbesteuergesetz (u.a. § 3a EStG und § 7b GewStG) aufgenommen, die die steuerliche Begünstigung von Sanierungsgewinnen weiterhin sicherstellen sollen. Diese Neuregelungen treten allerdings erst nach Anerkennung seitens der EU-Kommission in Kraft und erfassen im Übrigen nur Fälle, bei denen die Schulden ganz oder teilweise nach dem 8. Februar 2017, d.h. dem Tag der Veröffentlichung des o.g. Beschlusses des Großen Senats des BFH, erlassen wurden. Hintergrund für die fehlende Übergangsregelung für bis zum 8. Februar 2017 erfolgte Schuldenerlasse (sog. Altfälle) ist, dass das Bundesministerium der Finanzen mit Schreiben vom 27. April 2017 aus Vertrauensschutzgründen eine Weitergeltung der alten Rechtslage angeordnet hatte.
Der weiteren Anwendung des Sanierungserlasses auf Altfälle aufgrund des BMF-Schreibens vom 27. April 2017 haben der Erste und der Zehnte Senat des BFH nun in zwei Urteilen vom 23. August 2017, Az. I R 52/14 und X R 38/15, eine Absage erteilt.
II. Entscheidungsgründe des BFH
Während der Zehnte Senat in seiner Urteilsbegründung lediglich kurz ausführt, dass für die Vertrauensschutzregelung gemäß Ziffer 1 des BMF-Schreiben vom 27. April 2017 nichts anderes gelten könne als für den Sanierungserlass selbst, setzt sich der Erste Senat sehr ausführlich in mit der Problematik von Altfällen und dem Vertrauensschutz auseinander.
Das Gericht erläutert hierzu, dass ein schützenwertes Vertrauen des Steuerpflichtigen nur dann gegeben sein kann, wenn als Vertrauensgrundlage eine gesicherte, für die Meinung des Steuerpflichtigen sprechende Rechtsauffassung bestanden hat und die Rechtslage nicht zweifelhaft erschien. Im Fall des Sanierungserlasses habe eine solche zweifelsfreie Rechtslage aber zu keinem Zeitpunkt bestanden, da sowohl in der Literatur als auch in der Rechtsprechung bereits frühzeitig Bedenken geäußert wurden.
Anschließend prüft das Gericht anhand der vom Großen Senat zum Sanierungserlass aufgestellten Kriterien, ob die Verwaltung durch die Schaffung einer allgemeinen Vertrauensschutzregelung im BMF-Schreiben vom 27. April 2017 erneut gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstoßen hat. Dies wird bejaht, weil die Weitergeltung des Sanierungserlasses und damit der gewährte Vertrauensschutz nicht auf eine Unbilligkeit nach Lage des Einzelfalls abstellen, sondern vorbehaltslos zur Anwendung kommen sollen. Solche typisierende Vertrauensschutzregelungen seien jedoch, genauso wie typisierende Billigkeitsregelungen, dem Gesetzgeber vorbehalten.
Zuletzt setzt sich der Senat mit der gesetzlichen Neuregelung der Steuerbefreiung von Sanierungsgewinnen auseinander. Er weist darauf hin, dass die Vorschriften im Einkommen- bzw. Gewerbesteuergesetz eine Zustimmung der EU-Kommission voraussetzen und erstmals auf Schuldenerlasse anzuwenden sind, die nach dem 8. Februar 2017 wirksam werden. Der Gesetzgeber habe also bewusst auf eine Übergangsregelung für Altfälle verzichtet.
III. Praxisfolgen
Der offensichtlich vorliegende Streit zwischen der Finanzverwaltung und dem Bundesfinanzhof wird nun auf dem Rücken des Steuerpflichtigen ausgetragen. Die Finanzverwaltung wollte, basierend auf dem praktischen Bedürfnis der Ermöglichung von Sanierungen, wegen der möglichen die Sanierung verhindernden Steuerbelastung helfen. Dies war nicht erfolgreich und der Steuerpflichtige zahlt die Zeche.
Zwar ist das ganze Thema auch kein Ruhmesblatt für die Finanzverwaltung. Jedoch hat die Rechtsprechung, die in der Sache durchaus richtig sein dürfte, das letzte Wort und ist damit faktisch für die vorliegende Situation verantwortlich. Das Vertrauen in die gesamte öffentliche Verwaltung ist dadurch extrem beschädigt. Denn natürlich haben viele Steuerpflichtige im Hinblick auf die auch ansonsten üblichen und bisher nie wieder beseitigten „Übergangsregelungen“ der Finanzverwaltung bereits Dispositionen getätigt.
Sicherheit haben derzeit wohl nur Alt-Fälle, die durch verbindliche Auskunft abgestimmt worden sind. Hieraus ist generell für die Zukunft zu folgern, dass jegliche Umstrukturierungen, und sei die steuerliche Behandlung auch eindeutig in Erlassen der Finanzverwaltung geregelt, durch verbindliche Auskunft abgestimmt werden müssen. In der konkreten Sache der Sanierungsgewinne kann nun nur noch der Gesetzgeber (auf Anregung der Finanzverwaltung) helfen und die Anwendungsregelung für die neue gesetzliche Regelung ändern. Dies dürfte in der Sache jedoch schwierig werden, weil insoweit das Verfahren für die Anerkennung der neuen gesetzlichen Regelung mit der nun nicht mehr ausreichenden Anwendungsregelung ab dem 8. Februar 2017 bei der EU-Kommission bereits läuft.
Nebenbei bemerkt sei, dass bisher nicht absehbar ist, welche weiteren Folgen die generelle Aussage des Großen Senats, wonach typisierende Billigkeitsregelungen in Gestalt subsumierbarer Tatbestände allein Bestandteil einer gesetzlichen Regelung sein können, haben wird. Solche Billigkeitsregelungen finden sich nämlich vielfach in den Erlassen der Finanzverwaltung (z.B. im Umwandlungssteuererlass). Insoweit besteht nun ein besonderes Risiko der Nicht-Anerkennung durch den BFH.
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