BFH ERKENNT SATZUNGSDURCHBRECHENDEN INKONGRUENTEN VORABGEWINNAUSSCHÜTTUNGSBESCHLUSS AN
Der Bundesfinanzhof erkennt, entgegen der Auffassung der Finanzverwaltung, die zivilrechtliche Wirksamkeit eines einstimmig gefassten Beschlusses über eine inkongruente Vorabausschüttung an, sodass der Ausschüttungsbeschluss der Besteuerung zugrunde zu legen ist. Anders als die Finanzverwaltung sieht der BFH gemäß seinem Urteil vom 28.09.2022 – VIII R 20/20 – in einem solchen Beschluss weder eine verdeckte Gewinnausschüttung noch einen Gestaltungsmissbrauch nach § 42 AO.
I. Zum Sachverhalt
An der K-GmbH waren der Kläger, eine natürliche Person, und die T-GmbH zu jeweils 50 % beteiligt. Der Kläger war zudem einziger Gesellschafter und Geschäftsführer der T-GmbH.
Die Satzung der K-GmbH berechtigte zur Entnahme von Vorschüssen auf den voraussichtlichen Jahresgewinn durch mit einfacher Mehrheit gefasste Beschlüsse der Gesellschafterversammlung. Der Gesellschaftsvertrag enthielt jedoch weder eine Regelung zur (von den Gesellschaftsverhältnissen abweichenden) Gewinnverteilung i.S.d. § 29 Abs. 3 S. 2 GmbHG noch eine Öffnungsklausel.
In den Streitjahren 2012 bis 2015 fasste die Gesellschaftsversammlung der K-GmbH jeweils einstimmig Vorabausschüttungsbeschlüsse. Die Vorabausschüttungen wurden ausschließlich an die T-GmbH ausgezahlt. Der Kläger gab in den Streitjahren keine Einkünfte aus § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG aus Kapitalvermögen aufgrund Ausschüttungen der K-GmbH an.
II. Auffassung der Finanzverwaltung
Das beklagte Finanzamt erließ nach einer Außenprüfung der K-GmbH geänderte Einkommensteuerbescheide und ordnete dem Kläger Einkünfte aus Kapitalvermögen nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 EStG aus verdeckter Gewinnausschüttung entsprechend seiner Beteiligung an der K-GmbH und damit in Höhe von 50 % der vorgenommenen Gewinnausschüttungen zu. Die Vorabgewinnausschüttungen seien nach der Auffassung des FA „nichtige satzungsdurchbrechende Beschlüsse“, sodass die zivilrechtlichen Voraussetzungen einer ordentlichen, offenen Gewinnausschüttung nicht erfüllt seien. Der Kläger habe, durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst, die ihm zustehenden Ausschüttungsbeträge im Wege eines abgekürzten Zahlungsweges der T-GmbH als Einlagen zugewendet. Es lägen bei ihm daher Einnahmen aus verdeckten Gewinnausschüttungen gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 EStG vor. Selbst wenn man von zivilrechtlich wirksamen Ausschüttungsbeschlüssen ausgehe, handle es sich um einen Gestaltungsmissbrauch gemäß § 42 AO. Die Ausschüttungen werden bei der K-GmbH, wegen der Begünstigung des § 8b KStG, weitgehend steuerfrei vereinnahmt.
Die Auffassung des beklagten FA steht im Einklang mit der Verwaltungsmeinung. Inkongruente disquotale Gewinnausschüttungen werden demnach nur dann steuerlich anerkannt, wenn sie zivilrechtlich wirksam sind. Die Finanzverwaltung hat mit BMF-Schreiben vom 17.12.2013 IV C 2 – S 2750 – a/11/10001 Kriterien für die steuerliche Anerkennung von inkongruenten disquotalen Gewinnausschüttungen festgelegt.
Die abweichende Gewinnverteilung wird grds. steuerlich anerkannt, wenn sie zivilrechtlich wirksam ist. Dies ist nach der Auffassung der Finanzverwaltung nur dann der Fall, wenn
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a) im Gesellschaftsvertrag gemäß § 29 Abs. 3 S. 2 GmbHG ein anderer Maßstab der Gewinnverteilung festgesetzt wird, oder
b) im Gesellschaftsvertrag eine Klausel enthalten ist, die die Gesellschafter berechtigt mit Zustimmung der beeinträchtigenden Gesellschafter oder einstimmig eine von der satzungsmäßigen Regelung abweichende Gewinnverteilung zu beschließen (Öffnungsklausel).
Das BMF-Schreiben entspricht damit grundsätzlich der Auffassung des BFH (vgl. Urteil vom 04.12.2014 – IV R 28/11), wonach inkongruente Gewinnausschüttungen steuerlich anzuerkennen sind, wenn sie auf einer vorangegangenen Satzungsänderung beruhen, welche gem. § 29 Abs. 3 S. 2 GmbHG eine abweichende Gewinnverteilung regelt.
Mangels einer entsprechenden gesellschaftsvertraglichen Regelung bei der K-GmbH, hielt das beklagte Finanzamt die Gesellschafterbeschlüsse der K-GmbH für zivilrechtlich unwirksam.
III. Urteil des BFH vom 28.09.2022 – VIII R 20/20
Der BFH hat nun mit Urteil vom 28.09.2022 – VIII R 20/20 – entschieden, dass dem Kläger keine Einkünfte aus § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG zuzurechnen sind. Es läge weder eine verdeckte Gewinnausschüttung § 20 Abs. 1 Nr. 1 S. 2 EStG noch eine missbräuchliche Gestaltung i.S.d. § 42 AO vor.
Nach der Rechtsprechung des BFH sind Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse die zivilrechtlich wirksam, also solche die nicht nichtig oder nicht aufgrund einer Anfechtung für nichtig erklärt worden sind, steuerlich anzuerkennen.
Entgegen der Auffassung des FA und BMF seien die streitgegenständlichen Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse nicht nichtig, sondern als punktuell satzungsdurchbrechende Ausschüttungsbeschlüsse grds. wirksam und bindend.
Die Auffassung der Finanzverwaltung greife nach der Argumentation des BFH zu kurz. Satzungsdurchbrechende Beschlüsse sind zivilrechtlich nicht per se nichtig, selbst wenn der Gesellschaftsvertrag keine Öffnungsklausel vorsieht. Bei satzungsdurchbrechenden Gewinnverwendungsbeschlüssen müsse im Einzelfall geprüft werden, ob diese zivilrechtlich wirksam sind.
Für die zivilrechtliche Wirksamkeit satzungsdurchbrechender Beschlüsse wird nach der h.M. danach unterschieden, ob der satzungsdurchbrechende Gesellschafterbeschluss einen Regelungsinhalt mit Dauerwirkung aufweist, oder lediglich punktuelle Wirkung entfaltet. Liegt ein satzungsdurchbrechender Beschluss mit Dauerwirkung vor, so ist dieser selbst im Falle eines einstimmig gefassten Beschlusses nichtig, wenn nicht die Formvorschriften einer Satzungsänderung eingehalten sind, insbesondere die notarielle Beurkundung und die Eintragung des Beschlusses in das Handelsregister (§§ 53 Abs. 2 S. 1 Hs. 1, 54 Abs. 1 GmbHG).
Entfaltet der satzungsdurchbrechende Beschluss jedoch nur Einzelwirkung, wird die Satzung durch den Beschluss zwar verletzt, jedoch nicht für die Zukunft verändert. Solche punktuell satzungsdurchbrechenden Beschlüsse sind wirksam, es sei denn ein beeinträchtigter Gesellschafter ficht den Beschluss an.
Im Fall von Gewinnverwendungsbeschlüssen ist bislang umstritten und nicht höchstrichterlich entschieden, ob ein Beschluss mit Einzelwirkung oder mit Dauerwirkung vorliegt. Einige Stimmen im Schrifttum halten Gewinnverwendungsbeschlüsse für Maßnahmen mit Dauerwirkung, da der Beschluss über die Einzelentscheidung der Verteilung auf Dauer zum Behaltendürfen des ausgeschütteten Gewinns berechtigt. Unwirksam ist nach dieser Ansicht jeder Beschluss, der dauerhaft zu einem mit der Satzung in Widerspruch stehenden Zustand führt. Schon die Frage der Dauerwirkung ist strittig. Es sei aber vielmehr danach abzugrenzen, ob die Satzung durch den Beschluss in ihrem Normbestand unverändert gelassen wird, Nichtigkeitsgründe analog § 241 AktG greifen, oder der Schutz des Rechtsverkehrs eine Eintragung in das Handelsregister erfordert.
Letzterer Argumentation folgt der BFH. Er stellt zunächst fest, dass mit den Vorabgewinnausschüttungsbeschlüssen die Satzung der K-GmbH in ihrem Bestand nicht verändert wird, es sich folglich nur um einen punktuell satzungsdurchbrechenden Beschluss handelt. Denn jeder Beschlussfassung über die Vorabausschüttung lag ein neuer Willensentschluss zugrunde, dessen Wirkung sich jeweils im Abfluss der Ausschüttung an die T-GmbH erschöpft habe.
Auch der Schutz des Rechtsverkehrs rechtfertige keine abweichende Entscheidung über die Wirksamkeit der Beschlüsse. Eine Vorabausschüttung sei eine gesellschaftsrechtlich zulässige vorweggenommene Gewinnausschüttung, welche nicht unter Satzungsvorbehalt stehe. Gläubiger und potenzielle Erwerber müssten sich daher ohnehin über vorgenommene Vorabausschüttungen und deren Verteilung informieren, um etwaige Rückforderungsansprüche der Gesellschaft zu prüfen.
Die hier einstimmig gefassten Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse seien danach zivilrechtlich wirksam, da weder Nichtigkeitsgründe nach § 243 Abs. 1 AktG vorliegen noch die Beschlüsse aufgrund der Einstimmigkeit und des Zeitablaufs anfechtbar sind.
Das beklagte Finanzamt brachte zudem vor, dass die Gewinnausschüttungen jedenfalls auch aufgrund des Fremdvergleiches als verdeckte Gewinnausschüttungen an den Kläger einzuordnen seien, da sie ihren Anlass im Gesellschaftsverhältnis haben. Dies lehnt der BFH ab mit der Begründung, dass es bei offenen Gewinnausschüttungen nicht auf einen Fremdvergleich ankomme. Es handle sich um eine offene Gewinnausschüttung, die auf dem Gesellschaftsverhältnis der T-GmbH zur K-GmbH beruhe, sodass eine vGA an den Kläger ausgeschlossen ist.
Einen Gestaltungsmissbrauch lehnt der BFH bereits mangels steuerlichen Vorteils ab. Ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten gemäß § 42 AO liegt vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Entsprechend eines inkongruenten Gewinnverteilungsbeschlusses, welcher auf einer Öffnungsklausel beruht, habe der Steuerpflichtige bei einem satzungsdurchbrechenden inkongruenten Gewinnverteilungsbeschluss keinen Steuervorteil. Auch stelle nahezu jede verdeckte Gewinnausschüttung i.d.R. zugleich eine inkongruente Ausschüttung an den empfangenden Gesellschafter dar und wird der Besteuerung beim empfangenden Gesellschafter zugrunde gelegt. Es gebe keinen Grund, offene inkongruente Gewinnausschüttungen, die mit dem Gesellschaftsrecht in Einklang stehen, hiervon steuerlich abweichend zu behandeln.
Zurecht weist der BFH auch darauf hin, dass dem Kläger durch Verlagerung des Ausschüttungspotenzials auf die T-GmbH im Ergebnis kein dauerhafter steuerlicher Vorteil entstanden ist. Denn bei späteren Ausschüttungen aus der T-GmbH unterliegt der Kläger denselben steuerlichen Folgen, wie bei Ausschüttung aus der K-GmbH, sodass die einkommensteuerliche Erfassung lediglich aufgeschoben wurde.
IV. Empfehlung für die Praxis
Das Urteil des BFH ist zu begrüßen und reiht sich in die ständige Rechtsprechung des BFH ein, wonach inkongruente Gewinnausschüttungsbeschlüsse anzuerkennen sind, wenn sie auf einem zivilrechtlich wirksam zustande gekommenen Ausschüttungsbeschluss beruhen.
Der BFH hat sich allerdings zur Frage, ob der Gewinnverteilungsbeschluss zivilrechtlich wirksam ist, einer Meinung im gesellschaftsrechtlichen Diskurs angeschlossen, die bisher nicht durch höchstrichterliche Rechtsprechung bestätigt wurde. Der BFH bezieht sich in seinem Urteil zudem ausschließlich auf satzungsdurchbrechende inkongruente Vorabgewinnausschüttungsbeschlüsse. Es ist daher weiterhin anzuraten, vor dem Beschluss satzungsdurchbrechender (inkongruenter) Gewinnausschüttungen zumindest eine Öffnungsklausel in die Satzung aufzunehmen, um die zivilrechtliche Wirksamkeit in jedem Fall sicherzustellen und einer abweichenden Auffassung der Finanzbehörden entgegenzuwirken.
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