FALLSTRICKE BEI DER NICHTVERFOLGUNG VON KARTELLSCHADENSERSATZANSPRÜCHEN – HINWEISE AUS ANLASS DER 9. GWB-NOVELLE
Jedem ist klar, dass Kartellschadensersatzklagen von Unternehmen gegen Unternehmen eine komplexe Angelegenheit sind, die in aller Regel die Hinzuziehung externer Berater erforderlich machen, die Erfahrungen mit dieser Art Verfahren haben. Die Praxis zeigt, dass sich der Aufwand auszahlen kann. Weniger offensichtlich ist hingegen, dass auch die Nichtverfolgung von Kartellschadensersatzansprüchen rechtliche Risiken birgt, die man im Auge haben sollte. Von diesen handelt der nachfolgende Beitrag. Anlass ist die jüngste Novellierung des deutschen Kartellrechts, mit der die gerichtliche Geltendmachung von Kartellschadensersatzansprüchen weiter erleichtert werden soll.
I. Weitere Erleichterung der Verfolgung von Kartellschadensersatzansprüchen durch die 9. GWB-Novelle
Anfang März hat der Bundestag die 9. Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) verabschiedet. Das deutsche Kartellrecht erfährt dadurch in verschiedenen Bereichen signifikante Änderungen. Ein zentrales Anliegen der Novelle ist es, die gerichtliche Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen durch Kartellgeschädigte zu erleichtern. Hierzu sieht die Novelle knapp zusammengefasst folgende Änderungen vor:
- Es wird vermutet, dass ein Kartell einen Schaden verursacht hat. Das gilt nicht nur für Preis- und Quotenkartelle, sondern nunmehr u.a. auch für die Aufteilung von Märkten oder Kunden. Die Vermutung kann widerlegt werden, allerdings muss dies im Schadensersatzprozess der in Anspruch genommene Kartellant tun.
- Gestärkt wird auch die prozessuale Situation von Abnehmern auf nachgelagerten Marktstufen, die nicht direkt von einer Kartellabsprache betroffen sind (sog. mittelbare Abnehmer). Zu ihren Gunsten wird vermutet, dass der Preisaufschlag des Kartells auf sie abgewälzt wurde.
- Die Informationsbeschaffung zur Vorbereitung einer Schadensersatzklage wird durch einen im deutschen Recht neuartigen Informationsanspruch erleichtert. Danach können potentiell Kartellgeschädigte schon vor der Klageerhebung Herausgabe von Beweismitteln oder Erteilung von Auskünften verlangen, die zur Erhebung einer Schadensersatzklage notwendig sind – ähnlich dem „pre-trial discovery“-Verfahren nach US-amerikanischem Recht. Der Anspruch richtet sich nicht nur gegen die Kartellanten, sondern auch gegen Dritte, die im Besitz entsprechender Informationen sind. Der Informationsanspruch wird durch verschiedene – teils unscharfe – Ausnahmeregelungen eingeschränkt, z.B. zum Schutz von Kronzeugen und für den Fall, dass sich die Offenlegung im Rahmen einer Interessenabwägung im Hinblick auf den Schutz von Betriebsgeheimnissen als „unverhältnismäßig“ erweist.
- Die regelmäßige Verjährungsfrist für Schadensersatzansprüche wird von drei Jahren auf fünf Jahre verlängert. Die absolute Verjährungsfrist bleibt bei zehn Jahren. Beide Fristen beginnen nunmehr nicht vor Beendigung des Kartellrechtsverstoßes zu laufen, was insbesondere bei Dauerkartellrechtsverstößen wie etwa fortgesetzten Preisabsprachen dazu führt, dass auch Ansprüche für Leistungen aus der Anfangszeit des Kartells deutlich länger einklagbar sind.
Die Änderungen sind mit Verkündung der Novelle im Bundesgesetzblatt am 9. Juni 2017 in Kraft getreten. Insbesondere die neue Verjährungsfrist gilt auch für bislang unverjährte Ansprüche, die vor Inkrafttreten der GWB-Novelle entstanden sind.
II. Rechtliche Risiken der Nichtverfolgung von Kartellschadensersatzansprüchen
Auch wenn Kartellschadensersatzklagen in den vergangenen Jahren erheblich zugenommen haben und von der Deutsche Bahn AG sogar zu lesen ist, dass sie die entsprechende Abteilung zur Durchsetzung von Kartellschadensersatzansprüchen als eigenes „profit centre“ betreibt, entscheiden sich längst nicht alle unmittelbar oder mittelbar Kartellgeschädigten dafür, (mögliche) Schadensersatzansprüche aufzugreifen. Nun könnte man meinen: Wer keine Ansprüche verfolgen will, braucht auch nichts zu tun. Gesellschaftsrechtlich ist es allerdings nicht so einfach: Immerhin stehen Zahlungsansprüche der Gesellschaft im Raum, die sich je nach Lage des Falles zu erheblichen Summen addieren können. Im Grundsatz gilt, dass die Geschäftsleiter dafür zu sorgen haben, dass Ansprüche der Gesellschaft gegen Dritte durchgesetzt werden. Die Geschäftsleiter dürfen solche Ansprüche weder verjähren lassen noch auf sie verzichten. Anders ist es, wenn es in einem konkreten Fall vernünftige Gründe dafür gibt, von der Anspruchsverfolgung abzusehen. Auch die Nichtgeltendmachung von (möglichen) Kartellschadensersatzansprüchen ist danach in jedem Fall rechtfertigungsbedürftig. Die Geschäftsleitung macht sich sonst angreifbar und läuft Gefahr, sich im Nachhinein dem Vorwurf ausgesetzt zu sehen, bei der Geschäftsführung die Interessen des Unternehmens vernachlässigt und damit gegen Sorgfaltspflichten verstoßen zu haben. Ein solcher Vorwurf kann zum Beispiel aufkommen, wenn sich zeigen sollte, dass es Wettbewerbern in vergleichbarer Position gelingt, hohe Schadensersatzforderungen durchzusetzen – und zwar möglicherweise nicht erst nach einem jahrelangen Prozessmarathon durch die Instanzen, sondern in einem vergleichsweise schnell erzielten Vergleich, die in Kartellschadensersatzverfahren nicht selten sind. Denkbar ist aber auch, dass Schadensersatzforderungen gegen Geschäftsleiter im Zusammenhang mit Streitigkeiten unter den Gesellschaftern erhoben werden, wenn Geschäftsleiter an diesen selbst beteiligt sind oder zwischen die Fronten geraten. Kommt es – aus welchen Gründen auch immer – zu solchen Streitigkeiten, ist ein vermeintlicher Konsens unter den Gesellschaftern und Geschäftsleitern über die Nichtverfolgung von (möglichen) Kartellschadensersatzansprüchen schnell vergessen. Die Haftungsgefahr sollte deshalb auch dann ernst genommen werden, wenn es sich um eine Gesellschaft mit überschaubarem Gesellschafterkreis handelt und im Moment unter allen Beteiligten Einigkeit besteht, dass Kartellschadensersatzansprüche der Gesellschaft aus bestimmten Gründen nicht verfolgt werden sollen. Bis zur Verjährung der möglichen Haftungsansprüche gegen Geschäftsleiter kann sich Vieles verändern.
III. Empfehlungen zur Risikovermeidung
Dem Haftungsrisiko kann entgegen getreten werden. Dafür können je nach Konstellation unterschiedliche Wege in Frage kommen. In aller Regel wird die Initiative dafür von den Geschäftsleitern ausgehen müssen. Dabei wird es sich häufig empfehlen, folgende Schritte einzubeziehen:
- Entscheidungsprozess anstoßen: Wichtig ist zunächst, dass überhaupt aktiv eine Entscheidung herbeigeführt und der Entscheidungsprozess zu der Frage, ob Ansprüche verfolgt werden sollen oder nicht, in Gang gesetzt wird.
- Informationsgrundlage schaffen: Für einen ordnungsgemäßen Entscheidungsprozess ist eine hinreichende Informationsgrundlage erforderlich. Es müssen also eine Reihe von Fragen jedenfalls überschlägig geklärt werden, z.B.: Wie sind die Erfolgsaussichten einer Kartellschadensersatzklage? Welche Kosten entstehen? In welcher Höhe ist ein ersatzfähiger Schaden entstanden? Wie steht es um die Solvenz des möglichen Anspruchsgegners? Welche weiteren Effekte einer Anspruchsverfolgung sind zu berücksichtigen (z.B. Auswirkungen auf Geschäftsbeziehungen)?
- Formalfehler vermeiden: Die Entscheidung muss formal fehlerfrei sein, wenn sie haftungsentlastend wirken soll. Es müssen also die jeweils anwendbaren Vorgaben zu Zuständigkeit, Form und Verfahren eingehalten werden.
- Dokumentieren: Die Geschäftsleiter sind gut beraten, das Entscheidungsergebnis und den Entscheidungsprozess so zu dokumentieren, dass in einem etwaigen Haftungsprozess auch für einen Richter nachvollziehbar ist, welche Informationen der Entscheidung zugrunde lagen, warum ggf. von einer tiefergehenden Ausarbeitung der Informationsgrundlagen abgesehen wurde und welche Argumente unter allen Abwägungsgesichtspunkten aus welchen Gründen letztlich den Ausschlag gaben. Das kostet natürlich Zeit und macht Aufwand. Beides ist aber gut investiert, wenn man bedenkt, dass die mangelhafte Dokumentation in einem Haftungsprozess gegen Geschäftsleiter im Zweifel zu deren Lasten geht.
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